III. [95] Der weltentsagende Hindu

1.

Wegen dieses Lebens, das dem Tropfen auf der Blume gleichet,

Was hab' ich, der Unverständ'ge, nicht schon alles ausgehalten,

Daß ich selbst vor stolzen Reichen, vom Besitze dumpf Berauschten,

Mit erlogner Scham beging die Sünde, mein Verdienst zu rühmen!


2.

Säh' er im zerlumpten Kleide der betrübten Gattin nicht

Eigene betrübte Kinder zerren, hungrig weinende;

Möchte wohl, aus Furcht der Fehlbitt' ein kleinlautes Wörtchen »gib«

Seines eignen Bauches willen stammeln ein Verständiger?


3.

Endlich, wenn sie lang' auch weilten, müssen doch die Güter gehn;

Warum also gibt nicht lieber sie der Mensch von selber auf?

[95] Wo sie eigenwillig weggehn, lassen sie den höchsten Schmerz;

Wo du sie freiwillig aufgibst, ew'gen Frieden geben sie.


4.

Sind die von Ganga's Flutgeträufel kühlen,

Von Genien bewohnten Felsengrotten

Des Himawan untergegangen etwa,

Daß Menschen ehrlos fremde Bissen suchen?


5.

Fehlt's an Wurzelen in den Klüften, im Gebirg an Wasserfällen,

Bäumen, saft'ge Früchte bietend, Stengeln, Bast zum Kleide gebend,

Daß du magst ein Antlitz ansehn, das von Huld dir keine Spur zeigt,

Und ob kümmerlicher Gabe stolz die Augenbrau'n emporzieht!


6.

Was irrst du umsonst umher? ausruhe dich, Herz, einmal!

Von selber wie alles wird, so wird es, und anders nicht.

Denk an das Vergangne nicht, doch bilde dir Künft'ges ein;

Und Freuden, die unbemerkt sonst kommen und gehn, genieß!


[96] 7.

Wo sie des Haares weiße Farbe sehen,

Das Zeichen, daß dem Mann das Alter obsiegt,

Gehn schnell davon, wie vom Tschandalenbrunnen,

Woran der Knocheneimer hängt, die Frauen.


8.

Weil noch unerkrankt der Leib ist, und das Alter ferne,

Weil doch ungeschwächt die Sinne, kein Verfall des Lebens,

Mühe für des Geistes Bestes eifrig sich der Weise;

Spät ist es den Brunnen graben, wann das Haus in Brand steht.


9.

Reizend sind des Mondes Strahlen, reizend grüner Platz im Wald,

Reizend freundliche Gesellschaft, Dichtersagen reizend auch,

Reizend Liebeszornes Tränen zitternd in des Liebchens Blick,

Reizend alles, denkst du der Vergänglichkeit, bleibt reizend nichts.


10.

Ist's schön nicht, wohnen im Palast und Saitenspiel zu hören,

Die Herzgeliebte zu umfahn, ist's süßer nicht als alles?

Doch, wie, von irren Vogels Flug gestreift, die Lampe flattert,

So flatterhaft scheint Weisen das, die zum Einsiedlerwald gehn.

Quelle:
Indische Liebeslyrik. Baden-Baden 1948, S. 95-97.
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