[246] 23. prakṛitiç ca, pratijñä-dṛishṭânta-anuparodhât
auch der Urstoff, weil Verheissung und Gleichnis widerspruchlos.

Wir haben gesehen (zu Sûtram 1, 1, 1 Seite 7), dass, sowie um der Beglückung willen die Pflicht, ebenso um des höchsten Gutes [der Erlösung] willen das Brahman erforscht werden müsse; und dieses Brahman war weiter gekennzeichnet worden als »dasjenige, woraus Ursprung u.s.w. dieses [Weltalls] ist« (Sûtram 1, 1, 2.) Nun kann dieses Kennzeichen eben wohl zweierlei bedeuten: dass das Brahman die materielle Ursache der Welt ist, wie der Thon die des Gefässes, das Gold die des Geschmeides, und dass es die bewirkende Ursache der Welt ist, wie [in den genannten Beispielen] der Töpfer und der Goldschmied es sind. Daher | erhebt sieh die Frage, in welchem Sinne die Ursächlichkeit des Brahman zu verstehen sei; und da scheint es zunächst, als ›könne Brahman nur die bewirkende Ursache der Welt sein; warum? weil die Schrift sagt, dass seiner Schöpferthätigkeit eine Absicht vorhergegangen sei; dieses nämlich ergiebt sich aus Schriftstellen wie: »er fasste die Absicht, ... da schuf er den Odem« (Praçna 6, 3. 4); ein Schaffen aber, welchem eine Absicht vorhergeht, kann erfahrungsmässig nur von den bewirkenden Ursachen, wie dem Töpfer u.s.w., verstanden werden. Und ebenso lehrt die Erfahrung, dass, wenn die Frucht der Wirkung zu Stande kommen soll, verschiedene ursächliche Faktoren [sowohl materielle als bewirkende Ursachen] zusammenwirken müssen; und dieses Gesetz hat man auch bei dem erstanfänglichen Werkmeister gelten zu lassen. Hierzu kommt, dass derselbe »der Herr« (Gott, îçvara) heisst; von einem Herrn aber, z.B. von einem [irdischen] Könige oder von Vaivasvata [dem Beherrscher der Unterwelt], kann man nur sagen, dass er die bewirkende [nicht die materielle] Ursache sei. Dem entsprechend ist auch von dem höchsten Herrn [Gott] anzunehmen, dass er nur die bewirkende Ursache der Welt sein kann. Hierzu kommt, dass die Wirkung, nämlich diese Welt, wie die Erfahrung beweist, aus Teilen bestehend, ungeistig und unrein ist, und dass somit auch die Ursache derselben eine dem entsprechende sein muss, indem Wirkung und Ursache gleichartig[246] zu sein pflegen. Das Brahman nun aber hat diese Merkmale nicht; denn es ist, wie die Schrift sagt, »ruhig, werklos, ungeteilt, tadellos und fleckenlos« (Çvet. 6, 19); und somit bleibt nichts anderes übrig, als für die Welt noch eine von | Brahman verschiedene materielle Ursache als Trägerin jener Eigenschaften der Unreinheit u.s.w. aufzustellen, wie eine solche von der Smṛiti [der Sâ khya's] an die Hand gegeben wird, indes die von Brahman als Weltursache handelnden Schriftstellen sich nur auf eine Erörterung der bewirkenden Ursache der Welt beschränken.‹

