[13] 3. ēāstra-yoni-tvād, iti
wegen des Grund-seins des [Schrift-] Kanon's.

Der grosse vom Ṛigveda anfangende Schriftkanon, welcher, durch mancherlei Wissensdisciplinen verstärkt, wie eine Lampe alle Dinge beleuchtet und gewissermassen allwissend ist, hat als Grund, als Ursache das Brahman. Denn nicht kann ein solcher Kanon wie der Ṛigveda u.s.w., der mit der Eigenschaft der Allwissenheit ausgestattet ist, von einem andern als einem Allwissenden | herrühren. Denn auch sonst, wenn irgend ein ausführliches Lehrbuch von einem ausgezeichneten Manne hervorgebracht[13] worden ist, wie z.B. das der Grammatik von Pāṇini, wiewohl sich dieses nur erst auf ein einzelnes Gebiet des Wissens bezieht, so nimmt man doch allgemein an, dass der Urheber noch mehr wisse, als es enthält; um wieviel mehr muss man [wo es sich um ein so universelles Werk wie den Veda handelt] annehmen, dass das grosse Wesen, welches den in viele Zweige (ēākhā) auseinandergehenden, der Einteilung in Götter, Tiere, Menschen, Kasten, Āērama's u.s.w. zu Grunde liegenden, Rigveda u.s.w. genannten Schacht alles Wissens mühelos, zum Spiele, dem Aushauche eines Menschen vergleichbar, aus sich hervorgebracht hat, – wie die Schrift sagt: »aus diesem grossen Wesen ausgehaucht worden ist ›der Ṛigvedau.s.w. (Brih. 2, 4, 10), – dass dieses grosse Wesen eine überschwengliche Allwissenheit und Allmacht besitzen muss.«

Oder auch [man kann das Sūtram folgendermassen erklären]: das erwähnte Lehrbuch des Rigveda u.s.w. | ist der Grund, der Erkenntnisgrund, die Ursache für die Annahme jenes Brahman, wenn man anders sein Wesen in gebührender Weise erforscht; denn das Brahman, welches die Ursache für Ursprung u.s.w. des Weltalls ist, kann, das ist die Meinung [des Sūtram], nur aus dem Schriftkanon als Beweisgrunde erkannt werden. Daher der Schriftkanon schon im vorigen Sūtram [als Beweisgrund] herangezogen wurde in den Worten: »fürwahr, woraus diese Wesen entspringen« u.s.w. (Taitt. 3, 1.) – ›Aber wozu noch das gegenwärtige Sūtram, da doch der Autor schon im vorigen Sūtram | damit, dass er den Schriftkanon [als Beweisgrund] heranzog, das Grundsein des Schriftkanons für die Annahme des Brahman anerkannte?‹ – Wir antworten: dort war in dem Wortlaute des Sūtram der Schriftkanon nicht in deutlicher Weise herangezogen, und so könnte man auf die Meinung kommen, als werde der Ursprung u.s.w. der Welt [aus Brahman] als eine blosse [weltliche] Schlussfolgerung vorgebracht. Diese Meinung zu beseitigen, ist der Zweck des vorliegenden Sūtram: »wegen des Grundseins des Schriftkanons.«

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 13-14.
Lizenz:
Kategorien: