[219] 9. jyotir-upakramā tu, tathā hi adhīyata' eke
vielmehr die vom Lichte anhebende, denn so haben es einige.

Man muss unter der hier erwähnten ajā diejenige [Urmutter der Wesen] verstehen, welche, selber aus dem höchsten Gotte entsprungen, »vom Lichte anhebend« aus [den drei Urelementen] Glut, Wasser und Nahrung besteht und die Urnatur bildet, aus der die vier Klassen der [organischen] Wesen (vgl. über sie Sūtram 3, 1, 20) entspringen. Das Wort »vielmehr« dient hier zur[219] Bekräftigung. Nämlich man muss unbedingt hier unter der ajā diejenige [Urmutter] verstehen, welche aus den drei [Ur-]Elementen, nicht aber diejenige, welche aus den drei Guṇa's besteht. Warum? »Denn so haben es einige« Vedaschulen, welche da, wo sie des Ursprunges von Glut, Wasser und Nahrung aus dem höchsten Gotte gedenken, gerade diesen das »rote und [weisse und schwarze]« Aussehen beilegen, denn es heisst bei ihnen: »was an dem [gewöhnlichen, aus den drei Urelementen zusammengesetzten] Feuer das rote Aussehen ist, das hat es von der Glut, was das weisse, das von dem Wasser, was das Schwarze, das von der Nahrung« (Chānd. 6, 4, 1.) Diese drei [Urelemente] also, die Glut, das Wasser und das Feuer sind auch an unserer Stelle zu verstehen, wie sich schon aus der Gleichheit der Ausdrücke »rot« u.s.w. ergiebt, | sowie auch daraus, dass diese Ausdrücke »rot und weiss und schwarz« eigentlich und ursprünglich jene drei Arten des Aussehens bedeuten und erst in übertragenem Sinne auf die Guṇa's bezogen werden. Auch gilt als Regel [der Schriftauslegung], dass man das Unzweifelhafte [Chānd. 6, 4, 1] zu benutzen hat um sich das Zweifelhafte [Ēvet. 4, 5] zu erschliessen. Aber auch an unserer Stelle selbst, wenn es schon zu Anfang heisst: »die Brahmanlehrer sprechen: ›Was ist der Weltengrund, das Brahman?‹« (Ēvet. 1, 1), und wenn gleich im Eingange der Stelle, in den Worten (Ēvet. 1, 3):


»Nachhängend ihm in sinnender Vertiefung

Erblickten sie der Gottheit Eigenkraft

Verhüllt in den ihr eig'nen Qualitäten«, –


eine von dem höchsten Gotte ausgehende Kraft als die Schöpferin der ganzen Lebenswelt angenommen wird, wenn ferner auch in dem, was auf unsere Stelle weiterhin folgt, in dem Verse (Ēvet. 4, 10):


»Ein Zauber (māyā), wisse, ist die Urnatur,

Und der ihn zaubert, ist der höchste Gott«,


und in den Worten (Ēvet. 4, 11):


»Wer als den Einen ihn begriffen hat,

Der über jedem Mutterschosse waltet«,


eben jene [von Gott abhängige Schöpferkraft] wieder vorkommt, so kann man doch nicht annehmen, dass in dem [dazwischen stehenden] Verse von der ajā irgend eine von Gott unabhängige Urnatur, eine »Urmaterie« [im Sinne der Sā khya's] gemeint sein könne. Vielmehr ergiebt sich aus dem Vorhergehenden, dass eben jene noch nicht zu Namen und Gestalten entfaltete, göttliche [Schöpfer-]Kraft, welche den Urzustand aller Namen und Gestalten[220] bildet, auch in unserem Verse verstanden werden müsse; das ist es, was wir behaupten. Dass aber schon jene [ajā, die Schöpferkraft,] als eine dreifache bezeichnet wird, geschieht mit Beziehung darauf, dass alles aus ihr Entstandene jene Dreifachheit [der Urelemente] an sich trägt.

Aber wie kann diese, wenn sie um der Dreifachheit von Glut, Wasser und Nahrung willen selbst schon dreifach ist, als ajā (Ziege, Ungeborene) aufgefasst werden? | Denn weder haben Gut, Wasser und Nahrung irgend etwas von der Gestalt einer Ziege an sich, noch auch kann, da Glut, Wasser und Nahrung nach der Schrift entstanden sind, das Wort ajā hier in dem Sinne verstanden werden, dass es die »Ungeborene« bedeutet! –

Hierauf giebt der Lehrer zur Antwort:

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 219-221.
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