[49] 12. ânandamayo 'bhyâsât
der Wonneartige, wegen der Häufigkeit.

Im Taittirîyakam werden [um den Kern des Menschen, den Âtman, der sein eigentliches Selbst ist, zu finden, vier andre Selbste, in denen jenes wie in Schalen steckt, nach und nach in Abzug gebracht, und nachdem in dieser Weise] der Reihe nach der nahrungsartige, odemartige, manasartige und erkenntnisartige [Âtman] durchgegangen (Taitt. 2, 1-4), so heisst es weiter: »wahrlich von diesem erkenntnisartigen verschieden ist inwendig in ihm der wonneartige Âtman« (Taitt. 2, 5.) Hier erhebt sich die Frage: wird an dieser Stelle mit dem Worte »der wonneartige« | das höchste Brahman bezeichnet, von dem vorher in den Worten »Wahrheit, Erkenntnis, Unendlichkeit ist das Brahman« (Taitt. 2, 1) die Rede war, oder hat man unter dem Wonneartigen ebenso wie unter dem Nahrungsartigen u.s.w. etwas von Brahman Verschiedenes zu verstehen?

Angenommen also, ›der Wonneartige sei von Brahman verschieden und heisse nur im uneigentlichen Sinne der Âtman. Warum? Weil er mit dem Nahrungsartigen u.s.w., die nur uneigentlich als Âtman bezeichnet werden, in einer Linie steht.‹ – Das mag ja sein, aber darum kann doch der Wonneartige, als der innerste von allen, der eigentliche Âtman sein! – ›Doch nicht! denn erstlich ist er [nicht wie der eigentliche Âtman unteilbar, sondern] mit dem »Lieben« u.s.w. als mit seinen Teilen behaftet; sodann lehrt auch die Schrift sein Verkörpertsein. Wäre unter ihm der eigentliche Âtman zu verstehen, so könnte keine Behaftung desselben mit dem »Lieben« u.s.w. stattfinden; es heisst aber von ihm: »sein Haupt ist das Liebe« u.s.w. (Taitt. 2, 5.) Und auch sein Verkörpertsein wird gelehrt, wenn es heisst: »sein verkörpertes Selbst ist eben dasselbe wie das des vorherigen« (Taitt. 2, 5); das heisst: das körperliche Selbst des vorigen, nämlich des Erkenntnisartigen,[49] ist eben dasselbe wie bei dem Wonneartigen (ânandamaye.) Hat er aber einen Körper, so ist es nicht möglich, von diesem die [nur der individuellen Seele eigene] Berührung mit Liebem und Unliebem fernzuhalten. Somit ist unter dem »wonneartigen Âtman« nur die wandernde Seele zu verstehen.‹

Auf diese Annahme wird [im Sûtram] erwidert: »der Wonneartige, wegen der Häufigkeit«; d.h. der Wonneartige muss der höchste Âtman sein; warum? »wegen der Häufigkeit«; nämlich nur bei dem höchsten Âtman geschieht es, dass das Wort »Wonne«, und zwar häufig, gebraucht wird. So heisst es von dem Wonneartigen, | »fürwahr, er ist die Essenz« (Taitt. 2, 7); und nachdem er für die Essenz erklärt worden, heisst es weiterhin: »denn wer die Essenz erlangt hat, den erfüllt Wonne; denn wer möchte atmen und wer leben, wenn in dem Weltenraume [oder: wenn der Weltenraum, vgl. p. 135, 7] nicht diese Wonne wäre? – Denn er ist es, der Wonne schaffet .... Dieses ist die Erforschung der Wonne .... Der gehet ein zu diesem wonneartigen Selbste .... Wer dieses Brahman' Wonne kennt, dem macht es alle Angst verschwinden« (Taitt. 2, 7-9) und: »da erkannte er, dass Brahman die Wonne ist« (Taitt. 3, 6.) Und auch an einer andern Schriftstelle wird in den Worten: »Brahman ist Wonne und Erkenntnis« (Bṛih. 3, 9, 28) das Wort »Wonne« von Brahman gebraucht. Wegen dieser Häufigkeit also, mit der das Wort »Wonne« von Brahman gebraucht wird, ist zu schliessen, dass der »wonneartige Âtman« das Brahman bedeutet. Wenn aber behauptet wurde, dass, weil er mit dem »nahrungsartigen« und den übrigen uneigentlichen Âtman's in einer Linie stehe, auch der »wonneartige« nicht der eigentliche Âtman sein könne, so ist das nicht stichhaltig, weil dabei der wonneartige von allen der innerste ist. Denn nur um den eigentlichen Âtman aufzuzeigen, erwähnt die Schrift, indem sie sich dem menschlichen Erkenntnisvermögen anpasst, zuerst den »nahrungsartigen«, nämlich den Leib, welcher nicht der Âtman ist und nur von ganz Verblendeten für den Âtman gehalten wird, und dann weist sie, ähnlich wie bei einer in den Schmelztiegel geworfenen Metallstatue das Kupfer u.s.w. abfliesst, von diesem auf einen innerlicheren und abermals innerlicheren hin, und indem sie mittels des jedesmal vorhergehenden in gleicher Weise immer auf den jedesmal folgenden, wiewohl auch dieser noch nicht der Âtman ist, um der leichteren Fasslichkeit willen hinleitet, | so führt sie zuletzt, als auf den innersten von allen, auf den eigentlichen Âtman, nämlich den wonneartigen, hin. Dies ist die natürlichste Auffassung der Sache. Ähnlich nämlich wie bei dem [oben, zu Sûtram 1, 1, 8 gebrauchten] Gleichnisse von der Arundhatî auf allerlei Sterne, welche nicht im eigentlichen Sinne die Arundhatî sind, hingezeigt werden kann, der Stern aber, auf den zuletzt hingeleitet wird, die eigentliche[50] Arundhatî sein muss, so folgt auch hier, dass der »wonneartige«, weil er der innerste von allen ist, der eigentliche Âtman sein muss. Wenn du aber [oben] behauptetest, dass es unangemessen sei, dem eigentlichen Âtman das »Liebe« u.s.w. als sein Haupt u.s.w. beizulegen, so ist darauf zu entgegnen, dass diese Beilegung durch die Bestimmungen der unmittelbar vorhergegangenen Âtman's, nicht aber durch die eigne Natur des innersten Âtman veranlasst wurde. Und auch was das Verkörpertsein des wonneartigen Âtman betrifft, so wurde dasselbe nur im Zusammenhange mit der Reihe der Körper des nahrungsartigen u.s.w. erwähnt, daher man ihm um deswillen doch nicht geradezu ein Verkörpertsein, wie es bei der wandernden Seele stattfindet, zuschreiben darf. Somit folgt, dass der »wonneartige« nur der höchste Âtman sein kann.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 49-51.
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