Einleitung

[1] I. Da die Philosophie nichts anderes ist als das Streben nach Weisheit und Wahrheit, so sollte man vernunftgemäss erwarten dürfen, dass die, welche am meisten Zeit und Mühe auf dieselbe verwendet haben, sich einer grösseren Ruhe und Heiterkeit des Gemüthes, einer grösseren Klarheit und Sicherheit der Erkenntniss erfreuen und weniger durch Zweifel und Bedenken beunruhigt werden, als andere Menschen. Wir sehen dagegen, dass vielmehr die ungelehrte Menge der Menschen, die auf der Landstrasse des schlichten Menschenverstandes wandelt und durch die Gebote der Natur geleitet wird, grösstentheils zufrieden und ruhig lebt. Ihnen scheint nichts, was gewöhnlich ist, unerklärlich oder schwer zu begreifen. Sie klagen nicht über irgend welche unzuverlässigkeit ihrer Sinne und sind ganz frei von der Gefahr, in Zweifelsucht zu gerathen. Sobald wir aber der Leitung der Sinne und der Natur uns entziehen, um dem Lichte eines höheren Princips zu folgen, um über die Natur der Dinge Schlüsse zu ziehen, nachzudenken, zu reflectiren, so erheben sich sofort tausend Zweifel in unserem Geist in Betreff eben der Dinge, welche wir vorher völlig zu begreifen meinten. Vorurtheile und Irrthümer der Sinne enthüllen sich von allen Seiten her unserem Blick, und indem wir diese durch Nachdenken zu berichtigen streben, werden wir unvermerkt in seltsame, von der gewöhnlichen Meinung abweichende Behauptungen, Schwierigkeiten und Widersprüche verstrickt, die sich in dem Maasse, als wir in der Betrachtung weiter gehen, vermehren und steigern, bis wir zuletzt, nachdem wir manche verschlungene Irrgänge durchwandert haben,[1] uns gerade an dem Punkte wiederfinden, von welchem wir ausgegangen waren, oder, was schlimmer ist, bis wir die Forschung aufgeben und, in Zweifelsucht verloren, die Hände in den Schooss legen.

II. Man hält dafür, die Ursache hiervon liege in der Dunkelheit der Dinge oder in der natürlichen Schwäche und Unvollkommenheit unseres Verstandes. Man sagt, unsere Geisteskräfte seien beschränkt, und dieselben seien von der Natur dazu bestimmt, zur Erhaltung und Erleichterung des Lebens zu dienen, nicht zur Erforschung des inneren Wesens und der Einrichtung der Dinge. Zudem sei es nicht verwunderlich, dass der menschliche Verstand, da er endlich sei, wenn er Dinge behandle, die an der Unendlichkeit Theil haben, in Ungereimtheiten und Widersprüche verfalle, aus welchen sich jemals herauszuarbeiten ihm unmöglich sei, da es zu der Natur des Unendlichen gehöre, nicht vom Endlichen begriffen werden zu können.

III. Doch sind wir vielleicht zu parteiisch für uns selbst eingenommen, wenn wir die Quelle des Fehlers in den Anlagen unseres Geistes suchen und nicht vielmehr in dem unrichtigen Gebrauch, den wir von denselben machen. Es ist misslich, vorauszusetzen, dass richtige Schlüsse aus wahren Vordersätzen jemals zu Endergebnissen führen sollten, welche nicht aufrecht erhalten oder mit einander in Uebereinstimmung gebracht werden könnten. Man sollte doch denken, dass Gott nicht so ungütig gegen die Menschenkinder verfahren sei, diesen ein lebhaftes Verlangen nach einem Wissen einzuflössen, welches er ihnen zugleich völlig unerreichbar gemacht hätte. Dies würde nicht zu dem gewöhnlichen liebevollen Verfahren der Vorsehung stimmen, mit welchem sie regelmässig ihren Geschöpfen die Mittel gegeben hat, durch deren rechten Gebrauch dieselben alle ihnen eingepflanzten Triebe unfehlbar zu befriedigen vermögen. Kurz, ich bin geneigt, zu glauben, dass weitaus die meisten, wo nicht alle Schwierigkeiten, welche bisher die Philosophen hingehalten und ihnen den Weg zur Erkenntniss versperrt haben, durchaus von uns selbst verschuldet seien; dass wir zuerst eine Staubwolke erregt haben und uns dann beklagen, nicht sehen zu kennen.

IV. Mein Vorsatz ist demgemäss, zu versuchen, ob ich ausfindig machen kann, welche Grundannahmen es seien,[2] die jene Fülle von Zweifeln und jenes unsichere Schwanken, die alle jene Ungereimtheiten und Widersprüche bei den verschiedenen Secten der Philosophen in solchem Maasse verursacht haben, dass die weisesten Menschen unsere Unwissenheit für unheilbar gehalten haben, indem sie annahmen, dieselbe rühre von der natürlichen Schwäche und Beschränktheit unserer Geisteskräfte her. Und es ist gewiss eine die Mühe lohnende Aufgabe, eine genaue Untersuchung über die ersten Principien der menschlichen Erkenntniss anzustellen, dieselben allseitig zu sichten und zu prüfen, zumal da die Vermuthung nicht unbegründet sein durfte, dass jene Hindernisse und Anstösse, welche den Geist bei dem Suchen der Wahrheit aufhalten und verwirren, nicht sowohl in irgend einer Dunkelheit und Verwickelung der Objecte oder in einer natürlichen Schwäche des Verstandes ihre Quelle haben, als vielmehr in falschen Grundannahmen, an denen man festgehalten hat und die sich doch hätten vermeiden lassen.

V. Wie schwierig und aussichtslos auch immer dieser Versuch erscheinen mag, wenn ich in Betracht ziehe, wie viele grosse und ausserordentliche Männer vor mir die gleiche Absicht gehegt haben, so bin ich doch nicht ohne einige Hoffnung, welche sich auf die Erwägung gründet, dass die weitesten Aussichten nicht immer die deutlichsten sind, und dass der Kurzsichtige, weil er genöthigt ist, die Objecte dem Auge näher zu bringen, vielleicht durch eine genaue Besichtigung aus geringer Entfernung solches zu erkennen vermag, was weit besseren Augen entgangen ist.

