Urzeugung

[55] Es ist gewiß, daß die Erscheinung der tierischen Körper auf der Erdoberfläche ein Ausdruck solcher Kräfte, eine Funktion derselben ist, welche mit mathematischer Sicherheit aus den bestehenden Verhältnissen resultiert.

Burmeister


Es gab eine Zeit, da die Erde als ein glühender Feuerball nicht allein unfähig war, lebende Wesen hervorzubringen, sondern auch jeder Existenz pflanzlicher oder tierischer Organismen gradezu feindlich sein mußte. Erst infolge ihrer allmählichen Abkühlung und Erstarrung und des Niederschlags der umgebenden Wasserdunstmasse auf ihre Oberfläche nahm die Erdrinde eine Gestaltung an, welche in ihrer weiteren Entwicklung die Möglichkeit für die Existenz mannigfaltiger organischer Formen vorbereiten mußte. Mit dem Auftreten des Wassers und sobald es die Temperatur nur irgend erlaubte, entwickelte sich auch organisches Leben. Es bildeten sich weiter infolge der gegenseitigen Einwirkung, welche Luft, Wasser und Gestein aufeinander ausübten, langsam und im Laufe einer unendlichen Reihe von Jahren eine Reihe verschiedener, übereinander liegender Erdschichten, deren genauere Erforschung uns in verhältnismäßig kurzer Zeit die wunderbarsten und wichtigsten Aufschlüsse über die Entstehungsgeschichte unseres Erdkörpers und die auf ihm lebenden und gelebthabenden Organismen geliefert hat, da jede einzelne Erdschicht die deutlichen und wohlerhaltenen Reste und Spuren dieser Organismen, sowohl pflanzlichen als tierischen Ursprungs, enthält. Schon in den alleruntersten Schichtgesteinen sind dieselben vorhanden. Gleichen[55] Schritt haltend mit der Entstehung dieser einzelnen Erdschichten sehen wir eine allmähliche und langsam aufsteigende Entwicklung der auf ihnen lebenden Pflanzen- und Tierwelt. Je älter die Schicht, desto niederer und unvollkommener sind ihre organischen Formen, und um so entwickelter und vollkommener, je jünger die Schicht. Dabei zeigt sich jedesmal eine ganz bestimmte Beziehung der äußeren Verhältnisse der Erdoberfläche zu der Existenz der organischen Wesen und eine notwendige Abhängigkeit der letzteren von den äußeren Zuständen der Erde. Als noch das Meer den ungleich größten Teil der Erdoberfläche bedeckte, konnten nur Seetiere und Fische ihre Existenz fristen. Mit der größeren Ausbreitung des festen Landes bedeckte sich dieses bald mit endlosen, dichten Wäldern, welche die überschüssige Menge der in der Atmosphäre enthaltenen Kohlensäure, eines zur Pflanzenexistenz unentbehrlichen Stoffes, an sich zogen. Erst nachdem auf diese Weise die Atmosphäre von diesem, dem Leben höherer luftatmender Tiere feindlichen Stoffe gereinigt war, wurde höheres tierisches Leben auf der Erde möglich. Mit der enormen Entwicklung der Pflanzenwelt stand zunächst das Auftreten riesiger Pflanzenfresser im Zusammenhang, auf welche erst später die fleischfressenden Tiere folgten, als auch für deren Existenz hinreichende Nahrung vorhanden war. So zeigt jede einzelne Erdschicht die Spuren einer ihr eigentümlichen organischen Welt; frühere organische Formen verschwinden, je nachdem ihre äußeren Lebensbedingungen sich ändern, neue treten auf oder zu den alten hinzu. Von dem Menschen, als dem höchstorganisierten Wesen der Schöpfung, war in früheren, vorweltlichen Zeitabschnitten keine Spur vorhanden; erst zuletzt, in der obersten Erdschicht, der sogenannten[56] Alluvialschicht, auf der zuerst menschliches Leben möglich wurde, tritt derselbe, gleichsam als der Gipfelpunkt jener stufenweisen Entwicklung, auf die Bühne des Daseins1. Diese paläontologisch so bestimmt charakterisierten Beziehungen des jedesmaligen Bildungszustände der Erde selbst und äußerer Einflüsse überhaupt zu Entstehung, Wachstum und Fortpflanzung der organischen Wesen, welche ein bestimmtes, natürliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden dokumentiert, haben sich auch teilweise noch bis in unsere Zeit erhalten, und wir sehen uns allerorten von Beispielen dieser Art umgeben. Eine zahlreiche Klasse von Tieren, die sogenannten Eingeweidewürmer, entwickeln sich nur an ganz bestimmten Orten. Auf einem niedergebrannten Wald entwickeln sich bestimmte Pflanzenarten, auf abgetriebenem Nadelholzwald wachsen Eichen und Buchen. Wo Luft, Wärme und Feuchtigkeit zusammenwirken, da entwickelt sich oft in wenigen Augenblicken jene zahllose Welt merkwürdiger und mit den sonderbarsten Gestalten versehener Tierchen, welche wir Infusorien nennen. Diese Beispiele ließen sich beliebig vermehren und auch namentlich nachweisen, wie innerhalb der einzelnen Arten von Pflanzen oder Tieren äußere Lebenseinflüsse die mannigfaltigsten und tiefgreifendsten Modifikationen zu erzeugen imstande sind. Trotz der enorm großen und fast unvereinbar scheinenden Verschiedenheiten der einzelnen Menschenrassen erklärt sich doch heute eine Mehrzahl von Naturforschern in dem alten Streite über die Abstammung des Menschengeschlechtes[57] von einem oder mehreren Paaren dahin, daß keine bestimmten wissenschaftlichen Gründe der Annahme der Entstehung von einem Paare entgegenstehen und daß man alle jene Verschiedenheiten als Produkte äußerer und allmählicher Einwirkungen ansehen könne. »Ich glaube«, sagt Hufeland, »die Verschiedenheit des Hundegeschlechts ist viel größer als die des Menschengeschlechts. Ein Spitzhund weicht weit mehr von einem Bullenbeißer ab, als ein Neger von einem Europäer. Wird man nun wohl glauben, daß Gott jede dieser unendlich verschiedenen Abarten geschaffen oder nicht vielmehr, daß sie alle aus dem Urgeschlecht des Hundes durch allmähliche Ausartung entstanden2

So bedeutend und mächtig diese Einflüsse indessen auch heute noch sein mögen, so konnte man doch bis jetzt weder beobachten, daß dadurch eine dauernde Verwandlung einer Tierart in eine andere gesetzt worden wäre, noch daß einigermaßen höhere Organismen bloß durch eine Vereinigung anorganischer Stoffe und Kräfte und ohne einen vorher dagewesenen, von gleichartigen Eltern früher erzeugten Keim entstanden wären. Es scheint heute ein allgemeines, durchgreifendes Gesetz der organischen Welt zu sein: Omne vivum ex ovo, d.h. alles, was lebt, entsteht nur aus einem vorher dagewesenen Keim, welcher von gleichartigen Eltern erzeugt worden ist, oder durch unmittelbare Fortpflanzung[58] aus einem vorher dagewesenen elterlichen Körper heraus; also aus einem Ei, einem Samen, oder auch durch sogenannte Teilung, Knospung, Sprossung usw. Immer müssen ein oder mehrere Individuen derselben Gattung vorher dagewesen sein, um ähnliche weitere entstehen zu lassen. Die Erzählungen des Alten Testaments drücken diese schon frühe erkannte Wahrheit allegorisch dahin aus, daß sie vor der großen Sündflut ein Paar von jedem lebenden Tiergeschlecht in die rettende Arche aufnehmen lassen. Für diejenigen nun, welche sich mit biblischen Erzählungen nicht genügen lassen, drängt sich im Angesicht eines solchen Verhältnisses mit Notwendigkeit die Frage nach dem Woher, nach dem Wie der Entstehung, nach dem ersten Ursprung der organischen Wesen aus. Wenn alles Organische von Eltern gezeugt wird, wie sind alsdann die ersten Eltern entstanden? Konnten dieselben von selbst, bloß durch das zufällige oder notwendige Zusammentreffen äußerer Umstände und das Erscheinen der zu ihrer Existenz nötigen Bedingungen entstehen oder mußten sie durch das Zutun einer äußeren Gewalt geschaffen werden? Und wenn das erste, warum geschieht es heute nicht mehr? Diese Frage hat von jeher Philosophen und Naturforscher beschäftigt und zu den mannigfaltigsten und weitläufigsten Streitigkeiten Anlaß gegeben. Ehe wir uns in die nähere Betrachtung dieser Frage einlassen, haben wir den vorhin ausgesprochenen Satz: Omne vivum ex ovo näher dahin zu bestimmen, daß derselbe, wenn auch für die unendliche Mehrzahl aller Organismen gültig, doch selbst unter unsern heutigen Verhältnissen nicht ein durchaus und vollkommen durchgreifender zu sein scheint. Wenigstens ist die wissenschaftliche Streitfrage der sogenannten Generatio aequivoca, der unfreiwilligen oder ungleichartigen[59] Zeugung, immer noch nicht eine völlig erledigte. Die Generatio aequivoca bedeutet eine Zeugung organischer Wesen ohne vorher dagewesene gleichartige Eltern oder Keime, bloß durch das zufällige oder notwendige Zusammentreffen anorganischer Elemente und Naturkräfte. Haben nun auch die neusten wissenschaftlichen Forschungen dieser Art von Zeugung, welcher man früher einen sehr ausgedehnten Wirkungskreis zuschrieb, immer mehr wissenschaftlichen Boden entzogen, so ist es dennoch nicht unwahrscheinlich, daß dieselbe für die kleinsten und unvollkommensten Organismen heute noch möglich ist. – Wenn nun aber für alle höher organisierten pflanzlichen und tierischen Wesen das Gesetz gilt, daß sie sich nur durch gleichartige Zeugung, nur unter Voraussetzung von Eltern entwickeln, so bleibt die Frage nach der ersten Zeugung, nach der Urzeugung dieser Wesen ein offene und scheint auf den ersten Anblick nicht ohne die Annahme einer höheren Macht gelöst werden zu können, welche die ersten Organismen aus eigner Machtvollkommenheit und nach freiem Belieben geschaffen und ihnen die Fähigkeit der Fortpflanzung mit auf den Weg gegeben habe. Mit Befriedigung weisen gläubige Naturforscher auf diese Tatsache hin, erinnern zugleich an die kunstvolle und zusammengesetzte Konstruktion der organischen Welt und erkennen darin mit Überzeugung das Walten und die Absicht jener höheren unmittelbaren Schöpferkraft, welche man bald mit diesem, bald mit jenem Namen zu bezeichnen pflegt. »Ein unlösbares Rätsel«, sagt B. Cotta, »bei dem wir nur an die unerforschliche Macht eines Schöpfers appellieren können, ist ebenso wie der erste Ursprung der Erdmasse auch die Entstehung organischer Wesen.« – Man könnte diesen[60] Gläubigen, ohne sich allzuviel mit einer natürlichen Erklärung des organischen Wachstums zu bemühen, antworten, es seien die Keime zu allem Lebendigen, versehen mit der Idee der Gattung, von der Ewigkeit her und der Einwirkung gewisser äußerer Umstände harrend, in jener formlosen Dunstmasse, aus welcher heraus sich die Erde nach und nach konsolidiert hat, oder im Weltraum vorhanden gewesen, und, indem sie sich nach Bildung und Abkühlung der Erde auf dieselbe niederließen, nur da und dann zufällig zur Ausbrütung und Entwicklung gekommen, wo sich gerade die äußeren notwendigen Bedingungen dazu vorfanden. Damit wäre die Tatsache jener Aufeinanderfolge organischer Schöpfungen hinreichend erklärt und eine solche Erklärung zum mindesten weniger abenteuerlich und weniger weit hergeholt, als die Annahme einer schaffenden Kraft, welche in jeder einzelnen Periode der Erdbildung sich damit belustigt hat, Pflanzen- und Tierarten hervorzubringen, und damit gewissermaßen langwierige und für eine als vollkommen vorgestellte Schöpferkraft gewiß ganz unnötige Vorstudien für die Erschaffung des Menschen zu machen. Doch bedürfen wir solcher Behelfe nicht; im Gegenteil weisen die wissenschaftlichen Tatsachen mit großer Bestimmtheit darauf hin, daß die organischen Wesen, welche die Erde bevölkern, nur einem in den Dingen selbst liegenden Zusammenwirken natürlicher Kräfte und Stoffe ihre Entstehung und Fortpflanzung verdanken, und daß die allmähliche Veränderung und Entwicklung der Erdoberfläche selbst die alleinige oder doch hauptsächlichste Ursache für jenen allmählichen Anwachs des Lebendigen wurde.

Wie und auf welche genauer zu bestimmende Weise dieser Anwachs jedesmal im einzelnen vor sich ging, kann allerdings[61] bis jetzt noch nicht mit wissenschaftlicher Bestimmtheit gesagt werden, wenn auch zu hoffen ist, daß spätere Forschungen hierüber ein genaueres Licht verbreiten werden. Doch reichen unsere Kenntnisse so weit, um uns die spontane Entstehung der organischen Wesen und die allmähliche langsame Hervorbildung der höheren Formen aus vorher dagewesenen niedrigeren und unvollkommeneren, unter steter Bedingnis durch die äußeren Zustände des Erdkörpers und ohne Eingriff einer unmittelbaren höheren Gewalt, zur höchsten wissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit, ja subjektiven Gewißheit zu machen. Diese stufenweise und allmähliche Entwicklung und Hervorbildung der niedersten Formen zu stets höheren und vollkommeneren Bildungen ist gegenwärtig eine durch die paläontologischen Forschungen derart mit Sicherheit hergestellte wissenschaftliche Tatsache, daß daran in keiner Weise etwas abgemäkelt werden kann, und es weist diese Tatsache mit Bestimmtheit auf ein ihr zugrunde liegendes und die Entstehung organischer Wesen vermittelndes Naturgesetz sein. Je höher dabei die Entwicklungszustände der Erde selbst wurden, um so mannigfaltiger gestaltete sich der Bau der einzelnen Tiere, um so höher wurden die Arten – Beweis genug für die Abhängigkeit, in welcher die Entstehung konkreter tierischer Formen vom Dasein äußerer bestimmender Ursachen stand. Die fossilen Tier- und Pflanzenreste sind die langsam und allmählich abgestorbenen unreifen Glieder einer fortschreitenden Entwicklungsreihe; und wir finden in ihnen die wunderbarsten und übereinstimmendsten Vorbildungen späterer Organisationen. Je älter ein solcher Rest ist, um so zahlreicher Formen späterer Bildungen schließt er in sich ein. Einzelne einfache fossile Formen vereinen in sich die Anlagen zu sämtlichen[62] später auftretenden und zum Teil heute noch lebenden zahlreichen und differenten Modifikationen. Sao hirsuta, ein Trilobit aus den böhmischen Schiefern, ist in seinem ersten Entwicklungszustand so unähnlich den späteren aus ihm hervorgegangenen Entwicklungszuständen, daß man dieselben nicht für das nämliche Tier halten würde, wenn nicht seine einzelnen Übergangsstufen mit Bestimmtheit nachgewiesen wären. In den fossilen Cölanthinen (Fischen) steckt die Skelettbildung der gesamten Rückgrattiere. Die vorweltlichen Labyrinthodonten sind nach Burmeisters Ausspruch die wahren und schönsten Prototypen des Amphibienbegriffs in seiner Totalität, welcher sich in einer Entwicklung von Millionen Jahren in vielerlei verschiedene Gestalten aufgelöst hat. Sie liefern eine Mischung von Eigenschaften der heterogensten, später aus ihnen hervorgangenen Gruppen. Unter den Säugetieren liefert das Paläotherium, ein vorweltliches Tier, welches als der erste Repräsentant der höheren Klasse der Säugetiere auf der Erde erscheint, ein interessantes Beispiel. Dieses in sehr zahlreichen Exemplaren vorhandene Tier findet man von der Größe eines Hasen bis zu der eines Pferdes, als verschiedene Spielarten desselben Genus. Es kann gewissermaßen als ein Prototyp der Säugetierklasse angesehen werden, denn es schlummern in ihm die Ideen zu den verschiedensten Säugetiergestalten. Diese Beispiele könnten wir beliebig vermehren; doch die gesamte paläontologische Wissenschaft ist ein fortlaufendes Beispiel. Die niedersten Formen traten stets zuerst auf, und von ihnen aus begann die aufsteigende Stufenfolge weiterer Entwicklung sowohl bezüglich der Arten als der Individuen. »Die in der Erde vorgefundenen Überreste«, sagt Oersted, »zeigen uns eine Reihe von mehr[63] und mehr entwickelten Formationen, welche aufeinander folgten, bis endlich der Zustand vorbereitet war, worin der Mensch und eine dem Menschen angemessene Tier- und Pflanzenwelt gedeihen konnte.« – Dieses Gesetz allmählicher Entwicklung hat sich auch auf die jetzt lebende organische Welt aus der Vorwelt fortgepflanzt und ihr sein unverkennbares Siegel aufgedrückt. Die ganze, in der neueren Zeit mit so besonderer Vorliebe ausgebildete Wissenschaft der vergleichenden Anatomie beruht auf dem Streben, die Übereinstimmung der anatomischen Formen durch die ganze Tierreihe nachzuweisen, und auf der wissenschaftlichen Erkenntnis, daß ein gemeinsamer und nur im einzelnen Modifikationen erleidender Grundplan für alle tierischen Formen existiert. Eine ununterbrochene Reihe der vielfachsten und mannigfaltigsten Übergänge und Ähnlichkeiten verbindet die ganze Tierwelt untereinander vom niedrigsten bis zum höchsten. Selbst der Mensch, der sich in seinem geistigen Hochmut weit erhaben über die ganze Tierwelt dünkt, ist weit entfernt, von diesem Gesetz eine Ausnahme zu machen. Die äthiopische Menschenrasse verbindet ihn durch eine Menge der schlagendsten Ähnlichkeiten mit der Tierwelt auf eine ganz unverkennbare Weise. Die langen Arme, die Bildung des Fußes, die fleischlose Wade, die langen, schmalen Hände, die allgemeine Hagerkeit, die wenig vortretende Nase, das vorragende Gebiß, die