[207] 3. tad-adhînatvâd, arthavat
weil von ihm abhängig, sachentsprechend.

Hier könnte der Gegner einwenden: ›wenn ihr zugebt, dass diese Welt, vor der Entfaltung der Namen und Gestalten, als[207] Same derselben bestehend, in diesem Urzustande das »Unerschlossene« genannt zu werden ein Recht hat, wenn ihr ferner anerkennt, dass auch der [feine] Leib, weil er jenem Urzustande entstammt, auf die Benennung als das »Unerschlossene« Anspruch hat, nun dann ist damit eben jene Behauptung, dass die Urmaterie die Weltursache sei, wenn dem | wirklich so ist [wie ihr sagt], bestätigt! Denn gerade der Urzustand unserer jetzigen Welt ist es, den wir unter der »Urmaterie« verstehen‹. – Darauf dient zur Antwort: wenn wir irgendeinen selbständigen Urzustand als die Ursache der Welt ansähen, so würden wir allerdings jener Behauptung der Urmaterie als der Ursache Eingang gewähren; nun aber nehmen wir vielmehr an, dass jener Urzustand der Welt von dem höchsten Gotte »abhängig«, nicht aber ein selbständiger war, und einen solchen muss man allerdings annehmen, weil er »sachentsprechend« ist; denn ohne ihn kann die Schöpferthätigkeit des höchsten Gottes nicht statthaben, weil eine Thätigkeit desselben, ohne dass er mit Kräften ausgerüstet wäre, undenkbar ist; sowie auch, weil die Erlösten [nur darum] nicht wieder geboren werden, weil bei ihnen die Samenkraft durch das Wissen verbrannt ist; denn im Nichtwissen besteht jene Samenkraft, welche als das »Unerschlossene« bezeichnet wird und dem höchsten Gotte als Grundlage des Schaffens dient, jener aus Blendwerk (mâyâ) gebildete grosse Tiefschlaf, in welchem die noch nicht des Erwachtseins zur Erkenntnis ihrer eigentlichen Natur teilhaftig gewordenen und [darum] wandernden Seelen befangen liegen. Eben dieses Unerschlossene wird [im Gegensatze zu Brahman] manchmal als der »Äther« (âkâça) bezeichnet, z.B. wenn es heisst: »in diesem Unvergänglichen [d.h. Brahman] ist der Äther eingewoben, o Gârgî« (Bṛih. 3, 8, 11); manchmal heisst es auch das »Unvergängliche«, z.B. in der Schriftstelle: »noch höher als das höchste Unvergängliche« (Muṇḍ. 2, 1, 2); und zuweilen wird es als ein »Zauber« (mâyâ) gekennzeichnet, wie in dem Schriftverse (Çvet. 4, 10):


