Unsterblichkeit des Stoffs

[12] »Du betest einen Gott an, der am Kreuze gestorben ist, aber ich bete die Sonne an, die nie stirbt.«

Peruanischer Inka zu einem Missionar.


»Der große Cäsar, tot und Lehm geworden,

Verklebt ein Loch wohl vor dem rauhen Norden.

O daß die Erde, der die Welt gebebt,

Vor Wind und Wetter eine Wand verklebt!«


Mit diesen tiefempfundenen Worten deutete der große Brite schon vor 300 Jahren eine Wahrheit an, welche trotz ihrer Klarheit und Einfachheit, trotz ihrer Unbestreitbarkeit heutzutage noch nicht einmal unter unseren Naturforschern zur allgemeinen Erkenntnis gekommen zu sein scheint. Der Stoff ist unsterblich, unvernichtbar, kein Stäubchen im Weltall, noch so klein oder so groß, kann verlorengehen, keines hinzukommen. Nicht das kleinste Atom können wir uns hinweg- oder hinzudenken, oder wir müßten zugeben, daß die Welt dadurch in Verwirrung gesetzt werden würde; die Gesetze der Gravitation müßten eine Störung erleiden, das notwendige und unverrückbare Gleichgewicht der Stoffe müßte Not leiden. Es ist das große Verdienst der Chemie in den letzten Jahrzehnten, uns aufs klarste und unzweideutigste darüber belehrt zu haben, daß die ununterbrochene Verwandlung der Dinge, welche wir täglich vor sich gehen sehen, das Entstehen und Vergehen organischer oder unorganischer Formen und Bildungen nicht auf einem Entstehen und Vergehen vorher nicht dagewesenen Stoffes beruhen, wie man wohl in früheren Zeiten ziemlich[12] allgemein glaubte; sondern daß diese Verwandlung in nichts anderem besteht, als in der beständigen und unausgesetzten Metamorphosierung derselben Grundstoffe, deren Menge und Qualität an sich stets dieselbe und für alle Zeiten unabänderliche bleibt. Mit Hilfe der Waage ist man dem Stoffe auf seinen vielfachen und verwickelten Wegen gefolgt und hat ihn überall in derselben Menge aus irgendeiner Verbindung wieder austreten sehen, in der man ihn eintreten sah. Die Berechnungen, die seitdem auf dieses Gesetz gegründet worden sind, haben sich, überall als vollkommen richtig erwiesen. Wir verbrennen ein Holz, und es scheint auf den ersten Anblick, als müßten seine Bestandteile in Feuer und Rauch aufgegangen, verzehrt worden sein. Die Waage des Chemikers dagegen lehrt, daß nicht nur nichts von dem Gewicht jenes Holzes verloren worden, sondern daß dasselbe im Gegenteil vermehrt worden ist; sie zeigt, daß die aufgefangenen und gewogenen Produkte nicht nur genau alle diejenigen Stoffe wieder enthalten, aus denen das Holz vordem bestanden hat, wenn auch in anderer Form und Zusammensetzung, sondern daß in ihnen auch diejenigen Stoffe enthalten sind, welche die Bestandteile des Holzes bei der Verbrennung aus der Luft an sich gezogen haben. Mit einem Wort, das Holz hat bei der Verbrennung sein Gewicht nicht vermindert, sondern vermehrt. »Der Kohlenstoff, der in dem Holze war«, sagt Vogt, »ist unvergänglich, er ist ewig und ebenso unzerstörbar als der Wasserstoff und Sauerstoff, mit welchem er verbunden in dem Holze bestand. Diese Verbindung und die Form, in welcher sie auftrat, ist zerstörbar, die Materie hingegen niemals.« – Mit jedem Hauch, der aus unserm Munde geht, atmen wir einen Teil der Speisen aus, die[13] wir genießen, des Wassers, das wir trinken. Wir verwandeln uns so rasch, daß man wohl annehmen kann, daß wir in einem Zeitraum von vier Wochen stofflich ganz andere und neue Wesen sind; die Atome wechseln, nur die Art der Zusammensetzung bleibt dieselbe. Diese Atome selbst aber sind an sich unveränderlich, unzerstörbar, heute, in dieser, morgen in jener Verbindung bilden sie durch die Verschiedenartigkeit ihres Zusammentritts die unzählig verschiedenen Gestalten, in denen der Stoff unseren Sinnen entgegentritt, in einem ewigen und unaufhaltsamen Wechsel und Fluß dahineilend. Dabei bleibt die Menge der Atome eines einfachen Grundstoffes im großen ganzen unveränderlich dieselbe; kein einziges Stoffteilchen kann sich neu bilden, keines, das einmal vorhanden, aus dem Dasein verschwinden. Die Beispiele und Beweise hierfür ließen sich in Menge beibringen. Es genüge, zu bemerken, daß die Wanderungen und Wandlungen, welche der Stoff im Sein des Alls durchläuft und welchen der Mensch zum Teil mit Waage und Maß in der Hand gefolgt ist, millionen- und abermillionenfach, daß sie ohne Ziel und Ende sind. Auflösung und Zeugung, Zerfall und Neugestaltung reichen sich aller Orten in ewiger Kette einander die Hand. In dem Brot, das wir essen, in der Luft, die wir atmen, ziehen wir den Stoff an uns, der die Leiber unserer Vorfahren vor tausend und abertausend Jahren gebildet hat; ja, wir selbst geben tagtäglich einen Teil unseres Stoffs an die Außenwelt ab, um denselben oder den von unseren Mitlebenden abgegebenen Stoff vielleicht in kurzer Zeit von neuem einzunehmen.

Von den Engländern kann man wörtlich sagen, daß sie ihre Voreltern, die im Kampfe für sie und ihre Freiheit gegen die französische Herrschaft gefallen sind, zum Danke dafür[14] in ihrem täglichen Brote aufessen. Man hat die Knochen des Schlachtfeldes von Waterloo in großer Menge nach England geführt, um die Felder damit zu düngen, und den Ertrag derselben dadurch um das Doppelte erhöht. – Diesen ewigen und unaufhaltsamen Kreislauf der kleinsten Stoffteilchen hat der Gelehrte den Stoffwechsel genannt, und die kühne Phantasie des britischen Dichters hat den Stoff, der einst des großen Cäsar Leib bildete, bis zu dem Punkte verfolgt, wo er ein Loch der Wand verklebt. So sind auch die Atome, welche einst »Romeo und Julie« dichteten, heute durch alle Winde zerstreut, und durchlaufen, nie ruhend, ihre ewigen, bald in den niedersten, bald in den höchsten Gestalten sich bewegenden Bahnen.

Wie eine Tatsache, so einfach und von einer durch die Chemie so überzeugend dargetanen Wahrheit, heutzutage noch von Naturforschern und Ärzten verkannt oder übersehen werden kann, erscheint kaum begreiflich und beweist, wie wenig noch im allgemeinen die großen Entdeckungen der Naturwissenschaften sich in weiteren Kreisen Bahn gebrochen haben. So spricht Schubarth von freiwilliger Entstehung des Wassers bei plötzlichen Wolkenansammlungen. Röbbelen meint, der tierische Organismus erzeuge Stickstoff usw. Wie kann man es verkennen, daß aus nichts – nichts entstehen kann? Der Stoff muß vorhanden sein, wenn auch vorher in anderer Gestalt oder Verbindung, um irgendeine Bildung erzeugen oder an ihr teilnehmen zu können. Ein Sauerstoff-, ein Stickstoff-, ein Eisenatom ist überall und unter allen Umständen ein und dasselbe Ding, begabt, mit denselben und ihm immanenten Eigenschaften, und kann nie und in alle Ewigkeit nicht etwas anderes werden. Sei es, wo es wolle, überall wird es das nämliche Wesen sein;[15] aus jeder noch so heterogenen Verbindung wird es bei dem Zerfall derselben als dasselbe Atom wieder austreten, als das es eintrat. Nie und nimmer kann aber ein Atom neu entstehen oder aus dem Dasein verschwinden; es kann nichts, als seine Verbindungen wechseln. Aus diesen Gründen ist der Stoff unsterblich, und aus diesem Grunde ist es, wie schon früher dargetan, unmöglich, daß die Welt eine gewordene sei. Wie könnte etwas geschaffen worden sein, das nicht vernichtet werden kann! Der Stoff muß ewig gewesen sein, ewig sein und ewig bleiben.

