[218] 8. camasavad, aviçeshât
weil, wie bei dem Becher, Unentschiedenheit.

Wiederum behauptet der Verfechter der Urmaterie, dass die Schriftwidrigkeit derselben sich nicht aufrecht halten lasse; warum? ›wegen des Verses (Çvet. 4, 5):


»Die eine Ziege (Ungeborene, ajâ) rot und weiss und schwarz,

Wirft viele Jungen, die ihr gleichgestaltet (lies sarûpâḥh);

Der eine Bock (Ungeborene, aja) in Liebesbrunst bespringt (hegt) sie,

Der andre Bock verlässt sie, die genossen«; –


in diesem Verse sind unter den Worten »rot und weiss und schwarz« [die drei Guṇa's der Sâ khyalehre, nämlich] das Rajas, Sattvam und Tamas zu verstehen. Das Rote ist das Rajas (Leidenschaft), weil es seiner Natur nach aufregt (rötet); das Weisse ist das Sattvam (Wesenheit, Güte), weil es seiner Natur nach aufhellt; das Schwarze ist das Tamas (Finsternis), weil es seiner Natur nach verdunkelt. Es ist die Gleichgewichtslage dieser Guṇa's, welche hier nach der Beschaffenheit der Teile, aus denen sie besteht, als »rot und weiss und schwarz« bezeichnet wird. Und weil diese die ursprüngliche ist, darum heisst sie ajâ (die Ungeborene), indem die Sâ khya's von ihr [d.h. von der Urmaterie] sagen: »Erschaffend, nicht erschaffen ist die Urnatur« (Sâ khyakârikâ 3.)‹ – Aber bedeutet das Wort ajâ nicht nach dem Sprachgebrauche eine Ziege? – ›Freilich wohl! Aber dieser Sprachgebrauch darf hier nicht massgebend sein, weil es sich in der Stelle um das Wissen [von der Natur der Dinge] handelt. Jene Urmaterie also gebiert viele, mit den drei Guṇa's behaftete Jungen; und von ebenderselben wird gesagt, dass der eine Ungeborene [aja, was auch »Bock« bedeutet], d.h. der ein Purusha (Geist, Individualseele) sie »in Liebesbrunst«, in Zuneigung, Anhänglichkeit, | »hege«, indem er, zufolge des Nichtwissens, dieselbe für sein eigenes Selbst ansieht und demgemäss, aus Unvermögen [sein wahres Ich, den Purusha, von der Urmaterie] zu unterscheiden, sich selbst für den Träger der Lust, Unlust und Verblendung [als welche sich die drei Guṇa's bethätigen] hält und somit in der Seelenwanderung befangen bleibt; – während hinwiderum ein anderer »Ungeborener«, d.h. ein Purusha, der jene Erkenntnis der Verschiedenheit [seiner selbst von der Urmaterie] erlangt hat und nicht mehr an ihr hängt, »sie«, nämlich die Urmaterie, »verlässt«, sie, »die genossen«, deren Geniessen zu[218] Ende gegangen ist; diese also verlässt er, das heisst, er wird von ihr erlöst. Somit sind die Ausstellungen der Anhänger des Kapila über die Urmaterie u.s.w. allerdings in der Schrift gegründet.‹ –

Auf diese Ansicht erwidern wir, dass die Behauptung, die Sânkhyalehre sei in der Schrift gegründet, sich unmöglich auf den angeführten Vers stützen kann, weil dieser Vers an und für sich, überhaupt keiner Doktrin zur Stütze zu dienen vermag. Denn zu jeder Doktrin, welcher Art sie auch immer sein möge, passt jene Auseinandersetzung des Verses, dass [die Urmutter der Wesen] eine »Ungeborene« sei u.s.w., und für die Behauptung, dass hier speciell die Sâ khyalehre verstanden werden müsse, liegt in den Textworten kein Grund vor, »wie bei dem Becher«, d.h. ebenso wie von dem Verse (Bṛih. 2, 2, 3):


»Der Becher, der nach unten seine Mündung,

Und der nach oben seinen Boden hat«, –


an und für sich nicht behauptet werden kann, dass unter dem Becher dieses oder das verstanden werden müsse, weil jene Auseinandersetzung von dem Becher, der seine Mündung nach unten u.s.w. hat, in irgend einer Weise auf allerlei passt. Ebenso besteht auch bei unserem Verse »Unentschiedenheit« darüber, was unter der einen ajâ (Ziege, Ungeborenen) verstanden werden müsse, und es lässt sich nicht behaupten, dass unter der ajâ gerade die Urmaterie [der Sâ khya's] | zu verstehen sei. – ›Aber so wie in der Stelle von dem Becher aus den weiter folgenden Worten: »damit ist dieser Kopf hier gemeint, denn der ist ein Becher, der die Mündung unten und den Boden oben hat« (Bṛih. 2, 2, 3) sich ergiebt, dass an einen bestimmten Becher zu denken ist, was ist denn in entsprechender Weise an unserer Stelle unter der ajâ zu verstehen?‹ – Darauf antworten wir:

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 218-219.
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