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[5] Tres physici, duo athei
»Die Kraft ist kein stoßender Gott, kein von der stofflichen Grundlage getrenntes Wesen der Dinge. Sie ist des Stoffes unzertrennliche, ihm von Ewigkeit innenwohnende Eigenschaft.« – »Eine Kraft, die nicht an den Stoff gebunden wäre, die frei über dem Stoffe schwebte, ist eine ganz leere Vorstellung. Dem Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, dem Schwefel und Phosphor wohnen ihre Eigenschaften von Ewigkeit bei.« (Moleschott.)
»Geht man auf den Grund, so erkennt man bald, daß es weder Kräfte noch Materie gibt. Beides sind von verschiedenen Standpunkten aus aufgenommene Abstraktionen der Dinge, wie sie sind. Sie ergänzen einander und sie setzen einander voraus. Vereinzelt haben sie keinen Bestand usw.« »Die Materie ist nicht wie ein Fuhrwerk, davor die Kräfte, als Pferde, nun angespannt, dann abgeschirrt werden können. Ein Eisenteilchen ist und bleibt zuverlässig dasselbe Ding, gleichviel ob es im Meteorsteine den Weltkreis durchzieht, im Dampfwagenrade auf den Schienen dahinschmettert oder in der Blutzelle durch die Schläfe eines Dichters rinnt. – Diese Eigenschaften sind von Ewigkeit, sie sind unveräußerlich, unübertragbar.« (Dubois-Reymomd.) »Aus Nichts kann keine Kraft entstehen.« (Liebig.)
»Nichts in der Welt berechtigt uns, die Existenz von Kräften an und für sich, ohne Körper, von denen sie ausgehen und auf die sie wirken, vorauszusetzen.« (Cotta.)[5]
Mit diesen Worten anerkannter Naturforscher leiten wir ein Kapital ein, welches an eine der einfachsten und folgewichtigsten, aber vielleicht gerade darum noch am wenigsten bekannten und anerkannten Wahrheiten erinnern soll. Keine Kraft ohne Stoff – kein Stoff ohne Kraft! Eines für sich ist so wenig denkbar als das andere für sich; auseinander genommen zerfallen beide in leere Abstraktionen. Man denke sich eine Materie ohne Kraft, die kleinsten Teilchen, aus denen ein Körper besteht, ohne jenes System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung, welches sie zusammenhält und dem Körper Form und Gestaltung verleiht, man denke die sogenannte Kohäsionskraft hinweggenommen, was würde und müßte die Folge sein? Die Materie müßte augenblicklich in ein formloses Nichts zerfallen. In der sinnlichen Welt kennen wir ein Beispiel irgendeines Stoffteilchens, das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittels dieser Kräfte spielt es die ihm zugewiesene Rolle bald in dieser, bald in jener Gestaltung, bald in Verbindung mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen Stoffteilchen. Aber auch ideell sind wir in keiner Weise imstande, uns eine Vorstellung einer kraftlosen Materie zu machen. Denken wir uns einen Urstoff, wie wir wollen, immer müßte ein System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung zwischen seinen kleinsten Teilchen stattfinden; ohne dasselbe müßten sie sich selbst aufheben und spurlos im Weltenraume verschwimmen. »Ein Ding ohne Eigenschaften ist ein Unding, weder vernunftgemäß denkbar noch erfahrungsgemäß in der Natur vorhanden.« (Droßbach.) – Ebenso leer und haltlos ist der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Indem es ein ausnahmsloses Gesetz ist, daß eine Kraft nur an einem Stoff in die Erscheinung treten kann, folgt daraus, daß[6] Kraft nichts weiter sein kann und nicht anders definiert werden darf, denn als eine Eigenschaft der Materie, als eine »unzertrennliche, ihr von Ewigkeit innewohnenede Eigenschaft.« Deswegen lassen sich auch, wie Mulder richtig auseinandersetzt, Kräfte nicht mitteilen, sondern nur wecken. Magnetismus kann nicht, wie es wohl scheinen möchte, übertragen, sondern nur hervorgerufen, aufgeschlossen werden dadurch, daß wir die Aggregatzustände seines Mediums ändern. Die magnetischen Kräfte haften an den Molekülen des Eisens, und sie sind z.B. an einem Magnetstabe gerade da am stärksten, wo sie nach außen am wenigsten oder gar nicht bemerkbar werden, d.h. in der Mitte. Man denke sich eine Elektrizität, einen Magnetismus ohne das Eisen oder ohne jene Körper, an denen wir die Erscheinungsweisen dieser Kräfte beobachtet haben, ohne jene Stoffteilchen, deren gegenseitiges molekuläres Verhalten eben die Ursache dieser Erscheinungen abgibt; es würde uns nichts bleiben als ein formloser Begriff, eine leere Abstraktion, der wir nur darum einen eigenen Namen gegeben haben, um uns besser über diesen Begriff verständigen zu können. Hätte es nie Stoffteilchen gegeben, die in einen elektrischen Zustand versetzt werden können, so würde es auch nie Elektrizität gegeben haben, und wir würden mit alleiniger Hilfe der Abstraktion niemals imstande gewesen sein, die geringste Kenntnis oder Ahnung von Elektrizität zu erlangen. Ja, man muß sagen, sie würde ohne diese Teilchen nie existiert haben! Darum definieren die genannten Forscher mit Recht die Kraft als eine bloße Eigenschaft des Stoffs. Es kann eine Kraft so wenig ohne einen Stoff existieren, als ein Sehen ohne einen Sehapparat,[7] als ein Denken ohne einen Denkapparat. »Es ist nie jemanden eingefallen, sagt Vogt, zu behaupten, daß die Absonderungsfähigkeit getrennt von der Drüse, die Zusammenziehungsfähigkeit getrennt von der Muskelfaser existieren könne. Die Absurdität einer solchen Idee ist so auffallend, daß man nicht einmal den Mut hatte, bei den genannten Organen an dieselbe zu denken.« Von je konnte uns nichts anderes über die Existenz einer Kraft Aufschluß geben als die Veränderungen, die wir an der Materie sinnlich wahrnahmen und die wir, indem wir sie nach ihren Ähnlichkeiten unter bestimmten Namen subsummierten, mit dem Worte »Kräfte« bezeichneten; jede Kenntnis von ihnen auf anderem Wege ist eine Unmöglichkeit.
Welche allgemeine Konsequenz läßt sich aus dieser Erkenntnis ziehen?
Daß diejenigen, welche von einer Schöpferkraft reden, welche die Welt aus sich selbst oder aus dem Nichts hervorgebracht haben soll, mit dem ersten und einfachsten Grundsatze philosophischer und auf Emipirie gegründeter Naturbetrachtung unbekannt sind. Wie hätte eine Kraft existieren können, welche nicht an dem Stoffe selbst in die Erscheinung tritt, sondern denselben willkürlich und nach individuellen Rücksichten beherrscht? – Ebensowenig konnten sich gesondert vorhandene Kräfte in die form- und gesetzlose Materie übertragen und auf diese Weise die Welt erzeugen. Denn wir haben gesehen, daß eine getrennte Existenz dieser beiden zu den Unmöglichkeiten gehört. Daß die Welt nicht aus dem Nichts entstehen konnte, wird uns eine spätere Betrachtung lehren, welche von der Unsterblichkeit des Stoffs handelt. Ein Nichts ist nicht bloß ein logisches, sondern auch ein empirisches Unding. Die Welt oder der Stoff[8] mit seinen Eigenschaften, die wir Kräfte nennen, mußten von Ewigkeit sein und werden in Ewigkeit sein müssen – mit einem Worte: die Welt kann nicht geschaffen sein. Freilich ist der Begriff »Ewig« ein solcher, der sich schwer mit unsern endlichen Verstandeskräften zu vertragen scheint; nichtsdestoweniger können wir diese Vorstellung nicht abweisen. In wie vielen anderen Beziehungen noch die Vorstellung einer individuellen Schöpferkraft an Absurditäten leidet, werden wir im Verlaufe unserer späteren Betrachtungen einigemal gewahr werden. Daß die Welt nicht regiert wird, wie man sich hin und wieder auszudrücken pflegt, sondern daß sie Bewegungen des Stoffs einer vollkommenen und in ihm selbst begründeten Naturnotwendigkeit gehorchen, von der es keine Ausnahme gibt – welcher Gebildete, namentlich aber welcher mit den Erwerbungen der Naturwissenschaften auch nur oberflächlich Vertraute wollte an dieser Wahrheit zweifeln? Daß aber eine Kraft – um einmal diesen Ausdruck in abstracto zu gebrauchen – nur dann eine Kraft sein, nur dann existieren kann, wenn und solange sie sich in Tätigkeit befindet – dürfte nicht minder klar sein. Wollte man sich also eine Schöpferkraft, eine absolute Potenz – einerlei, welchen Namen man ihr gibt – als die Ursache