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[96] Die Wirkungen des Gehirns müssen im Verhältnis stehen zu der Masse des Gehirns.
Liebig
»Wenn der Satz«, sagt Moleschott, »daß Mischung, Form und Kraft einander mit Notwendigkeit bedingen, daß ihre Veränderungen allezeit Hand in Hand miteinander gehen, daß ein Veränderung des einen Glieds jedesmal die ganz gleichzeitige Veränderung der beiden andern unmittelbar voraussetzt, auch für das Hirn seine Richtigkeit hat, dann müssen anerkannte stoffliche Veränderungen des Hirns einen Einfluß auf das Denken üben. Und umgekehrt, das Denken muß sich abspiegeln in den stofflichen Zuständen des Körpers.«
Daß das Gehirn das Organ des Denkens ist, und daß beide in einer so unmittelbaren und notwendigen Verbindung stehen, daß eines ohne das andere nicht bestehen, nicht gedacht werden kann – dies ist eine Wahrheit, die kaum einem Arzte oder Physiologen zweifelhaft sein kann. Tägliche Erfahrung und eine Menge der sprechendsten Tatsachen drängen ihm diese Überzeugung mit Notwendigkeit auf. Weniger im Hinblick auf sie, als mehr auf das große Publikum, welchem oft die einfachsten und klarsten Wahrheiten der Naturforschung noch vollkommene Rätsel sind, entwerfen wir die folgende tatsächliche Darstellung. Es ist eigentümlich, daß sich gerade in diesem Punkte das Publikum von je mit großer Hartnäckigkeit gesträubt hat, die Macht der Tatsachen anzuerkennen; die Gründe dafür sind indessen nicht schwer aufzufinden und hauptsächlich egoistischer Natur.[96]
Das Gehirn ist Sitz und Organ des Denkens, seine Größe, seine Form, die Art seiner Zusammensetzung stehen in geradem Verhältnis zu Größe und Kraft der ihm innewohnenden geistigen Funktion. Die vergleichende Anatomie gibt hierüber die deutlichsten Nachweise und zeigt uns, wie ein konstantes, aufsteigendes Verhältnis der materiellen und Größenbeschaffenheit des Gehirns zur geistigen Energie durch alle Tierreihen hindurch bis hinauf zu dem Menschen als Gesetz waltet. Tiere, welche kein eigentliches Gehirn, sondern nur Nervenknoten an seiner Stelle oder rudimentäre Bildung desselben besitzen, stehen auf der niedersten Stufe geistiger Befähigung und scheinen mehr zu vegetieren als zu leben. Im Gegensatz dazu besitzt der Mensch, das geistig höchststehende Wesen, absolut und relativ das größte Gehirn. Wenn die Gesamt hirnmasse bei einigen wenigen Tieren, welche als die größten der gegenwärtigen Schöpfung gelten, diejenige des Menschengehirns an Masse übertrifft, so beruht diese scheinbare Anomalie nur auf einem Überwiegen derjenigen Gehirnteile, welche dem Körpernervensystem als Zentralorgane der Bewegung und Empfindung vorstehen und welche wegen der größeren Menge und Dicke der in ihnen zusammenlaufenden Nervenstränge natürlich eine größere Massenentwicklung darbieten müssen, wogegen die großen Hemisphären als die der Denkfunktion hauptsächlich vorstehenden Teile des Hirns bei keinem Tiere die menschlichen Größen- und Formverhältnisse erreichen. Unter den Tieren selbst sind uns diejenigen mit der stärksten Gehirnentwicklung von je als die klügsten und geistig hochstehendsten bekannt (Elefant, Delphin, Affe, Hund usw.) Durch die ganze Tierreihe finden wir eine stufenweise und jedesmal mit der geistigen Entwicklung genau korrespondierende Entwicklung[97] des Hirns bezüglich Größe und Form. Bibra, einer der neuesten und gewissenhaften Forscher, stellte genaue Gewichtsmessungen des Gehirns bei Tieren und Menschen an. Als allgemeines, unzweifelhaftes Resultat dieser Messungen bezeichnet er: daß der Mensch an der Spitze steht, und daß die Tiere in abwärtssteigender Folge weniger Gehirn besitzen, und die am niedersten stehenden am wenigsten, wie Amphibien und Fische. Dieses Gesetz der stufenweisen Entwicklung des Gehirns durch die Tierreihe in aufsteigender Linie ist ein zu sichtbares und durchgreifendes, als daß es abgeleugnet oder durch einzelne scheinbar widersprechende Tatsachen erschüttert oder in seinem Werte geschmälert werden könnte. Solche einzelne scheinbare Ausnahmen beruhen nicht selten auf falscher Beobachtung, anderemal auf verkehrter Deutung oder Anwendung des Beobachteten. Namentlich denkt man häufig nicht daran, daß es bei der geistigen Wertbestimmung eines Gehirns nicht bloß auf Größe und Gewicht, sondern auf die ganze materielle Organisation desselben, also auch auf Form, Struktur, auf die Beschaffenheit der Windungen und auf chemische Zusammensetzung ankommen kann und muß. Es ist alsdann möglich, daß eine scheinbare Anomalie in einer Richtung durch eine kompensierende Entwicklung in anderer Richtung ausgeglichen wird. Bestimmte Forschungen in dieser Richtung sind leider noch wenige gemacht. Doch hat derselbe Bibra einige vergleichende Untersuchungen über chemische Komposition der Gehirne verschiedener Tiere angestellt. Als Resultat aus diesen Untersuchungen geht hervor, daß die Gehirne höher stehender Tiere durchschnittlich mehr Fett und damit auch mehr Phosphor (welcher bekanntlich an die Gehirnfette gebunden ist) enthalten als die Gehirne niederer Tiere.[98] Beim Fötus und Neugeborenen sind die Gehirnfette in bedeutend geringerer Quantität vorhanden als beim Erwachsenen; dagegen ist der Wassergehalt des kindlichen Gehirns sehr groß. Beim Neugeborenen findet man schon mehr Fett als beim Fötus, und der Fettgehalt scheint nach Bibra ziemlich rasch mit vorrückendem Alter zu steigen. Bei Tieren, die man hungern läßt, verliert das Gehirn nicht, wie andere Organe, einen Teil seines Fettgehalts, woraus hervorgeht, daß die Funktion des Gehirns einen bestimmten Fettgehalt mit Notwendigkeit fordert. Sehr kleine Tiergehirne (z.B. das vom Pferd, vom Ochsen) ergeben einen verhältnismäßig sehr großen Fettgehalt, so daß nach Bibra die Quantität durch die Qualität ausgeglichen zu werden scheint – ein Verhältnis, auf dessen Existenz auch noch manche andere Tatsachen mit Bestimmtheit hinweisen. Schloßberger fand das Gehirn eines neugeborenen Knaben viel wasserreicher und fettärmer als bei Erwachsenen. – Dasselbe Gesetz, welches uns die Betrachtung der Gehirnentwicklung durch die Tierreihe vor Augen stellt, zeigt uns die Entwicklungsgeschichte des Menschen selbst. Mit der allmählichen materiellen Entwicklung seines Gehirns steigt die geistige Befähigung des Menschen und sinkt wiederum rückwärts mit der allmählichen Rückbildung jenes materiellen Substrats im Alter. Nach den genauen Messungen des Engländers Peacock nimmt das Gewicht des menschlichen Gehirns stetig und sehr rasch zu bis zum 25. Lebensjahr, bleibt auf diesem Normalgewicht stehen bis zum 50. und nimmt von da an stetig ab. Nach Sims erreicht das Gehirn, welches an Masse bis zum 30. oder 40. Jahre wächst, erst zwischen dem 40. und 50. Lebensjahre das Maximum seines Volumens. Das Gehirn alter Leute wird atrophisch, d.h.[99] kleiner, es schrumpft, und es entstehen Hohlräume zwischen den einzelnen Gehirnwindungen, welche vorher fest aneinander lagen. Dabei wird die Substanz des Gehirns zäher, die Farbe graulicher, der Blutgehalt geringer, die Windungen schmäler, und die chemische Konstitution des Greisengehirns nähert sich nach Schloßberger wieder derjenigen der jüngsten Lebensperiode. Daß dementsprechend die Intelligenz mit zunehmendem Alter abnimmt, daß alte Leute kindisch werden, ist eine jedermann bekannte Tatsache. Der große Newton, dessen Geist wir die größten und folgereichsten Entdeckungen in den Naturwissenschaften verdanken, beschäftigte sich in seinem Alter mit dem Propheten Daniel und der Offenbarung des Johannes! Bei dem Kind entwickelt sich die Seele nur allmählich in dem Maße, als die materielle Organisation des Kindergehirns sich vervollkommnet. Die kindliche Gehirnsubstanz ist flüssiger, breiiger, wasserreicher, fettärmer als die der Erwachsenen; die Unterschiede zwischen grauer und weißer Substanz, die mikroskopischen Eigentümlichkeiten des Gehirns bilden sich erst allmählich erkennbar heraus; die am Erwachsenen sehr deutliche sogenannte Faserung des Gehirns ist im Kinderhirn nicht zu erkennen. Je deutlicher diese Faserung wird, um so bestimmter tritt auch die geistige Tätigkeit hervor. Die graue Substanz an der Oberfläche des Kindergehirns ist noch sehr wenig entwickelt, die Windungen sind niedrig und sparsam, der Blutgehalt gering. »Mit der allmählichen Entwicklung der Hemisphären», sagt Vogt, »bilden sich denn auch aus der ursprünglichen Stumpfheit allmählich die verschiedenen Seelentätigkeiten hervor.« – Es ist bekannt, wie das weibliche Geschlecht im allgemeinen eine geistige Inferiorität gegenüber dem männlichen behauptet.[100] Dementsprechend fand Peacock, daß das durchschnittliche Gewicht des männlichen Gehirns um ein Ziemliches größer ist als das des weiblichen. Das Durchschnittsgewicht des Gehirns beim Manne beträgt nach ihm 50, beim Weibe 44 Unzen (London journal of medic. 1851). Dasselbe Resultat ergeben die von Bibra mitgeteilten Untersuchungen von Hospitalarzt Geist in Nürnberg, welcher weiter ebenfalls eruierte, daß das Gehirn im höheren Alter an Gewicht bedeutend abnimmt. Dr. Hoffmann in Schlesien machte gleiche Wägungen und zog aus 60 bis 70 Beobachtungen das Resultat, daß das Gehirn der Weiber im Durchschnitt um etwa zwei Unzen leichter ist als das der Männer. Lauret maß die Köpfe von zweitausend Menschen; die gezogenen Durchschnitte ergaben, daß sowohl der Umfang als an verschiedenen Stellen genommene Durchmesser der Köpfe bei Weibern stets geringer sind als bei Männern. Dasselbe Gesetz offenbart sich bei einer Vergleichung menschlicher Gehirne untereinander nach dem Maßstab geistiger Höhe im gesunden wie im kranken Zustande. Während das ungefähre Normalgewicht eines menschlichen Gehirns 3 bis 3 1/2 Pfund beträgt, wog das Gehirn des berühmten und geistreichen Naturforschers Cuvier weit über vier Pfund. Tiedemann wog die Gehirne von drei erwachsenen Idioten (angeborener Blödsinn) und fand bei allen dreien das Gewicht zwischen ein und zwei Pfund schwankend. Nach Laurets Messungen blieben die Umfänge der Köpfe stumpfsinniger Menschen, sowohl bei Weibern als Männern, bedeutend unter dem Mittel der normalen Köpfe. Menschen, deren Kopf nicht 16 Zoll im Umfang besitzt, sind imbezill, schwachsinnig. Der berühmte Dichter Lenau ward wahnsinnig und starb im Blödsinn; sein durch Krankheit atrophisch gewordenes Gehirn[101] wog nur zwei Pfund und acht Unzen. Nach Parchappe steht die allmähliche Abnahme des Verstandes beim Wahnsinn im Zusammenhang mit einer allmählichen Abnahme des Gehirns. Er zog das Mittel aus 782 Fällen und beweist durch Zahlen die verhältnismäßige Gewichtsverringerung des Gehirns je nach der Tiefe der geistigen Störung (Comptes rendus du 31. Juillet 1848). – Hauner, Arzt am Kinderspital in München, sieht sich durch seine Erfahrungen berechtigt zu sagen: »Wir haben uns durch unsere bei allen Kindern seit Jahren genau angestellte Untersuchung des Schädels die Überzeugung verschafft, daß die abnorme Kleinheit der knöchernen Schädeldecke, wenn sie auch nicht immer Kretinismus und Idiotismus mit ihren Folgekrankheiten bedingt, doch meistens, wenn nicht dadurch die Grundlage zu einer bald tödlich werdenden Krankheit gelegt wird, zur Beschränktheit der geistigen Fähigkeiten führt, während bei abnormer Größe des Schädels eine so sichere geistige Störung viel seltener und häufig gar nicht beobachtet wird.« – Die ausgezeichneten und für die Entwicklung der physiologischen Wissenschaften so unendlich wichtig gewordenen Vivisektionen und Versuche von Flourens sind so beweisend für unser Gesetz, daß sie jeden Widerspruch niederzuschlagen geeignet sind. Flourens experimentierte an solchen Tieren, deren körperliche Verhältnisse sie zum Ertragen bedeutender Verletzungen des Schädels und Gehirns geschickt machen. Schichtweise trug er die oberen Teile des Gehirns nacheinander ab, und man sagt nicht zuviel, wenn man erzählt, daß damit zugleich schichtweise und nacheinander die geistigen Fähigkeiten der Tiere abnahmen und verschwanden. Flourens war imstande, Hühner durch diese Art der Behandlung in einen Zustand zu versetzen, in[102] welchem jede seelische Funktion, jede Fähigkeit, Sinneseindrücke zu empfinden, vollkommen erloschen war, und das Leben nichtsdestoweniger dabei fortbestand. Die Tiere blieben unbeweglich auf jeder Stelle sitzen, auf die man sie hinsetzte, reagierten auf keinen äußeren Reiz und wurden durch künstliche Fütterung erhalten; sie führten gewissermaßen das Leben einer Pflanze. Dabei blieben sie Monate und Jahre lang am Leben und nahmen an Gewicht und körperlicher Fülle zu. Welchen stärkeren Beweis für die Identität von Seele und Gehirn will man verlangen, als denjenigen, den das Messer des Anatomen liefert, indem es stückweise die Seele herunterschneidet? – Beinahe alle größeren Gebirgszüge beherbergen in tiefen und feuchten Tälern eine unglückliche Gattung von Menschen oder besser gesagt Halbmenschen, deren ganze Existenz mehr an das Tierische als an das Menschliche streift. Es sind widrige, schmutzige, verkrüppelte Wesen mit kleinem oder übermäßig großem Kopf, sehr entwickelten Freßwerkzeugen, schlechter, eckiger, affenähnlicher Schädelbildung, niederer, schmaler Stirn, dickem Bauch, schmächtigen Beinen, zur Erde gebeugter Haltung, sehr geringer Sensibilität, selten imstande, artikulierte Laute hervorzubringen, zu sprechen. Nur Eß- und Geschlechtslust, Verdauungs- und Fortpflanzungswerkzeuge sind bei ihnen entwickelt. Wer hätte noch nicht auf einer Gebirgsreise die Kretinen gesehen, wie sie stumpf und teilnahmlos, mit stierem Blick am Wege oder vor den Türen der Hütten kauern! Das Wesen dieser scheußlichen Abnormität des Menschengeschlechts besteht in einer meist angeborenen Verkümmerung des Gehirns. Eine von der sardinischen Regierung zu diesem Zwecke ernannte Kommission stattete einen sehr genauen und ausführlichen Bericht[103] über die Kretinen ab, welcher ergab, daß bei allen Kretinen eine fehlerhafte Bildung der Hirnschale und mangel- oder fehlerhafte Entwicklung des Gehirns vorhanden ist. »Das Gehirn«, sagt Förster (Lehrbuch der pathol. Anatomie), »ist bei Kretinismus stets in den großen Hemisphären kleiner als normal, der Schädel stets abnorm gestaltet, und zwar in verschiedenen Formen, die sich meist durch Kleinheit, Asymmetrie und Mißgestalt der Schädeldecke charakterisieren.« Dr. Knolz beobachtete, daß die Kretinen bis in ihr höchstes Alter Kinder bleiben und alles tun, was Kinder zu tun pflegen. »Indem ich die hervorstechendsten Züge der Entwicklung der Kretinen im einzelnen studierte«, sagt Baillarger, »fand ich u. a., daß die allgemeinen Formen des Körpers und der Glieder fortfuhren, diejenigen von sehr jungen Kindern zu sein, daß es sich ebenso verhielt bezüglich der Gelüste und Neigungen, welche diejenigen der Kindheit sind und bleiben.