VI. Um den Geist des Lesers zu einem leichteren Verständniss des Folgenden zu befähigen, ist es angemessen, Einiges einleitend vorauszuschicken, was das Wesen und den falschen Gebrauch der Sprache betrifft. Die Erörterung dieses Gegenstandes aber führt mich dazu, einigermaassen meine Hauptfrage schon im Voraus mitzubehandeln, indem ich etwas berühre, das einen Hauptantheil an der Verwickelung und Trübung der Forschung gehabt und unzählige Irrthümer und Anstösse in fast allen Theilen der Wissenschaft veranlasst zu haben scheint. Dies ist die Meinung, der Geist habe ein Vermögen, abstracte Ideen (»abstract ideas«) oder Begriffe (»notions«) von Dingen zu bilden. Wer nicht durchaus ein Fremdling in den Schriften und Disputationen der Philosophen ist, muss[3] zugeben, dass kein kleiner Theil derselben sich auf abstracte Ideen bezieht. Man nimmt an, dass diese vorzugsweise dass Object der Wissenschaften bilden, welche die Namen Logik und Metaphysik tragen, und überhaupt derjenigen, welche für die abstractesten und höchsten Lehrobjecte gelten; in diesen allen wird man schwerlich eine Frage so behandelt finden, dass nicht vorausgesetzt würde, dass abstracte Ideen in dem Geiste existiren und dieser mit denselben wohl bekannt sei.

VII. Allseitig wird anerkannt, dass die Eigenschaften (Qualitäten) oder Beschaffenheiten (Modi, Daseinsweisen) der Dinge nicht einzeln für sich und gesondert von allen anderen in Wirklichkeit existiren, sondern dass jedesmal mehrere derselben in dem nämlichen Object gleichsam mit einander vermischt und verbunden seien. Man sagt uns aber, dass der Geist, da er fähig sei, jede Eigenschaft einzeln zu betrachten, oder sie von den anderen Eigenschaften, mit welchen sie vereinigt ist, abzusondern, hierdurch sich selbst abstracte Ideen bilde. Wenn z.B. durch den Gesichtssinn ein ausgedehntes, farbiges und bewegtes Object wahrgenommen worden ist, so bildet, sagt man, der Geist, indem er diese gemischte oder zusammengesetzte Idee in ihre einfachen Bestandtheile auflöst und einen jeden derselben für sich mit Ausschluss der übrigen betrachtet, die abstracten Ideen der Ausdehnung, Farbe, Bewegung. Nicht als ob es möglich wäre, dass Farbe oder Bewegung ohne Ausdehnung existiren; es soll nur der Geist für sich selbst durch Abstraction die Idee der Farbe ohne Ausdehnung und der Bewegung ohne Farbe und Ausdehnung bilden können.

VIII. Da ferner der Geist beobachtet hat, dass in den einzelnen durch die Sinne wahrgenommenen Ausdehnungen etwas Gleiches, ihnen allen Gemeinsames ist, und etwas Anderes, den einzelnen Ausdehnungen Eigenthümliches, wie diese oder jene Form oder Grösse, wodurch sie sich von einander unterscheiden: so betrachtet er das Gemeinsame besonders oder scheidet es als ein Object für sich ab, und bildet demgemäss eine sehr abstracte Idee einer Ausdehnung, die weder Linie, noch Fläche, noch Körper ist, noch auch irgend eine bestimmte Form oder Grösse hat, sondern eine von diesem allem abgelöste Idee ist. In gleicher Weise bildet der Geist, indem er von den einzelnen sinnlich[4] percipirten Farben dasjenige weglässt, was dieselben von einander unterscheidet, und nur dasjenige zurückbehält, was allen gemeinsam ist, eine Idee von Farbe in abstracto, die weder Roth, noch Blau, noch Weiss, noch irgend eine andere bestimmte Farbe ist. In gleicher Art wird auch die abstracte Idee der Bewegung, welche gleichmässig allen einzelnen sinnlich wahrgenommenen Bewegungen entspricht, dadurch gebildet, dass die Bewegung nicht nur abgesondert von dem bewegten Körper, sondern ebenso auch von der beschriebenen Figur und von allen besonderen Richtungen und Geschwindigkeiten betrachtet wird.

IX. Wie der Geist sich abstracte Ideen von Eigenschaften oder Beschaffenheiten (Bestimmtheiten, Modis) bildet, so erlangt er durch denselben Act der sondernden Unterscheidung oder Vorstellungszerlegung auch abstracte Ideen von den mehr zusammen gesetzten Dingen, welche verschiedene zusammen existirende Eigenschaften enthalten. Hat z.B. der Geist beobachtet, dass Peter, Jakob und Johann einander durch gewisse, ihnen allen gemeinsam zukommende Bestimmtheiten der Gestalt und anderer Eigenschaften gleichen, so lässt er aus der complexen oder zusammengesetzten Idee, die er von Peter, Jakob und anderen einzelnen Menschen hat, dasjenige weg, was einem jeden derselben eigenthümlich ist, behält nur dasjenige zurück, was ihnen allen gemeinsam ist, und bildet so eine abstracte Idee, an welcher alle einzelnen gleichmässig Theil haben, indem er von allen den Umständen und Unterschieden, welche dieselbe zu irgend einer Einzelexistenz gestalten können, gänzlich abstrahirt und dieselben ausscheidet. Auf diese Weise, sagt man, erlangen wir die abstracte Idee des Menschen oder, wenn wir lieber wollen, der Menschheit oder der menschlichen Natur, worin zwar die Idee der Farbe liegt, da kein Mensch ohne Farbe ist, aber dies kann weder die weisse, noch die schwarze, noch irgend eine andere einzelne Farbe sein, weil es keine einzelne Farbe giebt, an der alle Menschen theilhaben. Ebenso liegt darin auch die Idee der Körpergestalt, aber dies ist weder eine grosse, noch eine kleine, noch eine mittlere Gestalt, sondern etwas von diesen allen Abstrahirtes. Das Gleiche gilt von allem Uebrigen. Da es ferner eine grosse Menge anderer Geschöpfe giebt, die in einigen Theilen, aber nicht in allen mit der abstracten Idee »Mensch« übereinkommen,[5] so lässt der Geist die Theile weg, welche den Menschen eigenthümlich sind, hält nur diejenigen fest, welche allen lebenden Wesen gemeinsam sind, und bildet so die Idee des »animal«, worin nicht nur von allen einzelnen Menschen, sondern auch von allen Vögeln, Vierfüsslern, Fischen und Insekten abstrahirt wird. Die constituirenden Theile der abstracten Idee eines Thieres (animal) sind: Körper, Leben, Sinnesempfindung und freiwillige Bewegung, unter »Körper« wird verstanden ein Körper ohne irgend eine besondere Gestalt oder Figur, da keine solche allen Thieren gemeinsam ist, ohne Bedeckung mit Haaren, Federn oder Schuppen u.s.w., aber auch nicht nackt, da Haare, Federn, Schuppen und Nacktheit unterscheidende Eigenthümlichkeiten einzelner Thiere sind und darum aus der abstracten Idee wegbleiben. Aus demselben Grunde darf die freiwillige Bewegung weder ein Gehen, noch ein Fliegen, noch ein Kriechen sein; sie ist nichtsdestoweniger eine Bewegung, – was für eine Bewegung aber, ist nicht leicht zu begreifen.

X. Ob Andere diese wunderbare Fähigkeit der Ideenabstraction besitzen, können sie uns am besten sagen; was mich betrifft, so finde ich in der That in mir eine Fähigkeit, mir die Ideen der einzelnen Dinge, die ich wahrgenommen habe, vorzustellen oder zu vergegenwärtigen, und dieselben mannichfach zusammenzusetzen und zu theilen. Ich kann mir einen Mann mit zwei Köpfen oder auch die oberen Theile eines Menschen mit dem Leibe eines Pferdes verbunden vorstellen. Ich kann die Hand, das Auge, die Nase, jedes für sich abstract oder getrennt von den übrigen Theilen des Körpers betrachten. Was für eine Hand oder was für ein Auge ich dann aber auch mir vorstellen mag, so muss doch dieser Hand oder diesem Auge irgend eine bestimmte Gestalt und Farbe zukommen. Ebenso muss auch die Idee eines Mannes, die ich mir bilde, entweder die eines weissen oder eines schwarzen oder eines rothhäutigen, eines gerade oder krumm gewachsenen, eines grossen oder kleinen oder eines Mannes von mittlerer Grösse sein. Es ist unmöglich, durch ein angestrengtes Denken die oben beschriebene abstracte Idee zu erfassen. Ebenso unmöglich ist es mir, die abstracte Idee einer Bewegung ohne einen sich bewegenden Körper, die weder schnell, noch langsam, weder krummlinig, noch geradlinig[6] sei, zu bilden, und das Gleiche gilt von jedweder anderen abstracten allgemeinen Idee. Um mich genauer zu erklären: ich finde mich selbst befähigt zur Abstraction in Einem Sinne, nämlich wenn ich gewisse einzelne Theile oder Eigenschaften gesondert von anderen betrachte, mit denen sie zwar in irgend welchem Object vereinigt sind, ohne die sie aber in Wirklichkeit existiren können. Aber ich finde mich nicht befähigt, diejenigen Eigenschaften von einander durch Abstraction zu trennen oder gesondert zu betrachten, welche nicht möglicherweise ebenso gesondert existiren können, oder einen allgemeinen Begriff durch Abstraction von den besonderen in der vorhin bezeichneten Weise zu bilden. In diesen beiden letzteren Bedeutungen aber wird eigentlich der Terminus Abstraction gebraucht. Auch ist die Annahme nicht unbegründet, dass die meisten Menschen zugeben werden, mit mir in gleichem Falle zu sein. Die meisten Menschen, welche schlicht und ungelehrt sind, machen keinen Anspruch auf den Besitz abstracter Begriffe. Man sagt, dieselben seien schwierig und nicht ohne Mühe und Studium zu erlangen. Wir dürfen nach dem Obigen vernünftigerweise schliessen, dass, wenn es abstracte Ideen giebt, dieselben nur bei Gelehrten sich finden.

XI. Ich schreite nun zur Prüfung dessen fort, was zur Vertheidigung der Lehre von der Abstraction vorgebracht werden kann, und versuche zu entdecken, was es sei, wodurch wissenschaftliche Männer bewegen werden, eine Meinung anzunehmen, welche dem gemeinen Menschenverstande so fremd ist, wie es diese zu sein scheint. Ein kürzlich verstorbener, mit Recht geschätzter Philosoph hat ohne Zweifel dieser Meinung grossen Vorschub geleistet, indem er zu denken scheint, der Besitz abstracter Ideen sei das, was zwischen der Verstandeskraft des Menschen und der Thiere den grössten Unterschied ausmache. »Der Besitz allgemeiner Ideen« (sagt er) »begründet einen durchgängigen Unterschied zwischen dem Menschen und den vernunftlosen Wesen und ist ein Vorzug, der den Fähigkeiten der letzteren in keiner Weise erreichbar ist. Denn es ist offenbar, dass wir bei denselben keine Spur des Gebrauches allgemeiner Zeichen für universale Ideen finden, wonach wir Grund haben anzunehmen, dass sie nicht die Fähigkeit zu abstrahiren oder allgemeine Ideen zu bilden besitzen, da sie keine Worte oder irgend welche allgemeine[7] Zeichen gebrauchen.« Und kurz nachher: »Demgemäas dürfen wir, denke ich, annehmen, dass hierin der specifische Unterschied der Thiere von den Menschen bestehe; dieser eigenthümliche Unterschied sondert sie gänzlich und erweitert sich zuletzt zu einem so beträchtlichen Abstände. Denn haben die Thiere überhaupt irgend welche Vorstellungen und sind sie nicht, wie Einige wollen, blosse Maschinen, so können wir nicht leugnen, dass sie in einem gewissen Sinne Vernunft besitzen. Ebenso offenbar wie die Thatsache, dass sie Sinne besitzen, scheint mir auch dies zu sein, dass einige von ihnen in gewissen Fällen Schlüsse ziehen, aber nur mittelst solcher Einzelvorstellungen, wie sie dieselben von ihren Sinnen empfangen. Auch die obersten Thierklassen bleiben in diese engen Grenzen gebannt, und vermögen dieselben nicht durch irgend welche Abstraction zu erweitern.« (Versuch über den menschlichen Verstand, Buch II, Cap. IX, Section 10 u. 11.) Ich stimme diesem gelehrten Schriftsteller unbedenklich darin bei, dass den Fälligkeiten der Thiere die Abstraction durchaus unerreichbar sei; nur fürchte ich, dass, wenn hierin ihr Unterscheidungsmerkmal liegen soll, sehr viele von denen, die für Menschen gelten, mit ihnen in Eine Klasse zu setzen seien. Der hier angegebene Grund, den Thieren keine abstracten Ideen zuzuschreiben, liegt darin, dass wir bei ihnen keinen Gebrauch von Worten oder anderen allgemeinen Zeichen beobachten. Dieser Grund ruht auf der Voraussetzung, dass der Gebrauch von Worten an den Besitz Allgemeiner Ideen geknüpft sei, woraus folgt, dass Menschen, die sich der Sprache bedienen, fähig seien zu abstrahiren oder ihre Ideen zu verallgemeinern. Dass dieses der Sinn und die Folgerung des Verfassers ist, geht ferner aus seiner Antwort auf die Frage hervor, die er an einer anderen Stelle aufwirft: »Da doch alle existirenden Dinge Einzelobjecte sind, wie gelangen wir zu allgemeinen Bezeichnungen?« Er antwortet: »Worte werden dadurch allgemein, dass sie zu Zeichen allgemeiner Ideen gemacht werden« (a. a. O. B. III, Cap. III, Sect. 6). Es scheint jedoch, dass ein Wort allgemein wird, indem es als Zeichen gebraucht wird nicht für eine abstracte allgemeine Idee, sondern für mehrere Einzelideen, deren jede es besondere im Geiste anregt. Wird z.B. gesagt: die Bewegungsänderung ist proportional der aufgewandten[8] Kraft, oder: alles Ausgedehnte ist theilbar, so sind diese Regeln von Bewegung und Ausdehnung im Allgemeinen zu verstehen; dennoch folgt nicht, dass sie in meinem Geiste eine Vorstellung von Bewegung ohne einen bewegten Körper oder ohne eine bestimmte Richtung und Geschwindigkeit anregen, oder dass ich eine abstracte allgemeine Idee einer Ausdehnung bilden müsse, die weder Linie, noch Fläche, noch Körper, weder gross, noch klein, weder schwarz, noch weiss, noch roth, noch von irgend einer anderen bestimmten Farbe sei; sondern es liegt darin nur, dass, welche Bewegung auch immer ich betrachten mag, sei dieselbe schnell oder langsam, senkrecht, wagerecht oder schräg, sei sie die Bewegung dieses oder jenes Objectes, das sie betreffende Axiom sich gleichmässig bewahrheite. Ebenso bewahrheitet sich der andere Satz bei jeder besonderen Ausdehnung, wobei es keinen unterschied macht, ob dieselbe eine Linie oder eine Fläche oder ein Körper, ob dieselbe von dieser oder jener Grösse oder Figur sei.