Auf diese Annahme entgegnen wir: »auch der Urstoff«, d.h. Brahman ist auch als die materielle Ursache der Welt zu betrachten und nicht bloss als ihre bewirkende Ursache; warum? »weil Verheissung und Gleichnis widerspruchlos«, d.h. nur so sind die Verheissungen und die Gleichnisse, die in der Schrift darüber vorkommen, frei von Widerspruch. Was nämlich zunächst die Verheissungen betrifft, so hiess es: »hast du denn auch der Unterweisung nachgefragt, durch welche [auch] das Ungehörte ein [schon] Gehörtes, das Unverstandene ein Verstandenes, das Unerkannte ein Erkanntes wird?« (Chând. 6, 1, 3); dies ist dahin zu verstehen, dass durch die Erkenntnis jenes einen alles andere, auch wenn es ein Unerkanntes war, zu einem schon Erkannten werden soll. Dieses nun also, dass durch die Erkenntnis des einen alles erkannt werden soll, trifft nur dann zu, wenn es von einer Erkenntnis der materiellen Ursache der Welt verstanden wird; indem in der materiellen Ursache die Wirkung schon enthalten ist, während hingegen die bewirkende Ursache die Wirkung nicht schon enthält; denn die Erfahrung zeigt, wie z.B. der Baumeister nicht schon das Haus enthält. Ebenso steht es weiter mit dem »Gleichnisse«, wenn es (Chând. 6, 1, 4 weiter) heisst: »gleichwie, o Teurer, durch einen Thonklumpen alles was aus Thon besteht, erkannt ist; an Worte sich klammernd ist die Umwandlung, ein blosser Name, Thon nur ist es in Wahrheit«. Dieses Gleichnis kann sich nur auf die materielle Ursache beziehen; und dasselbe gilt von dem, was weiter folgt, dass durch eine Kupferperle alles, was aus Kupfer bestehe, | und durch eine Nagelschere alles, was aus Eisen bestehe, erkannt werden könne (Chând. 6, 1, 5. 6.) Ebenso steht die Sache in andern Stellen der Schrift. So z.B. wenn es heisst: »was muss, o Verehrungswürdiger, erkannt sein, damit diese ganze Welt erkannt sei?« (Muṇḍ. 1, 1, 3), so liegt hierin »die Verheissung«; und wenn es weiter heisst: »so wie aus der Erde die Kräuter entspringen« (Muṇḍ. 1, 1, 7), so liegt hierin das Gleichnis. Und wieder an einer andern Stelle lautet die Verheissung: »fürwahr, von wem das Selbst gesehen, gehört, verstanden und erkannt worden ist, von dem wird diese ganze Welt gewusst« (Bṛih. 4, 5, 6); und das Gleichnis lautet: »mit diesem ist es, gleichwie man, wenn eine Trommel gerührt wird, die Töne da[247] draussen nicht greifen kann; hat man aber die Trommel gegriffen oder den Trommelschläger, so hat man [auch] den Ton gegriffen« (Bṛih, 2, 4, 7.) In dieser Weise liegen in den verschiedenen Vedântatexten je nach den Umständen [formulierte] Verheissungen und Gleichnisse vor, welche als Beweis dafür zu nehmen sind, dass [Brahman auch] die materielle Ursache [der Welt] ist. Und auch der Ablativ yatas »woraus« in der Stelle: »dasjenige, fürwahr, woraus diese Wesen entspringen« (Taitt. 3, 1) ist, nach der Bestimmung der [grammatischen] Smṛiti: jani-kartuḥ prakṛitiḥ, »der Urstoff des Subjektes des Werdens [ist ein apâdânam, steht im Ablativverhältnis]« (Pâṇini 1, 4, 30), dahin aufzufassen, dass das Ablativverhältnis hier den Urstoff bedeuten muss. Dass aber Brahman ausserdem auch die bewirkende Ursache der Welt sein muss, folgt daraus, dass es ausser ihm kein der Schöpfung vorstehendes Wesen giebt. Während nämlich in der Erfahrung die materiellen Ursachen, wie z.B. der Thon und das Gold, sich immer nur insofern entwickeln, als sie | einen ihnen vorstehenden Töpfer und Goldschmied zur Voraussetzung haben, so hat hingegen das Brahman als materielle Ursache kein solches von ihm selbst verschiedenes und ihm vorstehendes Wesen zur Voraussetzung, indem die Schrift versichert, dass dasselbe vor der Schöpfung »Eines nur und ohne Zweites« (Chând. 6, 2, 1) gewesen sei. Auch ergiebt sich, wie leicht zu sehen, dieses Ausgeschlossensein eines andern Vorstehers [ausser Brahman] zugleich daraus, dass »Verheissung und Gleichnis widerspruchlos« sind; denn gesetzt, man nähme hier noch einen von der materiellen Ursache verschiedenen Vorsteher an, so würde wiederum nicht zutreffen, dass durch Erkenntnis des einen alles erkannt sei, und die [erwähnten] Verheissungen und Gleichnisse würden widersprechend sein. Somit ergiebt sich, dass der Âtman sowohl, weil kein Vorsteher ausser ihm vorhanden, die bewirkende, als auch, weil kein Urstoff ausser ihm vorhanden, die materielle Ursache [der Weltschöpfung] ist.

Und warum weiter muss der Âtman die bewirkende und zugleich die materielle Ursache sein?

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 246-248.
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