[594] 31. aniyamaḥ sarvâsâm avirodhaḥ, çabda-anumânâbhyâm
die unbeschränkte Geltung in allen [ist] kein Widerspruch, wegen des Wortes und der Folgerung.

Wir zeigten, wie ein Hingehen zweckentsprechend ist in den attributhaften Lehren, nicht aber in der attributlosen Lehre vom höchsten Âtman. Nun kommt aber auch in den attributhaften Lehren das Hingehen zu Brahman nur manchmal vor, z.B. in der Thronlehre (Kaush. 1), der Fünf-Feuer-Lehre (Bṛih. 6, 2. Chând. 5, 3-10), der Upakoçala-Lehre (Chând. 4, 10-15) und der Lehre vom kleinen Raume (Chând. 8, 1-6), und manchmal wieder nicht, z.B. in der Honiglehre (Bṛih. 2, 5 oder Chând. 3, 1-11), der Çâṇḍilya-Lehre (Chând. 3, 14), der Sechzehnteilig-Lehre (Praçna 6) und der[594] Vaiçvânara-Lehre (Chând. 5, 11-24.) Hier erhebt sich die Frage, ob jenes Hingehen eine nur auf diejenigen Lehren, in welchen es vorkommt, eingeschränkte Gültigkeit hat, oder ob es ohne Einschränkung für alle derartige [d.h. attributhafte] Lehren Gültigkeit hat? – Angenommen also, ›die Gültigkeit sei eine beschränkte; nämlich nur da, wo es vorkommt, kann das Hingehen gelten, indem das jedesmalige Vorhaben eine solche Einschränkung gebietet. Denn wenn man das Hingehen, weil es an andern Stellen vorkommt, bei Lehren, wo es nicht vorkommt, ergänzen wollte, so würde man damit die Beweiskräftigkeit der Schrift u.s.w. aufheben, indem dann jedes zu jedem Zwecke dienen könnte. Hierzu kommt, | dass jenes durch die Stationen der Flamme u.s.w. erfolgende Hingehen in der Upakoçala-Lehre (Chând. 4, 10-15) und ebenso wieder [in derselben Çâkhâ] in der Fünf-Feuer-Lehre (Chând. 5, 3-10) vorkommt, und dieses würde, bei Allgemeingültigkeit der Lehre, nur eine zwecklose Wiederholung sein. Darum ist dieselbe ihrer Gültigkeit nach beschränkt.‹ – Auf diese Annahme erwidert der Lehrer: »die unbeschränkte Geltung« ist das Richtige; nämlich »in allen« attributhaften Lehren, welche als Lohn die Erlangung von Beglückung (abhyudaya, vgl. System des Vedânta S. 472, Anm. 138) haben, muss ohne Unterschied das als Götterweg bezeichnete Hingehen gültig sein. – ›Aber sagten wir nicht, dass bei Annahme der unbeschränkten Gültigkeit ein Widerspruch gegen das jeweilige Thema eintreten würde?‹ – Dies ist »kein Widerspruch, wegen des Wortes und der Folgerung«, d.h. wegen der Schrift und der Smṛiti. Denn so sagt die Schrift: »die nun, welche Solches wissen,« – hier lehrt sie den Götterweg als den Weg derjenigen, welche die Fünf-Feuer-Lehre besitzen, – »und jene dort, welche im Walde Glauben und Busse üben« (Chând. 5, 10, 1), – hier zeigt sie, wie auch die, welche auf eine andere Lehre eingeübt sind, denselben Weg wie die Kenner der Fünf-Feuer-Lehre einschlagen. – ›Aber mit welchem Rechte behauptet man, dass diese Schriftstelle von dem Hingehen auch für solche gelte, die auf eine andere Lehre eingeübt sind? Bezieht sich diese Gültigkeit nicht vielmehr auf solche, welche den Glauben und die Busse als das höchste Ziel verfolgen, da doch nur diese erwähnt werden?‹ – Doch nicht, denn durch Glauben oder Busse allein und ohne die Mithülfe des Wissens ist dieses Hingehen nicht erreichbar; denn eine andere Schriftstelle sagt (Çatap. br. 10, 5, 4, 16):


»Durch Wissen steigen sie empor

Dorthin, wo sich das Sehnen stillt,

Nicht wer werktüchtig nur, und wer

Unwissend Busse bloss erfüllt.«[595]


Es ist also hier unter dem Glauben und der Busse noch der Besitz einer weiteren Lehre mitzuverstehen. | Übrigens lesen die Vâjasaneyin's da, wo sie die Fünf-Feuer-Lehre darlegen: »die nun, welche Solches wissen, und jene dort, welche im Walde Glauben und Wahrheit üben« (Bṛih. 6, 2, 15), d.h., wie man erklären muss, diejenigen, welche gläubig sind und dabei das Brahman als die Wahrheit verehren; denn das Wort »Wahrheit« wird oft genug von Brahman gebraucht. Da diejenigen, welche die Fünf-Feuer-Lehre kennen, auch nur deswegen, weil sie »Solches wissen« herangezogen werden, so ist es folgerecht, ebensowohl diejenigen, welche eine andere Lehre als höchstes Ziel verfolgen, heranzuziehen. Auch heisst es ja weiter: »aber die, welche diese beiden Pfade nicht kennen, das sind die Würmer, Vögel und was da beisset« (Bṛih. 6, 2, 16); diese Stelle lehrt für solche, welche die beiden Wege verfehlen, einen schlimmen Niedergang, und indem sie nur diesen neben dem Götterwege und dem Väterwege erwähnt, so folgt auch hieraus, dass die Erlangung des Götterweges an das Merkmal des Wissens geknüpft ist. Auch die Smṛiti sagt (Bhag. G. 8, 26):


»Es sind der helle und der dunkle Pfad

Von je her für die Lebenswelt bestehend;

Nicht kehrt zurück wer ersteren betrat,

Der and're ist zur Erde rückwärts gehend.«


Wenn endlich der Pfad des Götterweges durch die Flamme u.s.w. zweimal [in demselben Textbuche], nämlich in der Upakoçala-Lehre und der Fünf-Feuer-Lehre, erwähnt wird, so hat das seinen Grund darin, dass an beiden Stellen die Gedanken sich auf denselben richten sollen. Somit ist die »unbeschränkte Geltung« das Richtige.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 594-596.
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