niedrige, zurückfliegende Stirn, der schmale nach hinten verlängerte Kopf, der kurze Hals, das enge Becken, der aufgetriebene, hängende Bauch, die Bartlosigkeit, die Hautfarbe, der abscheuliche Geruch, die Unreinlichkeit, das Grimassenschneiden beim Reden, die hellen, kreischenden Töne der Stimme, das Äffische des ganzen Wesens sind ebenso viele Kennzeichen,[64] welche in allen körperlichen Formen und Verhältnissen des Negers die entschiedenste Annäherung an den Affen unmöglich verkennen lassen. Daß auch seine geistige Individualität dem entspricht, ist bekannt genug und durch die besten Beobachter dargetan (siehe das Kapitel: »Gehirn und Seele«). – Zum drittenmal offenbart sich uns das Gesetz des allmählichen Übergangs in der sogenannten Entwicklungsgeschichte der einzelnen tierischen Individuen. Noch heute sind alle tierischen Formen in der ersten Zeit ihrer individuellen Entwicklung einander so gleich oder ähnlich, daß man, um ihre sogenannten Grundtypen wiederzuerkennen, nur auf diese ihre Entstehungsgeschichte zurückzugehen braucht. Es ist eine höchst interessante und belehrende Tatsache, daß alle Embryonen einander gleichen und daß es oft geradezu unmöglich ist, ein entstehendes Schaf von einem entstehenden Menschen, dessen künftiges Genie vielleicht die Welt bewegen wird, zu unterscheiden. So getrennt die beiden Geschlechter des Menschen in ihrer letzten Ausbildung erscheinen, so ist es doch in den ersten Monaten des menschlichen Embryonallebens geradezu unmöglich, zu sagen, ob das betreffende Individuum männlich oder weiblich werden wird, und welches von beiden in der Tat geschieht, mag vielleicht von ganz zufälligen äußerlichen Bedingungen abhängig sein. »Es ist ein allgemeines Gesetz«, sagt Vogt, »welches sich durch die ganze Tierwelt bestätigt, daß die Ähnlichkeiten des gemeinsamen Planes der Struktur, welcher einzelne Tiere miteinander verbindet, um so klarer hervortreten, je näher dasselbe dem Punkte seiner Entstehung sich befindet, und daß diese Ähnlichkeiten sich um so mehr verwischen, je weiter die Tiere in ihrer Ausbildung vorschreiten und je mehr sie sich den äußeren Elementen unterwerfen, von welchen[65] sie ihre Nahrung ziehen.« Mit den letzten Worten deutet Vogt zugleich an, welchen wichtigen und bestimmenden Einfluß äußere Umstände und Lebensbedingungen auf Entwicklung und Formierung der Organismen ausüben können und müssen. Je jünger die Erde war, um so mächtiger und bestimmender mußten auch diese Einflüsse sein, und es ist, wie wir später sehen werden, durchaus nicht unmöglich oder undenkbar, daß dieselben Keime durch sehr verschiedene äußere Umstände zu sehr heterogenen Entwicklungen gebracht werden konnten. Nachweisbar gingen eine Menge vorweltlicher Formen unter, als ihre äußeren Bedingungen sich verloren; wesentlich geänderte Verhältnisse töteten eine ältere Organisation und erzeugten eine neue. Daß diese Einflüsse in den vorweltlichen Perioden der Erdbildung ungemein kräftigere gewesen sein müssen als heute, daß sie imstande waren, Wirkungen zu erzeugen, welche heute vielleicht nicht mehr allgemein von ihnen beobachtet werden, welcher Vernünftige wird dies abstreiten wollen? Haben wir doch sogar bestimmte wissenschaftliche Anhaltspunkte für eine solche Annahme! Vor allem war die allem organischen Entstehen und Wachstum so ungemein förderliche Temperatur eine ungleich höhere als heute, und Sibirien, welches heute nur kümmerliche Sträucher und an kaltes Klima gewöhnte Tiere hervorbringt, war bevölkert von einer Anzahl von Elefanten, welche eines üppigen Pflanzenwuchses zu ihrer Erhaltung bedurften. Auch in jenen merkwürdigen, abenteuerlichen Formen, welche uns die Tiere der Vorwelt mitunter darbieten, sowie in der größeren Anzahl durch enorme Größe ausgezeichneter Tiergeschlechter offenbart sich die verhältnismäßig größere Kraft der Natur in jenen Perioden. Wir kennen heute keine Tierart mehr,[66] welche so enorme Größenunterschiede der individuellen Entwicklung darbietet, wie das schon genannte Paläotherium. Unter diesen Umständen erscheint es uns kaum begreiflich, wie manche Naturforscher sich gegen die Annahme eines Gesetzes allmählicher Verwandlung sträuben können – und zwar aus keinem andern Grunde, als weil unter unsern heutigen Verhältnissen zumeist eine derartige Trennung der einzelnen Tierarten beobachtet wird, daß gleiche Eltern immer nur wieder gleiche Jungen erzeugen. Kann denn das Gesetz der Übergänge, dessen Züge so tief und unverkennbar sind, ohne tieferen Grund, kann es aus Zufall vorhanden sein? Und welches Recht haben wir, aus der unendlich kurzen Spanne Zeit, deren Erfahrung uns zu Gebote steht, auf jene endlosen vergangenen Zeiträume, und aus den natürlichen Verhältnissen der Jetztzeit auf diejenigen Zustände der Erde zurückzuschließen, in denen die Natur unzweifelhaft jünger und kräftiger und mächtiger in Hervorbringung organischer Formen war! Es mußte unter jenen Verhältnissen möglich sein, daß ein organischer Keim unter wesentlich geänderten äußeren Verhältnissen, die ihn bald zufällig, bald notwendig betrafen, sich nicht zu einem mit seinen Erzeugern gleichartigen Wesen, sondern zu einer verschiedenen Form, ja zu einer verschiedenen Spezies oder Art entwickelte. Sagt doch Karl Vogt selbst, ein Gegner der Metamorphosenlehre: »Wir haben keinen Grund, die Möglichkeit zu verwerfen, daß in vorweltlicher Zeit die Tiere Jungen erzeugten, die in vielen Punkten von ihren Eltern abwichen.