XII. Indem wir beobachten, wie Ideen allgemein werden, gelangen wir zu einem richtigeren Urtheil darüber, wie Worte dies werden. Ich muss hier bemerken, dass ich nicht absolut die Existenz von allgemeinen Ideen, sondern nur die von abstracten allgemeinen Ideen leugne; denn an den obigen Stellen, wo allgemeine Ideen erwähnt werden, ist stets vorausgesetzt, dass sie durch Abstraction gebildet seien, auf die in Section VIII. u. IX. auseinandergesetzte Weise. Wollen wir nun mit unseren Worten einen bestimmten Sinn verknüpfen und nur von Begreiflichem reden, so müssen wir, glaube ich, anerkennen, dass eine Idee, die an und für sich eine Einzelvorstellung ist, allgemein dadurch wird, dass sie dazu verwendet wird, alle anderen Einzelvorstellungen derselben Art zu repräsentiren oder statt derselben aufzutreten. Damit dies durch ein Beispiel klar werde, stelle man sich vor, dass ein Geometer den Nachweis führe, wie eine Linie in zwei gleiche Theile zu zerlegen sei. Er zeichnet etwa eine schwarze Linie von der Länge eines Zolls; diese Linie, die an und für sich eine einzelne Linie ist, ist nichtdestoweniger mit Rücksicht auf das, was durch sie bezeichnet wird, allgemein, da sie, wie sie hier gebraucht wird, alle einzelnen Linien, wie auch immer dieselben beschaffen sein mögen, repräsentirt, so dass, was von ihr bewiesen ist, von allen Linien, oder mit anderen[9] Worten, von einer Linie im Allgemeinen bewiesen ist. Ebenso, wie die einzelne Linie dadurch, dass sie als Zeichen dient, allgemein wird, so ist der Name Linie, der an sich particular ist, dadurch, dass er als Zeichen dient, allgemein geworden, und wie die Allgemeinheit jener Idee nicht darauf beruht, dass sie ein Zeichen für eine abstracte oder allgemeine Linie wäre, sondern darauf, dass sie ein Zeichen für alle einzelnen geraden Linien ist, die existiren können, so muss auch angenommen werden, dass das Wort Linie seine Allgemeinheit derselben Ursache verdanke, nämlich dem Umstände, dass es verschiedene einzelne Linien unterschiedslos bezeichnet.

XIII. Um dem Leser eine noch klarere Einsicht in die Natur abstracter Ideen und in die Anwendungen, um deren willen man derselben zu bedürfen glaubt, zu verschaffen, will ich noch folgende Stelle aus dem »Versuch über den menschlichen Verstand« anführen: »Abstracte Ideen sind Kindern oder im Denken noch ungeübten Personen nicht so nahe liegend oder leicht zu bilden, wie Einzelideen; so weit sie dies den Erwachsenen sind, sind sie es nur durch den beständigen, gewohnten Gebrauch geworden. Achten wir genau auf sie, so werden wir finden, dass allgemeine Ideen Gebilde und Erfindungen des Geistes sind, die nicht ohne Schwierigkeit gebildet werden und sich nicht so leicht von selbst einstellen, wie wir zu glauben geneigt sind. Erheischt es z.B. nicht einige Mühe und Geschicklichkeit, die allgemeine Idee eines Dreiecks zu bilden, die doch noch keine der abstractesten, umfassendsten und schwierigsten ist? Es soll die Idee eines Dreiecks gebildet werden, welches weder schief winkelig, noch rechtwinkelig, weder gleichseitig, noch gleichschenkelig, noch ungleichschenkelig sei, sondern alles dieses und zugleich auch nichts von diesem. In der That ist dies etwas unvollständiges, das nicht existiren kann, eine Idee, worin einige Theile von verschiedenen und mit einander unvereinbaren Ideen zusammengestellt sind. Allerdings bedarf der Geist in seinem gegenwärtigen unvollkommenen Zustande solcher Ideen und eilt möglichst sie zu bilden zum Behuf der Mittheilung und Erweiterung der Erkenntniss, da er zu beidem von Natur eine sehr starke Neigung hat. Doch lässt sich mit Recht vermuthen, dass solche Ideen Merkmale unserer Unvollkommenheit seien. Zum mindesten[10] reicht das Gesagte hin, zu beweisen, dass die abstractesten und allgemeinsten Ideen nicht diejenigen seien, mit welchen der Geist zuerst und am leichtesten vertraut wird, nicht diejenigen, auf welche seine ersten Kenntnisse sich beziehen« (a. a. O. IV, VII, 9). Falls irgend Jemand die Fähigkeit besitzt, in seinem Geiste eine solche Dreiecksidee zu bilden, wie sie hier beschrieben ist, so ist es vergeblich, sie ihm abdisputiren zu wollen; ich unternehme das nicht. Mein Wunsch geht nur dahin, der Leser möge sich vollständig und mit Gewissheit überzeugen, ob er eine solche Idee habe oder nicht. Und dies, denke ich, kann für Niemanden eine schwer zu lösende Aufgabe sein. Was kann einem Jeden leichter sein, als ein wenig in seinen eigenen Gedankenkreis hineinzuschauen und zu erproben, ob er eine Idee, die der Beschreibung, welche hier von der allgemeinen Idee eines Dreiecks gegeben worden ist, entspreche, habe oder erlangen könne, die Idee eines Dreiecks, welches weder schiefwinkelig, noch rechtwinkelig, weder gleichseitig, noch gleichschenkelig, noch ungleichseitig, sondern dieses alles und zugleich auch nichts von diesem sei?

