[241] 22. avasthiter, iti Kâçakṛitsnaḥ
wegen des Bestehens, so Kâçakṛitsna.

Weil eben jener höchste Âtman auch in Gestalt des individuellen Âtman sein Bestehen hat, deswegen ist jenes Ausgehen von der Einheit beider berechtigt; so meint der Lehrer Kâçakṛitsna. Und so sagt auch ein Brâhmaṇam: »ich will [in Feuer, Wasser und Nahrung] mit diesem lebenden Selbste [der individuellen Seele] eingehen und auseinanderbreiten Namen und Gestalten« (Chând. 6, 3, 2); hieraus ist ersichtlich, dass es der höchste Âtman selbst ist, welcher [auch] in Gestalt der individuellen Seele sein Bestehen hat. Eben dieses lehrt auch ein Schriftvers wie (Taitt. âr. 3, 12, 7):


»Wenn alle Formen überdenkt der Weise

Und sie als Namen bloss begreifend dasitzt.«


Auch wird bei der Schöpfung des Feuers u.s.w. eine besondere Schöpfung der individuellen Seele nicht erwähnt in dem Sinne, als wenn die individuelle Seele von der höchsten verschieden und eine Umwandlung derselben wäre. – Die Meinung des Lehrers Kâçakṛitsna geht also dahin, dass die individuelle Seele der nichtumgewandelte höchste Gott und nicht von ihm verschieden sei. Âçmarathya hingegen nimmt an, dass zwar die Absicht darauf gerichtet sei, die individuelle Seele als identisch mit dem höchsten Âtman zu erweisen, dass aber, da dieselbe doch, zur »Bewährung der Verheissung«, wie es hiess, in einer Weise erwähnt werde, die auf sie als etwas Eigentümliches Bezug nehme, ein gewisses Verhältnis von Wirkung und Ursache [mithin nicht völlige Identität] als in der Absicht liegend angenommen werden müsse. Von Auḍulomi endlich wird aus der Stelle geradezu gefolgert, dass die Identität und Nichtidentität sich auf zwei verschiedene Zustände der Seele bezögen. Hierbei ergiebt sich, dass die Meinung des Kâçakṛitsna die schriftmässige ist, weil sie sich an die von der Schrift verfolgte Absicht hält, wie zu ersehen ist aus Schriftstellen wie »das bist du« (Chând. 6, 8, 7) und ähnlichen. Und da dem so ist, so ist es in Ordnung, dass schon aus der Erkenntnis[241] der individuellen Seele die Unsterblichkeit erfolgt. Würde hingegen die individuelle Seele als eine Umwandlung [der höchsten] aufgefasst, so könnte, da jede Umwandlung, | indem sie wieder mit dem, woraus sie umgewandelt worden, zusammengeht, dem Untergange anheimfällt, aus ihrer Erkenntnis die Unsterblichkeit nicht erfolgen. Da somit auf ihr [wegen ihrer Identität mit der höchsten Seele] die Weltausbreitung in Namen und Gestalten nicht beruhen kann, so folgt, dass dieselbe nur auf den Upâdhi's beruht und der individuellen Seele [lies: jîve] nur uneigentlich [in der Stelle Chând. 6, 3, 2] beigelegt wird. Aus demselben Grunde hat man auch die Entstehung der individuellen Seelen, welche hin und wider von der Schrift durch das Beispiel von den aus dem Feuer entspringenden Funken vorgetragen wird (Bṛih. 2, 1, 20. Kaush. 4, 20. Muṇḍ. 2, 1, 1), als eine solche aufzufassen, welche nur auf den Upâdhi's beruht.

Wenn ferner noch behauptet wurde, dass er [der Veda, an unserer Stelle Bṛih. 2, 4, 12], wenn er lehre, dass jenes grosse Wesen selbst, von dem die Rede sei und zu dessen Betrachtung aufgefordert werde, sich in Gestalt der individuellen Seele aus den Kreaturen erhebe, damit zu erkennen gebe, dass es nur die individuelle Seele sei, zu deren Betrachtung hier aufgefordert werde, so lassen sich auch gegen diese Behauptung unsere drei Sûtras verwenden. Nämlich so: »Als Zeichen der Bewährung der Verheissung meint Âçmarathya« (1, 4, 20.) Verheissen war worden, dass, wenn der Âtman erkannt sei, diese ganze Welt erkannt sei, und es war gesagt worden: »dieses Ganze ist was dieser Âtman ist«; und dieses wurde daraus bewiesen, dass die ganze Weltausbreitung in Namen, Gestalten und Werken aus der Einheit entspringe und in die Einheit wieder vergehe; sowie auch daraus, dass mittels der Gleichnisse von der Trommel u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 7 fg.) das Inbegriffensein der Wirkung in der Ursache dargelegt wurde. Diese erwähnte Verheissung ist es, deren Bewährung angedeutet wurde durch das Zeichen, dass darauf hingewiesen wurde, wie das grosse Wesen als individuelle Seele sich aus den Kreaturen erhebe; so meint der Lehrer Âçmarathya; denn da Ungetrenntheit [zwischen der höchsten und der individuellen Seele] bestehe [sofern jene auch in dieser vorhanden sei,] so sei es in der Ordnung, dass mit der Erkenntnis des Einen die Erkenntnis des All's verheissen werde. – »Weil sie bei ihrem Auszuge dazu werden wird, meint Auḍulomi« (1, 4, 21.) Weil die individuelle Seele bei ihrem Auszuge, | nachdem sie vermöge der Erkenntnis, Meditation u.s.w. zur Ruhe gekommen, mit dem höchsten Âtman eins werden wird, deswegen, so meint der Lehrer Auḍulomi, würden an unserer Stelle beide als identisch behandelt. – »Wegen des Bestehens, so Kâçakṛitsna« (1, 4, 22.) Weil es gerade die höchste Seele ist, welche auch in Gestalt dieser individuellen Seele[242] ihr Bestehen hat, deswegen werden hier beide als identisch behandelt; so meint der Lehrer Kâçakṛitsna.

›Aber ist es nicht vielmehr ein Geständnis der Vernichtung [der individuellen Seele], welches in den Worten: »aus diesen Kreaturen erhebt sie sich und mit ihnen geht sie wieder zu Grunde; nach dem Tode ist kein Bewusstsein« (Bṛih. 2, 4, 12) vorliegt? Wie kann man also hier eine Behandlung derselben als identisch [mit der höchsten Seele] sehen?‹ – Dieser Einwurf ist ohne Belang; denn das hier vorliegende Geständnis der Vernichtung besagt nur eine Vernichtung der individuellen Erkenntnis; und dass der Sinn der Worte ein anderer [als der vom Gegner angenommene] ist, legt die Schrift selber dar, indem sie weiter die Einwendung folgen lässt: »damit, o Herr, hast du mich verwirrt, dass du sagst, nach dem Tode sei kein Bewusstsein« (nur Bṛih. 2, 4, 13), und darauf zur Antwort giebt, »nicht Verwirrung wahrlich rede ich; unvergänglich wahrlich ist dieser Âtman, unzerstörbaren Wesens, aber eine Loslösung desselben von der Materie vollzieht sich« (mâtrâ-asaṃsargas tu asya bhavati, die letzten Worte nur in der Mâdhyandina-Rec.); das heisst mit andern Worten: dieser »durch und durch aus Erkenntnis bestehende« Âtman ist kein anderer als der allerhöchste und ewige, und es ist keine Möglichkeit einer Vernichtung desselben; aber von der Materie, d.h. von den Sinnendingen und Sinnesorganen, wie sie vom Nichtwissen geschaffen sind, vollzieht sich durch das Wissen eine Loslösung desselben. Hört aber die Behaftung mit ihnen auf, so hört auch die durch sie bedingte individuelle Erkenntnis auf, und darum heisst es: »nach dem Tode ist kein Bewusstsein« (Bṛih. 2, 4, 12.)