« Wenn wir in der Jetztzeit beobachten, daß die Änderungen, welche Klima, Lebensweise, äußere Einflüsse auf die Metamorphose der Tiere ausüben, wohl sehr bedeutend sind, dennoch aber, wie es scheint, nie über die Art hinausgehen, so[67] ist abermals zu bedenken, daß neben der ungleich größeren und mit heutigen Zuständen gar nicht mehr vergleichbaren Intensität und Bedeutung jener äußeren Einflüsse, neben der gewaltigeren Aktion natürlicher Kräfte in jener Zeit auch die ungeheure Dauer fast endloser Zeiträume mitwirkte, in denen scheinbar kleine oder geringfügige Einflüsse große und unmöglich scheinende Wirkungen hervorbringen konnten, und in denen Zufälligkeiten und besondere Kombinationen gewisser Verhältnisse hin und wieder auftreten mochten, für welche wir aus unserer kurzen Erfahrung kein Beispiel aufzuweisen vermögen. Aber wir sagen das Letztere mit Unrecht, denn wir entbehren dieser Beispiele in der Tat nicht so vollkommen, als es auf den ersten Anblick scheinen möchte. Vor allen Dingen haben wir das Recht, die merkwürdigen Erscheinungen des erst in neuester Zeit genauer erkannten sogenannten Generationswechsels der Tiere für uns anzuführen. Genaue Studien über die Entwicklungsweise der Eingeweidewürmer haben gelehrt, daß man durch Änderung der äußeren Lebensbedingungen, durch Verpflanzung in die Eingeweide eines andern Tieres aus sogenannten Blasenwürmern eine ganz andere, wenn auch verwandte Tierart, die sogenannten Bandwürmer, erzeugen kann. Denselben Wechsel der Generation hat man bei mehreren anderen Eingeweidewürmern beobachtet, ferner bei den Salpen, bei den Medusen und Polypen, bei den Blattläusen, und bei mehreren anderen Tieren setzt man sein Dasein mit Wahrscheinlichkeit oder Gewißheit voraus. Freilich setzt sich dieser Wechsel der Gestalten nicht ins Unbegrenzte fort, wie es sein müßte, wenn er das Gesetz von der Begrenzung der Arten umstürzen sollte, sondern er hält sich innerhalb gewisser Grenzen der Verwandtschaft und kehrt nach[68] dem Durchlaufen einer oder mehrerer Generationen wieder zu seiner früheren Form zurück, wird also nach einem regelmäßigen Zyklus von Gestalten wieder aufgehoben. Aber wer wollte in dieser interessanten Erscheinung eine Annäherung an die Metamorphose der Tiere verkennen und es für unmöglich halten, daß in vorweltlicher Zeit dieser Generationswechsel sich nicht in so fixierten Grenzen gehalten habe wie heute! Endlich aber – und damit dürfte jeder Einwand beseitigt werden – besitzen wir seit zwei Jahren durch einen unserer berühmtesten und zuverlässigsten Beobachter, Johannes Müller, eine Entdeckung, welche zu den wichtigsten und folgereichsten der Neuzeit gehören und die Möglichkeit einer dauernden Entwicklung einer Tierart aus einer andern selbst noch in unserer Zeit über jeden Zweifel erheben dürfte. Wir meinen die bekannte Entdeckung der Erzeugung von Schnecken in Holothurien durch den genannten Beobachter, eine Entdeckung, bei welcher ihr in Glaubenssachen orthodoxer Entdecker selbst kopfschüttelnd sich von Zweifeln und innerer Verwirrung ergriffen bekennt. Holothurien und Schnecken gehören zwei ganz getrennten Abteilungen des Tierreichs an, von denen die letzteren in der Reihenfolge der Tiergeschlechter ungleich höher stehen, zweien Abteilungen ohne die geringste Ähnlichkeit und Verwandtschaft. Müller selbst, obgleich ungern, gesteht ein, daß diese Erscheinung mit dem Generationswechsel nichts zu tun haben könne. Diese Beobachtung würde beweisen, daß auch in historischer Zeit die bis da geleugnete Möglichkeit des unmittelbaren Übergangs oder Hervorgangs einer Tierart aus einer andern besteht, sei würde ein seltenes, aber in historischer Zeit beobachtetes Beispiel einer auf natürlichen Umständen beruhenden Neuschöpfung, kurz eines[69] Metamorphosengesetzes sein, welchem vielleicht in vorweltlicher Zeit eine größere Bedeutung und Macht zukam als heute; sie würde zeigen, daß selbst heute noch das Gesetz der gleichartigen Zeugung Ausnahmen erleidet. »Der Eintritt verschiedener Tierarten in die Schöpfung«, sagt Müller, »ist zwar gewiß, nämlich ein Faktum der Paläontologie, aber supranaturalistisch, solange dieser Eintritt sich nicht im Akte des Geschehens und bis in die Elemente einer Beobachtung wahrnehmen läßt. Wenn dies aber möglich würde, so würde das Supranaturalistische aufhören und dieses in die Ordnung einer höheren Reihe der Erscheinungen treten, für welche auf dem Wege der Beobachtung auch Gesetze zu suchen wären.« Wer bürgt uns nach einer solchen Entdeckung dafür, daß dergleichen Verwandlungen nicht auch in jetziger Zeit öfter vorkommen, daß ihnen vielleicht neben der gleichartigen Zeugung eine Bedeutung zukommt, von welcher wir bis jetzt keine Ahnung haben!

