[677] 50. anâvishkurvan, anvayât
der es nicht nach aussen zeigt, wegen des Zusammenhanges.

In der Stelle: »darum soll der Brahmane abthun die Gelahrtheit und verharren in Kindlichkeit« (Bṛih. 3, 5, 1), wird die Annahme eines kindlichen Wesens anbefohlen. Das Taddhita-Compositum »Kindlichkeit« kann hierbei entweder das Sein eines Kindes oder das Werk desselben bedeuten. Das Sein eines Kindes nun, als ein bestimmtes Lebensalter, lässt sich durch Absicht nicht verwirklichen, Somit fragt sich nur, ob die Kindlichkeit darin besteht, dass man die Lebensweise eines Kindes, sofern dasselbe z.B. überall, wie es kommt, seine natürlichen Bedürfnisse verrichtet, annimmt, | oder aber ob die Kindlichkeit in der Reinheit des Wesens besteht, derzufolge man von Arglist und Hochmut und von dem heftigen Drang der Sinnlichkeit frei ist. – Angenommen also, ›da doch das Wort Kindlichkeit gebräuchlicher in dem Sinne ist, dass einer die Gewohnheit hat, zu reden und zu essen wie es ihm gerade gefällt, und seine natürlichen Bedürfnisse zu verrichten, wie es gerade kommt, dass es richtiger sei, hier unter Kindlichkeit dieses zu verstehen. – Aber ist nicht ein solches Benehmen, wie es einem beliebt, deswegen unzulässig, weil dabei die Sünde eines Fehltrittes vorkommen kann? – ›Doch nicht! denn der Saṃnyâsin, welcher das Wissen besitzt, ist zufolge ausdrücklicher Versicherung der Schrift frei von der Sündlichkeit, ähnlich wie [es der Hausvater beim Opfern] in Bezug auf das Töten der Tiere ist.‹ – Auf diese Annahme ist zu erwidern, dass dem nicht so ist, weil das Schriftwort eine andere Auslegung gestattet. Denn wo ohne Widerspruch etwas anderes als bezeichnet durch das Wort »Kindlichkeit« angenommen werden kann, da ist eine gegen sonstige[677] Vorschriften verstossende Annahme nicht am Platze. Was nun hier befohlen wird, das ist ein Mittel zur Beförderung des Hauptzweckes; als Hauptzweck aber besteht dabei die den Asketen obliegende Betreibung der Erkenntnis. Nimmt man nun hier die ganze Lebensweise des Kindes als das Befohlene an, | so ist zu bemerken, dass durch diese das Betreiben der Erkenntnis nicht gefördert wird. Es muss somit hier ein anderes Merkmal des Kindes, nämlich die Nochnichterstarkung der sinnlichen Triebe u.s.w. sein, was unter Kindlichkeit verstanden wird. In diesem Sinne sagt der Lehrer: »der es nicht nach aussen zeigt«; d.h. man soll mit der Erkenntnis, dem Vedastudium, der Gesetzmässigkeit u.s.w. nicht nach aussen hin prunken, soll von Arglist, Hochmut u.s.w. frei sein, so wie ein Kind, dessen Sinnentriebe noch nicht erstarkt sind, und das daher auch noch nicht beflissen ist, sich selbst vor andern zu zeigen. Wenn man das Wort so versteht, so gewinnt man einen »Zusammenhang« des Sinnes, welcher den Hauptzweck fördert. Und in diesem Sinne sagen auch die Urheber der Smṛiti:


»Den niemand kennt als hoch- noch tief-geboren,

Niemand als hochgelahrt noch ungelahrt,

Niemand als bösen Wandels, guten Wandels,

Der ist ein Brâhmaṇa von rechter Art!

Verborgner Pflichterfüllung ganz ergeben

In Unbekanntheit bring' er zu sein Leben;

Als wär' er blind, und taub und ohne Sinn,

So ziehe durch die Welt der Weise hin«;


und auch: »verhüllt sei sein Charakter, und verhüllt sein Wandel« u.s.w.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 677-678.
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