[64] 22. âkâças, tal-li gât
der Äther, weil seine Merkmale.

Im Chândogyam kommt folgende Stelle vor: »Welches ist der Ausgangspunkt dieser Welt? – Der Äther, so sprach er, denn der Äther allein ist es, aus dem alle diese Wesen hervorgehen, | und in welchen sie wieder untergehen, der Äther ist älter als sie alle, der Äther ist das höchste Ziel« (Chând. 1, 9, 1.)

Hier erhebt sich die Frage, ob mit dem Worte »Äther« das höchste Brahman oder das Naturelement des Äthers gemeint ist. Woher diese Frage? Weil das Wort in beiderlei Sinne verwendet wird. Denn als Bezeichnung eines besondern Elements ist das Wort Äther im Gebrauche des Lebens wie im Veda ja sehr üblich. Zuweilen jedoch wird es auch von Brahman gebraucht, in der Art, dass aus dem Zusammenhange der Rede oder wegen Erwähnung von Eigenschaften, die nicht beiderseits gemeinsam sind, die Beziehung auf Brahman eine unzweifelhafte ist. So z.B. wenn es heisst: »wenn in dem Äther [Weltenraume] nicht diese Wonne wäre« (Taitt. 2, 7), oder »der Äther, wahrlich, ist es, welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt; worin diese beiden sind [oder: was in diesen beiden ist], das ist das Brahman« u.s.w. (Chând. 8, 14.) Daher also obiger Zweifel. Aber welches ist nun hier das Richtige?

Man könnte denken: ›das Element des Äthers. Warum? Weil dieses wegen des häufigern Gebrauches sich zunächst im Bewusstsein einstellt. Denn es kann nicht behauptet werden, dass das eine Wort »Äther« eben wohl für beide [das Element und Brahman] gebraucht werden könne; weil dann bei dem Worte [der Fehler der] Doppelsinnigkeit eintreten würde. Man muss also annehmen, dass das Wort »Äther« von Brahman nur in übertragenem Sinne vorkommt, sofern das Brahman in vielen Stücken, z.B. in der Alldurchdringung u.s.w., allerdings dem Äther ähnlich ist. Wo aber der eigentliche Sinn eines Wortes ausreicht, da hat man kein Recht, zu dem uneigentlichen Sinne zu greifen. Und an unserer Stelle ist es ja doch möglich, den eigentlichen Äther zu verstehen.‹ – Aber zu der Annahme, dass das Element des Äthers gemeint sei, passt doch nicht das Folgende, wo es heisst: »denn der Äther ist es, aus dem alle diese Wesen hervorgehen« u.s.w. (Chând. 1, 9, 1.) – ›Das ist kein Fehler, weil auch das Element des Äthers als die Ursache angesehen werden kann, welche durch die Zwischenstufen des Windes u.s.w. zur[64] Welt sich entwickelt hat. Denn es heisst bekanntlich: »Fürwahr, aus diesem | Âtman ist der Äther entstanden, aus dem Äther der Wind, aus dem Winde das Feuer« u.s.w. (Taitt. 2, 1.) Auch dass der Äther an unserer Stelle (Chând. 1, 9, 1) »der älteste und allervortrefflichste« genannt wird, lässt sich von dem Element des Äthers, sofern man ihn mit den andern Elementen vergleicht, verstehen. Somit ist unter dem Worte »Äther« das Element des Äthers zu verstehen.‹