Wenn aber selbst heute noch Verhältnisse aufkommen können, unter denen ein so außerordentlicher Vorgang in der niederen Tierwelt möglich wird, oder unter denen eine Holothurie eine Schnecke gebiert – welcher mit naturwissenschaftlichen Begriffen Vertraute wollte alsdann leugnen, daß einst Verhältnisse müssen bestanden haben können, unter denen auch in der höheren Tierwelt ein solcher Vorgang möglich ward, oder unter denen ein Affe, ja irgendein beliebiges anderes Tier einen Menschen gebar! Man wird von nun an, im Angesichte einer solchen Tatsache und im Hinblick auf das, was wir über die andersgestalteten äußeren Zustände der Erdoberfläche in vorweltlicher Zeit erfahren haben, nicht mehr denjenigen, welche die organische Schöpfung aus allmählichen Verwandlungen hervorgehen lassen, antworten[70] können: warum geschieht es heute nicht mehr? Man wird nicht mehr nötig haben, den Menschen, wie es Oken tat, aus dem Meerschlamm entstehen zu lassen, und ebensowenig wird man nötig haben, mit der bornierten und in scholastischem Wust und Unsinn erstickenden Mönchsweisheit des Mittelalters endlose Streitigkeiten darüber aufzuführen, ob der erste Mensch einen Nabel gehabt habe oder nicht. – Mit dieser Anerkennung eines Gesetzes der Verwandlungen in diesem Sinne, wobei die Verwandlung nicht, wie es die alte, naturphilosophische Schule wollte, eine ganz allmähliche, sondern eine mehr sprungweise und schon in der embryonalen Entwicklung jedesmal vorhandene gewesen sein muß, ist ein Anhaltspunkt für die Beurteilung der ganzen Frage nach dem Woher der organischen Wesen gewonnen. Aus dem unscheinbarsten Anfang, dem einfachsten organischen Formelement, welches eine Vereinigung anorganischer Stoffe auf dem Wege der unfreiwilligen Zeugung zustande brachte, aus der dürftigsten Pflanzen- oder Tierzelle konnte sich fortschreitend mit Hilfe ungewöhnlicher Naturkräfte und endloser Zeiträume jene ganze reiche und unendlich mannigfach gegliederte organische Welt entwickeln, von der wir uns umgeben finden. Wir halten diese ganze Untersuchung nicht für so müßig wie manche Schriftsteller; denn nach dem heutigen Stand unsrer Kenntnisse dürfte es allzu abenteuerlich erscheinen, der Generatio aequivoca die unmittelbare Entstehung aller organischen Geschlechter und des Menschen selbst, wenn auch in vorweltlicher Zeit, aufbürden zu wollen. Wozu wäre alsdann überhaupt dieses ganze unerkennbare Gesetz allmählicher Entwicklung und Prototypenbildung, diese Ähnlichkeit, ja Gleichheit in der ersten Entwicklung der Individuen,[71] wenn nicht dadurch die Möglichkeit eines Auseinanderschlagens indifferente Formen und Arten unter verschiedenen äußeren Verhältnissen mit Bestimmtheit angedeutet würde! Unzweifelhaft muß auch der Generatio aequivoca in vorweltlicher Zeit eine größere Bedeutung eingeräumt werden als heute, und es kann kaum geleugnet werden können, daß damals auch höher organisierte Wesen als heute auf diesem Wege mußten entstehen können. Sichre Kenntnisse indessen oder auch nur gegründete Vermutungen über das Nähere dieses Verhältnisses besitzen wir heute nicht, und wir sind weit entfernt, diese Unwissenheit nicht eingestehen zu wollen. Mag uns indessen noch so vieles und manches über die genauere Art der organischen Schöpfung unklar oder zweifelhaft sein – soviel können wir doch mit Bestimmtheit sagen, daß sie ohne das Zutun äußerer Gewalten vor sich gegangen sein kann und muß. Wenn uns diese Schöpfung heute, indem wir uns in der uns umgebenden Natur umsehen, über die Maßen imponiert, und der geistige Eindruck einer unmittelbaren schaffenden Ursache sich nicht immer abweisen läßt, so ist der Grund für dieses Gefühl eben nur darin zu suchen, daß wir die endlichen Wirkungen einer während vieler Millionen von Jahren tätigen Aktion natürlicher Kräfte in ein Gesamtbild vereinigt vor uns sehen, und, indem wir nur an das Gegenwärtige, nicht an das Vergangene denken, uns auf den ersten Anblick nicht wohl vorstellen mögen, daß die Natur dieses alles aus sich selbst hervorgebracht habe. Aber dennoch ist dieses so. Mag es auch im einzelnen geschehen sein, wie es wolle, das Gesetz der Ähnlichkeiten, der Prototypenbildung, der notwendigen Abhängigkeit, welche die