[714] 1. vān manasi, darēanāc chabdāc ca
die Rede in das Manas, wegen der Erfahrung und wegen des Schriftwortes.

Nun geht der Lehrer dazu über, in der niedern [exoterischen] Wissenschaft den zur Erlangung der Frucht führenden Götterweg zu beschreiben, und legt zunächst an der Hand der Schrift die Hergänge beim Auszuge der Seele dar; denn der Auszug ist, wie wir sehen werden, für den [exoterisch] Wissenden und Nichtwissenden derselbe.

Eine auf das Sterben bezügliche Schriftstelle sagt: »Wenn nun, o Teurer, der Mensch dahinscheidet, so gehet die Rede ein in das Manas, das Manas in den Prāṇa (Leben), der Prāṇa in die Glut, die Glut in die höchste Gottheit« (Chānd. 6, 8, 6.) Wird hier von einem Eingehen der Rede selbst mitsamt ihrer Verrichtung in das Manas geredet, oder nur von einem solchen der Verrichtung der Rede? das ist die Frage. – Angenommen also, ›die Rede selbst gehe in das Manas ein; denn so wird dem Wortsinne der Schrift Genüge geleistet, und im andern Falle würde ein uneigentlicher Sinn anzunehmen sein; bei einem Zweifel aber, ob ein Schriftwort eigentlich oder uneigentlich[714] zu nehmen sei, verdient der eigentliche Sinn den Vorzug. Somit läge hier ein Untergang der Rede selbst | in das Manas vor.‹ – Auf diese Annahme erwidern wir: es ist vielmehr nur die Funktion der Rede, welche in das Manas eingeht. – ›Aber wie kann man es von der Funktion der Rede erklären, wenn doch der Lehrer sagt »die Rede in das Manas«?‹ – Das ist wahr, aber weiter unten wird er [von dem Erlösten] sagen: »Ungeteiltheit, weil sie es sagt« (Sūtram 4, 2, 16); folglich ist anzunehmen, dass hier [wo von dem nicht Erlösten die Rede ist] nur ein zur-Ruhe-Kommen der Funktion gemeint sei. Denn wäre eine Vernichtung der Wesenheit gemeint, so würde jene »Ungeteiltheit« gleichermassen bei allen eintreten, und es wäre nicht einzusehen, warum weiter unten die Ungeteiltheit [bei dem Erlösten] besonders hervorgehoben würde. Somit geht die Meinung hier auf ein blosses Einziehen der Funktion; die Funktion der Rede wird zunächst eingezogen, während die Funktion des Manas noch fortbesteht, das ist der Sinn. Warum? »wegen der Erfahrung«; nämlich die Erfahrung zeigt, dass die Funktion der Rede schwindet, während die Funktion des Manas noch fortbesteht; hingegen kann keine Erfahrung jemals zeigen, dass die Rede selbst mitsamt ihrer Funktion in das Manas eingezogen werde. – ›Aber wir sagten doch, dass man um des eigentlichen Schriftsinnes willen einen Eingang der Rede selbst in das Manas annehmen müsse.‹ – Nein! sagt der Lehrer, weil sie aus ihm nicht entstanden ist. Denn nur woraus etwas entstanden ist, darein kann es wieder vergehen, wie das Gefäss in den Thon; es lässt sich aber nicht erweisen, dass die Rede aus dem Manas entstanden sei. Hingegen ein Hervortreten und Zurücktreten der Funktion eines Dinges lässt sich auch da beobachten, wo dasselbe nicht entstanden ist, wie z.B. das glutartige Feuer seiner Funktion nach entsteht aus dem erdartigen Brennholze und wiederum vergeht | in das Wasser. – ›Aber wie kann dabei das Schriftwort bestehen: »die Rede gehet ein in das Manas«‹ (Chānd. 6, 8, 6)? – Der Lehrer antwortet: »und wegen des Schriftwortes«; d.h. auch das Schriftwort verträgt sich mit dieser Annahme, sofern in ihm die Funktion und der Träger der Funktion als eine Einheit behandelt werden.

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 714-715.
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