[402] 16. cara-acara-vyapâçrayas tu syât tad-vyapadeço bhâktas, tad-bhâva-bhâvitvât
vielmehr auf das Bewegliche und Unbewegliche sich beziehend, muss die Bezeichnung desselben [des Entstehens der Seele] eine bildliche sein, weil nur jener Entstehung Möglichkeit hat.

Es könnte jemand in den Irrtum verfallen, ›dass auch für die individuelle Seele ein Entstehen und Vergehen stattfindet, da man doch im gewöhnlichen Leben sagt, Devadatta sei geboren, Devadatta sei gestorben, und weil man die Geburtsfeier und andere Ceremonien im Veda vorgeschrieben findet.‹ Dieser Irrtum ist zu beseitigen. Es findet also für die individuelle Seele kein Entstehen und Vergehen statt, weil sie an die von der Schrift gelehrte Frucht der Werke gebunden ist. Ginge die Seele mit dem Leibe zu Grunde, so würden die Gebote und Verbote zwecklos sein, welche sich auf Erlangung des Erwünschten und Vermeidung des Nichterwünschten in einer andern Verkörperung beziehen. Auch sagt die Schrift: »fürwahr es stirbt dieser Leib, wenn er vom Leben (jîva, Leben, individuelle Seele) verlassen wird, nicht aber stirbt das Leben (die Seele)« (Chând. 6, 11, 3.) – ›Aber wurde nicht darauf hingewiesen, dass man im gewöhnlichen Leben von einem Geborenwerden und Sterben des Lebendigen (jîva, der Seele) spricht?‹ – Allerdings, aber diese Bezeichnung des Geborenwerdens und Sterbens ist bei dem Lebendigen (der Seele) eine bildliche. – ›Aber worauf sich beziehend ist denn diese Bezeichnung eine eigentliche, im Hinblick auf welches sie hier eine bildliche wäre?‹ – | Sie bezieht sich »auf das Bewegliche und Unbewegliche«; d.h. die Worte Geburt und Tod beziehen sich auf die Leiber der Pflanzen und der Tiere und Menschen. Nämlich die unbeweglichen (pflanzlichen) und beweglichen (animalischen) Geschöpfe werden geboren und sterben; auf sie mithin beziehen sich die Worte Geburt und Tod im eigentlichen Sinne; von der in ihnen befindlichen lebenden Seele hingegen werden sie nur bildlich gebraucht; »weil nur jener Entstehung Möglichkeit hat«; nämlich die Worte Geburt und Tod sind nur möglich, insofern der Leib in die Erscheinung tritt und wieder zurücktritt, nicht wo dies nicht geschieht; und kein Mensch hat je wahrgenommen, dass die Seele, abgesehen von ihrer Verbindung mit dem Leibe, geboren[402] würde oder stürbe; und wenn es heisst: »wenn dieser Geist geboren wird, in einen Leib eingeht«, – »wenn er aus ihm auszieht, wenn er stirbt« (Bṛih. 4, 3, 8), so bedeuten hier die Worte Geburt und Tod nur eine Verbindung mit dem Leibe und eine Trennung von ihm. Wenn ferner die Geburtsfeier und andere Ceremonien vorgeschrieben werden, so beziehen sich dieselben auf das in die Erscheinung Treten des Leibes, denn ein in die Erscheinung Treten der Seele findet nicht statt. Ob die individuelle Seele wie der Raum und die übrigen Elemente aus dem höchsten Âtman entsteht oder nicht entsteht, davon wird in dem nächsten Sûtram die Rede sein; in diesem Sûtram kam es nur darauf an, zu zeigen, dass das grobkörperliche Entstehen und Vergehen sich nur auf den Leib und nicht auf die individuelle Seele bezieht.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 402-403.
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