[577] 19. samâna' evañ ca, abhedât
und ebenso in demselben [Texte], wegen der Nichtverschiedenheit.

In dem Textbuche der Vâjasaneyin's befindet sich in dem Agnirahasyam (der Geheimlehre des Feuers, Çatap. br. X) auch die mit dem Namen des Çâṇḍilya bezeichnete Lehre; hierbei werden als Qualitäten erwähnt: »man soll den Âtman verehren, dessen Stoff der Verstand, dessen Leib das Leben, dessen Gestalt das Licht ist« u.s.w. (Çatap. br. 10, 6, 3, 2.) Eben diese Vedaschule liest abermals im Bṛihadâraṇyakam: »dieser Geist, dessen Stoff der Verstand, dessen Wesen das Licht ist, befindet sich hier inwendig im Herzen so gross wie ein Reiskorn oder Gerstenkorn; – und eben dieser ist der Herr des Weltalls, der Gebieter des Weltalls, er ist's, der über alles herrscht, was hier vorhanden ist« (Bṛih. 5, 6, 1 Kâṇv.). – Es erhebt sich der Zweifel, ob wir hier im Agnirahasyam und Bṛihadâraṇyakam nur eine Lehre und eine Zusammenfassung der Qualitäten oder zwei Lehren und keine Zusammenfassung der Qualitäten anzunehmen haben. – Angenommen also, ›hier bestünde eine Verschiedenheit der Lehre und ein Gegensatz der Qualitäten; warum? weil sonst der Fehler einer Wiederholung eintreten würde. Ja, wo die Texte verschiedenen Vedaschulen angehören, da kann man diesem Vorwurfe einer Wiederholung ausweichen, in Anbetracht, dass die Lernenden sowie die Lehrenden hier andere sind; hierbei liesse sich eine Einheit der Lehren annehmen, und die an dem einen Orte besonders erwähnten Qualitäten liessen sich an dem andern Orte hinzudenken, wie wir dies z.B. bei dem Rangstreite der Organe gezeigt haben. Innerhalb derselben Vedaschule hingegen, bei welcher die Lernenden sowie die Lehrenden beide Male dieselben sind, lässt sich eine Wiederholung auf diese Weise nicht entschuldigen, | und eine einheitliche Lehre kann hierbei nicht an auseinanderliegenden Stellen angenommen werden. Auch kann man dabei die Sache nicht so zurechtlegen, dass die eine Erwähnung der Anbefehlung der Lehre, die andere[577] der Anbefehlung der Qualitäten diene; denn dann dürften nur diejenigen Qualitäten, welche an der einen Stelle fehlen, an der andern vorkommen. Es finden sich aber vielmehr an beiden Orten sowohl verschiedene als auch die nämlichen Qualitäten vor, wie z.B. dass Verstand sein Stoff sei u.s.w. Darum ist es nicht möglich, die beiderseits vorkommenden Qualitäten zusammenzufassen.‹ – Auf diese Annahme erwidern wir: so wie bei verschiedenen Vedaschulen eine Einheit der Lehren und eine Zusammenfassung der Qualitäten möglich ist, »ebenso« kann es auch in derselben Vedaschule geschehen, »wegen der Nichtverschiedenheit« des Gegenstandes der Verehrung. Denn es ist ein und dasselbe Brahman, welches, mit den Qualitäten, dass Verstand sein Stoff u.s.w. sei, versehen, an beiden Orten als das nichtverschiedene Objekt der Verehrung angenommen wird und die Gestalt bildet, welche nach dieser Lehre zu verehren ist; wo aber eine Nichtverschiedenheit der Gestalt vorliegt, da lässt sich keine Verschiedenheit der Lehre annehmen, und wo keine Verschiedenheit der Lehre, da kein Auseinanderfallen der Qualitäten. – ›Aber wurde die Verschiedenheit der Lehre nicht daraus entnommen, dass sonst eine Wiederholung vorliegen würde?‹ – Eine solche geben wir nicht zu, weil der Zweck ein verschiedener ist; denn die eine Erwähnung hat den Zweck, die Lehre, die andere den, die Qualitäten anzubefehlen, daher hier nichts Unzulässiges vorliegt. – ›Aber müsste nicht, wenn dem so wäre, nur dasjenige, was im Agnirahasyam übergangen war, im Bṛihadâraṇyakam erwähnt werden, z.B. dass er der Herr der Welt u.s.w. ist, dasjenige hingegen, was schon erwähnt war, z.B. dass der Verstand sein Stoff ist u.s.w., das andere Mal unerwähnt bleiben?‹ – Hierin liegt kein Fehler; denn nur mit Hülfe dieser [Wiederholungen] lässt sich die an der andern Stelle befindliche Lehre | als dieselbe wiedererkennen. Nämlich durch die Erwähnung der nämlichen Qualitäten will die Schrift an die an einer entfernten Stelle befindliche Lehre des Çânḍilya wieder erinnern, um mit Bezug auf sie das Herrsein über die Welt u.s.w. zu lehren. Denn wie sollte auf anderm Wege angezeigt werden, dass die hier vorkommenden Qualitäten sich auf jene Lehre bezögen? Da es ferner wohl zulässig ist, wo eine Stelle durch Hinweisung auf einen noch nicht benutzten Teil derselben zu einem Zwecke dienstbar gemacht wird, dass auch der schon benutzte Teil derselben, vermöge der Wiederholung dessen, was ihr wesentlich (nityam) ist, wieder aufgenommen wird, so darf dieses kein Grund sein, die Wiederanerkennung einer Stelle als der nämlichen zu beanstanden. Somit ist es im vorliegenden Falle richtig, anzunehmen, dass, wiewohl die Vedaschule dieselbe ist, doch eine Einheit der Lehren und eine Zusammenfassung der Qualitäten stattfindet.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 577-578.
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