[606] 38. sā eva hi satya-ādayaḥ
Denn eine und dieselbe [Lehre] sind das Reale u.s.w.

»Wer jenes Wunderding als Erstgebornes weiss, und dass das Brahman das Reale ist« u.s.w.; mit diesen Worten wird im Vājasaneyakam (Bṛih. 5, 4, 1) die Lehre von dem Realen mitsamt seiner Verehrung nach Namen und Silben geboten, und dann heisst es weiter: »dieses Reale ist jene Sonne dort. Und jener Mann, welcher in der Sonnenscheibe ist, und dieser Mann, welcher im rechten Auge ist« u.s.w. (Bṛih. 5, 5, 2.) Es entsteht der Zweifel, ob hier (Bṛih. 5, 4 und 5, 5) zwei Lehren von dem Realen vorliegen oder nur eine. – Angenommen also, ›es seien zwei, weil die Verbindung mit dem Lohne eine verschiedene ist; denn zuerst heisst es: »der überwindet diese Welten« (Bṛih. 5, 4, 1), und beim zweiten heisst es: »der tötet das Böse und entweicht ihm« (Bṛih. 5, 5, 3-4.) Wenn aber das vorher Besprochene hier wieder herangezogen wird, so geschieht dies wegen der Einheit desjenigen, um dessen Verehrung es sich hier handelt.‹ – Auf diese Annahme erwidern wir, dass hier nur eine und dieselbe Lehre von dem Realen vorliegt; warum? weil mit den Worten »dieses Reale« (Bṛih. 5, 5, 2) das Vorhererwähnte herangezogen wird. – ›Aber sagten wir nicht, dass eine solche Heranziehung des Vorhererwähnten auch bei Verschiedenheit der Lehre zufolge der Einheit des zu Verehrenden möglich ist?‹ – | Dem ist nicht so! ja, wo aus einer andern offenbaren Ursache eine Verschiedenheit der Lehren angenommen wird, da möchte dem so sein; hier aber, wo beides gleich möglich ist, wird durch die Herbeiziehung des Vorhererwähnten mit den Worten »dieses Reale« das in der ersten Belehrung vorkommende Reale bei der zweiten herangezogen, woraus mit Sicherheit folgt, dass die Lehre eine einheitliche ist. Wenn weiter bemerkt wurde, dass die Lehre eine verschiedene sein müsse, weil verschiedene Belohnungen erwähnt würden, so erwidern wir, dass dieser Einwurf unbegründet ist, indem diese[606] Erwähnung verschiedener Belohnungen den Zweck hat, die Unterweisung in den beiden Gliedern, wonach sein Geheimname das eine Mal »Tag« und das andere Mal »Ich« heisst, zu verherrlichen. Hierzu kommt, dass da, wo wie hier die Belohnung nur auf die Sacherklärung [nicht auf die Vorschrift] zu beziehen ist, trotz der Einheit der Lehren mancherlei Belohnungen bei den einzelnen Teilen vorkommen können und dann in der aus diesen Teilen bestehenden Lehre zusammenzufassen sind. Hieraus folgt, dass hier eine und dieselbe Lehre von dem Realen vorliegt, welche als mit der einen und der andern Bestimmung behaftet dargelegt wird, und dass alle die Attribute als »das Reale« u.s.w. zu einer Zweckbestimmung zusammenzufassen sind.

Manche hingegen nehmen an, in diesem Sūtram handle es sich einerseits um die Vājasaneyakastelle von dem Mann im Auge und in der Sonne und anderseits um die Chāndogyastellen: »aber der goldene Mann, welcher im Innern der Sonne gesehen wird« und: »aber der Mann, welcher im Innern des Auges gesehen wird« (Chānd. 1, 6, 6 und 1, 7, 5), und meinen, | dass diese Lehre von dem Manne im Auge und in der Sonne an beiden Stellen die nämliche sei, daher man die von den Vājasaneyin's angegebenen Attribute als »das Reale« u.s.w. mit denen der Chandoga's zusammenfassen müsse. Diese Auffassung ist jedoch nicht zu billigen. Denn im Chāndogyam ist diese auf den Udgītha bezügliche Lehre mit Werken verknüpft, wie daraus ersichtlich, dass bei ihr in Anfang, Mitte und Ende Anzeichen für die Verknüpfung mit Werken vorliegen; denn zu Anfang heisst es: »diese Erde ist die Ṛic, das Feuer ist das Sāman« (Chānd. 1, 6, 1), und in der Mitte: »seine Gesänge sind Ṛic und Sāman, darum heisst es der Hochgesang« (Chānd. 1, 6, 8), und zum Schlusse: »wer dieses also wissend das Sāman singt« (Chānd. 1, 7, 7.) Hingegen ist im Vājasaneyakam durchaus kein derartiges Anzeichen für die Verknüpfung mit Werken vorhanden, und somit ist hier wegen der Verschiedenheit des Unternehmens eine Verschiedenheit der Lehre anzunehmen, sodass man die Attribute auseinanderzuhalten hat.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 606-607.
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