Wenn endlich noch behauptet wurde, dass um des Schlusses der Stelle willen, wo in den Worten »wie sollte man doch den Erkenner (vijñâtar) | erkennen« (Bṛih. 2, 4, 14) ein den Thäter einer Handlung bezeichnender Ausdruck (vijñâtar) vorkommt, nur die individuelle Seele es sein könne, zu deren Betrachtung vorher aufgefordert worden sei, so ist auch dem durch die Auffassung des Kâçakṛitsna zu begegnen. Ferner auch: wenn es heisst: »denn wo eine Zweiheit gleichsam ist, da sieht einer den andern« u.s.w. (Bṛih. 2, 4, 14), so wird in diesen Worten die, in dem Bereiche des Nichtwissens gültige, individuelle Erkenntnis des Sehens u.s.w. geschildert; sodann aber wird durch die Worte: »wo aber einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte er da irgend wen sehen« u.s.w., dargelegt, dass in dem Bereiche des Wissens jene individuelle Erkenntnis des Sehens u.s.w. nicht mehr stattfindet. Und wenn man weiter meinen könnte, dass in Ermangelung eines Objektes der Âtman doch sich selbst erkennen könne, so antworten darauf die Worte: »wie sollte er doch den Erkenner erkennen?« Und hieraus folgt, dass, eben[243] weil der Zweck der Stelle darin besteht, das Aufhören der individuellen Erkenntnis zu lehren, [der Âtman,] obgleich er nur aus blossem Erkenntnisstoffe besteht, doch hier durch das, [eigentlich nur] unter Voraussetzung von Objekten gültige und eine auf sie bezügliche Thätigkeit ausdrückende Wort auf -tar [nämlich vijñâtar Erkenner] bezeichnet wird. Wir haben aber oben schon die Schriftmässigkeit der Auffassung des Kâçakṛitsna dargelegt, und aus ihr folgt, dass die Trennung zwischen individueller | und höchster Seele, wie sie ihren Grund hat in den Upâdhi's, nämlich dem Leibe u.s.w., welche aus den vom Nichtwissen aufgestellten Namen und Gestalten entspringen, – dass diese Trennung im höchsten Sinne nicht real ist, und dieser Gedanke muss von allen, die sich zum Vedânta bekennen, angenommen werden, auf Grund solcher Schriftstellen wie: »seiend nur, o Teurer, war dieses zu Anfang, Eines nur und ohne Zweites« (Chând. 6, 2, 1); – »diese ganze Welt ist allein der Âtman« (Chând. 7, 25, 2); – »Brahman allein ist diese ganze Welt« (Muṇḍ. 2, 2, 11); – »dieses Weltall ist was diese Seele ist« (Bṛih. 2, 4, 6); – »nicht giebt es ausser ihm einen Sehenden« (Bṛih. 3, 7, 23); – »nicht giebt es ausser ihm ein Sehendes« (Bṛih. 3, 8, 11); – ferner auch auf Grund von Smṛitistellen wie: »Vâsudeva ist diese ganze Welt« (Bhag. G. 7, 19); – »als Seele sollst du wissen mich in allen Leibern, Bhârata« (Bhag. G. 13, 2): – »den einen höchsten Gott in allen Wesen stehend« (Bhag. G. 13, 27) u.s.w. – Ferner auch, weil die Annahme einer Vielheit verboten wird in Stellen wie: »wer da glaubt ›ein anderer ist er und ein anderer bin ich‹, der ist nicht weise« (Bṛih. 1, 4, 10); – »von Tod zu Tode wird verstrickt, wer eine Vielheit hier erblickt« (Bṛih. 4, 4, 19) u.s.w. – Ferner wenn es heisst: »fürwahr dieser grosse, ungeborene Âtman, der nicht alternde, nicht welkende, | unsterbliche, furchtlose, ist das Brahman« (Bṛih. 4, 4, 25), so wird hier dem Âtman alle Umwandlung abgesprochen. Wäre dem nicht so, so könnten die nach Erlösung Trachtenden zu der [sie bedingenden] unwiderlegbaren Erkenntnis nicht gelangen, und es wäre nicht möglich, »sich des Sinnes [der Lehre] wohl zu versichern«. Es steht aber vielmehr fest, dass die auf den Âtman bezügliche, allem Begehren ein Ende machende Erkenntnis eine unwiderlegbare ist; und die Schrift redet von solchen, »die sich des Sinnes der Vedântalehre wohl versichert« (Muṇḍ. 3, 2, 6), so wie sie auch sagt: »er schaut die Einheit an und Schmerz und Wahn verschwindet« (Îçâ 7); und auch die Smṛiti handelt von den Merkmalen »des im Wissen Festen« (Bhag. G. 2, 54.) Ist aber die vollkommene Erkenntnis, welche die Einheit der individuellen und der höchsten Seele zum Gegenstande hat, eine feststehende, so ist es eitele Mühe, deswegen weil in dem Satze: »der Kshetrajña (die individuelle Seele) ist der höchste Âtman« eine blosse Verschiedenheit der Namen[244] vorliegt, zu behaupten, der Kshetrajña müsse von dem höchsten Âtman und der höchste Âtman von dem Kshetrajña verschieden sein, und so mit Hartnäckigkeit an einer Verschiedenheit des Âtman festzuhalten. Denn es ist einer und derselbe Âtman, welcher, zufolge einer blossen Verschiedenheit der Namen, auf mehrerlei Art bezeichnet wird. Und wenn es heisst: »Wahrheit, Erkenntnis, Unendlichkeit ist das Brahman; wer dieses weiss | verborgen in der Höhle [des Herzens]« (Taitt. 2, 1), so gilt dies nicht nur von irgend einer bestimmten [alle andern ausschliessenden] Höhle; auch giebt es keine von Brahman verschiedene Seele, die in der Höhle verborgen wäre, denn die Schrift lehrt in den Worten: »nachdem er sie geschaffen, ging er in dieselbe ein« (Taitt. 2, 6), dass es der Schöpfer selbst ist, welcher in sie eingegangen ist. Diejenigen aber, welche hartnäckig sind und den Sinn des Vedânta bedrängen, die bedrängen damit die zum Heile führende vollkommene Erkenntnis, halten die Erlösung für etwas Gemachtes [nicht durch Wissen, sondern durch Werke Erreichbares] und [folglich] Vergängliches und fügen sich nicht dem, was regelrecht ist.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 241-245.
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