Auf diese Behauptung erwidern wir: »der Äther, weil seine Merkmale«, d.h. unter dem Worte Äther muss man hier das Brahman verstehen; warum? weil seine Merkmale dabei vorkommen; denn wenn es heisst: »der Äther ist es, aus dem alle diese Wesen hervorgehen«, so ist dieses ein Merkmal des höchsten Brahman; denn nach den Grundsätzen der Vedântatexte ist es das höchste Brahman, aus welchem die Entstehung der Wesen statthat. – ›Aber wurde nicht gezeigt, dass auch das Element des Äthers als die Ursache angesehen werden kann, welche durch die Zwischenstufen des Windes u.s.w. sich zur Welt entwickelt hat?‹ – Allerdings ja, das wurde gezeigt. Aber gleichwohl darf man hier nur die Wurzelursache d.h. das Brahman verstehen, weil sonst der Ausdruck: »der Äther allein ist es«, und das den Wesen beigegebene Adjektivum »alle« nicht passend sein würden. Und wenn es weiter von den Wesen heisst, der Äther sei es »in welchen sie wieder untergehen«, so liegt auch hier ein Merkmal des Brahman vor; und auch in den folgenden Worten: »der Äther ist älter als sie alle, der Äther ist das höchste Ziel«, ist von einem Älter-sein die Rede, wie es in dieser Unbedingtheit nur dem höchsten Âtman allein beigelegt werden kann, wie dies z.B. geschieht in der Stelle: »er ist älter als die Erde, älter als der Luftraum, älter als der Himmel, älter als diese Welten« (Chând. 3, 14, 3.) Ferner ist auch die Bezeichnung als »das höchste Ziel« nur auf den höchsten Âtman, weil er die letzte Ursache ist, ganz zutreffend; wie denn auch eine Schriftstelle sagt: »Brahman ist Wonne und Verstand, des Gaben-Spenders höchstes Ziel« (Bṛih. 3, 9, 28.) Hierzu kommt, dass [von den drei Männern, die sich an unserer Stelle Chând. 1, 8-9 über den letzten Urgrund des Udgîtha unterreden] Jaivali, nachdem er gegen die Auffassung des Çâlâvatya den Vorwurf der Endlichkeit [seines Erklärungsgrundes] erhoben hat, | etwas Unendliches bezeichnen will und als solches den »Äther« nennt; und indem er diesen Äther mit dem Udgîtha in Zusammenhang bringt, so schliesst er mit den Worten: »dieser Allervortrefflichste ist der Udgîtha, er ist der Unendliche« (Chând. 1, 9, 2); diese Unendlichkeit aber ist ein Merkmal des Brahman. Was ferner die obige Bemerkung betrifft, dass man bei dem Worte »Äther« zunächst an das Element als das bekanntere denke, so entgegnen wir darauf: wenn man auch zunächst daran[65] denkt, so kann man doch dabei nicht stehen bleiben, wenn man die im weitern Verlaufe vorkommenden, dem Brahman eigenen Bestimmungen zu Gesichte bekommt. Dass aber das Wort »Äther« auch von Brahman gebraucht wird, wiesen wir schon oben aus der Stelle nach: »der Äther, wahrlich, ist es, welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt« (Chând. 8, 14.) Und in derselben Weise werden auch die mit »Äther« synonymen Worte von Brahman gebraucht, | wenn es z.B. heisst: »des Liedes Laut, auf den im höchsten Räume die Götter allesamt sich niederliessen (Ṛigv. 1, 164, 39); – dieses ist die Lehre des Bhṛigu, Sohnes des Varuna, die in dem höchsten Räume gegründet steht« (Taitt. 3, 6); – »Om! Brahman ist Freude, Brahman ist Weite, die uranfängliche Weite« (Brih. 5, 1, 1 vermengt mit Chând. 4, 10, 5) u.s.w. – Hieraus ergiebt sich, dass man auch schon zu Anfang unserer Stelle, da wo das Wort »Äther« vorkommt, dieses um des weiter Folgenden willen auf das Brahman beziehen muss; ähnlich wie man in der Stelle: »Agni studiert die Lektion« auch schon unter dieser zu Anfang vorkommenden Bezeichnung als »Agni« den Brahmanenschüler zu verstehen hat. Somit ist bewiesen, dass (Chând. 1, 9, 1) unter dem Worte »Äther« das Brahman zu verstehen ist.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 64-66.
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