der Welt denken, so müßte man, den Begriff der Zeit auf sie anwendend, von ihr sagen, daß sie weder vor noch nach der Schöpfung sein konnte. Vorher konnte sie nicht sein, da sich der Begriff einer solchen Kraft mit der Idee des Nichts oder des Untätigseins nicht vertragen kann. Eine Schöpferkraft konnte nicht sein, ohne zu schaffen; man müßte sich denn vorstellen, sie habe sich in vollkommener Ruhe und Trägheit dem form- und bewegungslosen Stoff gegenüber eine Zeitlang untätig verhalten[9] – eine Vorstellung, deren Unmöglichkeit wir bereits oben nachgewiesen zu haben glauben. Eine ruhende, untätige Schöpferkraft würde eine ebenso leere und haltlose Abstraktion sein, als die einer Kraft ohne Stoff überhaupt. Nachher konnte oder kann sie nicht sein, da wiederum Ruhe und Tatenlosigkeit mit dem Begriffe einer solchen Kraft unverträglich sind und sie selber negieren würden. Die Bewegung des Stoffs folgt allein den Gesetzen, welche in ihm selber tätig sind, und die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen und mannigfaltigen, zufälligen oder notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander. Nie und nirgends, in keiner Zeit, und nicht bis in die entferntesten Räume hinein, zu denen unser Fernrohr dringt, konnte eine Tatsache konstatiert werden, welche eine Ausnahme von dieser Regel bedingen, welche die Annahme einer unmittelbar und außer den Dingen wirkenden selbständigen Kraft notwendig machen würde. Eine Kraft aber, die sich nicht äußert, kann nicht existieren. Dieselbe in ewiger, in sich selbstzufriedener Ruhe oder innerer Selbstanschauung versunken vorzustellen – läuft eben wiederum auf eine leere und willkürliche Abstraktion ohne empirische Basis hinaus. So bliebe nur eine dritte Möglichkeit übrig, d.h. die ebenso sonderbare als unnötige Vorstellung, es sei die Schöpferkraft plötzlich und ohne bekannte Veranlassung aus dem Nichts emporgetaucht, habe die Welt geschaffen (woraus?) und sei mit dem Moment der Vollendung wieder in sich selbst versunken, habe sich gewissermaßen an die Welt dahingegeben, sich selbst in dem All aufgelöst. Philosophen und Nichtphilosophen haben von je diese Vorstellung, namentlich den letzteren Teil derselben, mit Vorliebe behandelt,[10] weil sie auf diese Weise die allzu unbestreitbare Tatsache einer einmal festgesetzten und unabänderlichen Weltordnung mit dem Glauben an ein individuelles, schaffendes Prinzip vereinigen zu können glaubten. Auch alle religiösen Vorstellungen lehnen mehr oder weniger an diese Idee an, nur mit dem Unterschiede, daß sie den Weltgeist nach der Schöpfung zwar ruhend, aber doch als Individuum, das seine gegebenen Gesetze jederzeit wieder aufheben kann, denken. Es können uns diese Vorstellungen nicht weiter beschäftigen, da sie keine philosophische Denkweise befolgen, sondern individuell-menschliche Eigenschaften und Unvollkommenheiten auf absolute Begriffe übertragen. Was demnach die letztgenannte Vorstellungsweise in ihrer philosophischen Bedeutung anlangt, so hieße es Eulen nach Athen tragen, wollten wir uns bemühen, ihre Halt- und Nutzlosigkeit darzutun. Schon die Anwendung des endlichen Zeitbegriffs auf die Schöpferkraft enthält eine Ungereimtheit; eine noch größere ihre Entstehung aus dem Nichts. »Aus Nichts kann keine Kraft entstehen«, sagt Liebig. Wenn aber die Schöpferkraft nicht vor Entstehung der Dinge da sein konnte, wenn sie nicht nach derselben sein kann, wenn es endlich nicht denkbar ist, daß sie nur eine momentane Existenz besaß; wenn der Stoff unsterblich ist, wenn es keinen Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff gibt – dann mag uns wohl kein Zweifel darüber bleiben dürfen, daß die Welt nicht erschaffen sein kann, daß sie ewig ist. Was nicht getrennt werden kann, konnte auch niemals getrennt bestehen! Was nicht vernichtet werden kann, konnte auch nicht geschaffen werden! »Die Materie ist unerschaffbar, wie sie unzerstörbar ist« (Vogt).[11]
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