[563] 10. sarva-abhedâd anyatra ime
weil [diese Lehre] allerwärts die nämliche, gelten [auch] anderweit jene [Bestimmungen].

In der Schule der Vâjasaneyin's und der Chandoga's wird in der Stelle vom Rangstreite der Organe die Verehrung des Prâṇa, welcher als der edelste bezeichnet wird, gelehrt, und hierbei wird von der Rede und den übrigen gesagt, dass ihnen die Eigenschaften, die reichste u.s.w. zu sein, zukommen; und diese Eigenschaften werden dann weiter auf den Prâṇa übertragen, indem es heisst: »denn dass ich die reichste bin, dadurch bist du der reichste« u.s.w. (Bṛih. 6, 1, 14. Chând. 5, 1, 13.) Nun kommt aber auch in andern Vedaschulen, | in der der Kaushîtakin's u.s.w., der Rangstreit der Organe vor, und hierbei heisst es: »nun folgt das Ergreifen der Höchstheit: es geschah, dass diese Gottheiten sich um den Vorrang stritten« u.s.w. (Kaush. 2, 14.) Bei dieser Gelegenheit wird gleichfalls vom Prâṇa gelehrt, dass er der edelste sei; hingegen jene Eigenschaften, dass er der reichste u.s.w. sei, werden nicht von ihm erwähnt. Hier erhebt sich der Zweifel, ob jene[563] Eigenschaften, der reichste u.s.w. zu sein, welche nur an einigen Stellen vorkommen, auch bei den andern hinzuzufügen sind, oder nicht? – Angenommen also, ›sie seien nicht hinzuzufügen; warum? weil dabei das Wort »also« gebraucht wird. So heisst es: »wer, dieses also wissend, an dem Prâṇa den Vorrang erkannt hat« (Kaush. 2, 14), wobei, wie auch sonst vielfach, durch das Wort »also« der zu wissende Gegenstand bezeichnet wird. Nun bezieht sich aber das Wort »also« auf etwas Nahestehendes und kann nicht auf eine ihm entsprechende Eigenschaft verweisen, die in einer andern Vedaschule vorkommt. Somit muss eine nichts zu wünschen übrig lassende Vollständigkeit schon durch die in dem Zusammenhange der Stelle selbst genannten Eigenschaften gegeben sein‹. – Auf diese Annahme entgegnet der Lehrer: »jene« Eigenschaften, dass er der reichste sei u.s.w., müssen, obwohl sie nur an einigen Stellen vorkommen, doch auch bei den andern hinzugefügt werden; warum? »weil sie allerwärts die nämliche«; d.h. jene eine Lehre vom Prâṇa wird allerwärts als die nämliche wiedererkannt, wie man an der Gleichmässigkeit in Bezug auf den Rangstreit der Organe ersieht. | Liegt aber hier eine Identität der Lehre vor, so ist es unumgänglich, dass man die an der einen Stelle erwähnten Eigenschaften an den andern hinzudenkt. – ›Aber es wurde doch gesagt, dass das Wort »also« an der einen und andern Stelle unabhängig voneinander die ihm entsprechenden Beschaffenheiten als das zu Wissende bestimmt‹. – Hierauf ist zu erwidern: wenn auch durch das Wort »also«, welches zum Brâhmaṇam der Kaushîtakin's gehört, eine Eigenschaft, welche im Brâhmaṇam der Vâjasaneyin's vorkommt, nicht bezeichnet werden kann, weil sie nicht in seiner Nähe steht, so wird doch diese Eigenschaft für dieselbe Erkenntnis durch dasjenige Wort »also« befasst, welches in dem Brâhmaṇam der Vâjasaneyin's (Bṛih. 6, 1, 14) vorkommt. Hierauf beruht es, dass die Eigenschaften, welche in einem andern Vedatexte, der jedoch von der nämlichen Lehre handelt, vorkommen, von den in dem eigenen Vedatexte vorkommenden Eigenschaften nicht zu trennen sind. Hieraus folgt keineswegs, dass das Schriftmässige aufgegeben und Schriftwidriges angenommen sei. Denn die Eigenschaften, welche in dem einen Texte vorkommen, gelten für alle Texte, sofern der Träger dieser Eigenschaften der nämliche bleibt. Denn wenn z.B. Devadatta, der in seinem Lande durch die Eigenschaften der Tapferkeit u.s.w. berühmt ist, in ein anderes Land kommt, dessen Bewohner die Eigenschaften der Tapferkeit u.s.w. an ihm nicht bemerken, so ist er darum doch nicht jener Eigenschaften ermangelnd. So wie in diesem Falle die Eigenschaften des Devadatta auch in dem fremden Lande aus dem näheren Umgange mit ihm zu erkennen sind, ebenso lässt sich aus der näheren Art der Behandlung erkennen, dass die in dem einen Vedatexte zur Verehrung empfohlenen[564] Eigenschaften auch in dem anderen Vedatexte hinzuzufügen sind. Somit folgt, dass man die auf die nämliche Sache sich beziehenden Qualitäten, auch wenn sie nur an der einen Stelle genannt werden, doch an allen Stellen hinzudenken muss.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 563-565.
Lizenz:
Kategorien: