[39] 6. gauṇaē cen? na! ātma-ēabdāt
bildlich, meint ihr? Nein! wegen des Wortes Ātman.

[39] Wenn behauptet wurde, dass die ungeistige Urmaterie unter dem Worte »das Seiende« (Chānd. 6, 2, 1) zu verstehen sei, und dass das ihr zugeschriebene »Erwägen« (Chānd. 6, 2, 3), ebenso wie bei dem Wasser und Feuer, bildlich zu nehmen sei, so ist das unzulässig. Warum? »wegen des Wortes Ātman.« Denn nachdem es zu Anfang hiess (Chānd. 6, 2, 1): »Seiend nur, o Teurer, war dieses am Anfang«, und weiter »dasselbige erwog, ... da schuf es das Feuer«; und nachdem die Schöpfung von Feuer, Wasser und Nahrung berichtet worden ist, so werden jenes vorerwähnte, erwägende »Seiende« und die Genannten, Feuer, Wasser und Nahrung, unter der Benennung als Gottheiten zusammengefasst, worauf es heisst: »jene Gottheit [das Seiende] erwog: ›wohlan, ich will in diese drei Gottheiten [Feuer, Wasser, Nahrung] mit diesem lebenden Ātman [der individuellen Seele] eingehen und auseinanderbreiten Namen und Gestalten‹« (Chānd. 6, 3, 2.) Wäre hier die ungeistige Urmaterie in bildlichem Sinne unter dem Erwägenden zu verstehen, so müsste man auf eben dieselbe, als das in Rede Stehende, auch die Worte »diese Gottheit« u.s.w. beziehen, und dann könnte die Gottheit nicht die individuelle Seele (Jīva) als ihren Ātman (ihr Selbst) bezeichnen. Denn das Wort Jīva [individuelle, eigentlich: lebendige Seele] bedeutet den geistigen Aufseher des Leibes und den Träger der Lebensorgane, wie der Sprachgebrauch und die Etymologie [von jīv leben] beweist. Wie könnte dieser »der Ātman« der ungeistigen Urmaterie heissen? Denn Ātman (Selbst) bedeutet ja die eigentliche Natur; | die geistige individuelle Seele kann aber nicht die eigentliche Natur der ungeistigen Urmaterie sein. Vielmehr muss man hier das Erwägende im eigentlichen Sinne auffassen als das geistige Brahman, denn bei diesem ist, wo es sich um die individuelle Seele handelt, die Bezeichnung derselben als der Ātman (das Selbst) des Brahman zulässig. So wenn es heisst: »Was jenes Feine ist, dessen Wesens ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist der Ātman, das bist du, o Ēvetaketu!« (Chānd. 6, 8, 7), so bezeichnet hier die Schrift in den Worten »das ist der Ātman« mit dem Worte »Ātman« das vorhererwähnte Feine als den Ātman, und diesen weist sie in den Worten: »das bist du, o Ēvetaketu« als die Seele (ātman) des geistigen Ēvetaketu auf. Was hingegen das Wasser und das Feuer betrifft, so ergiebt sich ihre Ungeistigkeit daraus, dass sie Objekte sind, sowie auch daraus, dass sie bei der Auseinanderbreitung zu Namen und Gestalten u.s.w. nur als Mittel zur Verwendung kommen, so dass hier nicht, wie dort durch[40] das Wort Ātman, irgend ein Grund vorliegt, das ihnen zugeschriebene »Erwägen« im eigentlichen Sinne und nicht vielmehr, wie bei dem Ufer [welches einstürzen will] im übertragenen Sinne aufzufassen. Übrigens wird diesen beiden das Erwägen auch nur mit Rücksicht darauf beigelegt, dass sie von dem »Seienden« regiert werden, während hingegen bei dem »Seienden« das Erwägen, wie bemerkt, wegen des Wortes Ātman nicht uneigentlich aufgefasst werden darf.

Hier könnte man [von Seiten der Sānkhya's] einwenden: ›auch bei der ungeistigen | Urmaterie ist das Wort Ātman zulässig, sofern sie es ist, welche [nach der Theorie der Sā khya's] alle Zwecke des Ātman verwirklicht; ähnlich wie ein Minister, der alle Zwecke eines Monarchen verwirklicht, dessen Ātman (Selbst) genannt werden kann, indem der Fürst sagt: »Bhadrasena ist mein Selbst [mein andres Ich].« Denn die Urmaterie ist, indem sie für den Purusha, den Ātman [der Sā khyalehre], sowohl das Geniessen [der Frucht seiner Werke] als auch die Erlösung verwirklicht, demselben ebenso behülflich, wie es dem Fürsten in den Geschäften des Kriegs und des Friedens der Minister ist. – Oder auch man kann sagen, das eine Wort Ātman kann sich auf Geistiges und auch auf Ungeistiges beziehen, wie letzteres z.B. in den Ausdrücken »das Selbst der Elemente«, »das Selbst der Sinne« geschieht; ähnlich wie ja auch das eine Wort »Licht« das Opfer [den Jyotishtoma] und das Brennen bezeichnet. Mit welchem Rechte also behauptet man auf Grund des Wortes Ātman, dass das Erwägen nicht im bildlichen Sinne verstanden werden könne?‹

Auf diese Einwendungen antwortet der Lehrer:

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 39-41.
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