« – Die körperlichen und entsprechenden geistigen Differenzen zwischen den einzelnen Menschenrassen sind ihrer Natur nach zu allgemein bekannt, als daß es mehr als einer kurzen Hinweisung auf dieselben bedürfte. Wer hätte noch nicht in Abbildung oder Natur den zurückfliegenden, schmalen, in seinem ganzen Umfang kleinen, affenähnlichen Schädel eines Negers gesehen und ihn in Gedanken mit der edlen und ausgedehnten Schädelbildung des Kaukasiers verglichen! Wer wüßte nicht, welche angeborene geistige Inferiorität der schwarzen Rasse eigen ist und wie sie den Weißen gegenüber als Kind dasteht und immer dastehen wird. Das Gehirn des Negers ist viel kleiner als das des Europäers, überhaupt tierähnlicher; die Windungen desselben sind weniger zahlreich. Ein scharfblickender Berichterstatter in der Allgemeinen[104] Zeitung schildert die Neger in Sumatra sehr treffend ihrem ganzen geistigen Wesen und Charakter nach als »Kinder«. Graf Görtz (Reise um die Welt) erzählt von den Negern in Kuba: »Der Charakter derselben steht sehr tief, das moralische Gefühl ist bei ihnen ganz unentwickelt, alle ihre Handlungen gehen aus tierischem Trieb oder aus schlauer Berechnung des eigenen Vorteils hervor. Edelmut und Nachsicht der Weißen halten sie für Schwäche, Kraft imponiert ihnen und erregt ihren Haß, der tödlich werden würde, wenn sie nicht ihre Unmacht fühlten. Für sie ist die Peitsche die einzig wirksame Strafe. Sie lieben, Zwietracht zu stiften, sind diebisch und rachsüchtig, ohne religiöses Gefühl, aber dem rohesten Aberglauben ergeben, ihre Körper höchst entwickelt und kräftig, die Dicke des Schädels außerordentlich, die Zähne prächtig, die Beine schwach, sie verdauen wie Raubtiere usw.« »Ich habe es öfters versucht«, sagt Burmeister, »einen Blick in die Seele des Negers zu tun; aber niemals hat sich das der Mühe verlohnt, nur das Resultat war wertvoll, daß eben nicht viel geistiges Leben im Mohren stecke und sein ganzes Dichten und Trachten sich um Dinge drehe, die allein auf der unteren Stufe menschlicher Zustände sich bewegen.« Das Nämliche gilt von andern der kaukasischen Rasse nachstehenden Menschenrassen. Den Eingeborenen von Neuholland, welchen die höheren Teile des Gehirns fast fehlen, gehen alle intellektuelle Tüchtigkeit, jeder Sinn für Kunst und alle moralische Tüchtigkeit ab. Dasselbe gilt von den sogenannten Karaïben. Alle Versuche der Engländer, die Neuholländer zu entwildern, schlugen fehl.
Gehen wir von diesem kurzen Abriß anatomischer Tatsachen zu einigen physiologischen über, welche den notwendigen[105] und unzertrennlichen Zusammenhang von Gehirn und Seele dartun sollen. Durch daß Nervensystem, welches vom Gehirne ausstrahlt und gewissermaßen als der Vorsteher aller organischen Funktionen angesehen werden kann, beherrscht das Gehirn die ganze Masse des Organismus und läßt die Eindrücke, die es von außen empfängt, seien sie materieller oder geistiger Natur, wiederum nach den verschiedensten Punkten desselben zurückstrahlen. So ist dies namentlich als Wirkung der Gemütsbewegungen jeder Art bekannt genug. Wir erblassen vor Schreck, wir erglühen vor Zorn oder Scham. In der Freude erglänzt das Auge, der Puls wird schneller durch eine freudige Erregung. Schrecken verursacht plötzliche Ohnmachten, Ärger reichliche Gallenergüsse. Der bloße Gedanke an einen ekelerregenden Gegenstand kann augenblicklich Erbrechen erregen; der Anblick einer den Appetit reizenden Speise läßt die Absonderung des Speichels mit großer Schnelligkeit und in Menge vor sich gehen. Durch Gemütsaffekte verändert sich die Milch der Mutter in kurzer Zeit dergestalt, daß sie dem Kinde vom größten Schaden sein kann. Es ist eine interessante Erfahrung, daß geistige Arbeit nicht nur die Eßlust vermehrt, sondern auch nach Davys Messungen die tierische Wärme erhöht. Menschen von sanguinischem Temperamente leben kürzer und schneller als andere, weil die stärkere geistige Erregung des Nervensystems den Stoffwechsel beschleunigt und das Leben schneller verzehrt. Umgekehrt verhalten sich die Phlegmatiker. Kurzhalsige Menschen sind lebendig, leidenschaftlich, langhalsige gelassen, ruhig, weil bei den letzteren die Blutwelle, welche zum Gehirn dringt, weiter vom Herzen als dem Herde und der Ursache ihrer Bewegung entfernt ist als bei den ersteren. Parry vermochte[106] die Anfälle der Tobsucht durch eine Kompression der Halsschlagader zu unterdrücken. Mehr noch als bei dem Menschen schätzt man den Charakter der Tiere, so der Pferde und Hunde, nach der Länge ihres Halses. Großes geistiges Wissen und geistige Kraft üben auch wiederum einen ungemein kräftigenden und erhaltenden Einfluß auf den Körper, und Alibert führt es als eine konstante Beobachtung der Ärzte an, daß man unverhältnismäßig viel Greise unter den Gelehrten antrifft. Umgekehrt reflektieren sich nicht minder die verschiedensten körperlichen Zustände unmittelbar in der Psyche. Welchen mächtigen Einfluß hat bekanntlich die Absonderung der Galle auf Seelenstimmungen! Entartungen der Eierstöcke verursachen Satyriasis und Nymphomanie, Leiden der Sexualorgane, oft einen unbezähmbaren Trieb zum Morden oder zu sonstigen Verbrechen. Wie oft hängt Frömmelei mit Ausschweifungen in sinnlicher Liebe zusammen usw.
Endlich überhäuft uns die Pathologie mit einer Unmasse der eklatantesten Tatsachen und lehrt uns, daß kein bedeutenderes materielles Leiden der der Denkfunktion vorstehenden Partien des Gehirns ohne die entsprechenden Störungen der Psyche bestehen kann. Kommt ein solcher Fall mitunter dennoch vor, so ist die Sachlage so, daß die Entartung auf eine Gehirnhemisphäre ausschließlich beschränkt war, und die andere Hemisphäre für diese ersetzend fungierte. Eine Gehirnentzündung macht Irrwahn und Tobsucht, ein Blutaustritt in das Gehirn Betäubung und vollkommene Bewußtlosigkeit, ein andauernder Druck auf das Gehirn Verstandesschwäche, Blödsinn usw. Wer hätte noch nicht das traurige Bild eines an Gehirnwassersucht leidenden Kindes gesehen! Wahnsinnige sind immer gehirnleidend, und es bekennt[107] sich jetzt die überwiegende Mehrzahl aller Ärzte und Psychologen zu der Ansicht, daß allen psychischen Krankheiten eine körperliche Störung, namentlich des Gehirns, zugrunde liegen oder mit ihnen vergesellschaftet sein müsse, wenn auch die letztere bis jetzt unsrer sinnlichen Wahrnehmung wegen der Unvollkommenheit unserer diagnostischen Hilfsmittel nicht in allen Fällen erkennbar ist. Roman Fischer stellte die Resultate aus 318 im Prager Irrenhaus an Geisteskranken gemachten Sektionen zusammen. Unter diesen 318 Fällen fand man nur 32mal keine pathologischen Veränderungen im Gehirn und seinen Häuten, und nur in fünf Leichen fand man gar keine pathologischen Veränderungen überhaupt. (Das Buch erschien Luzern 1854.) Daß auch in diesen fünf Leichen materiell-pathologische Veränderungen, wenn auch nicht sichtbar, doch vorhanden waren, bezweifelt kein auf dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft angekommener Arzt. – Körperliche Angriffe oder Verletzungen des Gehirns bringen oft wunderbare psychische Effekte hervor. So wird glaubhaft erzählt, daß ein schwer am Kopf verletzter Mann im Thomas-Spital in London nach seiner Genesung eine fremde Sprache redete. Diese Sprache war seine Walliser Muttersprache, welche er früher in seiner Heimat gesprochen, aber in London seit 30 Jahren verlernt hatte. Die Tatsachen der Pathologie, welche unsern Satz unterstützen oder beweisen, sind so zahlreich und umfassend, daß man Bücher mit ihnen anfüllen könnte. Auch ist das Gewicht derselben von denkenden Männern nie verkannt worden und selbst der täglichsten und einfachsten Beobachtung zugänglich. »Wenn das Blut«, sagt Friedrich der Große in einem Briefe an Voltaire vom Jahre 1775, »mit zu großer Heftigkeit im Gehirn kreist, wie bei[108] Betrunkenen oder in hitzigen Fiebern, verwirrt es, verkehrt es die Ideen; wenn sich eine leichte Verstopfung in den Nerven des Gehirns bildet, veranlaßt sie den Wahnsinn; wenn ein Wassertropfen sich in der Hirnschale ausbreitet, folgt der Verlust des Gedächtnisses; wenn ein Tropfen aus den Gefäßen getretenen Blutes das Gehirn und die Verstandesnerven drückt, so haben wir die Ursache der Apoplexie usw.«
Es ist das Gesetz, daß Gehirn und Seele sich gegenseitig mit Notwendigkeit bedingen, ja, daß die räumliche Ausdehnung des ersten, sowie seine Form und materielle Beschaffenheit, in einem ganz bestimmten und geraden Verhältnis zu der Intensität der seelischen Funktionen steht, ein so strenges und unabweisbares, daß der Geist selbst wiederum den wesentlichsten Einfluß auf die Entwicklung und Fortbildung des ihm dienenden Organs übt, und daß das letztere unter einer vermehrten geistigen Tätigkeit an Kraft und Masse zunimmt, ganz in derselben Weise, wie ein Muskel durch Gebrauch und Übung wächst und erstarkt. Albers in Bonn erzählt, er habe die Gehirne von mehreren Personen seziert, welche seit mehreren Jahren geistig sehr viel gearbeitet hatten; bei allen fand er die Gehirnsubstanz sehr fest, die graue Substanz und die Gehirnwindungen auffallend entwickelt. Vergleichungen zwischen ausgegrabenen Schädeln aus der Vorzeit, zwischen den Statuen des Altertums und den Köpfen der jetzt lebenden menschlichen Generationen lassen kaum einen Zweifel über die interessante Tatsache, daß der Schädelbau der europäischen Menschheit im Laufe der historischen Zeit im großen und ganzen an Umfang nicht unbedeutend zugenommen hat. Der Abt Frère in Paris machte höchst interessante und wichtige Forschungen in dieser Richtung, aus denen hervorgeht, daß,[109] je älter und primitiver ein Menschentypus, desto entwickelter der Schädel in der Hinterhauptsgegend und desto flacher in der Stirngegend ist. Die Fortschritte der Zivilisation scheinen den Erfolg gehabt zu haben, die vordere Kopfgegend zu wölben, die hintere abzuflachen. Die reiche Sammlung des Abbé Frère zeigt die verschiedenen Phasen dieser Entwicklung. Im Angesicht solcher Tatsachen wird man es auch wohl nicht mehr für unmöglich halten dürfen, daß das Menschengeschlecht im Laufe eines achtzigtausendjährigen Alters sich aus rohen und selbst tierähnlichen Anfängen nach und nach zu seiner jetzigen Höhe entwickelt habe. Ein ganz ähnliches oder gleiches Resultat wie das obige ergibt uns eigentlich schon eine generelle Vergleichung der Schädelbildung bei den höheren und niederen Ständen unserer heutigen Gesellschaft selbst. Es ist eine tägliche Erfahrung der Hutmacher, daß die gebildeten Klassen durchschnittlich ungleich größerer Hüte bedürfen als die ungebildeten. Ebenso ist es eine ganz alltägliche Beobachtung und Erfahrung, daß man die Stirne und ihre seitlichen Teile bei den unteren Klassen weniger entwickelt sieht als bei den höheren. – Doch genug der Tatsachen; die ganze Anthropologie, die ganze Wissenschaft vom Menschen ist ein fortlaufender Beweis für die Zusammengehörigkeit von Gehirn und Seele, und alles Gefasel, welches die philosophischen Psychologen von der Selbständigkeit des menschlichen Geistes und von seiner Unabhängigkeit von seinem materiellen Substrat bis da vorgebracht haben, erscheint der Macht der Tatsachen gegenüber als völlig wertlos. Danach wird man auch keine Übertreibung finden in dem, was Friedreich, als Schriftsteller in dem Gebiet der Seelenkunde bekannt, über diesen Punkt äußert: »Kraft ist ohne materielles Substrat undenkbar.[110] Soll nun die Lebenskraft des Menschen als tätig erscheinen, so kann sie es nur durch das materielle Substrat, die Organe. So mannigfaltig nun diese Organe sind, ebenso mannigfaltig werden auch die tätigen Erscheinungen der Lebenskraft sein und verschieden je nach den verschiedenen Konstruktionen des materiellen Substrats. Somit ist die Seelenfunktion eine besondere Äußerungsweise der Lebenskraft, bedingt durch die eigentümliche Konstruktion der Gehirnmaterialität. Dieselbe Kraft, die durch den Magen verdaut, denkt durch das Gehirn usw.«
Man hat einen Gegengrund gegen die Einerleiheit von Gehirn und Seele geltend zu machen geglaubt, indem man auf die materielle Einfachheit der Denkorgane sowohl in Form als Zusammensetzung hinwies. Das Gehirn, sagte man, bildet seinem größten Teile nach eine gleichmäßige, weiche Masse, die sich weder durch eine besonders komplizierte Struktur oder feine Formen noch durch besondere chemische Zusammensetzung auszeichnet. Wie wäre es danach möglich, fuhr man fort, daß diese gleichmäßige, einfache Materie alleiniger Grund und Ursache einer so unendlich feinen und komplizierten geistigen Maschinerie sein solle, wie sie uns die tierische und menschliche Seele darstellt. Offenbar, sagte man, ist der Zusammenhang beider nur ein sehr loser, fast zufälliger; unendlich komplizierte Kräfte können auch nur unendlich komplizierten Stoffen ihre Entstehung verdanken. Daher existiert die Seele für sich, unabhängig von irdischen Stoffen, und ist nur zufällig und auf kurze Zeit mit dem stofflichen Komplex verbunden, welchen wir Gehirn nennen. – Dieser ganze auf den ersten Anblick sehr gegründete Einwand beruht vor allem auf unrichtigen Prämissen. Allerdings muß die Theorie, welche die Seele als Produkt[111] stofflicher Komplexe ansieht, zugeben, daß Ursache und Wirkung im Verhältnisse stehen müssen, und daß komplizierte Effekte bis zu einem gewissen Grade auch komplizierte Stoffverbindungen voraussetzen. In der Tat ist uns nun aber auch in der ganzen organischen Welt kein Gebilde bekannt, welches zärtere und wunderbarere Formen, feinere und eigentümlichere Struktur und endlich wahrscheinlich auch eine merkwürdigere chemische Zusammensetzung besäße als gerade das Gehirn. Nur eine oberflächliche und kenntnislose Betrachtung desselben konnte diesen Umstand verkennen. Leider sind gerade in dieser Richtung unsere Kenntnisse noch äußerst mangelhaft und dürftig. Doch wissen wir vor allen Dingen so viel, daß das Gehirn keine gleichförmige Masse bildet, sondern seinem größten Teile nach aus höchst feinen, höchst zarten und eigentümlich konstruierten, hohlen, mit einem öligen und der Gerinnung fähigen Inhalt versehenen Fädchen oder Zylinderchen, sogenannte Primitivfasern, von der Breite des tausendsten Teils einer Linie besteht, und daß diese Fädchen untereinander höchst eigentümliche Verschlingungen und Durchkreuzungen eingehen. Diese sogenannten Faserzüge des Gehirns hat man wegen der großen Schwierigkeiten, welche die Gehirnmasse für makroskopische und mikroskopische Untersuchungen darbietet, bis jetzt nur zum allerkleinsten Teile verfolgen können, und die feinere Anatomie des Gehirns ist deswegen leider noch eine terra ignota. Weiter zeigt uns die gröbere Anatomie desselben in den tieferen Teilen des Gehirns eine Menge wunderbarer, sonderbar verschlungener äußerer Formen, deren Deutung ebenfalls bis jetzt noch vollkommen rätselhaft ist; und auf seiner Oberfläche eine Reihe sonderbarer, tief einschneidender Windungen, in denen sich die beiden Hauptsubstanzen[112] des Gehirns, die graue und weiße, mit einer großen Menge von Berührungspunkten begegnen und deren genauere Beschaffenheit und Bildung nach vergleichend anatomischen Untersuchungen ebenfalls in einer bestimmten, wenn auch des Näheren noch unbekannten Beziehung zu den seelischen Funktionen stehen muß. Die sogenannten Ganglienkugeln, das zweite histologische Element der Nervenmasse, welche sich namentlich in der grauen Substanz des Gehirns und Rückenmarks vorfinden, zeigen gleichfalls manche Eigentümlichkeiten und Verschiedenheiten des Baues. Sie sind teils von Primitivfasern umgeben, teils brückenartig durch dieselben verbunden, teils scheinen solche aus ihnen zu entspringen usw. – Es gibt kein anderes tierisches Organ, welches auch nur annähernd an Feinheit und Abwechslung der Form dem Gehirn gleichkäme. Ausnehmen könnte man höchstens die Sinnesorgane, welche aber selbst wieder nur als Ausläufer des Zentralnervensystems, des Gehirns, anzusehen