|
[182] Die Intelligenz des Tieres äußert sich ganz in derselben Weise, wie die des Menschen. – Es ist kein wesentlicher, sondern nur ein gradueller Unterschied zwischen Instinkt und Vernunft erweisbar.
Krahmer
Der menschliche Körper ist eine modifizierte Tiergestalt, seine Seele eine potenzierte Tierseele.
Burmeister
Die besten Autoritäten in der Physiologie sind gegenwärtig ziemlich einstimmig in der Ansicht, daß sich die Seele der Tiere nicht der Qualität, sondern nur der Quantität nach von der menschlichen Seele unterscheide. In der an ihm gewohnten treffenden Weise hat erst kürzlich wieder Karl Vogt diese Frage erörtert und in dem angeführten Sinne entschieden, und es läßt sich dem dort Gesagten kaum etwas wesentlich Neues beifügen. Der Mensch hat keinen absoluten Vorzug vor dem Tier, und seine geistige Überlegenheit über dasselbe ist nur relativ. Keine einzige geistige Fähigkeit kommt dem Menschen allein zu; nur die größere Stärke dieser Fähigkeiten und ihre zweckmäßige Vereinigung untereinander geben dem Menschen seine Überlegenheit. Daß diese Fähigkeiten bei den Menschen größer sind, hat, wie wir gesehen haben, seinen natürlichen und notwendigen Grund in der höheren und vollkommeneren Ausbildung des materiellen Substrats der Denkfunktion bei demselben. Wie sich in der physischen Ausbildung dieses Substrats eine ununterbrochene Stufenleiter von dem niedersten Tier bis zu dem höchsten Menschen hinaufzieht, so zieht sich[182] dementsprechend dieselbe Reihenfolge geistiger Qualitäten von unten nach aufwärts. Weder morphologisch, noch chemisch läßt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Gehirn des Menschen und dem der Tiere nachweisen; die Unterschiede sind zwar groß, aber nur graduell. Schon diese Tatsache allein, im Verein mit den Ausführungen, welche wir früher über die Abhängigkeit der psychischen Funktionen von Bau, Größe und Art der Zusammensetzung des Gehirns gegeben haben, könnte hinreichen, jene Wahrheit klarzumachen. In sonderbarer Selbstüberschätzung hat sich der Mensch gefallen, die unverkennbaren psychischen Äußerungen der Tiere mit dem Namen »Instinkt« zu belegen. Einen Instinkt aber in dem Sinne, wie dieses Wort gewöhnlich gebraucht wird, gibt es nicht. Keine unmittelbare in ihnen selbst und in ihrer geistigen Organisation gelegene Notwendigkeit, kein blinder, willenloser Trieb leitet die Tiere in ihrem Handeln, sondern eine aus Vergleichen und Schlüssen hervorgegangene Überlegung; der geistige Prozeß, durch den dies geschieht, ist seinem Wesen nach vollkommen derselbe wie bei dem Menschen, wenn auch die Urteilskraft dabei eine weit schwächere ist. Freilich wird dieser Willensakt und der Gang der geistigen Überlegung, welche ihn erzeugt, derart durch äußere und innere Verhältnisse bestimmt, daß die freie Wahl bei einem solchen Akt nicht selten fast gleich Null wird oder doch in äußerst engen Grenzen sich bewegt. Aber ganz das nämliche gilt ja auch von dem Tun des Menschen, dessen sogenannter freier Wille in der Ausdehnung, wie er ihn zu besitzen glaubt, nur eine Chimäre ist. Darnach könnte man mit demselben Rechte, mit welchem man das Tun der Tiere aus dem Instinkt herleitet, auch sagen, der Mensch folge bei seinen Handlungen nur instinktiven Antrieben.[183] Aber eines wie das andere ist falsch. Das Tier überlegt, bedenkt, sammelt Erfahrungen, erinnert sich an die Vergangenheit, sorgt für die Zukunft, empfindet – wie der Mensch, und was man als Folge eines blinden Triebes bei demselben angesehen hat, läßt sich nicht unschwer als Ausfluß bewußter geistiger Tätigkeit nachweisen. Nicht aus Instinkt baut der Fuchs eine Höhle mit zwei Ausgängen und stiehlt die Hofhühner zu einer Zeit, wo er weiß, daß der Herr und die Knechte abwesend oder zu Tische sind, sondern – aus Überlegung. Nicht aus Instinkt sind ältere Tiere klüger als jüngere, sondern aus Erfahrung. Die Beispiele, welche für die Einsicht und Überlegungskraft der Tiere sprechen, sind so zahlreich und bekannt, zugleich so schlagend, daß es Zeit und Papier verschwenden hieße, wollten wir auch nur einen Teil derselben hier wiederholen. Jeder, der mit Hunden umgeht, weiß merkwürdige Dinge von deren berechnender Einsicht zu erzählen. Man lese, was Dujardin von der Intelligenz der Bienen, was Burdach von dem Verstand der Krähen, was Vogt von den Delphinen und von der merkwürdigen Erziehung eines jungen Hundes durch einen alten erzählt; man erinnere sich an die bekannte Anekdote von der im Frühling rückkehrenden Schwalbe, welche ihr Nest von dem Sperling besetzt fand und sich nun an dem sich zur Wehre setzenden Usurpator dadurch zu rächen suchte, daß sie das Flugloch zuzumauern begann. Warum fürchten sich jagdbare Tiere, namentlich Vögel (Krähen, Sperlinge), nicht vor Leuten, die keine Flinte tragen? – Wem wäre die wunderbare Einrichtung des Bienenstaates nicht aus Vogts schöner Beschreibung bekannt? Und wer hat nicht von den Hundestaaten in den nordamerikanischen Prärien gelesen? Der Engländer Hooker schreibt[184] von dem Elefanten: »Die Gelehrigkeit dieser Tiere ist seit alters bekannt, verliert aber soviel durch die bloße Erzählung, daß ihre Gutartigkeit, Gehorsamkeit und Klugheit mir so fremd erschienen, als wenn ich nie etwas davon gehört oder gelesen hätte. Unser Elefant war vorzüglich, wenn er nicht eine eigensinnige Laune hatte, und so gelehrig, daß er auf Verlangen einen Stein aufnahm und mit dem Rüssel über seinen Kopf dem Reiter zuwarf, dem so bei geologischen Exkursionen die Mühe erspart ward, herabzusteigen.« – Man muß in gewisse niedere Kreise der menschlichen Gesellschaft geblickt und mit ihnen verkehrt haben, um zu begreifen, daß die geistige Stufenleiter vom Tier zum Menschen keine unterbrochene ist. Welcher Unterschied mag zwischen dem Ideenkreis manches europäischen Bauern und dem eines verständigen Tieres sein! Und steht ein Kretine, doch auch ein Mensch, nicht unter dem Tiere? Wie weit entfernt sich der Neger vom Affen? Verfasser sah im Antwerpener zoologischen Garten einen Affen, welcher ein vollständiges Bett in seinem Käfig hatte, in welches er sich abends hineinlegte und zudeckte wie ein Mensch. Er machte Kunststücke mit Reifen und Ballen, welche man ihm gegeben hatte, und wandte sich spielend in einer Weise an die Zuschauer, als ob er mit ihnen reden und ihnen seine Kunst zeigen wolle. Von demselben Affen hatte man beobachtet, daß er den Umrissen seines Schattens an der Wand mit dem Finger nachfuhr! Die ganze Erscheinung machte einen wehmütigen Eindruck, da man sich des Gefühls nicht erwehren konnte, es sei hier ein menschenartiges, überlegendes und fühlendes Wesen eingekäfigt. Dagegen erinnert der Neger nach der vortrefflichen Schilderung von Burmeister ebensowohl in seinem geistigen wie in seinem physischen Wesen[185] aufs auffallendste an den Affen. Dieselbe Nachahmungssucht, dieselbe Feigheit, kurz dasselbe in allen Charaktereigentümlichkeiten! In seiner Geschichte (so auf Haiti) stellt sich der Neger nach dem Ausdruck eines Berichterstatters der Allgem. Ztg. »halb als Tiger, halb als Affe« dar. – Den brasilianischen Urmenschen schildert Burmeister als ein Tier in seinem ganzen Tun und Treiben und jedes höheren geistigen Lebens ganz entbehrend.
