[607] 39. kâma-âdi itaratra tatra ca, âyatana-âdibhyaḥ
Wünschen u.s.w. an der andern Stelle und hier, wegen des Standortes u.s.w.

Die Chandoga's haben die Stelle: »hier in dieser Brahmanstadt ist ein Haus, eine kleine Lotosblume; inwendig darinnen ist ein[607] kleiner Raum« (Chând. 8, 1, 1); und weiter lesen sie: »das ist das Selbst, das sündlose, frei vom Alter, frei vom Tod und frei vom Leiden, ohne Hunger und ohne Durst; sein Wünschen ist wahrhaft, wahrhaft sein Ratschluss« (Chând. 8, 1, 5.) Ebenso sagen die Vâjasaneyin's: »wahrlich dieses | grosse, ungeborene Selbst, das ist unter den Lebensorganen jener aus Erkenntnis bestehende [selbstleuchtende Geist]! Hier, inwendig im Herzen, ist ein Raum, darin liegt er, der Herr des Weltalls« u.s.w. (Bṛih. 4, 4, 22.) – Bei dem Zweifel, ob hier eine Einheit der Lehre und eine Hinzudenkung der beiderseitigen Attribute anzunehmen sei oder nicht, entscheidet sich der Lehrer für die Einheit der Lehre und sagt in diesem Sinne: »Wünschen« u.s.w., d.h.: »wahrhaft ist sein Wünschen«; indem kâma so viel bedeutet wie satyakâma, ähnlich wie wenn man Datta für Devadatta und Bhâmâ für Satyabhâmâ sagt. Also die Qualitäten, »Wahres wünschend« u.s.w., welche dem Raume im Herzen vom Chândogyam zugeschrieben werden, dieselben sind auch »an der andern Stelle«, nämlich im Vâjasaneyakam, mit den Worten: »wahrlich dieses grosse ungeborene Selbst« zu verbinden. Und wenn dabei im Vâjasaneyakam gesagt wird, der Âtman sei »der Herr des Weltalls« u.s.w., so ist auch dieses mit den Worten des Chândogyam: »das ist das Selbst, das sündlose«, zu verbinden. Warum? wegen der Gleichheit »des Standortes« u.s.w. Nämlich gleich ist an beiden Stellen, dass das Herz sein Standort ist, gleich, dass das zu Erkennende Gott ist, gleich auch seine Auffassung als eine Brücke, welche dazu dient, die Welten auseinanderzuhalten, damit sie nicht verfliessen; sodass sich in vielen Stücken eine Gleichheit herausstellt. – ›Aber liegt nicht auch ein Unterschied vor, sofern die Qualitäten im Chândogyam auf den Raum im Herzen, im Vâjasaneyakam hingegen auf das in diesem Raume befindliche Brahman bezogen werden?‹ – Doch nicht! denn wir haben an der Stelle »der kleine [Raum] wegen des Folgenden« (Sûtram. 1, 3, 14) festgestellt, dass auch im Chândogyam unter dem Worte Raum das Brahman zu verstehen ist. Hingegen ist dabei ein anderer Unterschied zu bemerken. Im Chândogyam nämlich wird die attributhafte Lehre vom Brahman dargelegt, denn wenn es heisst: »wer aber von hinnen scheidet, nachdem er die Seele erkannt hat und jene wahrhaften Wünsche« (Chând. 8, 1, 6), so werden hier ebenso wie der Âtman | auch die Wünsche als das zu Wissende bezeichnet. Im Vâjasaneyakam hingegen handelt es sich nur um das attributlose Brahman, wie dies aus dem Zusammenhange der Fragen und Antworten: »rede höher als dieses was zur Erlösung dient« (Bṛih. 4, 3, 14) und »denn diesem Geiste haftet nichts an« (Bṛih. 4, 3, 15) hervorgeht; dass er aber im Vajasaneyakam mit den Attributen »Herr des Weltalls« u.s.w. erwähnt wird, geschieht nur, um ihn in dieser und jener Weise zu verherrlichen.[608] Dem entsprechend heisst es auch nachher: »er aber, der Âtman, ist nicht so und ist nicht so« (Bṛih. 4, 5, 15), welche Zusammenfassung sich auf das attributlose Brahman bezieht. Weil dasselbe aber mit dem attributhaften Brahman [im Grunde] identisch ist, wird die in Rede stehende Zusammenfassung der Attribute vom Sûtram verlangt in der Absicht, seine Machtfülle zur Anschauung zu bringen, nicht aber zu einem Zwecke der Verehrung [welche nur bei dem attributhaften Brahman stattfindet]; so ist es aufzufassen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 607-609.
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