[263] 4. ›na, vilakshaṇatvâd asya, tathâtvañ ca çabdât‹
›nein! wegen Wesensverschiedenheit von dieser [Welt]; und auch aus dem Schriftworte ergiebt sich, dass dem so ist.‹

Das Brahman ist die bewirkende und die materielle Ursache dieser Welt. Was die Smṛiti gegen diese unsere Behauptung einwendete, ist erledigt worden; nunmehr handelt es sich darum, die Einwendungen der Reflexion zu erledigen. – Aber wie können bei dieser von der heiligen Überlieferung gelehrten Sache aus der Reflexion entspringende Einwendungen überhaupt Platz greifen? Muss nicht, ebenso wie bei der Pflichtlehre, auch in der Lehre vom Brahman die heilige Überlieferung eine rücksichtslose [unbedingte] Geltung haben? – Diese Position möchte als unangreifbar gelten, wenn der Gegenstand, um den es sich hier handelt, durch kein anderes Erkenntnismittel ergründbar und nur durch die heilige Überlieferung erkennbar wäre, wie dies bei der Pflicht, weil sie ein zu Verwirklichendes ist, in der That stattfindet. Aber das Brahman ist vielmehr zu erforschen als etwas, welches schon in Wirklichkeit vorhanden ist, und bei einem wirklich vorhandenen Objekte sind auch andere Beweismittel ausser der Offenbarung am Platze, wie [es] z.B. bei der Erde u.s.w. [die Wahrnehmungen der Sinne] sind. Ähnlich nun, wie man, wenn zwei Schriftstellen einander widersprechen, die eine im Sinne der andern deutet, so könnte man ja, wo die Schrift einem andern Beweismittel widerspricht, die Schriftstelle im Sinne desselben deuten. Hierzu kommt, dass die Vernunftbetrachtung, welche nach Analogie des Wahrnehmbaren das Unwahrnehmbare kennen lehrt, | der unmittelbaren Auffassung der Sache näher steht, während hingegen die Schrift, sofern sie ihre Sache nur durch Erzählungen darlegt, von derselben doch weiter entfernt ist. Dass aber die Erkenntnis des Brahman, welche das Nichtwissen zu nichte macht und die Erlösung vollbringt, in einer solchen unmittelbaren Auffassung sich vollendet, ist darum zuzugeben, weil die Frucht derselben eine in der Wahrnehmung vorliegende ist. Und auch die Schrift, wenn sie in der Stelle: »man soll ihn hören, soll ihn verstehen« (Bṛih. 2, 4, 5) ausser dem Hören auch noch ein Verstehen anbefiehlt, giebt damit zu erkennen, dass hierbei auch die Reflexion zu achten ist. Daher wird hier wiederum ein Einwurf erhoben, welcher auf die Reflexion gegründet ist, und derselbe lautet: »nein! wegen Wesensverschiedenheit von dieser [Welt]«. Nämlich: ›wenn behauptet[263] wurde, dass das geistige Brahman auch die materielle Ursache der Welt sei, so geht das nicht an; warum? »wegen der Wesensverschiedenheit dieser« Welt als Produkt von dem, was ihr als ihren Urstoff bezeichnet. Nämlich diese Welt, welche eine Wirkung des Brahman sein soll, ist von dem Brahman wesensverschieden, sofern die Wahrnehmung lehrt, dass dieselbe ungeistig und unrein ist; das Brahman wiederum ist von der Welt wesensverschieden, sofern es nach der Schrift geistig und rein ist. Bei Wesensverschiedenheit aber findet ein Verhältnis als Urstoff und Produkt nicht statt, indem z.B. Produkte wie die Geschmeide nicht den Thon als Urstoff, und Produkte wie Thongefässe nicht das Gold als Urstoff haben können. Vielmehr werden aus dem Thon nur die dem Thon entsprechenden Produkte, und aus dem Golde | die dem Golde entsprechenden hervorgebracht. In ähnlicher Weise muss auch diese Welt, weil sie ungeistig und mit Wohl, Wehe und Wahn behaftet ist, als Wirkung einer ungeistigen und [in Folge der drei Guṇa's, Sattvam, Rajas und Tamas] mit Wohl, Wehe und Wahn behafteten Ursache betrachtet werden, nicht aber als eine solche des von ihr wesensverschiedenen Brahman. Die Wesensverschiedenheit dieser Welt aber von Brahman ergiebt sich daraus, dass sie, wie die Erfahrung zeigt, nicht Reinheit und Geistigkeit besitzt.‹

›Denn erstlich ist diese Welt unrein, weil sie zufolge ihrer [durch Sattvam, Rajas und Tamas bedingten] Behaftung mit Wohl, Wehe und Wahn die Ursache von Freude, Schmerz und Verzweiflung ist und sich als solche durch Himmel und Hölle aufwärts und abwärts erstreckt.‹

›Zweitens ist diese Welt ungeistig, weil sie sich dem Geistigen [d.h. dem Purusha] gegenüber, sofern sie nur das Werkzeug der [von ihm gewollten] Wirkungen ist, als ein blosses Mittel zum Zwecke (upakaraṇam) verhält. Ein solches Verhältnis aber als Zweck und Mittel zum Zwecke findet unter zwei gleichartigen Dingen nicht statt, indem z.B. von zwei Lampen nicht die eine das Mittel zum Zwecke [der Beleuchtung] der andern sein kann.‹ – Aber könnte nicht auch ein Geistiges ein Werkzeug für die Wirkungen (eines andern Geistigen] bilden, indem es, etwa wie der Diener seinem Herrn, der geniessenden Seele als Mittel zum Zwecke dient? – ›Doch nicht! Denn auch bei dem Herrn und Diener ist der letztere nur, insofern er ein Ungeistiges ist, Mittel zum Zwecke des Geistigen. Es ist nämlich nur der jenem Geistigen angehörige ungeistige Teil, bestehend aus der Buddhi und den übrigen [Organen], welcher dem andern Geistigen als Mittel zum Zwecke dient, nicht aber jenes Geistige [der Purusha] selbst, indem dieses für sich nicht im Stande ist, die Zwecke des andern Geistigen zu fördern oder auch zu hemmen, da, wie die Sâ khya's annehmen, die Geistigen [Purusha's][264] absolut thatlos sind. – Ist daher irgend etwas Werkzeug einer Wirkung, so kann es nur ein Ungeistiges sein. – | Hierzu kommt, [als ein weiterer Beweis der Ungeistigkeit der Welt und mithin Wesensverschiedenheit von Brahman], dass bei Gegenständen wie z.B. Holzstücken und Erdschollen ein Beweis ihrer Geistigkeit absolut nicht zu erbringen ist, wie ja auch diese Einteilung [der Weltwesen] in geistige und ungeistige allgemein anerkannt wird. Darum also kann wegen ihrer Wesensverschiedenheit von Brahman diese Welt nicht aus ihm als Urstoff entspringen. – Allerdings könnte jemand, mit Hinblick auf den von der Schrift gelehrten Ursprung der Welt aus einem Geistigen, dieser Lehre zu Liebe geneigt sein, die ganze Welt als ein Geistiges aufzufassen, indem ja doch das Produkt dem Stoffe entsprechen muss; nur dass das Geistige als solches in Gestalt seiner Produkte nicht wahrnehmbar wäre, ähnlich wie auch an den Seelen, welche offenbar ein Geistiges sind, in den Zuständen des Schlafes und der Ohnmacht die Geistigkeit nicht wahrgenommen wird; ebenso würde auch an Holzstücken und Erdschollen die in ihnen liegende Geistigkeit bloss nicht wahrgenommen werden. Hiernach würde der eigentliche Unterschied nur darin liegen, dass das Geistige das eine Mal wahrnehmbar, das andere Mal nicht wahrnehmbar wäre, wie allerdings auch darin, dass es in dem einen [letztern] Falle [als Körper] gestaltet, in dem andern nicht gestaltet wäre; im übrigen aber würden die Werkzeuge des Wirkens und die Seelen beide eben wohl ihrem Wesen nach geistig sein und das Verhältnis von Urstoff und Modifikation desselben könnte zwischen dem Brahman und ihnen ohne Widerspruch angenommen werden. Und so wie zwischen dem Fleische [des menschlichen Leibes] und [den Nahrungsmitteln wie] Suppe und Reisbrei, obwohl beide eben wohl erdartig sind, doch, auf Grund ihrer speciellen Verschiedenheit, ein gegenseitiges Verhältnis von Zweck und Mittel besteht, ebenso könnte es auch in unserm Falle sein; und auch die allgemein angenommene Zweiteilung [in Geistiges und Ungeistiges] würde aus diesem Grunde nicht in Widerspruch damit stehen. Gesetzt durch eine derartige Argumentation liesse sich die aus der Geistigkeit und Ungeistigkeit entnommene Wesensverschiedenheit [zwischen Brahman und Welt] heben, | so würde damit doch jene andere, in der Reinheit und Unreinheit begründete Wesensverschiedenheit nicht aufgehoben sein; aber auch jene erstere Wesensverschiedenheit lässt sich doch wohl richtiger auch nicht heben, so sagt [in unserm Sûtram der Opponent], denn »auch aus dem Schriftworte ergiebt sich, dass dem so ist«. Nämlich jene Geistigkeit aller Dinge wird in der Erfahrung doch nicht wahrgenommen, sondern nur, um des Schriftwortes von der Geistigkeit der Weltursache willen, durch eine blosse Versteifung auf das Schriftwort ausspekuliert [lies: utprekshyate]; nun aber trifft es sich, dass sie[265] mit der Schrift selbst in Widerspruch steht, weil »auch aus dem Schriftworte sich ergiebt, dass dem so ist«, d.h. dass die Welt von ihrem [vermeintlichen] Urstoffe wesensverschieden ist. Denn wenn die Schrift sagt: »Bewusstsein und Unbewusstsein« (Taitt. 2, 6), so behauptet sie hiermit die Unbewusstheit eines Teiles der Welt und giebt damit zu, dass die ungeistige Welt von dem geistigen Brahman wesensverschieden ist.‹

Aber wird nicht an andern Stellen auch die Geistigkeit der für ungeistig gehaltenen Elemente und Sinnesorgane von der Schrift behauptet, wenn sie sagt: »die Erde sprach, die Wasser sprachen« (Çatap. br. 6, 1, 3, 2. 4), – »diese Glut erwog, diese Wasser erwogen« (Chând. 6, 2, 3. 4)? Hier wird doch in Bezug auf die Elemente eine Geistigkeit gelehrt. Und ebenso in Bezug auf die Sinnesorgane, wenn es heisst: »diese Lebensorgane stritten einst um den Vorrang; und sie gingen zu dem Bráhman« (Bṛih. 6, 1, 7), und »da sprachen sie zur Rede, singe du für uns den Udgîtha« (Bṛih. 1, 3, 2.) Hier wird die Geistigkeit doch auch den Sinnesorganen beigelegt.

Darauf giebt er [nämlich der Gegner] zur Antwort:

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 263-266.
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