»Ein Zauber, wisse, ist die Urnatur,

Und der ihn zaubert, ist der höchste Gott.«


| Denn als das »Unerschlossene« wird dieser »Zauber« bezeichnet, weil es nicht möglich ist, ihn als eine Wesenheit noch auch als das Gegenteil vorzustellen, und eben dasselbe ist es, von dem unsere Stelle sagt: »den Grossen überragt das Unerschlossne« (Kâṭh. 3, 11), weil das Unerschlossene den Vorrang vor dem Grossen hat, falls man unter letzterem die Buddhi des Hiraṇyagarbha versteht; ist aber unter dem Grossen die individuelle Seele zu verstehen, so heisst es auch dann: »den Grossen überragt das Unerschlossne«, weil das Sein der individuellen Seele von dem Unerschlossenen[208] abhängig ist. Denn das Unerschlossene ist das Nichtwissen, in der Behaftung mit dem Nichtwissen aber entspann sich und bewegt sich das ganze Thun und Treiben der individuellen Seele. Diese Überlegenheit des Unerschlossenen über das Grosse gilt nun, indem beide als ungetrennt behandelt werden, auch für den aus ihm gebildeten [feinen] Leib. Denn wenn auch ebenso gut wie der [feine] Leib auch die [ihm entsprechenden] Sinnesorgane eine Umwandlung des Unerschlossenen sind, so ist doch hier nur der Leib, vermöge der Zusammenfassung mit ihm, unter dem Unerschlossenen zu verstehen, da die Sinne u.s.w. schon unter ihrem eigenen Namen erwähnt waren, und nur der Leib noch übrig bleibt. – Andere hingegen erklären [dieses und das vorige Sûtram] wie folgt. Der Leib ist zweifach: der grobe und der feine; der grobe ist dieser hier, welcher wahrgenommen wird; der feine derjenige, von dem es weiter unten heisst: »beim Eingange in einen von ihm verschiedenen [groben Leib] rennt sie [die Seele] umschlungen [von dem feinen Leibe], wegen der Frage und Darlegung« (Sûtram 3, 1, 1.) Diese beiden Leiber nun wurden vorher, ohne sie zu unterscheiden, als der »Wagen« bezeichnet, während an unserer Stelle hingegen unter dem »Unerschlossenen« nur »der feine« Leib verstanden werden darf, | »weil [nur] dieser ein Recht darauf hat«, das Unerschlossene zu heissen (Sûtram 1, 4, 2.) Und »weil von ihm abhängig« das Treiben der Bindung und Lösung [von der Leiblichkeit, zu weiterer Wanderung] ist, darum steht er höher als die individuelle Seele, »sachentsprechend« (Sûtram 1, 4, 3), d.h. entsprechend dem, dass die Sachen (Dinge), weil die Thätigkeit der Sinne »von ihnen abhängig« ist, höher als diese gestellt werden. Wer so meint, der möge uns doch auf Folgendes antworten: da vorher beide Leiber ohne Unterschied als der Wagen bezeichnet worden waren, wie kommt es, dass, wo doch die Vorhererwähnung und das Übrigbleiben [bei Bestimmung der Stücke im Gleichnisse] für beide gemeinsam ist, nachher an unserer Stelle nur der feine Leib und nicht auch wieder der grobe verstanden wird? – Ihr antwortet vielleicht: ›wir können nur den Sinn des Überlieferten ergreifen, nicht aber das Überlieferte zur Rede stellen; überliefert aber ist das Wort »das Unerschlossene«, und dieses kann nur den feinen Leib bedeuten, nicht den andern, weil dieser offenbar ist.‹ – Aber diese Antwort ist nicht zulässig, weil die Ergreifung des Sinnes dadurch bedingt wird, dass die Stelle eine einheitliche ist. Denn beides, das an der ersten und das an der späteren Stelle Überlieferte, giebt, wofern man nicht die Einheit der Stelle voraussetzt, überhaupt keinen Sinn, weil dann ein Abgehen von dem Erstgemeinten und das Überspringen zu einem Nichtgemeinten [d.h. eine Zweideutigkeit des Wortes »Leib«] eintreten würde. Und jedenfalls liegt die Auffassung der Stelle als einer einheitlichen[209] in der Absicht der Schrift. Wäre nun die Schriftabsicht diese, dass beide Leiber ohne Unterschied [wie ihr wollt an der ersten, dann aber konsequenterweise auch an der zweiten Stelle] verstanden werden sollten, so würdet ihr [die ihr das Gemeintsein beider Leiber für die zweite Stelle leugnet] die von der Schrift gewollte Verknüpfung [beider Stellen] nicht annehmen, und folglich nicht einmal die Einheit der ganzen Stelle gelten lassen, | geschweige denn [wie ihr behauptet], »den Sinn des Überlieferten ergreifen«. – Und auch das dürft ihr nicht glauben, dass hier [an der letztern Stelle] darum der feine Leib allein verstanden werden müsse, weil es schwierig sei, [die Seele] von diesem reinzuwaschen, dass hingegen der grobe Leib, weil es, zufolge der Ekelhaftigkeit des Sinnlichen, leicht sei, [die Seele] von ihm reinzuwaschen, nicht verstanden zu werden brauche [lies: ag rahaṇam]. Denn es handelt sich hier gar nicht darum, irgend etwas reinzuwaschen, da von der ganzen Stelle nichts ausgesprochen wird, was zu einer Reinwaschung aufforderte. Vielmehr liegt die ganze Absicht der Stelle darin, zu erklären, was jener höchste Schritt des Vishṇu sei, wie aus der sofortigen Hinweisung auf diesen erhellt. Denn nur in dieser Absicht geschieht es, dass die Schrift immer eines höher als das andere stellt, bis es heisst: »dem Geiste ist nichts andres überlegen«. – Doch wie dem auch sei, da auch nach eurer Meinung das Ausgeschlossensein der Urmaterie zutrifft, so mögt ihr es meinetwegen so halten, wir sind uns [in dem, worauf es ankommt] vollkommen einig.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 207-210.
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