[313] 36. upapadyate ca, api upalabhyate ca
und diese ergiebt sich, und sie wird auch vernommen.

Und diese, die Anfanglosigkeit des Saṃsāra, »ergiebt sich«. Hätte nämlich der Saṃsāra einen Anfang, so würde das Entstehen keinen Grund haben; dann müssten auch die Erlösten wiederum in dem Saṃsāra entstehen können, und es könnte jemanden auch solches treffen, was er nicht verschuldet hat, da dann die Ungleichheit an Lust, Schmerz u.s.w. ohne Grund sein würde. Denn Gott kann, wie wir gesehen haben, nicht die Ursache dieser Ungleichheit sein. Und auch das Nichtwissen kann für sich allein, weil es einartig ist, nicht der Grund der Ungleichheit sein, und nur dann kann das Nichtwissen die Ungleichheit veranlassen, wenn dasselbe bedingt wird durch die mit der Leidenschaft und andern Beschwerden und Wahnvorstellungen behafteten Werke. Auch kann ein Leib nicht ohne das Werk entstehen, ebenso wenig wie die Werke ohne den Leib; und diese gegenseitige Abhängigkeit würde zu einem Fehler werden [hätte der Saṃsāra einen Anfang]. Weil er aber anfanglos ist, deswegen geht es wie mit dem Samen und der Pflanze [die sich wechselseitig erzeugen], und ein Fehler liegt nicht vor. Weiter wird aber auch diese Anfanglosigkeit des Saṃsāra »vernommen« | in[313] Worten der Schrift und der Smṛiti. Denn wenn die Schrift sagt: »ich will mit diesem lebenden Selbste [in Feuer, Wasser und Nahrung eingehen und auseinanderbreiten Namen und Gestalten]« (Chānd. 6, 3, 2), so erwähnt sie schon vor der Schöpfung die verkörperte Seele, welche, weil sie das Leben trägt, »das lebende (jīva) Selbst« heisst, und bezeugt hierdurch, dass der Saṃsāra anfanglos ist. Hätte der Saṃsāra einen Anfang, so hätte es vor diesem kein zu unterhaltendes Leben gegeben, und die Seele könnte nicht vor der Schöpfung schon als der Träger des Lebens, als das lebende Selbst bezeichnet werden. Denn weil sie erst künftighin das Leben tragen sollte, deswegen konnte sie doch nicht so bezeichnet werden; und jedenfalls verdient [bei der Auslegung der Stelle] vor der zukünftigen Verbindung die schon vorherige Verbindung den Vorzug, weil sie ein schon Fertiges ist. Auch der Vers (Ṛigv. 10, 190, 3):


»Wie vordem schuf der Schöpfer Mond und Sonne«


beweist [vermeintlich], dass schon eine vormalige Weltperiode vorhanden gewesen. Ebenso wird auch in der Smṛiti die Anfanglosigkeit des Saṃsāra gelehrt, wenn es heisst (Bhag. G. 15, 3):


»Nicht wird hienieden seine Form verstanden,

Nicht Anfang oder Ende, nicht sein Standort«;


und in einem Purāṇam wird festgestellt, dass »der vergangenen und zukünftigen Schöpfungen kein Mass ist.«

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 313-314.
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