[565] 12. priya-ēirastva-ādi-aprāptir, upacaya-apacayau hi bhede
dass Liebes sein Haupt u.s.w. sei, ist nicht [allgemein] gültig; denn ein Mehr und Minder besteht nur in [dem Bereiche] der Vielheit.

[565] Die im Taittirīyakam vorkommenden Eigenschaften, dass »Liebes sein Haupt« u.s.w. sei, sind an andern Stellen nicht gültig, weil Eigenschaften wie Liebes, Freude, Freudigkeit und Wonne, mögen sie sich nun aufeinander oder auf einen andern als Geniesser beziehen, von der Art sind, dass sich ein Mehr und Minder an ihnen zeigt; ein Mehr und ein Minder aber sind nur da möglich, wo es eine Vielheit giebt; das Brahman aber ist frei von der Vielheit, wie die Schriftstelle: »eines nur und ohne zweites« (Chānd. 6, 2, 1) und andere beweisen. Überhaupt sind die Bestimmungen, dass »Liebes sein Haupt« u.s.w. sei, gar keine Eigenschaften des Brahman, sondern sie sind nur Eigenschaften seiner Hülle (koēa), wie wir dies an der Stelle »der Wonneartige wegen der Häufigkeit« (Sūtram 1, 1, 12-19) nachgewiesen haben.1 Auch werden sie bei dem höchsten Brahman nur als ein Mittel gebraucht, um die Gedanken auf dasselbe zu lenken, nicht um dasselbe zu schildern; und dies ist noch ein Grund mehr dafür, dass diese Eigenschaften, »Liebes ist sein Haupt« u.s.w. anderwärts nicht gültig sind. Wenn aber der Lehrer speciell diese als Eigenschaften des Brahman in Betracht zieht, | so geschieht es, weil er sie als Beispiel einer allgemeinen Regel betrachtet, und darum zeigt, wie »Liebes ist sein Haupt« u.s.w. nicht allgemein gültig sind. Diese Regel nun betrifft auch andere dem Brahman beigelegte Eigenschaften, welche zum Zwecke der Verehrung an ihm aufgezeigt werden, und gilt in allen Fällen, wo Brahman z.B. als »Behälter des Glückes« (vgl. Muṇḍ. 3, 2, 1), als »wahre Wünsche habend« (Chānd. 8, 7, 1) u. dgl. betrachtet wird. Denn wenn auch das zu verehrende Brahman eine Einheit ist, so findet doch je nach der Verschiedenheit des Vorgehens eine Verschiedenheit der Verehrung statt, und hierbei dürfen die in dem einen Falle vorkommenden Eigenschaften nicht auf den andern Fall übertragen werden. Es ist damit ähnlich, wie wenn zwei Gattinnen den einen Gatten bedienen, die eine mit dem Fliegenwedel, die andere mit dem Sonnenschirm. Ebenso wie hierbei der, welchem gedient wird, einer ist, und dabei in der[566] Verschiedenheit des Dienens zugleich eine Verschiedenheit von Verhältnissen [an demselben] gegeben ist, ebenso ist es auch in unserem Falle. Denn das Mehr und Minder von Qualitäten kommt, weil es das vielheitliche Treiben voraussetzt, zwar wohl dem attributhaften Brahman, nicht aber dem attributlosen höchsten Brahman zu. Darum haben solche Eigenschaften wie »Wahres wünschend« u.s.w., wenn sie nur an einzelnen Stellen vorkommen, nicht an allen Stellen Gültigkeit.

1

Die hier vertretene Auffassung steht in Einklang mit den Ausführungen zu Sūtram 1, 1, 12-19, Seite 49-55, nicht aber mit dem, was, im Anschlusse daran, Seite 55-60 ohne Zweifel von anderer Hand eingeschoben worden ist

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 565-567.
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