Es ist eine bis zum Überdruß gehörte und wiederholte Redensart vom »sterblichen Leib« und »unsterblichen Geist«. Eine etwas genauere Überlegung würde den Satz vielleicht mit mehr Wahrheit umkehren lassen. Der Leib in seiner individuellen Gestalt ist freilich sterblich, nicht aber in seinen Bestandteilen. Nicht bloß im Tode, sondern auch im Leben verwandelt er sich, wie wir gesehen haben, ohne Aufhören; aber in einem höheren Sinne ist er unsterblich, da nicht das kleinste Teilchen von ihm vernichtet werden kann. Dagegen sehen wir das, was wir Geist nennen, mit dem Aufhören der individuellen stofflichen Zusammensetzung schwinden, und es muß einem vorurteilsfreien Verstande scheinen, als habe dieses eigentümliche Zusammenwirken vieler kraftbegabter Stoffteilchen einen Effekt erzeugt, der mit seiner Ursache aufhören muß. »Wenn wir mit dem Tode nicht vernichtet werden«, sagt Fechner, »unsere bisherige Existenzweise können wir doch im Tode nicht retten. Wir werden sichtbarlich wieder zu der Erde, von der wir genommen worden. Aber indes wir wechseln, besteht die Erde und entwickelt sich fort und fort; sie ist ein unsterblich Wesen und alle Gestirne sind es mit ihr.«[16]

Heute ist die Unsterblichkeit des Stoffs eine wissenschaftlich festgestellte und nicht mehr zu leugnende Tatsache. Es ist interessant, zu wissen, daß auch frühere Philosophen eine Kenntnis dieser großen Wahrheit besaßen, wenn auch mehr in unklarer und ahnender, als wissenschaftlich sicher erkannter Weise. Den Beweis dafür konnten uns erst unsere Waagen und Retorten liefern.

Sebastian Frank, ein Deutscher, welcher im Jahre 1528 lebte, sagt: »Die Materie war von Anfang an in Gott und ist deswegen ewig und unendlich. Die Erde, der Staub, jedes erschaffene Ding vergeht wohl; man kann aber nicht sagen, daß dasjenige vergehe, woraus es erschaffen ist. Die Substanz bleibt ewig. Ein Ding zerfällt in Staub, aber aus dem Staube entwickelt sich wieder ein neues. Die Erde ist, wie Plinius sagt, ein Phönix und bleibt für und für. Wenn er alt wird, verbrennt er sich zu Asche, daraus ein junger Phönix wird, aber der vorige, doch verjüngte.«

Noch unumwundener drücken die italienischen Philosophen des Mittelalters diese Idee aus. Bernhard Telesius (1508) sagt:

»Der körperliche Stoff ist in allen Dingen gleich und bleibt ewig derselbe; die finstere, träge Materie kann weder vermehrt noch vermindert werden.«

Und endlich Giordano Bruno (der im Jahre 1600 in Rom verbrannt wurde):

»Was erst Samen war, wird Gras, hierauf Ähre, alsdann Brot, Nahrungssaft, Blut, tierischer Same, Embryo, ein Mensch, ein Leichnam; dann wieder Erde, Stein oder andere Masse und so fort. Hier erkennen wir also etwas, was sich in alle diese Dinge verwandelt und an sich immer ein und dasselbe bleibt. So scheint wirklich nichts[17] beständig, ewig und des Namens Prinzip würdig zu sein, denn allein die Materie. Die Materie als absolut begreift alle Formen und Dimensionen in sich. Aber die Unendlichkeit der Formen, in denen die Materie erscheint, nimmt sie nicht von einem andern und gleichsam nur äußerlich an, sondern sie bringt sie aus sich selbst hervor und gebiert sie aus ihrem Schoß. Wo wir sagen, daß etwas stürbe, da ist dies nur ein Hervorgang zu einem neuen Dasein, eine Auflösung dieser Verbindung, die zugleich ein Eingehen in eine neue ist.«[18]

Quelle:
Ludwig Büchner: Kraft und Stoff. Leipzig [o.J.], S. 12-19.
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