[272] 9. na tu, dṛishṭânta-bhâvâd
dem aber ist nicht so, weil Beispiele vorhanden.

Es ist aber vielmehr in unserm Systeme durchaus keine Ungereimtheit vorhanden. Denn was zunächst die Behauptung betrifft, dass die Wirkung bei ihrem Eingange in die Ursache diese durch ihre Beschaffenheit besudeln könne, so ist das kein triftiger Einwand; warum? »weil Beispiele vorhanden«. Es giebt nämlich Beispiele dafür, dass die Wirkung bei ihrem Eingehen in die Ursache diese durch ihre Beschaffenheit nicht besudelt. So sind z.B. die Gefässe u.s.w. aus dem Thon entsprungene Produkte und zeigen in ihrem Zustande der Geteiltheit oben, unten und in der Mitte mancherlei Verschiedenheiten; und doch bemengen sie, indem sie wieder in ihren Urstoff zurückgehen, diesen keineswegs mit den ihnen eigentümlichen Beschaffenheiten. So sind ferner die Geschmeide u.s.w. Produkte aus Gold, und doch bemengen sie bei ihrem Eingange in das Gold dieses nicht mit ihren Eigenschaften. So sind endlich die vier Klassen der [organischen] Wesen Produkte der Erde, und doch wird die Erde beim Eingange derselben mit deren Beschaffenheit nicht bemengt. Hingegen findet sich für die Behauptung des Gegners kein Beispiel; vielmehr würde es gar kein wirklicher Eingang sein, wenn die Wirkung in der Ursache ihrer Beschaffenheit nach fortbestünde. Übrigens bedeutet auch der Satz von der Identität der Wirkung und Ursache nur, dass die Wirkung das Wesen der Ursache, nicht aber, dass die Ursache das Wesen der Wirkung an sich trage, wie wir dies an der Stelle »wegen des Schriftwortes von dem sich Anklammern und andern« (Sûtram 2, 1, 14) auseinandersetzen werden. Endlich ist auch die Behauptung, | dass die Wirkung bei ihrem Eingange in die Ursache diese mit ihrer Beschaffenheit bemengen werde, eine zu enge; denn auch während des Bestehens der Weltwirkung würde derselbe Fall eintreten, da wir behaupten, dass auch dann schon Ursache und Wirkung identisch sind; denn wenn es heisst: »dieses alles ist was diese Seele ist« (Bṛih. 2, 4, 6), – »Seele nur ist dieses Ganze« (Chând. 7, 25, 2), – »Brahman allein ist dieses Unsterbliche im Osten« (Muṇḍ. 2, 2, 11), – »fürwahr dieses All[272] ist Brahman« (Chând. 3, 14, 1), – so beweisen diese und andere Schriftstellen, dass ohne Unterschied in allen drei Zeiten [Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft] die Wirkung von der Ursache nicht verschieden ist. Und was man hierbei festzuhalten hat, dass nämlich die Ursache von der Wirkung nicht befleckt wird, weil die Wirkung und ihre Qualitäten nur vom Nichtwissen aufgestellt werden, das gilt in gleicher Weise auch von dem Eingange der Welt in das Brahman. Hierfür haben wir noch ein anderes Gleichnis. Wie nämlich der Zauberer durch das Blendwerk (mâyâ), welches er aus sich heraussetzt, in allen drei Zeiten nicht alteriert wird, weil dasselbe wesenlos ist, so wird auch der höchste Âtman durch das Blendwerk des Saṃsâra nicht alteriert. Und gleichwie derjenige, welcher ein Traumgesicht schaut, durch das Blendwerk des Traumgesichtes nicht alteriert wird, weil die Seele im Wachen und Schlafen von diesen Zuständen nicht betroffen wird (vgl. Bṛih. 4, 3, 15-16), ebenso wird auch der eine, unwandelbare Zuschauer der drei Zustände [Wachen, Traumschlaf, Tiefschlaf] von der wandelbaren Dreiheit der Zustände nicht alteriert. Denn es ist ein blosses Blendwerk, wenn der höchste Âtman als das Subjekt dieser drei Zustände erscheint; ähnlich wie wenn ein Strick eine Schlange zu sein scheint. Darum sagen die der Vedânta-Überlieferung kundigen Lehrer (Gauḍapâda, Mâṇḍûkya-kâr. 1, 16):


| »Wenn aus des anfanglosen Blendwerks Schlummer

Die Seele aufwacht, dann erwacht in ihr

Das ungeborne, schlummerlose Eine.«


Es ist somit nicht richtig, dass bei dem Eingange die Ursache ebenso wie die Wirkung mit den Mängeln der Materialität u.s.w. behaftet werde. – Wenn weiter behauptet wurde, dass nach dem Eingange der gesamten Geteiltheit in das Ungeteilte für ein Wiederhervorgehen zu seiner Geteiltheit eine bestimmende Ursache nicht vorhanden sein könne, so ist auch dieser Einwand unzutreffend, und zwar wiederum, »weil Beispiele vorhanden sind«. So wie nämlich in den Zuständen des Tiefschlafes, der Meditation u.s.w., obwohl in ihnen die ursprüngliche Ungeteiltheit wiedererlangt wird, doch, weil die falsche Erkenntnis noch nicht widerlegt ist, beim Erwachen wiederum die frühere Geteiltheit eintritt, ebenso muss es sich auch hier verhalten; und dafür zeugt die Schriftstelle: »also fürwahr haben auch alle diese Kreaturen, wenn sie [in Tiefschlaf und Tod] in das Seiende eingehen, kein Bewusstsein davon, dass sie eingehen in das Seiende. Selbige, ob sie hier Tiger sind, oder Löwe, oder Wolf, oder Eber, oder Wurm, oder Vogel, oder Bremse, oder Mücke: was sie immer sein mögen, dazu werden sie wieder gestaltet« (Chând. 6, 9, 2-3.) So wie nämlich, zur Zeit des Bestehens der Welt, in dem gleichwohl ungeteilten höchsten[273] Âtman das durch die falsche Erkenntnis bedingte Treiben der Geteiltheit einem Traumgesichte gleich ungehindert fortbesteht, so muss man schliessen, dass auch nach dem Eingange der Welt [in das Brahman] die durch die falsche Erkenntnis bedingte Möglichkeit (çakti) der Geteiltheit fortbesteht. – | Damit ist auch schon die Möglichkeit, als könnten die Erlösten wieder hervorgehen, abgewiesen, weil eben bei ihnen die falsche Erkenntnis widerlegt ist. – Wenn endlich zum Schlusse noch auf die andere Möglichkeit hingewiesen wurde, dass diese Welt, auch nach ihrem Eingange, in dem höchsten Brahman in ihrer Geteiltheit fortbestehe, so wird ein solcher Gedanke schon durch unsere ganze Auffassung [der Identität von Welt und Brahman] ausgeschlossen.

Somit ergiebt sich, dass die Lehre der Upanishad's in keiner Weise eine ungereimte ist.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 272-274.
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