sind. Endlich ist das Gehirn unter allen Organen erfahrungsgemäß dasjenige, welches das meiste Blut vom Herzen erhält, und in welchem also der Stoffwechsel am schnellsten und regsten vor sich geht. Auch sind dementsprechend die anatomischen Anordnungen der Blutgefäße des Gehirns sehr eigentümliche und komplizierte. Zuletzt versichern uns die Chemiker, daß die chemische Zusammensetzung des Gehirns keine so einfache sei, als man bisher glaubte, sondern daß in demselben höchst eigentümlich konstituierte chemische Körper vorkommen, deren genauere chemische Natur noch nicht erkannt ist, und welche sich in keinem andern organischen Gewebe in derselben Weise wiederfinden; so das Cerebrin und Lezithin. Ja, man versichert uns, daß die chemische Konstitution der Nerven- und[113] namentlich der Gehirnmasse nicht, wie dies bei den übrigen organischen Geweben der Fall ist, überall dieselbe, sondern im Gegenteil an verschiedenen Punkten eine wesentlich verschiedene sei, und daß es danach scheinen müsse, als ob namentlich das Gehirn aus mehreren oder vielen chemisch verschieden zusammengesetzten Organen bestehe! Welche eigentümliche Rolle die Gehirnfette zu spielen scheinen, haben wir bereits im Eingange dieses Kapitels angedeutet. Nicht minder ist der Phosphor von der höchsten Bedeutung für die chemische Konstitution des Gehirns, und das Geschrei, welches über Moleschotts bekannten Ausspruch: »Ohne Phosphor kein Gedanke!« erhoben wurde, beweist nur für die Kenntnislosigkeit und wissenschaftliche Borniertheit der Schreier. – Also scheint die anatomische und chemische Materialität des Gehirns, so unvollkommen auch dieselbe noch bekannt ist, doch schon an sich in keiner Weise geeignet, einen gültigen Einwand gegen die ausgesprochene Ansicht der Einerleiheit von Geist und Stoff begründen zu können. Weiter kommt indessen hierbei noch der folgende wichtige Gesichtspunkt in Betracht, welcher uns beruhigen könnte, selbst wenn die Einfachheit der Gehirnmaterialität im Widerspruch mit ihren Leistungen zu stehen schiene. Die Natur versteht es, mit oft äußerst geringen oder einfachen stofflichen Mitteln Großes und mit denselben Mitteln sehr Verschiedenes zu leisten, je nachdem sie die mechanische Anordnung der feinsten Teilchen gewisser Stoffe so oder so einrichtet. Die sogenannten isomeren Körper sind Körper von vollkommen gleicher chemischer Zusammensetzung, oft sogar von derselben Kristallisationsform, welche dennoch sehr verschiedene Eigenschaften und ein sehr verschiedenes Verhalten gegen andere Stoffe zeigen. So gibt es unter den sogenannten[114] Alkaloiden, kristallisationsfähigen Pflanzenstoffen von meist starker, giftiger Wirkung, einige, welche in ihrer Zusammensetzung eine vollkommene chemische Gleichheit besitzen, dennoch aber auf den tierischen Organismus so äußerst verschiedene Wirkungen äußern, daß sie geradezu als Gegengifte angesehen werden. Genauere Untersuchungen über die Lichtbrechungsfähigkeit der isomeren Körper haben uns unzweifelhaft darüber belehrt, daß ihre Atome in verschiedener Weise gegeneinander gelagert sein müssen, und daß diese Verschiedenheit der feinsten stofflichen Lagerung die Verschiedenheit in ihren Eigenschaften hervorbringt. Wenn so kleine und unscheinbare Ursachen eine so hochgradige Verschiedenheit der Effekte hervorzubringen imstande sind, wie sollte man es für unmöglich halten dürfen, daß ähnliches auch auf das Verhältnis von Gehirn und Seele influiere! So sind die Ganglienkugeln der Hirnrinde, welche ohne Zweifel bei den psychischen Vorgängen beteiligt sind, anatomisch nicht von denen zu unterscheiden, welche in den Ganglien des Unterleibs liegen; dennoch muß und kann es möglich sein, daß dieselben sehr verschiedene Wirkungen entfalten. Die sogenannten Kontagien (Ansteckungsstoffe gewisser Krankheiten) beruhen ohne Zweifel auf ganz bestimmten materiellen Verhältnissen derjenigen organischen Stoffe, welche ihnen als Träger dienen; dennoch war weder Chemie noch Mikroskop bis jetzt imstande, diese Verhältnisse aufzuklären und z.B. einen mit einem spezifischen Kontagium geschwängerten Eiter von einem gewöhnlichen Produkt dieser Art zu unterscheiden. Man denke hierbei auch noch an die merkwürdige Tatsache der Vererbung geistiger oder körperlicher Eigentümlichkeiten, Krankheits- oder Charakteranlagen von Eltern auf Kinder, Vererbungen, welche auch[115] unter Umständen vorkommen, wo von Einflüssen der Erziehung, des Zusammenseins usw. nicht die Rede sein kann. Wie außerordentlich, oft beinahe verschwindend klein ist die Menge materieller Substanz, welche vom Vater zur Zeugung des kindlichen Keimes geliefert wird, einer Substanz, welche für unsere diagnostischen Hilfsmittel überall gleiche Form und Zusammensetzung zeigt. Dennoch sieht das Kind dem Vater ähnlich und zeigt körperliche oder geistige Eigentümlichkeiten des Vaters. Unendlich sein und unsern Sinnen vorerst gänzlich unzugänglich müssen hier die molekulären Verhältnisse jener unbedeutenden Stoffmenge sein, die als Träger zukünftiger geistiger oder körperlicher Anlagen auftritt! Unter solchen Umständen haben wir kein Recht, dem Stoff zu mißtrauen und ihm die Möglichkeit wunderbarer Effekte abzusprechen, auch wenn seine Form oder Zusammensetzung anscheinend nicht allzu kompliziert sind. Im allgemeinen mag allerdings die Regel gelten, daß je künstlicher, je verwickelter, je vielfacher sich die Stoffe untereinander kombinieren, um so rätselhafter und geistiger die Resultate vor uns treten, welche daraus hervorgehen. Unter diesen beiden Gesichtspunkten und im Hinblick auf die angeführten Tatsachen wird es uns nicht schwer werden, die so oft geleugnete Möglichkeit einzusehen, daß die Seele Produkt einer eigentümlichen Zusammensetzung der Materie sei. Wir staunen den Effekt nur darum an, weil uns nicht alle seine Triebfedern mit einem Male und im Zusammenhang vor Augen liegen. Kommt uns nicht eine daherbrausende Lokomotive oft wie ein belebtes, mit Verstand und Überlegung ausgerüstetes Wesen vor? Reden nicht die Dichter von einem Dampfroß, von einem Feuerroß? Die eigentümliche Kombination von Stoffen und Kräften läßt[116] uns unwillkürlich Leben in der Maschine erblicken. Eine Uhr, ebenfalls ein mechanisches Werk der Menschenhand, hat, wie man zu sagen pflegt, ihren eignen Kopf; sie geht, sie steht oft in einer Weise, daß es uns erscheint, als handle sie willkürlich. Wie unendlich roh und einfach aber ist die Kombination von Stoffen und Kräften in diesen Maschinen im Vergleich zu der verwickelten mechanischen und chemischen Komposition des tierischen Organismus! Der Vergleich mag in mancher Beziehung hinken und soll auch nichts beweisen; er mag uns vielleicht nur ahnen lassen, wie die Vorstellung, die Seele erzeuge sich aus materiellen Kombinationen, möglich werden kann. Für das Wesen unserer Frage kann es uns indessen vollkommen einerlei sein, auf welche innere Weise ein solches Verhältnis überhaupt möglich wird; es ist genug, durch Tatsachen die Unzertrennlichkeit von Geist und Stoff, von Seele und Körper nachgewiesen zu haben. Dieses Gesetz ist ein solches, welches keine Ausnahmen erleidet und durch die ganze Tierwelt gleichmäßig seine Anwendung findet. Das kleinste Infusionstierchen zeigt Empfindung und Willen, somit geistige Funktion. Ein Sonnenstrahl vertrocknet seinen Leib und läßt es damit sterben, d.h. den Effekt seiner körperlichen Organisation, welche Wasser zu ihrer Erhaltung bedarf, verschwinden. In diesem Zustand kann es jahrelang verbleiben, bis ein zufällig einfallender Tropfen Wasser mit der Beweglichkeit und Lebensfähigkeit der Materie auch jenen ganzen Geist wieder aufweckt, welcher erstorben schien; das Tier lebt von neuem, wie vordem, um vielleicht dasselbe Schicksal bald noch einmal durchzumachen. Was soll das nun für eine Seele sein, welche selbständig und unabhängig von der Materie lebt und wirkt! Wo war sie, als die Materie im Todesschlafe lag?[117]
Über diese gewaltige und mit lauten Zungen redende Tatsache haben die Philosophen und Psychologen auf sehr verschiedene Weise hinauszukommen versucht – wie es uns scheint, jedesmal mit unglücklichem Erfolge. Einige suchten sich damit zu helfen, daß sie zwar das faktische Verhältnis der Zusammengehörigkeit von Seele und Stoff anerkannten, aber den Menschen als ein vorzugsweis geistiges Wesen bezeichneten, dessen leibliches Wesen gewissermaßen nur als ein mehr untergeordnetes Anhängsel der Seele betrachtet werden dürfe. Mit solchen Redensarten, welche die Klarheit der Frage in einem halben Nebel zu begraben denken, ist nicht das mindeste im Interesse ihrer Erfinder gewonnen. Das Verhältnis von Seele und Leib ist im ganzen ein ziemlich fest bestimmtes, und wenn es einmal scheint, als überwiege der Geist, ein anderes Mal, als überwiege die Materie, so sind solche Unterschiede hauptsächlich nur als individuelle anzusehen. Bei dem einen Menschen überwiegt die geistige, bei dem andern die leibliche Natur; den einen könnte man den Göttern, den andern den Tieren vergleichen. Vom Tier bis zum höchstgebildeten Menschen zieht sich eine ununterbrochene Stufenleiter geistiger Qualitäten. Stets aber bedingen sich diese beiden Naturen dergestalt, daß eine direkte Vergleichung zwischen beiden eigentlich gar nicht vorgenommen, sondern nur behauptet werden kann, sie seien unzertrennlich. Welche inneren Widersprüche und Unlöslichkeiten dabei der innere Dualismus und die äußere unlösliche Aneinanderkettung von Geist und Materie dem Bewußtsein des Einzelnen mit sich zu führen scheinen, kann uns bei dieser rein faktischen Frage natürlich nicht weiter bekümmern.
Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;[118]
Die eine hält, in derber Liebesluft,
Sich an die Welt mit klammernden Organen,
Die andre reißt gewaltsam sich vom Duft
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
Der obige Aufsatz war bereits ganz vollendet, als uns ein Bericht über einen in der letzten Naturforscherversammlung in Göttingen durch Herrn Professor Huschke gehaltenen Vortrag zukam, aus dem hervorgeht, daß derselbe durch ausgedehnte und fleißige Untersuchungen das nähere Verhältnis der oben besprochenen sogenannten Windungen des Gehirns zu den seelischen Funktionen genauer erforscht hat. Je mehr sich diese Windungen schlängeln, je tiefere Furchen sie zwischen sich lassen, je mehr Eindrücke und Äste sie haben, je unsymmetrischer und scheinbar regelloser ihr Bau ist, desto vollkommener und geistig höher stehend fand Huschke eine Tierspezies. In der Tat eine treffliche nachträgliche Bestätigung unserer oben ausgesprochenen Ansichten und Ausführungen![119]
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