[473] 1. tad-antara-pratipattau raṅhati samparishvaktaḥ, praçna-nirûpaṇâbhyâm
beim Eingang in einen von ihm verschiedenen [Leib] rennt sie [die Seele] umschlungen, wegen der Frage und Darlegung.

Im zweiten Adhyâya wurde der Widerspruch der Smṛiti-Reflexion gegen die vom Vedânta aufgestellte Lehre vom Brahman beseitigt (Pâda 2, 1) und gezeigt, dass die Lehrmeinungen der Gegner keine Beachtung verdienen (Pâda 2, 2), auch wurde der Widerspruch unter den Schriftworten beglichen, und bei dieser Gelegenheit wurde gezeigt, wie die Werkzeuge der Seele als besondere, von der Seele verschiedene Wesenheiten aus dem Brahman entspringen (Pâda 2, 3-4.) – Nunmehr sind weiter zu besprechen: die Art, wie die mit den Werkzeugen ausgerüstete Seele ihre Wanderung ausführt (Pâda 3, 1), die verschiedenen Zustände der Seele (3, 2, 1-10), ihre Gleichwesenheit mit Brahman (3, 2, 11-41); die Einheit und Nichteinheit der Lehren, sowie die Zusammenfassung und Nichtzusammenfassung der Attribute, (3, 3, 1-66); die Verwirklichung des Zieles des Menschen durch[473] die vollkommene Erkenntnis (3, 4, 1-25), die verschiedenen Gesetzesvorschriften als Mittel der vollkommenen Erkenntnis (3, 4, 26-50) und die Nichtbedingtheit der Frucht der Erlösung (3, 4, 51-52); – dieses | ist der Zweck der Ausführungen des dritten Adhyâya, und was sonst noch nebenbei gelegentlich, vorkommt.

Zunächst nun wird im ersten Pâda auf die Fünf-Feuer-Lehre eingegangen und die Verschiedenheit des Verlaufes der Seelenwanderung dargelegt, weil dies ein Motiv zur Entsagung ist, und weil darin ein Grund liegt, dass man »sich hüten soll«, wie die Schrift am Ende der Fünf-Feuer-Lehre sagt (Chând. 5, 10, 8.)

Die individuelle Seele also, begleitet von dem Mukhya Prâṇa nebst Indriya's und Manas und ausgerüstet mit dem Wissen, dem Werke und der Vorwissenheit (pûrvaprajñâ), verlässt den früheren Leib und geht in einen neuen Leib über, wie dies aus der Schrift ersichtlich ist; denn die Stelle: »dann aber scharen diese Lebensorgane sich zu ihr zusammen«, bis zu den Worten: »so schafft sie sich eine andere, neuere, schönere Gestalt« (Bṛih. 4, 4, 1-4) hat es mit der Seelenwanderung als Thema zu thun; auch ist diese erforderlich, damit der Genuss der Frucht der guten und bösen Werke sich erfülle.

Hierbei erhebt sich die Frage, ob die Seele so wandert, dass sie dabei von den als Samen des Leibes dienenden Feinteilen der Elemente nicht umschlungen ist, oder indem sie umschlungen ist. – Angenommen also, ›die Seele sei dabei von ihnen nicht umschlungen; warum? weil die Schrift zwar von einem Mitnehmen der Organe, nicht aber von einem Mitnehmen der Elemente spricht. Denn in der Stelle: »sie aber nimmt diese Kraftelemente in sich auf« (Bṛih. 4, 4, 1) sind unter den Kraftelementen [nur] die mitzunehmenden Organe zu verstehen, indem als solche weiterhin das Auge u.s.w. erwähnt werden; hingegen ist von einer Mitnahme der Elementarstoffe keine Rede. Auch sind diese Elementarstoffe überall leicht zu haben; wo immer der neue Leib sich bilden mag, da finden sie sich stets vor, | und ein Mitführen derselben würde zwecklos sein. Somit zieht die Seele aus, ohne dass sie von ihnen umschlungen wäre.‹ – Auf diese Annahme eröffnet der Lehrer: »beim Eingang in einen von ihm verschiedenen rennt sie umschlungen«; d.h. beim Eingang in einen neuen, von dem bisherigen Leibe verschiedenen Leib rennt, d.h. wandert die Seele umschlungen von den als Samen des Leibes dienenden Feinteilen der Elemente; warum? »wegen der Frage und Darlegung«. Nämlich die Frage lautete: »weisst du, wie bei der fünften Opferung die Wasser mit Menschenstimme redend werden?« (Chând. 5, 3, 3); und die Darlegung, d.h. die Beantwortung zeigt, wie in den fünf Feuern des Himmels, der Atmosphäre, der Erde, des Mannes und des Weibes die fünf Opferungen des Glaubens, des Soma, des Regens, der Nahrung und des Samens[474] dargebracht werden, und sagt dann: »in dieser Weise geschieht es, dass die Wasser bei der fünften Opferung mit Menschenstimme redend werden« (Chând. 5, 9, 1.) Hieraus folgt, dass die Seele rennt, d.h. wandert, indem sie von den Wassern umkleidet ist. – ›Aber sagt nicht eine andere Schriftstelle: »dem Blutegel gleich lässt sie den vorigen Leib nicht los, bis sie nicht in einen neuen Leib eingeht«?‹ – | Hierin liegt kein Widerspruch, weil damit ebenso wie in der Stelle: »darum gleich wie eine Raupe« (Bṛih. 4, 4, 3) nur gesagt sein soll, dass es ähnlich wie bei dem Blutegel nicht lange dauert, bis die, dabei von den Wassern umkleidete, Seele in den Bereich des durch ihre Werke bedingten und anzunehmenden Leibes übergeht. Dieses ist die von der Schrift gelehrte Art, wie die Seele in einen neuen Leib eingeht. Was hingegen die auf menschlicher Meinung beruhenden Annahmen betrifft, [die der Sâ khya's,] dass die Organe mitsamt der Seele allgegenwärtig sind, und dass dieselben, beim Eingange in den neuen Leib, um der [der Seele anhaftenden] Werke willen nur einen Wiederbeginn der Funktionen an dem betreffenden Orte erleiden, – oder [die der Bauddha's,] dass die Seele für sich allein hier oder da die Übernahme der Funktionen erleide, während die Organe ebenso wie der Leib immer wieder neu an der jedesmaligen Stätte des Genusses entstünden, – oder [die der Kânâda's,] dass das Manas allein [mit der Seele] an die Stätte des Geniessens gelange, – oder [die der Jaina's,] dass die Seele allein aus dem Leibe heraushüpfe wie ein Papagei von einem Baume zum andern, – diese und ähnliche Annahmen verdienen sämtlich keinerlei Beachtung, weil die Schrift ihnen widerspricht.

›Aber folgt nicht aus der angeführten Frage und Beantwortung, dass die Seele wandert, indem sie nur von den Wassern umschlungen ist, da die Schrift nur das Wort Wasser erwähnt? wie kann man daraus | ganz allgemein entnehmen, dass die Seele von allen Feinteilen der Elemente umschlungen wandere?‹ – Darauf giebt der Lehrer zur Antwort:

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 473-475.
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