organischen Wesen in Entstehung und Form von den äußeren Zuständen[72] der Erdrinde zeigen, mit einem Wort die allmähliche Hervorbildung höherer organischer Formen aus niederen, Schritt haltend mit den Entwicklungsstufen der Erde, der Umstand namentlich, daß die Entstehung organischer Wesen nicht ein momentaner, sondern ein durch alle geologischen Perioden hindurch fortdauernder Prozeß war, daß jede geologische Periode durch ihre besonderen Geschöpfe charakterisiert wird, von denen nur einzelne aus einem Zeitabschnitt in den andern hineinragen – beruhen auf unumstößlichen Tatsachen und sind gänzlich und durchaus unvereinbar mit dem Gedanken an eine persönliche und mit Machtvollkommenheit ausgerüstete Schöpferkraft, welche sich unmöglich zu einer derartigen langsamen, allmählichen und mühsamen Schöpfungsarbeit bequemen und sich in dieser Arbeit abhängig von den natürlichen Entwicklungsphasen der Erde machen konnte. Im Gegensatze dazu mußte die Arbeit der Natur bei ihren halb zufälligen, halb notwendigen Erzeugnissen eine unendlich langsame, allmähliche, stufenweise, nicht vorherbedachte sein. So erblicken wir denn in dieser Arbeit nirgends einen ganz unvermittelten, auf persönlicher Willkür deutenden Sprung; Form reiht sich an Form, Übergang an Übergang. Unvermerkt geht die Pflanze in das Tier, das Tier in den Menschen über. Trotz aller Bemühungen ist man doch bis auf den heutigen Tag nicht imstande gewesen, eine feste Grenze zwischen Tier- und Pflanzenreich, zwei anscheinend so streng getrennten Abteilungen organischer Wesen, aufzufinden, und es ist keine Aussicht vorhanden, daß man es jemals imstande sein werde. Ebensowenig existiert jene Grenze zwischen Mensch und Tier, von welcher man so viel reden hören muß, vielleicht weil die Redenden fürchten, ihr eigner Verstand möge bei einer solchen[73] Vergleichung an Ansehen verlieren. Die Geologen berechnen das Alter des Menschengeschlechts auf 80-100.000 Jahre, gleich dem Alter der sogenannten Alluvialschicht, auf der zuerst menschliches Leben möglich wurde; dagegen existiert die Geschichte menschlichen Daseins, also sein kulturfähiger Zustand, erst seit wenigen tausend Jahren. Welche Zeit mußte demnach vergehen, bis der Mensch sich auf einen solchen Punkt geistiger Höhe schwang, auf dem es ihm Bedürfnis wurde, seine Erlebnisse seinen Nachkommen traditionell mitzuteilen! und welches Recht haben wir, den heutigen Kulturmenschen, der auf der obersten Sprosse einer hunderttausendjährigen Leiter steht, als ein Produkt übernatürlicher Einwirkung zu zitieren? Wenn wir an seinen Ursprung zurückdenken, werden wir anders urteilen. Ohne Zweifel näherte sich der Mensch in jenen früheren Perioden mehr den Tieren als dem Bilde seines heutigen Zustandes, und die ältesten ausgegrabenen Menschenschädel zeigen rohe, unentwickelte und tierähnliche Formen. – Wollte man dennoch, entgegen allem naturphilosophischen Verstand, annehmen, es habe die unmittelbare Hand des Schöpfers selbst diese Vorgänge überall und allerorten, zerstreut durch Raum und Zeit, geleitet, so würde man sich damit allgemeinen pantheistischen Vorstellungen nähern und könnte nicht umhin, zuzugeben, daß dieses Verhältnis noch fortdaure, da die Entwicklung der Erde und der auf ihr lebenden Pflanzen- und Tiergeschlechter nicht aufgehört hat, sondern in gleicher oder ähnlicher Weise fortdauert wie früher. Da müßte man denn auch annehmen, daß kein Schäflein ohne Zutun jener schaffenden Allgewalt gezeugt und geboren werden könne, und daß jede Mücke, welche ihre Eier legt, auf die unmittelbare Sorge jener Gewalt für Ausbrütung ihrer[74] Nachkommenschaft Anspruch zu machen habe. Aber die Wissenschaft hat längst das Natürliche, Mechanische und Zufällige in diesen Vorgängen zur Evidenz nachgewiesen und jeden Gedanken an übernatürliche Dazwischenkunft verbannt. So kann uns auch dieses Verhältnis zum Beweis unserer ausgesprochenen Ansichten werden, da ein Rückschluß von der Natürlichkeit der heutigen Vorgänge der organischen Welt auf einen ebenso natürlichen Anfang gerechtfertigt ist, und umgekehrt. »Wer A sagt, muß auch B sagen. Ein supranaturalistischer Anfang erfordert notwendig eine supranaturalistische Fortsetzung.« (Feuerbach.)

