[406] 18. jnô, 'ta' eva
Erkenner, aus demselben Grunde.

Ist nun die Seele, wie die Anhänger des Kaṇâda wollen, nur von accidenteller Geistigkeit und an sich selbst ungeistig, oder ist sie, wie die Sâ khya's annehmen, ihrem Wesen nach von ewiger Geistigkeit? Hierüber besteht wegen des Widerspruchs der Meinungen ein Zweifel. Angenommen also, ›die Geistigkeit der Seele sei nur accidentell und bedingt durch die Verbindung der Seele mit dem Manas, ähnlich wie die Eigenschaft der Glühröte durch die Verbindung des Topfes mit dem Feuer bedingt ist. Wäre nämlich die Seele von ewiger Geistigkeit, so müsste die Geistigkeit auch den Schlafenden, Ohnmächtigen und Besessenen eigen sein; diese aber, wenn man sie befragt, sagen aus, dass sie durchaus kein Bewusstsein von etwas gehabt hätten. Nachdem sie aber wieder zu sich gekommen sind, | haben sie Bewusstsein. Also, weil das Geistige nur zuweilen vorhanden ist, darum muss die Geistigkeit bei der Seele accidentell sein.‹ – Auf diese Annahme[406] wird erwidert: »Erkenner«; d.h. die Seele ist von ewiger Geistigkeit, »aus demselben Grunde«, nämlich weil sie nicht entsteht, sondern das höchste unerschaffene Brahman selbst es ist, welches durch die Bemengung mit den Upâdhi's als individuelle Seele besteht. Das höchste Brahman aber ist seinem Wesen nach ein Geistiges, wie die Stellen beweisen: »Brahman ist Wonne und Erkenntnis« (Bṛih. 3, 9, 28); – »Wahrheit, Erkenntnis, unendlich ist das Brahman« (Taitt. 2, 1); »er hat kein [unterschiedliches] Inneres oder Äusseres, sondern besteht durch und durch ganz aus Erkenntnis« (Bṛih. 4, 5, 13.) Ist somit die individuelle Seele dieses höchste Brahman, so folgt, dass auch die individuelle Seele ihrer Natur nach gerade so ein ewig Geistiges ist, wie das Feuer ein Warmes und Helles ist. Und auch da, wo von dem erkenntnisartigen Selbste die Rede ist, kommen Stellen vor wie: »schaut schlaflos er die schlafenden Organe« (Bṛih. 4, 3, 11); – »daselbst dient dieser Geist sich selbst als Licht« (Bṛih. 4, 3, 14); – »denn für den Erkenner giebt es keine Unterbrechung des Erkennens« (Bṛih. 4, 3, 30.) – | Und Wenn es heisst: »aber der da weiss, ich will dieses riechen, das ist der Âtman« (Chând. 8, 12, 4), so beweisen auch diese Worte, dass die Seele, sofern sie durch alle Pforten der Sinnesorgane bald dieses und bald jenes erkennt, in dem geistigen Bewusstsein ihre Kontinuität hat und somit ihrem Wesen nach dieses ist. Wollte man einwenden, dass, wenn die Seele ihrem Wesen nach ein ewig Geistiges ist, der Geruchssinn und die übrigen [Sinnesorgane] zwecklos seien, so wäre zu erwidern, dass ihr Zweck darin besteht, die verschiedenen Klassen von Objekten, den Geruch u.s.w., gegen einander abzugrenzen [d.h. voneinander zu unterscheiden], in welchem Sinne auch die [angeführte] Schriftstelle sagt: »zum Riechen dient ihm der Geruchssinn« (Chând. 8, 12, 4.) Wenn ferner eingewendet wurde, dass die Schlafenden u.a. kein Bewusstsein haben, so giebt die Schrift selbst die Beantwortung an die Hand, wenn sie von dem Tiefschlafenden sagt: »wenn er dann nicht sieht, so ist er doch sehend, obschon er nicht sieht; denn für den Sehenden ist keine Unterbrechung des Sehens, weil er unvergänglich ist; aber es ist kein Zweites ausser ihm, kein anderes, von ihm verschiedenes, das er sehen könnte« (Bṛih. 4, 3, 23); das heisst: jenes Unbewusstsein kommt daher, dass kein Objekt vorhanden ist, nicht daher, dass die Geistigkeit nicht vorhanden ist; ähnlich wie das Licht, so lange es nur den [leeren] Raum durchstrahlt, nur darum nicht offenbar wird, weil kein zu Beleuchtendes da ist, nicht aber, weil es der Leuchtnatur ermangelt. Reflexionen wie die der Vaiçeshika's u.s.w. können, wo die Schrift ihnen widerstreitet, nur auf blossem Scheine beruhen; und somit entscheiden wir uns dafür, dass die Seele ihrem Wesen nach ein ewig Geistiges ist.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 406-407.
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