[417] 30. yāvad-ātma-bhāvitvāc ca na doshas, tad-darēanāt
auch ist kein Fehler, weil sie so lange besteht wie die Seele, indem dies ersichtlich.

[417] Es ist nicht zu befürchten, dass der soeben dargelegte Einwand begründet sei; warum? »weil sie so lange besteht wie die Seele«; – sie, d.h. die Verbindung der Seele mit der Buddhi; so lange nämlich die Seele wandernd bleibt, so lange ihr Wanderer-sein nicht durch die vollkommene Erkenntnis zunichte wird, so lange hört auch ihre Verbindung mit der Buddhi nicht auf. Aber auch nur so lange als diese Verbindung mit dem Upādhi der Buddhi dauert, nur so lange besteht für die individuelle Seele ihre Individualität und ihr Wanderer-sein; im Sinne der höchsten Realität aber und über die durch den Upādhi der Buddhi bewerkstelligte Beschaffenheit hinaus hat das, was man individuelle Seele nennt, keinen Bestand. Denn wenn man den Sinn der Vedāntaworte erwägt, so zeigt es sich, dass es ausser dem seiner Natur nach ewig freien und allwissenden Gotte kein zweites von ihm verschiedenes Geistelement giebt: »nicht giebt es ausser ihm einen Sehenden, Hörenden, Denkenden, Erkennenden« (Bṛih. 3, 7, 23 frei); – »nicht giebt es ausser ihm ein Sehendes, Hörendes, Denkendes, Erkennendes« (Bṛih. 3, 8, 11 frei); – »das bist du« (Chānd. 6, 8, 7); – »ich bin Brahman« (Bṛih. 1, 4, 10); – | wie es an hundert Stellen in der Schrift heisst. – Aber woran erkennt man, dass die Verbindung mit der Buddhi so lange dauert, wie die Seele besteht? Unser Sūtram antwortet darauf: »indem dies ersichtlich«; dies nämlich ist ersichtlich aus der Schrift, wenn sie sagt: »es ist unter den Lebensorganen der aus Erkenntnis bestehende, in dem Herzen innerlich leuchtende Geist. Dieser durchwandert, derselbe bleibend, beide Welten; es ist als ob er sänne, es ist als ob er schwankend sich bewegte« (Bṛih. 4, 3, 7); der »aus Erkenntnis bestehende« bedeutet so viel wie »der aus Buddhi bestehende«; und eine andere Stelle sagt: »erkenntnisartig, manasartig, odemartig, augeartig, ohrartig« (Bṛih. 4, 4, 5), wo also die Erkenntnis neben dem Manas und den übrigen aufgezählt wird. Dass aber die Seele buddhi-artig sei, soll nur bedeuten, dass sie als Kern die Qualitäten der Buddhi hat, ähnlich wie, wenn man im gemeinen Leben sagt: »Devadatta ist weiberartig«, damit gemeint ist, dass er als wesentliche Merkmale eine weiberartige Stimme u. dgl. habe. Wenn es weiter oben hiess: »dieser durchwandert, derselbe bleibend, beide Welten« (Bṛih. 4, 3, 7), so lehrt hier die Schrift, dass auch bei dem Hinüberziehen in die andere Welt eine Trennung von der Buddhi u.s.w. nicht stattfindet;[418] denn er bleibt derselbe eben vermöge der Buddhi, wie man schliessen muss, und wie sich auch daraus ergiebt, dass diese soeben [unter dem Worte Erkenntnis] erwähnt wurde. Und eben darauf weisen auch die Worte hin: »es ist als ob er sänne, es ist als ob er schwankend sich bewegte« (Bṛih. 4, 3, 7); dies bedeutet, dass die Seele nicht an sich sinnt, noch auch sich bewegt, sondern es ist als ob sie sänne, während die Buddhi sinnt, und es ist als ob sie sich bewegte, während die Buddhi sich bewegt. Hierzu kommt, dass die Verbindung der Seele mit dem Upādhi der Buddhi eine Folge der irrigen Erkenntnis ist; die irrige Erkenntnis aber ist auf keinem andern Wege als durch die vollkommene Erkenntnis zu heben, woraus folgt, dass die Verbindung mit dem Upādhi der Buddhi nicht aufhören kann, solange die Seele sich nicht als das Selbst des Brahman erkannt hat. | Denn die Schrift sagt (Ēvet. 3, 8):


»Den grossen Geist jenseits der Dunkelheit

Wie Sonnen leuchtend habe ich gesehen;

Wer diesen schaut, dem wird Unsterblichkeit,

Nicht giebt es einen andern Weg zum Gehen.«


›Aber man kann doch nicht annehmen, dass die Verbindung der Seele mit der Buddhi auch im Tiefschlafe und im Tode fortbestehe; denn wenn die Schrift sagt: »[wenn der Mensch schläft] dann ist er, o Teurer, eingegangen in das Seiende; er ist in sich selbst eingegangen [svam apīto, darum heisst es, svapiti, er schläft]« (Chānd. 6, 8, 1), so liegt darin, dass [bei Tiefschlaf und Tod] alles durch Umwandlung Entstandene zunichte wird, wie kann also gesagt werden, dass die Verbindung mit der Buddhi so lange wie die Seele bestehe?‹ – Hierauf dient zur Antwort:

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 417-419.
Lizenz:
Kategorien: