[634] 59. vikalpo, 'viçishṭa-phalatvât
Auswahl, weil sie nicht unterschiedene Frucht bringen.

Da somit die Verschiedenheit der Lehren feststeht, so erhebt sich die Frage, ob nach Belieben eine Zusammenfassung derselben oder eine Auswahl unter ihnen statthaft ist, oder ob nicht vielmehr die Auswahl das allein Mögliche ist. Zunächst nun liegt, da die Verschiedenheit der Lehren feststeht, für die Notwendigkeit einer Zusammenfassung derselben kein Grund vor. – ›Aber das Feueropfer, Voll- und Neumondsopfer u.s.w. sind doch auch verschieden, und doch müssen sie zusammengefasst werden.‹ – Dieser Einwand trifft nicht zu, weil dort in der Schriftaussage von der Wesentlichkeit dieser Gebräuche ein Grund für die Zusammenfassung vorliegt, während für die Lehren keine derartige Schriftaussage ihrer Wesentlichkeit vorhanden ist. Eine Nötigung zur Zusammenfassung besteht also nicht. – ›Ebenso wenig aber,‹ | so könnte man meinen, ›besteht doch eine Nötigung zur Auswahl, da durch die Berechtigung zu der einen Lehre die zu einer andern nicht ausgeschlossen wird. ›Somit bleibt übrig, dass beides nach Belieben zulässig ist.‹ – Aber muss man nicht doch wohl eine Auswahl treffen, sofern für mehrere Lehren eine und dieselbe Frucht verheissen wird? Denn z.B. bei den Lehren: »Manas ist sein Stoff, Odem sein Leib« (Chând. 3, 14, 1); – »Brahman ist Freude, Brahman ist Weite« (Chând. 4, 10, 5); – »sein Wünschen ist wahrhaft, wahrhaft sein Ratschluss« (Chând. 8, 7, 3), besteht doch in gleicher Weise als Lohn die Erlangung des Gottseins. – ›Das schadet nicht, da ja auch bei Werken, für welche dieselbe Frucht besteht, indem sie z.B. den Himmel u.s.w. als Lohn bewirken, ein Belieben der Zusammenfassung zulässig ist. Somit scheint ein Belieben zwischen Zusammenfassung und Auswahl das Richtige zu sein.‹ – Auf diese Annahme erwidert der Lehrer: nur »Auswahl« kann unter jenen Lehren bestehen, nicht Zusammenfassung; warum? »weil sie nicht unterschiedene Frucht bringen«. Nämlich die Frucht jener Lehren ist ohne Unterschied die Vergegenwärtigung des zu verehrenden Gegenstandes; ist aber der zu verehrende Gegenstand, z.B. Gott, durch die eine Verehrung schon vergegenwärtigt, so wird die[634] zweite überflüssig. Ja, es ist sogar unmöglich, ihn auf zwei verschiedene Weisen zu vergegenwärtigen, indem eine solche Zusammenfassung eine Zerstreuung der Gedanken bewirken würde. Dass aber die Frucht der Wissenschaft in der Vergegenwärtigung ihre Vollendung erreicht, lehrt die Schrift, wenn sie sagt: »wem dieses ward, fürwahr der zweifelt nicht« (Chând. 3, 14, 4), und: »Gott wird er, und zu den Göttern geht er ein« (Bṛih. 4, 1, 3); und auch die Smṛiti lehrt es in den Worten: »zu dessen Sein wird jedesmal er drüben eingekleidet« (Bhag. G. 8, 6.) Man hat daher unter den Lehren, deren Frucht die nämliche ist, die eine oder andere auszuwählen | und dieser sich hinzugeben, bis durch Vergegenwärtigung des zu verehrenden Gegenstandes ihre Frucht erlangt wird.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 634-635.
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