[371] 37. patyur asâmañjasyât
wegen der Ungereimtheit eines »Herrn«.

Nunmehr wird die Theorie von Gott als der Weltursache, sofern er blosser Vorsteher [der Materie, nicht auch diese selbst] ist, bekämpft. – Aber wie kommen wir zu diesem [restringierenden Zusatze]? – Nun, weil der Lehrer selbst in den Sûtra's: »auch der Urstoff, weil Verheissung und Gleichnis widerspruchlos« (1, 4, 23); – »auch wegen Erwähnung der Absicht« (1, 4, 24), einen Gott aufgestellt hat, welcher, sofern er der Urstoff und zugleich der Vorsteher desselben ist, beide Naturen an sich trägt. Wollte er nun hier ohne nähere Bestimmung die Behauptung [der Gegner], dass Gott die Weltursache sei, bestreiten, so könnte man die Folgerung ziehen, dass wegen Widerspruchs des Früheren und des Späteren die Aufstellungen des Verfassers der Sûtra's hinfällig wären. Darum wird hier mit Vorsicht die Widerlegung nur gegen die Behauptung gerichtet, dass Gott nicht der Urstoff, sondern bloss der, welcher ihn regiert, bloss die bewirkende Ursache sei, – eine Behauptung, welche der vom Vedânta gelehrten Einheit [alles Seienden] mit Brahman | entgegensteht. Übrigens ist diese ausservedische Annahme eines Gottes von mancherlei Art. Einige nehmen, indem sie sich auf das Sâ khya- und Yoga-System stützen, an, dass Gott nur die bewirkende Ursache ist, sofern er der blosse Vorsteher ist über die Urmaterie und die Purusha's, und dass die Urmaterie, die Purusha's und Gott voneinander verschiedene Principien sind. Hingegen nehmen die Anhänger des Maheçvara (Çiva) an, dass ihre fünf Kategorien, die Wirkung [das Mahad u.s.w.], die Ursache [die Prakṛiti und der Îçvara], die Andachtskunst, das Ritual und das Leidensende [die Erlösung] von Gott als dem Herrn der Kreatur zum Zwecke, die Kreatur aus ihren Fesseln zu erlösen, gelehrt worden seien; wobei sie Gott, den Herrn der Kreatur, als die bewirkende Ursache hinstellen. Ähnliche Auffassungen finden sich auch noch bei den Vaiçeshika's und andern, indem dieselben, je nach ihren Voraussetzungen, die einen in dieser, die andern in jener Weise Gott als die bewirkende Ursache hinstellen. Diesen allen wird zur Antwort gegeben: »wegen der Ungereimtheit eines Herrn«; d.h. es geht nicht an, einen Herrn, einen Gott, sofern er blosser Vorsteher der Urmaterie und der Purusha's ist, für die Ursache der Welt zu erklären; warum? | »wegen der Ungereimtheit«. Worin besteht denn diese Ungereimtheit?[371] Darin, dass Gott, wenn er es wäre, der die verschiedenen Stände der Seele in den niedrigsten, mittleren und obersten Existenzen veranlasste, mit den Schwächen der Liebe, des Hasses u.s.w. behaftet sein würde und folglich so wenig wie wir Gott sein könnte. Wollt ihr ihn damit verteidigen, dass er dabei auf die Werke der Seelen Rücksicht nehme, so lassen wir diesen [freilich auch von uns selbst Sûtram 2, 1, 33 flg. betretenen] Ausweg [bei euch] nicht zu, weil dabei die Werke und Gott sich wechselseitig zu einander verhalten würden als Bewegendes und Bewegtes, somit der Fehler eines Cirkels eintreten würde. Beruft ihr euch auf die Anfanglosigkeit [dieser Kausalitätskette], so ist damit nicht geholfen, weil ebenso gut wie in der Gegenwart auch in allen vergangenen Zeitläuften jene wechselseitige Abhängigkeit stattfinden, somit der Fall von der Kette der sich aneinander haltenden Blinden eintreten würde. Auch sagt ja | das Nyâya-System: »die Schwächen haben als Merkmal, dass sie [als Motive] zum Handeln antreiben« (Nyâya-Sûtram 1, 1, 18.) Denn Niemand unternimmt, wie die Erfahrung zeigt, eine Handlung, sei es im eigenen oder fremden Interesse, ohne dass er mit den Schwächen [der Liebe, des Hasses und des Wahnes] behaftet wäre. Übrigens handelt jeder Mensch nur in seinem eigenen Interesse, auch wo er sich um fremde Interessen bemüht; und hierin liegt eine weitere Ungereimtheit; denn ein Gott, welcher sein eigenes Interesse verfolgte, würde gar kein Gott mehr sein. Endlich liegt auch in der Annahme der Verschiedenheit der Seele (purusha) von Gott sowie in der Annahme der Thatlosigkeit der Seele eine Ungereimtheit.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 371-372.
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