XIV. Es wird hier vieles von der Schwierigkeit gesagt, welche sich an abstracte Ideen knüpfe, von der Mühe und Kunst, die erforderlich sei, um sie zu bilden. Und es ist gar nicht zu bezweifeln, dass es grosser Mühe und Anstrengung des Geistes bedarf, unser Denken von den Einzelobjecten loszumachen und sich zu den hohen Speculationen zu erheben, welche sich auf abstracte Ideen beziehen. Die natürliche Consequenz hieraus scheint doch zu sein, dass etwas so Schwieriges, wie die Bildung abstracter Ideen, nicht eine Bedingung der Möglichkeit der Gedankenmittheilung sei, die etwas allen Klassen der Menschen so Leichtes und Gewöhnliches ist. Doch man sagt uns, wenn sie Erwachsenen nahe liegend und leicht zu sein scheinen, so seien sie dies nur durch beständigen und gewöhnlichen Gebrauch geworden. Nun möchte ich gern wissen, zu welcher Zeit die Menschen damit beschäftigt seien, jene Schwierigkeit zu überwinden und sich mit jenen nothwendigen Mitteln zur Unterredung zu versorgen. Dies kann nicht dann geschehen, wenn sie erwachsen sind, denn zu dieser Zeit sind sie, wie es scheint, sich keiner derartigen Bemühung bewusst; somit bleibt nur übrig, dass es ein Werk[11] ihrer Kindheit sei. Gewiss wird man finden, dass die grosse und vielfache Mühe der Bildung abstracter Ideen eine schwere Aufgabe für dieses Alter sei. Ist es nicht schwer sich vorzustellen, dass ein paar Kinder nicht miteinander von ihren Zuckerbohnen und Klappern und ihrem anderen Tand plaudern können, wenn sie nicht zuvor zahllose Widersprüche miteinander vereinigt und so in ihrem Geist abstracte allgemeine Ideen gebildet und dieselben an jeden Gemeinnamen, dessen sie sich bedienen, geknüpft haben?

XV. Auch glaube ich, dass dieselben zur Erweiterung der Erkenntniss ganz ebenso wenig wie zur Mittheilung erforderlich sind. Es wird, wie ich wohl weiss, entschieden behauptet, dass alle Erkenntniss und Beweisführung allgemeine Begriffe betreffe, und ich stimme meinerseits dieser Behauptung völlig bei; doch scheint mir, dass diese Begriffe nicht durch Abstraction in der vorhin bezeichneten Weise gebildet seien; denn Allgemeinheit besteht, so viel ich begreifen kann, nicht in dem absoluten positiven Wesen oder Begriffe von irgend etwas, sondern in der Beziehung, in welcher etwas zu anderem Einzelnen steht, was dadurch bezeichnet oder vertreten wird, wodurch es geschieht, dass Dinge, Namen oder Begriffe, die ihrer eigenen Natur nach particular sind, allgemein werden. Wenn ich irgend einen Satz beweise, der Dreiecke betrifft, so nimmt man an, dass ich den allgemeinen Begriff des Dreiecks im Auge habe; dies muss aber nicht so verstanden werden, als ob ich eine Idee eines Dreiecks, das weder gleichseitig, noch ungleichseitig, noch gleichschenkelig wäre, bilden könnte, sondern nur so, dass das einzelne Dreieck, welches ich betrachte, gleichgiltig ob dasselbe von dieser oder jener Art sei, geradlinige Dreiecke aller Art repräsentirt oder statt derselben stellt und in diesem Sinne allgemein ist. Dieses alles scheint sehr klar zu sein und keine Schwierigkeit zu involviren.

XVI. Doch mag hier gefragt werden, wie wir anders wissen können, dass ein Satz von allen einzelnen Dreiecken wahr sei, als wenn wir ihn zuerst an der abstracten Idee eines Dreiecks, die von allen einzelnen gleichmässig gelte, bewiesen gesehen haben. Denn daraus, dass gezeigt sein mag, eine Eigenschaft komme irgend einem einzelnen Dreieck zu, folgt ja doch nicht, dass dieselbe gleicherweise auch[12] irgend einem andern Dreieck zukomme, welches nicht in jedem Betracht identisch mit jenem ist. Habe ich z.B. gezeigt, dass die drei Winkel eines gleichschenkeligen rechtwinkeligen Dreiecks zwei rechten Winkeln gleich seien, so kann ich hieraus nicht schliessen, dass das Nämliche von allen anderen Dreiecken gelte, welche weder einen rechten Winkel, noch zwei einander gleiche Seiten haben. Es scheint demnach, dass wir, um gewiss zu sein, dass dieser Satz allgemein wahr sei, entweder einen besonderen Beweis für jedes einzelne Dreieck führen müssen, was unmöglich ist, oder es ein- für allemal zeigen müssen an der allgemeinen Idee eines Dreiecks, woran alle einzelnen unterschiedslos theilhaben, und wodurch sie alle gleichmässig repräsentirt werden. Darauf antworte ich, dass, obschon die Idee, die ich im Auge habe, während ich den Beweis führe, z.B. die eines gleichschenkeligen rechtwinkeligen Dreiecks ist, dessen Seiten von einer bestimmten Länge sind, ich nichtsdestoweniger gewiss sein kann, derselbe Beweis finde Anwendung auf alle anderen geradlinigen Dreiecke, von welcher Form oder Grösse auch immer dieselben sein mögen, und zwar darum, weil weder der rechte Winkel, noch die Gleichheit zweier Seiten, noch auch die bestimmte Länge der Seiten irgendwie bei der Beweisführung in Betracht gezogen worden sind. Zwar trägt das Gebilde, welches ich vor Augen habe, alle diese Besonderheiten an sich, aber es ist durchaus keine Erwähnung derselben in dem Beweise des Satzes geschehen. Es ist nicht gesagt worden, die drei Winkel seien darum zwei rechten gleich, weil einer von ihnen ein rechter sei, oder weil die Seiten, welche diesen einschliessen, gleich lang seien, was ausreichend zeigt, dass der Winkel, der ein rechter ist, ein schiefer hätte sein mögen und die Seiten ungleich, und dass nichtsdestoweniger der Beweis giltig geblieben wäre. Ans diesem Grunde und nicht darum, weil ich von der abstracten Idee eines Dreiecks den Beweis geführt hätte, schliesse ich, dass das von einem einzelnen rechtwinkeligen gleichschenkeligen Dreieck Erwiesene von jedem schiefwinkeligen und ungleichseitigen Dreieck wahr sei. Es muss hier zugegeben werden, dass es möglich ist, eine Figur blos als Dreieck zu betrachten, ohne dass man auf die besonderen Eigenschaften der Winkel oder Verhältnisse der Seiten achtet. Insoweit kann man abstrahiren;[13] aber dies beweist keineswegs, dass man eine abstracte allgemeine, mit innerem Widerspruch behaftete Idee eines Dreiecks bilden könne. In gleicher Art können wir Peter, insofern er ein Mensch ist oder insofern er ein lebendes Wesen ist, betrachten, ohne die vorerwähnte abstracte Idee eines Menschen oder eines lebenden Wesens zu bilden, indem nicht alles Percipirte in Betracht gezogen wird.