Man hört oft sagen, die Sprache sei ein so charakteristisches Unterscheidungszeichen zwischen Mensch und Tier, welches keinen Zweifel über die tiefe Kluft zwischen beiden lasse. Die so reden, wissen freilich nicht, daß auch die Tiere sprechen können. Beweisende Beispiele dafür, daß die Tiere das Vermögen der gegenseitigen Mitteilung in einem hohen Grade und zwar über ganz konkrete Dinge besitzen, existieren in Menge. Dujardin stellte weit entfernt von einem Bienenstand eine Schale mit Zucker in eine Mauernische. Eine einzelne Biene, welche diesen Schatz entdeckte, prägte ihrem Gedächtnisse durch Umherfliegen um die Ränder der Nische und Anstoßen mit dem Kopfe an dieselben die Beschaffenheit der Lokalität genau ein, flog dann davon und kehrte nach einiger Zeit mit einer Schar ihrer Freundinnen zurück, die sich über den Zucker hermachten. Hatten diese Tiere nicht miteinander geredet? Wieviele Beispiele beweisen, daß namentlich die Vögel sich gegenseitig sehr detaillierte Mitteilungen machen, Verabredungen treffen usw. Die Art, wie Gemsen ihre Wachen ausstellen und sich gegenseitig von der herannahenden Gefahr unterrichten, zeigt nicht minder dieses Mitteilungsvermögen an. (Und können sie diese Vorsicht auch durch den Instinkt gelehrt worden sein, da doch die Gemsjäger nicht so alt sind wie die Gemsen?) Viele in Gemeinschaft[186] lebende Tiere wählen sich einen Führer und stellen sich freiwillig unter seine Befehle. Kann dies auch ohne gegenseitige Besprechung geschehen? Aber weil der Mensch die Sprache der Tiere nicht versteht, meint er, es sei besser, sie ganz zu leugnen. Der Engländer Parkyns, welcher in Abessinien reiste, unterhielt sich längere Zeit mit der Beobachtung des Treibens der Affen und erkannte dabei, »daß sie eine Sprache hätten, für sie so verständlich als die unsrige für uns« (Revue britannique). »Die Affen«, sagt Parkyns, »haben Führer, denen sie besser gehorchen, als gewöhnlich die Menschen, und ein regelmäßiges Raubsystem. Wenn einer ihrer Stämme aus den Felsenspalten, die sie bewohnen, niedersteigt, um z. B. ein Getreidefeld zu plündern, führt er alle seine Glieder, Männchen und Weibchen, alte und junge, mit sich. Vorposten, unter den ältesten des Stammes, die man leicht an ihrem reichlichen Haarwuchs erkennt, gewählt, durchforschen sorgsam jede Schlucht, ehe sie hinabsteigen, und erklettern alle Felsen, von denen aus man die Umgegend überschauen kann. Andere Vedetten stehen auf den Seiten und im Rückhalt, ihre Wachsamkeit ist merkwürdig. Von Zeit zu Zeit rufen sie sich an und antworten einander, um anzuzeigen, ob alles gut geht oder ob Gefahr vorhanden ist. Ihr Geschrei ist so scharf betont, so mannigfach, so deutlich, daß man es endlich versteht oder wenigstens zu verstehen glaubt usw. Beim geringsten Alarmruf macht die ganze Truppe halt und horcht, bis ein zweiter Schrei von verschiedener Intonation sie wieder in Marsch setzt usw.« – Wohl, sagt man endlich, die Tiere haben auch eine Sprache, aber sie ist der Ausbildung nicht fähig. – Wieder eine Behauptung ohne Grund. Was können wir von der Ausbildung der Tiersprache wissen, da uns doch das Verständnis derselben[187] abgeht! Und welcher Ausbildung ist denn die Sprache eines Negers fähig oder überhaupt jener wilden Völkerschaften, von denen uns die Reisenden erzählen, daß sie mehr durch Zeichen als durch Töne reden! Dagegen wissen wir von den geistigen Fähigkeiten der Tiere im allgemeinen, daß sie ebensowohl ausgebildet, erzogen werden können als die der Menschen. Welche merkwürdigen Dinge sehen wir oft von abgerichteten Tieren geleistet! Welch anderes Wesen ist ein dressierter Jagdhund als ein gewöhnlicher Hund derselben Klasse! Diese Dressur ist nicht, wie man sich dieses wohl vorstellt, eine bloß mechanische, sondern beruht auf wirklicher Erziehung und dem Begreiflichmachen gewisser zu erreichender Zwecke an das Tier. Oder wäre es möglich, daß ein Hund ein Wild »stellen« könne, ohne daß er die Absicht dieser Prozedur vorher eingesehen hätte? Daß die Erziehung des Tieres auf eine langsame und mühevolle Weise vor sich geht, liegt nicht in dem Begriffsmangel desselben, sondern hauptsächlich in der Unmöglichkeit der direkten Mitteilung; es müssen dieselben Mittel angewendet werden – und sie werden es in der Tat – welche der mühevolle Unterricht des Taubstummen erfordert.
So kann der allmähliche Übergang, welcher durch unzählige Mittelstufen vom Tiere zum Menschen stattfindet, sowohl nach geistigen als nach körperlichen Qualitäten, nur mehr von denen geleugnet werden, welche es lieben, ihre eigene Ansicht über die Tatsachen zu setzen. Alle jene bekannten Unterscheidungszeichen, welche man im Interesse einer strengen Trennung geltend gemacht hat, sind ihrer Natur nach nur relative, keine absoluten. Wie könnte es auch anders sein? Die unendlich mannigfaltige Wechselwirkung von Stoffen und Kräften in der belebten Natur muß auch unendlich zahlreiche[188] und mannigfaltige Produktionen zur Folge haben, welche keine Grenzen zwischen sich lassen, sondern sich in allen Richtungen und in ununterbrochenem Zusammenhang ausbreiten. Die Natur kennt keine Grenzen, sondern nur der systematisierende Verstand des Menschen. Deswegen hat auch der Mensch kein Recht, sich über die organische Welt vornehm hinauszusetzen und als Wesen verschiedener und höherer Art anzusehen; sondern er soll den festen und unzerreißbaren Faden erkennen, der ihn an die Natur selber kettet; mit allem, was lebt und blüht, teilt er gleichen Ursprung und gleiches Ende.
Herr Professor B. Cotta erzählt eine merkwürdige, von Darwin zuerst beobachtete Geschichte von einem auf den Keelinginseln lebenden Krebs, welcher auf eigentümliche Weise die Kokosnüsse mit seinen Scheren öffnet und den darin enthaltenen Kern verzehrt. In diesem Verhältnis wollte man einen Beweis für einen ganz besonderen angeborenen Instinkt finden, und der Erzähler scheint sogar geneigt, darin einen spezifischen Beweis für die höchste Weisheit des Schöpfers zu erblicken, welcher für diesen besonderen Zweck ein eigens dazu eingerichtetes Tier geschaffen haben müsse! Es ist schwer begreiflich, wie ein Naturforscher auf eine solche Idee kommen kann, und eine Widerlegung dieser ganzen Anschauungsweise ist zum Teil schon in früher Gesagtem enthalten. Daß das Tier vorher Erfahrungen über jenes Verhältnis und über die Kokosnüsse im speziellen gemacht haben muß, ehe es auf den Gedanken kam, seine Scheren in dieser Weise zu gebrauchen, dürfte wohl nicht zu bezweifeln sein. Irgend etwas anderes darin zu erblicken und namentlich zu denken, sein eigentümlicher Scherenapparat sei ihm eben wegen der Kokosnüsse zum Geschenk gemacht[189] worden – ist geradezu Vermessenheit. Mit demselben Rechte könnte man sagen, der Mensch sei dazu geschaffen, auf Eisenbahnen zu fahren, aus Instinkt habe er die Lokomotiven gebaut, und die Beine habe er erhalten, um in die Wägen einsteigen zu können.[190]
Ausgewählte Ausgaben von
Kraft und Stoff
|
Buchempfehlung
Das kanonische Liederbuch der Chinesen entstand in seiner heutigen Textfassung in der Zeit zwischen dem 10. und dem 7. Jahrhundert v. Chr. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Victor von Strauß.
298 Seiten, 15.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro