[465] 20. saṃjñâ-mûrti-kḷiptis tu trivṛit-kurvata' upadeçât
vielmehr ist die Bildnerei von Benennung und Form des Dreifachmachers, wegen der Bezeichnung.

In dem Kapitel von dem Seienden heisst es, nachdem die Schöpfung von Glut, Wasser und Nahrung dargelegt worden: »diese Gottheit erwog: wohlan! ich will in diese drei Gottheiten mit diesem lebenden Selbste eingehen | und auseinanderbreiten Namen und Gestalten, eine jede von ihnen aber will ich zu einer dreifachen machen« (Chând. 6, 3, 2-3.) Hier ist zweifelhaft, ob dieses Auseinanderbreiten von Namen und Gestalten ein Werk der individuellen Seele, oder ob es ein Werk des höchsten Gottes ist. – Angenommen also, ›dieses Auseinanderbreiten von Namen und Gestalten sei ein Werk der individuellen Seele; warum? wegen der Bestimmung: »mit diesem lebenden Selbste«[465] [oder: »mit dieser individuellen Seele«, jîvena âtmanâ]. Wie man nämlich im Leben, wenn man z.B. sagt: »ich will mit einem Späher in das feindliche Heer eindringen und es auskundschaften«, in dieser Redensart die Auskundschaftung des feindlichen Heeres, welches doch das Werk des Spähers ist, auf die Person des Königs, weil dieser der ursächliche Veranlasser ist, überträgt, indem man die Worte »ich will ausspähen« dem höchsten Manne beilegt, ebenso überträgt man auch die Ausbreitung von Namen und Gestalten, obwohl sie ein Werk der individuellen Seele ist, auf die Person der Gottheit als des ursächlichen Veranlassers, und legt die Worte »ich will auseinanderbreiten« dem höchsten Geiste bei. Auch zeigt ja die Erfahrung, dass bei Benennungen, wie Ḍittha, Ḍavittha u.s.w., und bei Gestalten, wie Töpfen, Krügen u.s.w., das Ausbreitende nur die individuelle Seele ist. Sonach muss auch jene Ausbreitung von Namen und Gestalten ein Werk der individuellen Seele sein.‹ – Auf diese Annahme erwidert der Lehrer: »vielmehr ist die Bildnerei von Benennung und Form des Dreifachmachers.« | Durch das Wort »vielmehr« verwirft er jene Meinung. »Die Bildnerei von Benennung und Form«, d.h. die Ausbreitung von Namen und Gestalten ist ein Werk des Dreifachmachers, worunter der höchste Gott zu verstehen ist, da die Dreifachmachung nach der Schrift ohne Widerrede ihn zum Urheber hat. Also jene Bildnerei der Benennungen und die Bildnerei der Formen, z.B. wenn man sagt: »Feuer, Sonne, Mond, Blitz«, und ebenso in Bezug auf Gras, Schilf und Blätter und in Bezug auf zahme Tiere, wilde Tiere und Menschen, – diese Bildnerei, wie sie je nach der Gattung und je nach der Art mannigfaltige Gestalten hervorbringt, kann sicherlich nur ein Werk des höchsten Gottes, des Schöpfers von Glut, Wasser und Nahrung sein; warum? »wegen der Bezeichnung«. Denn demgemäss wird, wenn es nach den Worten »diese Gottheit« heisst: »ich will auseinanderbreiten« (Chând. 6, 3, 2), die Ausbreitung damit, dass sie dem höchsten Geiste beigelegt wird, hier als ein Werk des höchsten Brahman bezeichnet. – ›Aber mussten wir nicht wegen der Bestimmung »mit diesem lebenden Selbste« zugeben, dass die Auseinanderbreitung ein Werk der individuellen Seele ist?‹ – Dem ist nicht so, und zwar, weil die Worte »mit diesem lebenden Selbste« zu verbinden sind mit »eingehen«, indem dies unmittelbar folgt, nicht aber mit »auseinanderbreiten«. Würde es nämlich mit diesem verbunden, so könnte das auf die [höchste] Gottheit bezügliche »ich will auseinanderbreiten« dem höchsten Geiste nur in übertragenem Sinne beigelegt sein. Es ist aber nicht möglich, dass für die mannigfachen Namen und Gestalten die Fähigkeit, sie auseinanderzubreiten, der nicht Gott seienden individuellen Seele, einwohne. | Und auch bei den Dingen, zu[466] deren Auseinanderbreitung sie die Fähigkeit besitzt, ist dieselbe von dem höchsten Gotte abhängig. Überhaupt giebt es gar keine individuelle Seele, welche von dem höchsten Gotte so völlig getrennt bestünde wie von dem Könige der Späher, weil das Wort »individuell« näher bestimmt wird durch das Wort »Âtman (Seele)«, und weil das Sein der individuellen Seele nur an die Upâdhi's sich knüpft. Sonach ist auch eine solche Auseinanderbreitung von Namen und Gestalten, welche von der individuellen Seele bewirkt wird, in Wahrheit ein Werk des höchsten Gottes. Und nur der höchste Gott ist es, welcher die Namen und Gestalten [der Welt] auseinanderbreitet, wie alle Upanishad's dies annehmen. Denn die Schrift sagt z.B.: »der Äther fürwahr ist es, welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt« (Chând. 8, 14; vgl. Sûtram 1, 3, 41.) Somit ist das Auseinanderbreiten der Namen und Gestalten das Werk des höchsten Gottes, welcher auch die Dreifachmachung bewirkt. Nämlich die Auseinanderbreitung von Namen und Gestalten hat die Dreifachmachung zur Voraussetzung, wie das Folgende zeigt, wo die Auseinanderbreitung von Namen und Gestalten im Einzelnen an der Entstehung des [dreifach gemachten] Feuers, Wassers, Erdigen [aus den Urelementen Feuer, Wasser und Nahrung] nachgewiesen wird. Diese Dreifachmachung erläutert die Schrift an den Beispielen des Feuers, der Sonne, des Mondes und des Blitzes, indem sie sagt: »was an dem [dreifach gemachten] Feuer das Rote ist, das stammt von der Glut [dem Urfeuer], was daran das Weisse ist, von dem [Ur-]Wasser, was daran das Schwarze ist, von der [Ur-]Nahrung« u.s.w. (Chând. 6, 4, 1.) Hier wird also die Auseinanderbreitung derjenigen Gestalt geschildert, welche wir »Feuer« nennen. Und nachdem die Auseinanderbreitung der Gestalt geschehen, wird auch der Name »Feuer«, indem er sein Objekt erhält, auseinandergebreitet. Das Nämliche wäre zu sagen von der Sonne, dem Winde und dem Blitze. | Durch diese Herausgreifung von Feuer u.s.w. als Beispielen wird von allen drei Substanzen, der erdigen, wässerigen und feurigen, gelehrt, dass sie eine wie die andere dreifach gemacht sind, wie sich dies aus der allgemeinen Haltung des Einganges und des Schlusses ergiebt. Denn so heisst es zu Anfang ganz allgemein: »diese drei Gottheiten werden jede für sich dreifach gemacht« (Chând. 6, 3, 4); und auch der Beschluss drückt sich ganz allgemein aus: »was nun das Rote zu sein schien, das stammt von der Glut«, – von hier an bis zu den Worten: »was ein Unbekanntes zu sein schien, das ist in dieser Weise eine Zusammensetzung aus jenen Gottheiten« (Chând. 6, 4, 6-7.)

Nachdem diese drei Gottheiten nach aussen hin dreifach ausgebreitet worden, wird eine weitere Dreifachmachung in Bezug[467] auf das Selbst geschildert: »diese drei Gottheiten, wenn sie in einen Menschen gelangen, werden eine jede dreifach« (Chând. 6, 4, 7.) Dieses legt nunmehr der Lehrer der Schrift gemäss dar, um etwa möglichen Bedenken zuvorzukommen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 465-468.
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