XVII. Es wäre eine gleich sehr endlose wie nutzlose Aufgabe, den Schulphilosophen, jenen grossen Meistern der Abstraction durch alle die mannichfachen unentwirrbaren Irrgänge von Irrthum und Disputation zu folgen, in welche ihre Lehre von abstracten Wesen und Begriffen sie hineingeführt zu haben scheint. Was für Hader und Streit entstanden, wie viel gelehrter Staub aufgewirbelt worden ist wegen dieser Dinge, und welch einen herrlichen Vortheil die Menschheit daraus geschöpft hat, ist heute zu gut bekannt, als dass man darüber noch ausführlich zu handeln brauchte. Und es stände noch gut, wenn die übelen Folgen dieser Lehre auf den Kreis ihrer erklärten Bekenner eingeschränkt geblieben wären. Erwägt man die grossen Mühen, den Fleiss und die Fähigkeiten, welche so manche Menschenalter hindurch auf die Pflege und Förderung der Wissenschaften verwendet worden sind, erwägt man, dass trotz alledem der weitaus grössere Theil derselben voll Dunkelheit und Ungewissheit und voll von Streitigkeiten, die nie enden zu sollen scheinen, geblieben ist, und dass selbst diejenigen Wissenschaften, die für gestützt auf die klarsten und zwingendsten Beweise gelten, seltsame Behauptungen enthalten, die dem Verständniss der Menschen völlig unzugänglich sind, und dass, Alles zusammengefasst, nur ein geringer Theil derselben der Menschheit einen wirklichen Nutzen anderer Art gewährt, als den einer unschuldigen Zerstreuung und Ergetzung; erwägt man, sage ich, dies alles, so kann man leicht zur Hoffnungslosigkeit und völligen Verachtung alles Studiums gelangen. Doch mag man vielleicht anders urtheilen bei einem Blick auf die falschen Principien, welche zur Geltung in der Welt gelangt sind, und unter welchen allen keines, dünkt mich, einen weiter reichenden Einfluss auf die Denkweise der Forscher geübt hat, als die Lehre von abstracten allgemeinen Ideen.

[14] XVIII. Ich wende mich nun zur Betrachtung des Ursprungs dieser herrschenden Vorstellung. Dieser scheint mir in der Sprache zu liegen. Gewiss hätte nichts, was weniger verbreitet ist, als die Vernunft selbst, eine so allgemein angenommene Meinung verursachen können. Dass dies wahr sei, geht, wie aus anderen Gründen, so besonders auch aus dem offenen Bekenntniss der geschicktesten Vertheidiger der abstracten Ideen hervor, dass dieselben zum Zweck der Benennung gebildet worden seien, woraus offenbar folgt, dass, gäbe es nicht etwas wie Sprache oder allgemeine Zeichen, niemals irgendwie an Abstraction gedacht worden wäre. Siehe »Versuch über den menschlichen Verstand«, III, VI, 39 und an anderen Stellen. Wir wollen demgemäss untersuchen, in welcher Weise der Gebrauch von Worten zur Entstehung jenes Irrthums beigetragen habe. Es kommt hierbei zuvörderst in Betracht, dass man angenommen hat, jeder Name habe oder sollte haben eine einzige bestimmte und feste Bedeutung, was die Menschen geneigt macht, zu denken, es gebe gewisse abstracte bestimmte Ideen, welche die wahre und allein unmittelbare Bedeutung eines jeden Gemeinnamens ausmachen, und durch Vermittelung dieser abstracten Ideen gelange ein Gemeinname dazu, irgend ein einzelnes Ding zu bezeichnen, während es doch in Wahrheit keineswegs eine einzelne genau bestimmte Bedeutung giebt, die sich an irgend einen Gemeinnamen knüpfte, da sie alle eine grosse Zahl einzelner Ideen unterschiedslos bezeichnen. Dieses Alles folgt offenbar aus dem schon Gesagten und wird einem Jeden durch einiges Nachdenken einleuchtend werden. Hiergegen wird eingewandt werden, dass jeder Name, der eine Definition habe, hierdurch auf eine bestimmte Bedeutung eingeschränkt sei. Ist z.B. ein Dreieck definirt als eine durch drei gerade Linien begrenzte ebene Fläche, so ist hierdurch dieser Name darauf eingeschränkt, eine einzige bestimmte Idee und keine andere zu bezeichnen. Ich antworte hierauf, dass in der Definition nicht gesagt ist, ob die Fläche gross oder klein sei, schwarz oder weiss, ob die Seiten lang oder kurz seien, gleich oder ungleich, auch nicht, unter was für Winkeln sie gegen einander geneigt seien; in diesem Allem kann grosse Verschiedenheit bestehen, und es ist demgemäss keine bestimmte Idee gegeben, auf welche die Bedeutung des Wortes Dreieck[15] eingeschränkt wäre. Einen Namen beständig im Sinne einer bestimmten Definition gebrauchen, heisst nicht das Nämliche, wie durch ihn jedesmal die nämliche Idee bezeichnen. Das Erstere ist durchaus erforderlich, das Andere nutzlos und unausführbar.

XIX. Um aber ferner noch Rechenschaft davon zu geben, wie Worte den Anlass zu der Lehre von den abstracten Ideen gegeben haben, muss bemerkt werden, dass es eine herrschende Meinung ist, die Sprache habe keinen anderen Zweck, als unsere Ideen mitzutheilen, und jeder Name, der etwas bezeichne, stehe für eine Idee. Setzen wir dies voraus und ist es zugleich gewiss, dass Namen, die doch nicht für ganz bedeutungslos gelten, nicht immer denkbare Einzelvorstellungen ausdrücken, so lässt sich mit Strenge folgern, dass sie für einen abstracten Begriff stehen. Dass manche allgemeine Bezeichnungen unter Gelehrten im Gebrauch sind, die nicht immer bei Anderen bestimmte Einzelvorstellungen anregen, wird Niemand leugnen. Und durch einiges Nachdenken wird man finden, dass es nicht nothwendig ist, dass selbst bei der strengsten Gedankenverknüpfung Namen, die etwas bedeuten und Ideen vertreten, jedesmal, so oft sie gebraucht werden, in dem Geiste eben dieselben Ideen erwecken, zu deren Vertretung sie gebildet worden sind, da im Lesen und Sprechen Gemeinnamen grösstentheils so gebraucht werden wie Buchstaben in der Algebra, wo, obschon durch jeden Buchstaben eine bestimmte Quantität bezeichnet wird, es doch zum Zwecke des richtigen Fortgangs der Rechnung nicht erforderlich ist, dass bei einem jeden Schritt jeder Buchstabe die bestimmte Quantität, zu deren Vertretung er bestimmt war, ins Bewusstsein treten lasse.

XX. Zudem ist nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, die Mittheilung von Ideen, welche durch Worte ausgedrückt werden, der hauptsächliche und sogar einzige Zweck der Sprache. Es giebt andere Zwecke, wie z.B. die Erregung irgend einer Leidenschaft, die Bewirkung des Entschlusses eine Handlung auszuführen oder zu unterlassen, die Versetzung des Gemüths in irgend einen bestimmten Zustand, Zwecke, denen der erstgenannte in manchen Fällen völlig untergeordnet ist; ja derselbe kann ganz wegfallen, wenn diese Zwecke sich ohne ihn erreichen lassen, wie dies, denke ich, nicht selten in dem gewöhnlichen[16] Reden der Fall ist. Ich bitte den Leser, selbst nachzudenken und zu beobachten, ob es nicht beim Hören oder Lesen einer Rede oft geschieht, dass die Affecte der Furcht, der Liebe, des Hasses, der Bewunderung, der Verachtung und ähnliche unmittelbar in seinem Geiste entstehen, sobald er gewisse Worte vernimmt, ohne dass irgend welche Ideen dazwischen treten. Ursprünglich mögen in der That die Worte Ideen angeregt haben, die geeignet waren, solche Gemüthsbewegungen hervorzubringen; aber es lässt sich, wenn ich nicht irre, beobachten, dass, wenn uns einmal die Sprache geläufig geworden ist, das Hören der Töne, das Sehen der Zeichen oft unmittelbar die Affecte zur Folge hat, die anfänglich nur durch Vermittelung der Ideen hervorgerufen werden konnten, welche nun völlig ausbleiben. Können wir z.B. nicht freudig afficirt werden durch das Versprechen eines guten Dings, auch ohne eine Vorstellung davon zu haben, worin dieses bestelle? Oder reicht nicht schon die Bedrohung mit einer Gefahr zu, Furcht zu erregen, obschon wir nicht an irgend ein einzelnes Uebel denken, das uns wahrscheinlich treffen werde, und uns auch nicht eine abstracte Vorstellung bilden? Ich glaube, dass Jeder, der auch nur ein wenig eigenes Nachdenken mit dem Gesagten verbinden will, gewiss die Ansicht gewinnen wird, dass Gemeinnamen oft als Bestandtheile der Sprache gebraucht werden, ohne dass der Sprechende sie zu Zeichen solcher Ideen in seinem eigenen Geiste bestimmt, welche sie nach seiner Absicht in dem Geiste des Hörers hervorrufen sollen. Auch sogar Eigennamen scheinen nicht immer in der Absicht ausgesprochen zu werden, uns die Vorstellungen der Individuen ins Bewusstsein zu rufen, die, wie man voraussetzt, durch sie bezeichnet werden. Sagt mir z.B. ein Schulphilosoph: »Aristoteles hat dies gesagt«, so ist nach meinem Verständniss alles, was er damit beabsichtigt, dies, mich geneigt zu machen, seine Meinung mit der Ehrerbietung und Unterwürfigkeit anzunehmen, welche die Gewohnheit an jenen Namen geknüpft hat. Diese Wirkung kann im Geiste solcher, die gewöhnt sind, ihr Urtheil dem Ansehen dieses Philosophen zu unterwerfen, so augenblicklich eintreten, dass unmöglich irgend, eine Vorstellung seiner Person, seiner Schriften, seines Rufs vorausgegangen sein kann. Unzählige Beispiele dieser Art könnten aufgestellt werden;[17] aber warum sollte ich bei Dingen verweilen, die einem Jeden seine eigene Erfahrung ohne Zweifel reichlich ins Bewusstsein ruft?

XXI. Es ist von uns, denke ich, die Unmöglichkeit abstracter Ideen erwiesen worden. Wir haben erwogen, was von ihren geschicktesten Vertheidigern gesagt worden ist und wir haben zu zeigen gesucht, dass sie von keinem Nutzen für die Zwecke seien, um deren willen man sie für erforderlich hält. Wir haben schliesslich der Quelle nachgespürt, woraus die Annahme derselben fliesst, und diese in der Sprache gefunden. Es kann nicht geleugnet werden, dass Worte trefflich dazu dienen, den ganzen Vorrath von Kenntnissen, der durch die vereinten Bemühungen von Forschem aller Zeiten und Völker gewonnen worden ist, in den Gesichtskreis eines jeden Einzelnen zu ziehen und in seinen Besitz zu bringen. Zugleich aber muss anerkannt werden, dass die meisten Theile des Wissens erstaunlich verwirrt und verdunkelt worden sind durch den Missbrauch von Worten und allgemeinen Redeweisen, worin sie überliefert worden sind. Weil demgemäss Worte so leicht den Geist zu täuschen vermögen, so werde ich, welche Ideen auch immer ich betrachte, versuchen, sie gleichsam bloss und nackt anzuschauen, indem ich aus meinem Denken, so weit ich es vermag, jene Benennungen entferne, welche eine lange und beständige Gewohnheit so eng mit ihnen verknüpft hat, und ich darf erwarten, dass hieraus folgende Vortheile herfliessen werden.

XXII. Zuerst darf ich gewiss sein, von allen blos verbalen Controversen loszukommen; das Emporwachsen dieses Unkrauts aber ist in fast allen Wissenszweigen ein Haupthinderniss des Gedeihens der Wahrheit und gesunden Erkenntniss gewesen. Zweitens scheint dies ein sicherer Weg zu sein, mich jenem feinen und zarten Netze abstracter Ideen zu entziehen, welches auf eine so klägliche Weise den Geist der Menschen verwirrt und verstrickt hat, und zwar in der seltsamen Weise, dass je schärfer und wissbegieriger der Verstand eines Menschen war, er desto leichter tief verstrickt und gefesselt werden konnte. Drittens, so lange ich meine Betrachtung auf meine eigenen der Worte entkleideten Ideen einschränke, sehe ich nicht, wie ich leicht in die Irre gerathen könnte. Die Objecte meiner Betrachtung kenne ich klar und genau. Ich kann[18] nicht die falsche Meinung hegen, ich hatte eine Idee, die ich nicht habe. Es ist mir nicht möglich, mir einzubilden, einige meiner eigenen Ideen seien einander ähnlich oder unähnlich, die dies nicht wirklich sind. Die Uebereinstimmungen oder Verschiedenheiten zu unterscheiden, die zwischen meinen Ideen bestehen, zu sehen, welche Ideen in einer zusammengesetzten Idee enthalten sind, und welche nicht dazu ist nichts Weiteres erforderlich, als eine aufmerksame Wahrnehmung dessen, was in meinem eigenen denkenden Geiste vorgeht.

XXIII. Aber die Erreichung aller dieser Vortheile hat zur Voraussetzung eine völlige Befreiung von der Täuschung durch Worte, und diese darf ich mir kaum versprechen, so schwer ist es, eine Verbindung aufzulösen, die so früh begonnen hat und durch eine so lange Gewöhnung fest geworden ist, wie die, welche zwischen Ideen und Worten besteht. Diese Schwierigkeit scheint durch die Lehre von der Abstraction um sehr vieles vermehrt worden zu sein. Denn es dürfte nicht befremdlich sein, dass man, so lange man dafür hielt, abstracte Ideen seien an die Worte geknüpft, Worte statt der Ideen gebrauchte, da es unausführbar gefunden wurde, das Wort bei Seite zu setzen und abstracte Ideen im Geiste zu behalten, die an sich selbst durchaus undenkbar waren. Dies scheint mir die Hauptursache zu sein, warum die Männer, welche so nachdrücklich Anderen empfohlen haben, allen Gebrauch von Worten in ihrem Nachsinnen bei Seite zu setzen und ihre blossen Ideen zu betrachten, doch bei dem Versuch, dies selbst zu leisten, gescheitert sind. Neuerdings sind von Manchen die absurden Meinungen und sinnlosen Streitverhandlungen, welche aus dem Missbrauch der Worte erwachsen, wohl bemerkt worden, und sie geben den guten Rath, um diese Uebel zu vermeiden, solle man auf die bezeichneten Ideen achten und seine Aufmerksamkeit von den Worten ablenken, welche dieselben bezeichnen. Wie trefflich aber auch dieser Rath sein mag, den sie Anderen ertheilt haben, so ist doch klar, dass sie selbst ihn nicht genügend befolgen konnten, so lange sie dafür hielten, die Worte dienten unmittelbar nur zur Ideenbezeichnung, und die unmittelbare Bedeutung eines jeden Gemeinnamens sei eine bestimmte abstracte Idee.

[19] XXIV. Nachdem aber diese Meinungen als Irrthümer erkannt sind, so kann man leichter sich davor hüten, durch Worte getäuscht zu werden. Wer weiss, dass er keine anderen Ideen als Einzelideen besitzt, wird sich nicht vergeblich bemühen, die an irgend einen Namen geknüpfte abstracte Idee herauszufinden und zu denken. Wer weiss, dass Namen nicht immer Ideen vertreten, wird sich die Mühe ersparen, nach Ideen zu suchen, wo keine gewesen sind. Es wäre demgemäss zu wünschen, dass ein Jeder so sehr als möglich sich bemühte, eine klare Einsicht in die Ideen zu gewinnen, die er betrachten will, indem er von denselben alle die Bekleidung und allen den beschwerenden Anhang von Worten abtrennt, der so sehr dazu beiträgt, das Urtheil zu trüben und die Aufmerksamkeit zu theilen. Vergeblich erweitern wir unsern Blick in die himmlischen Räume und erspähen das Innere der Erde; vergeblich ziehen wir die Schriften gelehrter Männer zu Rathe und verfolgen die dunkeln Spuren des Alterthums; wir sollten nur den Vorhang von Worten wegziehen, um klar und rein den Erkenntnissbaum zu erblicken, dessen Frucht vortrefflich und unserer Hand erreichbar ist.

XXV. Wenn wir nicht Sorge tragen, die ersten Principien der Erkenntniss rein als solche zu denken, abgelöst von der Verwirrung und Täuschung, die sich an Worte knüpft, so mögen wir endlose Betrachtungen über sie ohne irgend einen Erfolg anstellen; wir mögen Consequenzen aus Consequenzen ziehen und werden doch niemals weiser werden. Je weiter wir gehen, um so unrettbarer werden wir in Schwierigkeiten und Irrthümer uns verlieren, um so tiefer in diese uns verwickeln. Ich bitte demgemäss einen Jeden, der die folgenden Bogen zu lesen gedenkt, meine Worte sich als Anlass zu eigenem Denken dienen zu lassen und zu versuchen, beim Lesen den nämlichen Gedankengang zu bilden, welcher der meinige beim Schreiben war. Hierdurch wird es ihm leicht werden, die Wahrheit oder Unwahrheit dessen, was ich sage, zu entdecken. Er wird ganz ausser Gefahr sein, durch meine Worte getäuscht zu werden, und ich sehe nicht, wie er zu einem Irrthum verleitet werden könne, wenn er seine eigenen nackten, der entstellenden Hülle entledigten Ideen betrachtet.[20]

Quelle:
George Berkeley's Abhandlung über die Principien der menschlichen Erkenntnis. Berlin 1869, S. 1-21.
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