|
[39] Wer ein Gesetz der Natur aufhebt, hebt alle auf.
L. Feuerbach
Als man erkannt hatte, daß Sonne, Mond und Sterne keine am Himmelsgewölbe angehefteten Lichter sind, deren Zweck darin besteht, die Wohnsitze des menschlichen Geschlechts bei Tag und bei Nacht zu erhellen – als man weiter eingesehen hatte, daß die Erde nicht der Schemel der Füße Gottes, sondern ein Stäubchen im Weltmeer ist, da zauderte der menschliche Geist nicht, die Abenteuerlichkeit der Vorstellung, die ihm für die Nähe geraubt war, in der Ferne in um so lebhafteren Bewegungen sich ergehen zu lassen. Da mußten ferne Weltregionen im Glanze der Wunder und des Paradieses schimmern; da ließ man auf entlegenen Planeten Geschlechter mit ätherischen Leibern und befreit von dem Druck der Materie entstehen, und diejenigen, welche gelehrt hatten, daß das Leben eine Vorschule zum Jenseits sei, beeilten sich, ihren Schülern und Schülerinnen eine herrliche und unendliche Aussicht auf eine immer steigende Schul- und Klassenlaufbahn von Planet zu Planet, von Sonne zu Sonne zu eröffnen, wobei die Fleißigen und Frommen stets vorn, die Faulen aber, wie immer, stets hinten sein werden. So reizend auch eine solche Aussicht manchen an die Schuldressur gewöhnten Gemütern vorkommen mag, so wenig kann doch eine kühle Naturbetrachtung sich mit so ausschweifenden Phantasien für einverstanden erklären. Nach dem heutigen Stand unserer Kenntnisse von der unsere Erde umgebenden Welt müssen wir uns dahin erklären,[39] daß dieselben Stoffe und dieselben Naturgesetze, von denen wir uns hier gebildet und umgeben sehen, auch das ganze All zusammensetzen und daß dieselben allerorten in derselben Weise und mit derselben Notwendigkeit tätig sind wie in unsrer unmittelbaren Nähe. Beweise hierfür haben uns Astronomie und Physik in hinlänglicher Anzahl geliefert. Die Gesetze der Gravitation, d.h. die Gesetze der Bewegung und Anziehung, sind in allen Welträumen, soweit das Fernrohr dringt und unsere Berechnung hinreicht, dieselben unveränderlichen. Die Bewegungen aller und der entferntesten Weltkörper geschehen nach denselben Gesetzen, unter welchen geworfene Körper hier auf unsrer Erde bewegt werden, unter welchen ein Stein fällt, ein Pendel schwingt usw. Alle astronomischen Rechnungen, welche auf diese uns bekannten Gesetze für entfernte Weltkörper und deren Bewegungen basiert und angestellt worden sind, haben sich als richtig bewiesen; die Astronomen haben uns, bloß durch Berechnungen, Sterne als vorhanden angegeben, deren Entdeckung erst nachher dem Fernrohr gelang, als man wußte, an welcher Stelle man sie zu suchen hatte; sie sagen uns Sonnen- und Mondfinsternisse voraus und berechnen das Erscheinen von Kometen auf Hunderte von Jahren hinaus. Nach dem Gesetze der Umdrehung hat man die Gestalt des Jupiter berechnet, und in der Tat wurde sie nachher durch direkte Beobachtung so gefunden. Wir wissen, daß die andern Planeten Jahreszeiten, Tage und Nächte haben wie die Erde, wenn auch nach anderen Zeitlängen. – Die Gesetze des Lichts sind durch den ganzen Weltraum die nämlichen, und zwar dieselben wie auf unsrer Erde. Überall hat das Licht gleiche Geschwindigkeit, gleiche Zusammensetzung, und seine Berechnung erfolgt überall auf die nämliche[40] Weise. Das Licht, welches die entferntesten Fixsterne durch einen Raum von Billionen Meilen zu uns senden, unterscheidet sich in gar nichts von dem Licht unsrer Sonne; es agiert nach denselben Gesetzen und ist auf dieselbe Weise zusammengesetzt. – Nicht minder haben wir hinreichende Gründe, welche uns beweisen, daß die Weltkörper zwei Eigenschaften ganz in derselben Weise besitzen wie unsere Erde und die Körper, die uns auf derselben umgeben – ich meine die Undruchdringlichkeit und die Teilbarkeit. – Wie die Gesetze des Lichts, so sind auch die Gesetze der Wärme durch den ganzen Weltraum dieselben. Die von der Sonne uns zukommende Wärme wirkt ganz nach den nämlichen Prinzipien wie die Wärmestrahlen, welche unsere Erde aussendet. Auf Wärmeverhältnissen aber beruhen die Festigkeit, die Tropfbarkeit, der Luftzustand der Körper; also müssen auch diese Zustände überall unter denselben Bedingungen stattfinden. Mit Wärmeerzeugung stehen aber auch Elektrizität, Magnetismus usw. in so innigem Zusammenhange, daß sie nicht voneinander getrennt werden können; also müssen auch diese Kräfte vorhanden sein, wo Wärme vorhanden ist, d.h. überall. Das Nämliche gilt von dem Verhältnis der Wärme zu der Art und Weise der chemischen Verbindungen oder Zersetzungen; auch hiernach ist es nicht anders denkbar, als daß dieselben überall im Weltraum auf die nämliche Weise vor sich gehen müssen. – Einen noch direkteren Beweis geben uns die Meteore, sichtbare Boten aus einer anderen, nichtirdischen Welt. In diesen merkwürdigen Körpern, welche von andern Weltkörpern oder aus dem Uräther zu uns geschleudert werden, hat die Chemie keinen Grundstoff aufzufinden vermocht, der nicht auf der Erde bereits vorhanden wäre, und die Kristallformen, welche[41] sie darbieten, unterscheiden sich in nichts von den uns bekannten. Auch die Entstehungsgeschichte unserer Erde bietet uns ein sicheres Analogon für die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte anderer Weltkörper. Die Abweichungen der Planeten von der Kugelgestalt beweisen, daß auch diese einst, wie die Erde, flüssig waren, und die allmähliche Entwicklung der Erde zu ihrer jetzigen Form muß auch ebenso auf allen andern Planeten vor sich gegangen sein. – Alle diese Tatsachen beweisen zur Evidenz die Allgemeinheit der Naturgesetze, welche nicht bloß auf unsere Erde beschränkt, sondern in gleicher Weise durch den ganzen Weltenraum wirksam sind. Da gibt es keinen Schlupfwinkel für die Phantasie, in welchem sie sonderbare Ausgeburten zeugen und eine von den gewohnten Schranken emanzipierte, fabelhafte Existenz träumen könnte. Alle solche Träumereien müssen als Hirngespinste betrachtet werden. Es ist nicht nötig, daß wie die Mittel besitzen, für jede einzelne Naturkraft ihre Allgemeinheit und Unendlichkeit im einzelnen nachzuweisen. Der Umstand, daß dieses für einige derselben mit Bestimmtheit geschehen ist, ist vollkommen hinreichend und schützt uns vor jedem Irrtum. Wo ein Gesetz waltet, da walten auch alle übrigen; der Zusammenhang ist nach allen Seiten ein so inniger, daß hier nichts zu trennen ist. Jede Ausnahme, jede Abweichung müßte unmittelbar eine nicht zu heilende Verwirrung hervorrufen, denn das Gleichgewicht der Kräfte ist die Grundbedingung alles Daseins. Die Welt ist ein unendliches Ganze, zusammengesetzt aus denselben Stoffen, getragen von den nämlichen Kräften.
Mit Recht behauptet Oersted, die Identität der Natur- und Vernunftgesetze voraussetzend, daß diese Allgemeingültigkeit[42] der von der Vernunft begriffenen Naturgesetze auch eine Grundgleichheit des Erkenntnisvermögens im ganzen Weltall voraussetze. Sollte es denkende Wesen außer unserm Planeten geben – und es ist dies wahrscheinlich, da nicht einzusehen ist, warum nicht gleiche Ursachen auch überall gleiche Wirkungen hervorbringen sollen – so muß ihr Denkvermögen gleich dem unsrigen sein, wenn auch vielleicht der Quantität nach verschieden. Auch die körperliche Bildung ihrer Organe muß im wesentlichen dieselbe sein, wenn auch vielleicht im einzelnen verschieden je nach Beschaffenheit und Einwirkung der äußeren Umstände. Allerdings will ich nicht leugnen, daß auch innerhalb der Grenzen der vorhandenen Stoffe und Kräfte noch so mannigfaltige Modifikationen und Kombinationen, von denen wir keine Ahnung besitzen, möglich sein können, daß man hier mit seinen Schlüssen an das Gebiet der Vermutung und Hypothese streift. Dennoch mag wohl kein Zweifel darüber sein, daß die Grundprinzipien körperlicher und geistiger Bildung, organischen und anorganischen Lebens überall dieselben sein müssen. Gleiche Stoffe und Kräfte produzieren bei ihrer Begegnung auch Gleiches, wenn auch in unendlich verschiedenen und mannigfaltigen Farben und Nuancierungen. Unsere direkte Forschung hat an diesem Punkt ein Ende; ob uns in der Vervollkommnung noch höher gesteigerte Instrumente weitere Blicke gestatten werden, wissen wir heute nicht.
Daß Geist und Natur immer dasselbe, daß Vernunft- und Naturgesetze identisch sind, dürfte im wesentlichen schon aus dem hervorgegangen sein, was wir über das Verhältnis von Kraft und Stoff vorgebracht haben. Was wir Geist, Denken, Erkenntnisvermögen nennen, setzt sich aus natürlichen, wenn auch eigentümlich kombinierten Kräften[43] zusammen, die wiederum wie jede andre Naturkraft, nur an bestimmten Stoffen in die Erscheinung treten können. Diese Stoffe sind im organischen Leben nur in einer unendlich komplizierten und besonders gestalteten Weise verbunden und bringen deswegen auch Effekte hervor, die uns für den ersten und oberflächlichen Anblick wunderbar und unerklärlich erscheinen, während in der anorganischen Welt alle Prozesse und Wirkungen unendlich einfacher und daher auch leichter zu begreifen sind. Aber im Wesen sind beide dasselbe, und die Erfahrung lehrt uns daher auch auf jedem Schritte, daß die Gesetze des Denkens die Gesetze der Welt sind.
»Ein Hauptpunkt des Beweises«, sagt Oersted, »daß die Naturgesetze Vernunftgesetze sind, ist, daß wir durch Denken aus bekannten Naturgesetzen andre ableiten können, die wir wirklich in der Erfahrung wiederfinden, und daß wir, wenn dieses nicht eintrifft, ordentlicherweise entdecken, wie wir irrige Folgerung gemacht haben. Daraus geht denn hervor, daß die Denkgesetze, nach welchen wir welchen wir Folgerungen machten, auch in der Natur selbst gelten.«[44]
Ausgewählte Ausgaben von
Kraft und Stoff
|
Buchempfehlung
Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.
128 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro