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[50] Das Werk hat sechs Theile; davon handelt
der erste von der Eintheilung der Wissenschaften;
der zweite von dem Neuen Werkzeuge oder von den Mitteln zur Erklärung der Natur;
der dritte von den Erscheinungen des Weltalls oder von der beobachtenden Naturbeschreibung, als Unterlage der Philosophie;
der vierte von der Leiter der Erkenntniss;
der fünfte von den Vorläufern oder von den im Voraus aus der zweiten Philosophie entlehnten Sätzen;
der sechste von der zweiten Philosophie oder von der thätigen Wissenschaft.
Es gehört zu meiner Aufgabe, Alles so klar und offen als möglich darzulegen; denn die Nacktheit der Seele ist, wie ehedem die des Körpers, die Gefährtin der Unschuld und Einfalt. Deshalb ist: zunächst die Anordnung und[50] die Eintheilung des Werkes aufzuzeigen. Ich sondere es in sechs Theile.
Der erste Theil giebt eine Uebersicht der allgemeinen Darstellung aller Wissenschaften oder Lehren, in deren Besitz die Menschheit sich jetzt befindet. Es schien rathsam, auch bei dem jetzt Geltenden etwas zu verweilen, um desto leichter dem Alten seine Vollendung und dem Neuen den Eintritt zu bereiten; denn ein gleicher Eifer treibt mich zum Ausbau des Alten wie zur Erwerbung von Neuem. Auch hilft dies das Vertrauen wecken, nach dem Ausspreche: »Der Thor hört nicht auf die Worte der Wissenschaft, bevor ihm nicht gesagt worden, was in seinem Herzen vorgeht.« Deshalb werde ich nicht versäumen, die Küsten der vorhandenen Wissenschaften und Künste zu besuchen und gleichsam im Vorbeifahren mancherlei Nützliches zuzuführen.
Die Eintheilung der Wissenschaften nehme ich aber so, dass sie nicht blos das Entdeckte und Bekannte, sondern auch das bisher Uebersehene und noch Nöthige mit umfasst. Denn auf der Geisteskugel giebt es, wie auf der Erdkugel, sowohl angebaute als wüste Ländereien; man wundere sich deshalb nicht, wenn ich die gewohnte Eintheilung mitunter verlasse; denn ein Zusatz, der das Ganze verändert, muss auch die Theile und Abschnitte verändern, und die hergebrachten Eintheilungen entsprechen nur dem jetzigen Vorrath des Wissens.
In Bezug auf das bisher Uebersehene werde ich nicht blos inhaltslose Bezeichnungen aufstellen, sondern bestimmt angeben, was gefordert wird. Sollte hierbei Manches vorkommen, was schwer fasslich erscheint, und muss ich deshalb fürchten, dass man meine Absicht und das Werk, was ich in Gedanken habe, nicht recht verstehen mochte, so werde ich bei allen erheblichen Fällen solcher Art stets entweder die Anleitung zur Verfertigung solcher Werke beifügen, oder auch einen von mir bereits gefertigten Theil davon zur Veranschaulichung des Ganzen hinzufügen, um im Einzelnen mit Rath und That zu Hülfe zu sein. Denn nicht blos der Nutzen Anderer, sondern auch die Rücksicht auf meinen eignen guten Ruf verlangt von mir den Nachweis, dass nicht blos oberflächliche Begriffe von solchen Dingen meine Seele durchzogen haben, und dass das, was ich fordere und mir vorsetze, mehr[51] ist als ein blosser frommer Wunsch. Im Gegentheil ist es der Art, dass die Menschen, wenn sie nicht selbst verzagen, die volle Macht dazu haben, und dass ich selbst in mir den bestimmten und deutlichen Begriff davon trage. Denn es ist nicht meine Absicht, wie die Vogelschauer, zur Erforschung des Kommenden die Himmelsgegenden im Geiste abzustecken, sondern als Führer einzutreten, mit dem Willen, mich nützlich zu machen. Dies ist der erste Theil des Werkes.[52]
Nachdem ich so an den alten Künsten vorbeigefahren bin werde ich den menschlichen Geist zur Fahrt ins offene Meer vorbereiten. Im zweiten Theile folgt deshalb die Lehre über den bessern und vollkommneren Gebrauch der Vernunft bei Erforschung der Dinge und über die wahren Hülfsmittel der Erkenntniss; damit auf diese Weise (so weit der Stand des Menschen und seiner Sterblichkeit es gestatten) der Geist erhoben werde, seine Kraft sich erweitere, und er das Steile und Dunkle in der Natur überwinde. Die Kunst, welche ich einführe (und die ich Erklärung der Natur zu nennen gewohnt bin), gehört zur Logik; obgleich sie vielfach und also auch gleichsam unendlich von ihr verschieden ist. Die gewöhnliche Logik verspricht, auch dem Verstande Hülfsmittel und Unterstützung zu gewähren und zu bereiten, und darin stimmen beide überein; dagegen unterscheidet sich die meine von der gewöhnlichen in drei Punkten; nämlich in dem Zwecke, in der Art des Beweisens und in den Anfängen der Untersuchung.
Denn das Ziel meiner Lehre ist nicht, Beweisgründe, sondern Künste zu entdecken; nicht das, was den Prinzipien entspricht, sondern diese Prinzipien selbst; nicht das blos Wahrscheinliche, sondern die bestimmte Erkenntniss der Thatsachen. So folgt aus dem unterschied des Zweckes auch ein Unterschied in den Ergebnissen. Dort wird der Gegner durch Disputiren besiegt und gefesselt, hier wird es die Natur durch die That.
Diesen Zielen selbst entspricht auch die Natur und Form der Beweise. In der gewöhnlichen Logik wird alle Kraft auf den Syllogismus verwendet, und an die induktive Methode hat man kaum gedacht; mit wenig Worten wird sie da bei Seite geschoben, und man eilt zu den Formeln des Disputirens. Ich aber verwerfe die Beweisführung durch den Syllogismus, denn er verwirrt und lässt die Natur aus den Händen entschwinden. Wenn es auch unzweifelhaft ist, dass, wo Zwei mit einem Mittleren übereinstimmen, sie auch unter sich stimmen (was ja auch zum Theil die mathematische Gewissheit bildet), so steckt[53] doch in dem Syllogismus insoweit ein Betrug, als er aus Sätzen und die Sätze aus Worten bestehen, die Worte aber nur die Marken und Zeichen der Begriffe sind. Hat deshalb die Seele diese Begriffe (welche gleichsam die Seele der Worte sind und die Grundlage des ganzen Baues und Werkes abgeben) schlecht und übereilt von den Dingen entlehnt, schwankend und nicht genau umschrieben und bestimmt, sondern in vieler Hinsicht mangelhaft gebildet, so bricht Alles zusammen. Deshalb verwerfe ich den Syllogismus, und nicht blos in Bezug auf die Prinzipien (wofür er auch dort nicht benutzt wird), sondern auch für jene Mittelsätze, die zwar jeder Syllogismus herausfördert und erzeugt, aber die unfruchtbar und unpraktisch und für den thätigen Theil der Wissenschaften ohne Werth sind. Ich überlasse deshalb dem Syllogismus und den übrigen berühmten und vielgeübten Beweisführungen dieser Art die Herrschaft über die landläufigen in der Meinung sich bewegende Künste[54] (mit denen ich nichts zu thun habe), und ich werde für die Natur der Dinge mich der Induktion überall, sowohl zu den niedern wie zu den höhern Aufgaben, bedienen. Induktion nenne ich aber das Beweisverfahren, welches die sinnliche Wahrnehmung festhält, auf die Sache eindringt und den Werken nahe steht und beinahe daran Theil nimmt.
Auch die Regeln des Beweisens werden dabei völlig verändert; denn bisher pflegte man so zu verfahren, dass man von dem sinnlich Wahrgenommenen und Einzelnen sofort zu dem Allgemeinsten sich erhob, als zu jenen[55] festen Polen, um die alle Disputationen sich drehen. Von diesen wurde das Weitere durch Mittelsätze abgeleitet. Ein solcher Weg ist allerdings kurz, aber auch gefährlich; von der Natur führt er ab, aber zum Disputiren ist er bequem und verführerisch. Nach meiner Weise werden dagegen die Lehrsätze im Zusammenhange und nach und nach aufgestellt, und erst zuletzt gelangt man zu dem Allgemeinsten. Dieses Allgemeinste tritt dann aber nicht in selbst gemachten Begriffen auf, sondern wohl begrenzt und so, wie es die Natur als ihr zugehörig anerkennt, und wie es den Dingen in dem Marke steckt.
Vorzugsweise behandele ich hierbei die Form der Induktion und den daraus sich ergebenden Satz. Jene Form, welche die Dialektiker erwähnen, und welche auf der einfachen Zahlung beruht, ist ein kindisches Geschäft; sie kommt nur zu bittweisen Sätzen, bleibt den Gefahren entgegengesetzter Fälle ausgesetzt, hat nur das Gewohnte im Auge und findet den Ausgang nicht.
Die Wissenschaften bedürfen vielmehr eines solchen induktiven Verfahrens, was die Erfahrung auflöst und trennt, und was erst, nachdem das Erforderliche ausgeschlossen und beseitigt worden, zu den Schlussfolgerungen gelangt. Hat nun schon jene gebräuchliche Weise der[56] Dialektiker Mühe gemacht und grosse Geister beschäftigt, wie viel mehr Anstrengung ist dann nöthig, wenn das Gesuchte nicht blos aus dem erreichbaren Inhalt der Seele sondern auch aus den Eingeweiden der Natur herausgezogen werden soll?
Aber damit ist das Ziel noch nicht erreicht. Denn auch die Fundamente der Wissenschaften lege ich tiefer und fester nach unten und den Anfang der Untersuchung stecke ich höher, als es bis jetzt geschehen ist, indem ich auch das der Untersuchung unterwerfe, was die gewöhnliche Logik auf Treue und Glauben annimmt. Die Dialektiker borgen die Prinzipien der einen Wissenschaft bei der andern wechselsweise; dann beugen sie sich in Ehrfurcht vor den obersten Begriffen des Geistes, und zuletzt beruhigen sie sich bei der unmittelbaren Kundgebung der gesunden Sinne. Ich meine aber, dass die wahre Logik die einzelnen Gebiete der Wissenschaften mit einer wahren Macht betreten muss, die über deren eigene Prinzipien hinausgeht, und dass auch diese vermeintlichen Prinzipien sich erst über ihre Gestaltung zu rechtfertigen haben. Was aber die obersten Begriffe des Verstandes anlangt, so ist mir Alles, was der Verstand in seiner Isolirung sich ausgedacht hat, verdächtig; ich erkenne es nicht an, bevor es sich nicht einer neuen Untersuchung unterworfen hat, und nur so, wie da der Spruch gefällt werden wird. Auch die Auskunft der Sinne prüfe ich[57] auf vielfache Art; denn die Sinne täuschen wohl, aber sie zeigen auch ihre Irrthümer an; die Irrthümer sind freilich sofort da, während ihre Berichtigung weit hergeholt werden muss.
Der Fehler der Sinne ist ein zwiefacher; entweder lassen sie uns im Stich, oder sie täuschen. In erster Hinsicht giebt es Vieles, was selbst den vollkommen gesunden und unbehinderten Sinnen entgeht, sei es, dass der Gegenstand überhaupt zu fein ist, oder die Theile zu klein sind, oder dass die Entfernung zu gross, oder die Bewegung zu langsam oder zu schnell ist, oder weil der Gegenstand zu bekannt ist, oder aus andern Gründen. Aber auch da, wo die Sinne die Sache erfassen, sind ihre Wahrnehmungen nicht immer zuverlässig. Denn das Zeugniss und die Kundgebung der Sinne geschieht immer nur in Beziehung auf den Menschen, nicht in Beziehung auf das Weltall, und es ist ein grosser Irrthum, zu behaupten, dass die Sinne das Maass der Dinge seien.
Um dem entgegenzutreten, habe ich mit vieler und ernster Arbeit von allen Seiten die Hülfe für die Sinne aufgesucht und herbeigeholt, damit der Mangel durch den Inhalt und das Schwankende durch das Richtige ersetzt werde. Nicht Instrumente, sondern Experimente benutze ich dazu. Denn die Feinheit der Versuche übertrifft[58] die der Sinne, wenn sie von guten Instrumenten unterstützt werden. (Ich meine die Versuche, die für einen bestimmten Zweck mit Umsicht und Geschick erdacht und ausgeführt werden.) Deshalb gebe ich auf die unmittelbare und eigentliche Sinneswahrnehmung nicht viel, sondern ich richte die Sache so ein, dass der Sinn nur über den Versuch, der Versuch aber über die Sache das Urtheil fällt. Deshalb habe ich die Sinne (von denen im Natürlichen Alles entnommen werden muss, wenn man nicht irrsinnig reden will) zu den kirchlichen Thürstehern und zu den erfahrenen Auslegern der Orakel erhoben; und während Andere nur in Worten die Sinne vertheidigen und ehren, thue ich es in Wirklichkeit.
Solcher Art ist das, was ich für die Erleuchtung der Natur, für die Anzündung und das Eindringen des Lichtes vorbereite. Es würde für sich genügen, wenn der menschliche Geist geebnet und aller Inhalt, wie bei einer Tafel, in ihm ausgelöscht wäre; allein die Geister der Menschen sind wunderlich verhüllt, und es fehlt die getreue und glatte Fläche, um die Strahlen der Dinge richtig aufzufangen; deshalb muss auch hierfür ein Hülfsmittel gesucht werden.
Die Götzenbilder, welche die Seele erfüllen, sind entweder von aussen gekommen oder angeboren. Erstere dringen entweder aus den Aassprüchen und Sekten der Philosophie oder aus den verkehrten Beweisregeln in die Geister der Menschen. Die angebornen hängen dem Geiste von Natur an; er neigt viel mehr als die Sinne dem Irrthume sich zu. Denn so sehr man auch sich darin gefällt, den menschlichen Geist zu bewundern und gleichsam anzubeten, so ist es doch ganz gewiss, dass, so wie ein unebener Spiegel die Strahlen der Gegenstände durch seine eigene Gestalt und Biegung verändert, so[59] auch der Geist bei dem sinnlichen Wahrnehmen und bei Austrennung und Mischung seiner Begriffe seine eigene Natur mit der Natur der Gegenstände in keinesweges redlicher Weise vermengt.
Jene beiden ersten Arten von Götzenbildern sind schwer, die letzte aber in keiner Weise zu vertilgen; es bleibt nur übrig, dass man sie kennen lernt, und dass diese hinterlistige Kraft der Seele erkannt und gehemmt werde, damit nicht etwa aus der Zerstörung der alten Irrthümer Sprösslinge zu neuen wegen der schlechten Beschaffenheit der Seele hervorkeimen, und die Sache darauf hinausläuft, dass die Irrthümer nicht vertilgt, sondern nur vertauscht werden. Vielmehr muss es in Ewigkeit gelten und feststehen, dass der Geist nur durch Induktion und die rechte Weise derselben zur Erkenntniss gelangen kann. Deshalb schliesst die Lehre von der Reinigung des Verstandes, um ihn für die Wahrheit geschickt zu machen, mit drei Widerlegungen; mit der Widerlegung der Philosophien, mit der der Beweise und mit der der angebornen menschlichen Vernunft. Ist dies geschehen, und erhellt endlich, was die Natur der Dinge, und was die Natur des Geistes zu übernehmen hat, so meine ich das gemeinsame Brautbett für den Geist und die Welt unter dem ehestiftenden Schutz der göttlichen Liebe bereitet und geschmückt zu haben. Der Wunsch des Hochzeitsgedichtes[60] sei aber dass aus dieser Verbindung Hülfe für die Menschen und ein Geschlecht von Erfindern hervorgehen möge, welche die Noth und das Elend des Geschlechts einigermassen lindern und besiegen. Dies ist der zweite Theil des Werkes.