»Als Individuum abgeschlossen«, sagt Burmeister, »blieb die Erde in gewissen unabänderlichen Beziehungen zu ihrer Umgebung, und was auf ihr, unabhängig von diesen Beziehungen, vorging, das vollbrachte sie selbst aus eigner Kraft; denn es gab und gibt noch heute keine Gewalt auf der Erde, als diejenige ist, welche sie nun einmal besitzt. Mit dieser Kraft hat sie sich entwickelt; wieweit deren Wirkungen sich erstreckten, reichten auch ihre Erfolge; wo die irdischen Kräfte schwinden, schwindet auch alle und jede Wirkung auf Erden, und was sie nicht hervorbringen konnte, das ist nie dagewesen, das wird nie hervorgebracht werden!«

Niemals hat eine Wissenschaft einen glänzenderen Sieg über das übernatürliche Prinzip davongetragen als die Geologie und Petrefaktenkunde; niemals hat der menschliche Geist entschiedener der Natur ihr Recht gerettet. Weder kennt die Natur einen übernatürlichen Anfang noch eine übernatürliche Fortsetzung; sie, die alles gebärende und alles verschlingende, ist sich selbst Anfang und Ende, Zeugung und Tod. Aus eigner Kraft brachte sie den Menschen hervor, aus eigner Kraft wird sie ihn wieder zu sich nehmen. Kann[75] nicht auch diese Menschenart zugrunde gehen und eine vollkommenere an ihre Stelle treten? Oder wird die Erde wieder einen Rückweg antreten und die Resultate so langjähriger Arbeit von ihrem Boden vertilgen? Niemand weiß es, niemand hat es gewußt, niemand wird es wissen als die Überlebenden![76]

1

In Belgien will man in der letzten Zeit Reste von Menschenknochen, welche sich dem afrikanischen Typus nähern, im Diluvium gefunden haben, so daß dennoch der Mensch wenigstens nicht das allerletzte Glied der Schöpfung sein würde.

2

Die häufig in naturphilosophischem Sinne erörterte Frage über die Abstammung des menschlichen Geschlechts von einem oder mehreren Paaren dürfte indes für den nächsten Zweck unserer Untersuchung ziemlich gleichgültig erscheinen. War die Natur imstande, an irgendeinem Orte aus eigenen Kräften den Menschen hervorzubringen, so konnte dieses ebensowohl einmal als mehrmals, da oder dort, geschehen.

Quelle:
Ludwig Büchner: Kraft und Stoff. Leipzig [o.J.], S. 55-77.
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Große Erzählungen der Hochromantik

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Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

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