Es ist aber rathsam, die Wege nicht blos zu zeigen und zu ebnen, sondern auch zu betreten; deshalb umfasst der dritte Theil des Werkes die Erscheinungen des Weltalls, d.h. die Erfahrungen aller Art und die Naturgeschichte, so wie sie der zu errichtenden Philosophie zur Grundlage dienen kann. Denn weder die ausgezeichnetste Art der Beweisführung, noch die beste Weise, die Natur zu erklären, vermag, obgleich sie den Geist gegen Versehen schützt und stützt, den Stoff des Wissens zu gewähren und zu unterbreiten. Wer nicht blos vermuthen und prophezeihen, sondern entdecken und erkennen will, und wer nicht blos die Aeffchen und Fabeln der Welt sich merken, sondern dieser wirklichen Welt Natur durchschauen und auseinanderlegen will, der muss Alles von den Dingen selbst entlehnen. Diese Arbeit und Untersuchung und Durchwanderung der Welt kann von keinem scharfsinnigen Nachdenken und Beweisen ersetzt oder ausgeglichen werden; selbst wenn die volle Geisteskraft Aller sich vereinte. Deshalb muss man sich hierzu entschliessen oder das Unternehmen für immer aufgeben. Bis zu dem heutigen Tag hat man es aber in einer Weise[61] getrieben, dass man sich nicht wundern darf, wenn die Natur sich nicht zu erkennen gegeben hat.
Denn erstlich lässt die Kunde die Sinne im Stich und ist trügerisch; die Beobachtung geschieht unaufmerksam, unregelmässig und gleichsam, zufällig. Die Ueberlieferungen sind eitel und beruhen auf Gerüchten; der Praxis kommt es nur auf das Werk an, und sie ist knechtischen Sinnes; die Kraft zu Versuchen ist blind, beschränkt, schwankend und voreilig; endlich ist die Naturkunde leichtfertig und hülflos, und so ist dem Geist nur der mangelhafteste Stoff für die Philosophie und die Wissenschaften geboten worden. Zuletzt sucht man, aber zu spät, in spitzfindigen Ausführungen und Wendungen eine Hülfe, ohne damit die Sache verbessern und die Irrthümer beseitigen zu können. Deshalb liegt alle Hoffnung auf eine erhebliche Vermehrung und auf den Fortschritt der Wissenschaften nur in einer gewissen Erneuerung derselben.
Eine solche hat aber mit der Naturgeschichte zu beginnen, und diese selbst muss in einer neuen Weise eingerichtet werden. Denn das Putzen des Spiegels nützt nichts, wenn die Bilder fehlen, und man muss den passenden Stoff dem Geiste gewähren und nicht blos zuverlässige Hülfsmittel beschaffen. Meine Naturkunde unterscheidet sich also, wie meine Logik, vielfach von der jetzt vorhandenen; sowohl in dem Ziele oder der Aufgabe wie in dem Stoffe oder Inhalte, in der Schärfe wie in der Auswahl und in der Reihenfolge der Gegenstände.
Denn erstlich will meine Naturkunde nicht blos durch die Mannichfaltigkeit des Inhaltes ergötzen oder mit sofortigen Früchten aus den Versuchen Hülfe bringen, sondern der Auffindung der Ursachen Licht gewähren und der noch mit der Muttermilch zu nährenden Philosophie die erste Brust darreichen. Denn wenn ich auch die[62] Werke und den thätigen Theil der Wissenschaften vorzüglich im Auge habe, so warte ich doch die Zeit der Ernte ab und mag nicht das Moos und die noch grüne Saat abmähen. Denn ich weiss wohl, dass, wenn die Lehrsätze richtig entdeckt sind, ganze Haufen von Werken von selbst nachfolgen und die Früchte nicht einzeln, sondern in Masse abfallen. Jenes unzeitige und kindische Verlangen, mit der man ein Unterpfand für neue Ergebnisse schleunigst erlangen will, verdamme ich gänzlich und weise es wie den Apfel der Atalanta zurück, weil er den Lauf hemmt. Derart ist die Aufgabe meiner Naturkunde.
Was aber den Stoff anlangt, so gebe ich nicht blos eine Beschreibung von der freien und gelösten Natur (wo sie nämlich von selbst fliesst und ihr Werk vollführt), wie dies bei der Beschreibung der Himmelskörper, der Lufterscheinungen, des festen Landes und der Meere, der[63] Steine, Pflanzen und Thiere geschieht, sondern mehr noch eine Beschreibung von der gebundenen und bedrängten Natur; wenn sie durch Kunst und menschliches Zuthun aus ihrem Zustand verdrängt, gepresst und geformt wird. Deshalb werde ich in allen mechanischen Künsten, in dem ganzen ausführenden Theile der freien Künste und in aller praktischen Thätigkeit, die sich noch zu keiner besondern Kunst ausgebildet hat, die Versuche beschreiben, so weit ich sie ermitteln konnte und sie zu meiner Aufgabe gehören. Ich habe mich, um es offen zu bekennen, bei dem Luxus der Menschen und bei den Schönheiten nicht aufgehalten, sondern auf diesen Theil mehr Arbeit und Mittel als auf jenen verwendet; denn die Natur verräth sich mehr, wenn sie von der Kunst gedrängt wird, als wenn sie sich frei überlassen bleibt.
Ich gebe auch nicht blos eine Beschreibung von den Körpern, sondern ich habe es zu meiner Aufgabe gerechnet, auch die Beschreibung der Kräfte selbst daneben zu geben, und zwar derer, die als die obersten in der Natur gelten können, und auf denen alle Anfänge in der Natur beruhen, also die ursprünglichen Leidenschaften und Begehren des Stoffes, d.h. das Dichte, das Lockere, das Warme, das Kalte, das Feste, das Flüssige, das Schwere, das Leichte und Anderes mehr. Was den Scharfsinn anlangt, so suche ich nach einer Art von Versuchen,[64] die weit gelöster und feiner sind als die, welche sieh Jedermann darbieten. Denn Vieles gewinne und ziehe ich aus der Dunkelheit hervor, dessen Aufsuchung Niemandem in den Sinn gekommen wäre, der nicht festen und beharrlichen Schrittes in der Entdeckung der Dinge vorschreitet. Denn an sich haben sie keinen Nutzen, und es ist klar, dass man sie nicht um ihrer selbst willen gesucht hat; vielmehr verhalten sie sich zu den Dingen und Werken wie die Buchstaben des Alphabetes zur Rede und zu den Worten; auch diese sind für sich ohne Werth und bilden doch die Elemente jeder Rede.
In der Auswahl der Erzählungen und Versuche glaube ich besser als Die, welche sich bisher mit der Naturkunde beschäftigt haben, für die Menschen gesorgt zu haben. Nur das, was sich auf den Augenschein und eine genaue Untersuchung stützt, habe ich, und zwar erst nach strenger Prüfung, aufgenommen. Nichts ist des Wunderbaren wegen vergrössert worden, sondern was ich mittheile, ist rein und unbefleckt von Dichtung und Eitelkeit; vielmehr habe ich die allgemein geltenden und umlaufenden Unwahrheiten (die durch eine wunderbare Nachlässigkeit vieler Jahrhunderte lange sich erhalten haben und eingewurzelt sind) einzeln bezeichnet und verbannt, damit sie die Wissenschaft nicht länger belästigen. Denn man hat bemerkt, dass die Fabeln, der Aberglaube und die Possen, welche die Ammen den Kindern beibringen, deren Seelen ernstlich verschlechtern, und deshalb bin ich auch ängstlich darauf bedacht, dass nicht gleich im Beginne, wo wir die Philosophie gleichsam in ihrer Kindheit als Naturkunde behandeln und pflegen, sie sich an Eitelkeit gewöhne. Bei jedem neuen und schwierigem Versuche habe ich, wenn mir auch das Ergebniss sicher und festgestellt schien, doch das dabei beobachtete Verfahren offen dargelegt, damit man durch die Mittheilung, wie ich das Einzelne gewonnen habe, erkenne, ob ein Irrthum dabei sich eingeschlichen haben könne, und damit sicherere und ausgewähltere Beweise erreicht werden, soweit solche möglich sind. Endlich füge ich überall die Einwürfe, die Bedenken und die Einschränkungen hinzu und vertreibe gleichsam durch Religion und Beschwörungsformeln alle Gebilde der Einbildungskraft.[65]
Endlich ist mir bekannt, wie sehr die Erfahrung und die Beschreibung die Mittel des Geistes zerstreut, und wie schwer es ist, vom Grunde aus mit der Natur vertraut zu werden, namentlich für zartere und voreingenommene Gemüther; deshalb füge ich öfter Bemerkungen bei, die gleichsam die ersten Wendungen und Neigungen und Blicke der Naturkunde nach der Philosophie vorstellen. Dies mag den Lesern ein Pfand sein, dass sie nicht immer in den Fluthen der Naturbeschreibung festgehalten werden sollen. Gelangt man dann dahin, wo der Verstand sich thätig zu zeigen hat, so wird Alles mehr in Bereitschaft sein. Durch eine Naturgeschichte, wie sie hier gebildet worden, gewinnt man nach meiner Ansicht einen sichern und bequemen Eingang zur Natur und bereitet für den Geist den rechten und geprüften Stoff vor.
Nachdem ich so den Geist mit den zuverlässigsten Hülfsmitteln und Bundesgenossen versehen und ein tüchtiges Heer für das göttliche Unternehmen mit strengster Auswahl gesammelt habe, bleibt nur übrig, an die Philosophie selbst heranzutreten. Aber in einer so schwierigen und schwankenden Sache muss Einiges vorausgeschickt werden, theils der Belehrung wegen, theils zum vorliegenden Gebrauch.
Dahin gehört erstens, dass Beispiele zu der Untersuchung und Entdeckung nach meiner Weise und Richtung an einzelnen Fällen gegeben werden und dabei hauptsächlich solche gewählt werden, welche die vornehmsten und dabei unter sich die verschiedensten sind, damit so für jede Besonderung das Beispiel nicht fehle. Ich meine hier nicht jene Beispiele, welche zur Erklärung einzelner Vorschriften und Regeln beigefügt werden (denn dies ist in dem zweiten Theile des Werkes genügend geschehen), sondern ich verstehe darunter die Grundformen und Gestaltungen, welche das ganze Verfahren des Geistes und die stetige Wirksamkeit und Reihenfolge bei dem Erscheinenden an einzelnen hervortretenden und unterschiedenen Fällen gleichsam vor Augen stellen. Denn ich hatte bemerkt, dass in der Mathematik mit Hülfe der Figuren der Beweis leicht und klar ist, und dass ohne diese Hülfe Alles verwickelter und dunkler scheint, als es in Wahrheit ist. Deshalb habe ich für solche Beispiele[66] dem vierten Theil des Werkes bestimmt, der in Wahrheit nur eine Verdeutlichung und Anwendung des zweiten Theiles auf das Besondere ist.
Der fünfte Theil soll nur für die Zeit gelten, bis das Uebrige vollendet ist; er wird als Zins gegeben, so lange man das Kapital nicht haben kann. Denn ich verfolge mein Ziel nicht mit so verdüstertem Blick, dass ich das Nützliche, was auf meinem Wege liegt, übersehe. Ich bilde deshalb den fünften Theil des Werkes aus dem, was ich entdeckt oder untersucht oder erweitert habe, und zwar nicht mittelst der blossen Deduktion und der Auslegungsregeln, sondern durch Anwendung derselben Geisteskraft, welche zu deren Aufsuchung und Erfindung gedient hat. Da in Folge meines steten Verkehrs mit der Natur ich grossere Dinge erwarte, die über meine schwachen Kräfte hinausgehen, so mögen jene einzelnen Entdeckungen gleichsam als Herbergen gelten, welche dem Wege entlang aufgerichtet worden sind, damit der Geist auf seinem Wege zur Wahrheit in ihnen etwas ausruhe. Indess erkläre ich vorläufig ausdrücklich, dass ich Alles, was nicht in der richtigen Weise der Naturerklärung gefunden und geprüft worden ist, keinesweges festgehalten[67] wissen will. Niemand wird diese Vorsicht im Urtheilen missbilligen bei einer Lehre, welche zwar nicht behauptet, dass man überhaupt nichts wissen könne, aber doch, dass man nur auf dem rechten Wege und durch das rechte Verfahren etwas wissen kann. Diese Lehre stellt deshalb einstweilen gewisse Grade der Gewissheit zur Benutzung und Erleuchtung auf, bis der Geist zur Erklärung der Ursachen gelangt ist. Denn selbst jene Philosophen-Schulen, welche einfach an der Zurückhaltung des Urtheils festhalten, standen nicht hinter jenen zurück, welche in ihren Behauptungen sich alle Freiheiten erlaubten. Jene haben sich nur nicht die Hülfe der Sinne und des Verstandes bereitet, wie ich es thue, sondern den Glauben und die Gewissheit völlig aufgehoben, was ein durchaus anderes und entgegengesetztes Verfahren ist.
Endlich erschliesst und bringt der sechste Theil meines Werkes (dem die andern nur dienen und vorarbeiten) die Philosophie, wie sie aus einer solchen hier dargelegten und vorbereiteten reichlichen, keuschen und strengen Untersuchung hervorgeht und sich erhebt. Diesen[68] letzten Theil zu vollenden und an Ende zu führen, ist eine Aufgabe, die meine Kräfte und meine Hoffnungen übersteigt. Ich habe einen, hoffentlich nicht zu verachtenden Anfang gemacht, das Ende wird das Geschick des menschlichen Geschlechts so gewähren, wie bei jetziger Lage der Dinge und dem gegenwärtigen Zustand der Geister man wohl nicht leicht es erfassen und übersehen kann. Denn es handelt sich nicht blos um das Glück der Wissenschaften, sondern in Wahrheit um die Lage und das Glück der Menschheit und um die Macht zu allen Werken. Denn der Mensch, als Diener und Dolmetscher der Natur, wirkt und erkennt nur so viel, als er von der Ordnung der Natur durch seine Werke oder seinen Geist beobachtet hat; darüber hinaus weiss und vermag er nichts. Denn keine Kraft vermag die Kette der Ursachlichkeit zu losen oder zu brechen, und sie wird nur besiegt, wenn man ihr gehorcht. Deshalb fallen jene Zwillingsziele, die menschliche Wissenschaft und die menschliche Macht, in Eins zusammen, und die meisten Werke misslingen aus Unkenntnis der Ursachen.
Und darin ist Alles enthalten, dass man das geistige Auge nie von den Dingen selbst wegwende, und dass man deren Bilder ganz so, wie sie sind, aufnehme. Denn Gott wird es nicht gestatten, dass ich einen Traum meiner Einbildung als das Exemplar der Welt biete; vielmehr wird er mir gnädig beistehen, dass ich eine Offenbarung und ein wahres Gesicht von den Spuren und Zeichen des Schöpfers in seinen Geschöpfen niederschreibe.
O Gott Vater, der Du das sichtbare Licht als erste Schöpfung gewährt hast und das geistige Licht bis zu dem Gipfel Deiner Werke dem Antlitz des Menschen eingeflösst hast, schütze und leite Du das Werk, was von Deiner Liebe ausgegangen ist und nur Deinen Ruhm wiederholt! Du hast, als Du Dich umwandtest, um die Werke zu schauen, die Deine Hand geschaffen hatte, gesehen, dass Alles sehr gut war, und hast ausgeruht. Aber wenn der Mensch sich zu den Werken seiner Hand[69] wendet, sieht er, dass Alles Eitelkeit des Geistes ist, und er wird in keiner Weise ruhen. Wenn ich also in Deinen Werken mich anstrenge, so mache Du mich Deiner Einsicht und Deines Sabbaths theilhaftig. Ich bitte demüthig, dass ein solcher Geist mir bewahrt bleibe, und dass Du mit neuen Almosen durch meine Hände und die Hände Derer, denen Du gleichen Sinn schenkst, die menschliche Familie ausstatten wollest![70]
der Wiederherstellung der Wissenschaften fehlt.
Er enthält die Eintheilung der Wissenschaften.
Zum Theil kann dieser aus dem zweiten Buche des Werkes: »Ueber die Fortschritte in göttlicher und menschlicher Lehre«, entnommen werden.
Es folgt:
der Erneuerung der Wissenschaften,
welcher die Kunst der Naturerklärung und eines richtigern Gebrauchs des Verstandes enthält; doch nicht in der Form einer richtigen Abhandlung, sondern nur in der Hauptsache auf einzelne Sätze gebracht.[71]
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