[425] In einer Gegend, die so von Pietisterei erfüllt ist, versteht es sich von selbst, daß diese, nach allen Seiten sich ausdehnend, jede einzelne Richtung des Lebens durchdringt und verdirbt. Ihre Hauptgewalt übt sie aus auf das Unterrichtswesen, vor allem auf die Volksschulen. Der eine Teil von diesen liegt ganz in ihren Händen; es sind dies die kirchlichen Schulen, deren jede Gemeinde eine hat. Freier schon, doch auch noch immer unter Aufsicht des kirchlichen Scholarchats, stehen die übrigen Volksschulen da, auf die die Zivilverwaltung einen bedeutenderen Einfluß hat. Und da liegen die hindernden Einwirkungen des Mystizismus auf der Hand; denn während die kirchlichen Schulen noch immer, wie weiland unter dem hochseligen Kurfürsten Karl Theodor, außer Lesen, Schreiben und Rechnen nur den Katechismus ihren Schülern einprägen, werden auf den andern doch die Anfangsgründe einiger Wissenschaften, auch etwas Französisch gelehrt, und viele der Schüler, dadurch angeregt, suchen sich, auch wenn sie die Schule schon verlassen, weiter fortzubilden. Diese Schulen sind in einem starken Fortschreiten begriffen und haben seit dem Eintritte des preußischen Gouvernements die kirchlichen, hinter denen sie damals sehr zurückstanden, weit überholt. Die kirchlichen Schulen werden aber viel stärker besucht, da sie weit weniger Kosten machen und viele Eltern ihre Kinder teils aus Anhänglichkeit, teils weil sie in dem Fortschreiten der Kinder ein Überhandnehmen des weltlichen Sinnes sehen, immer noch dahin schicken.
Von höheren Lehranstalten ernährt das Wuppertal drei: die Stadtschule in Barmen, die Realschule in Elberfeld und das Gymnasium daselbst.
Die Banner Stadtschule, sehr schwach dotiert und deshalb sehr schlecht mit Lehrern besetzt, tut indes alles, was in ihren Kräften steht. Sie liegt ganz[425] in den Händen eines beschränkten, knickerigen Kuratoriums, das meist auch nur Pietisten zu Lehrern wählt. Der Direktor, der dieser Richtung auch nicht fremd ist, versieht sein Amt indes nach festen Prinzipien und weiß sehr geschickt jedem Lehrer seine Stelle anzuweisen. Auf ihn folgt Herr Johann Jakob Ewich, der nach einem guten Lehrbuche gut unterrichten kann und im Geschichtsunterricht eifriger Anhänger des Nösseltschen Anekdotensystems ist. Er ist Verfasser vieler pädagogischer Schriften, deren größte, d.h. dem Umfange nach, den Titel fahrt: »Human«, Wesel bei Bagel, zwei Bände, 40 Bogen, Preis 1 Reichstaler. Alle sind voll hoher Ideen, frommer Wünsche und unausführbarer Vorschläge. Man sagt, seine pädagogische Praxis solle hinter der schönen Theorie weit zurückstehn.
Dr. Philipp Schifflin, zweiter Oberlehrer, ist der tüchtigste Lehrer der Schule. Vielleicht ist keiner in Deutschland so tief in die grammatische Struktur des modernen Französischen eingedrungen wie er. Er ging nicht vom Altromanischen aus, sondern faßte die klassische Sprache des vorigen Jahrhunderts, besonders Voltaires, auf und ging von dieser zum Stil der neuesten Autoren über. Die Resultate seiner Forschungen liegen in seiner »Anleitung zur Erlernung der französischen Sprache, in drei Cursen«, vor, von denen der erste und zweite schon in mehreren Auflagen erschienen und der dritte jetzt zu Ostern herauskömmt. Dies ist ohne Zweifel neben der Knebelschen die beste französische Sprachlehre, die wir besitzen; sie fand gleich beim Auftreten des ersten Kursus ungemessenen Beifall und erfreut sich schon jetzt einer fast beispiellosen Verbreitung durch ganz Deutschland, bis nach Ungarn und den russischen Ostseeprovinzen hin.
Die übrigen Lehrer sind junge Seminaristen, von denen sich einige tüchtig herangebildet haben, andre aber mit einem Chaos von allerlei Wissenschaften schwanger gehen. Der beste von diesen jungen Lehrern war Herr Köster, Freiligraths Freund, von dem ein Abriß der Poetik in einem Programme steht, worin er die didaktische Poesie ganz ausschloß und die ihr gewöhnlich zugeteilten Gattungen der Epik oder Lyrik unterordnete; der Aufsatz zeugte von Einsicht und Klarheit. Er wurde nach Düsseldorf berufen, und da die Herren vom Kuratorium ihn als Gegner aller Pietisterei kannten, ließen sie ihn sehr gerne ziehen. Den Gegensatz zu ihm bildet ein anderer Lehrer, der auf die Frage eines Quartaners, wer Goethe gewesen sei, antwortete: »ein gottloser Mann«.
Die Elberfelder Realschule ist sehr gut fundiert und kann deshalb tüchtigere Lehrer wählen und einen vollständigeren Kursus einrichten. Dagegen herrscht auf ihr jene fürchterliche Heftschreiberei, die einen Schüler in einem halben Jahre stumpf machen kann. Nebenbei ist von Direktion wenig zu[426] spüren; der Direktor ist die Hälfte des Jahres verreist und betätigt seine Anwesenheit nur durch übertriebene Strenge. Mit der Realschule ist eine Gewerbschule verbunden, auf der die Schüler ihr halbes Leben verzeichnen. Von den Lehrern ist Herr Dr. Kruse bemerkenswert, der sechs Wochen in England war und ein Werklein über die englische Aussprache schrieb, welches sich durch seine ausgezeichnete Unbrauchbarkeit bemerklich macht; die Schüler stehen in einem sehr schlechten Rufe und sind die Veranlassung zu Diesterwegs Klagen über die Jugend Elberfelds.
Das Gymnasium in Elberfeld ist in sehr bedrängten Verhältnissen, aber anerkannt eins der besten im preußischen Staat. Es ist Eigentum der reformierten Gemeinde, hat von ihrem Mystizismus wenig zu leiden, weil die Prediger sich nicht darum bekümmern und die Scholarchen nichts von Gymnasialsachen verstehen; desto mehr aber von ihrer Knauserei. Diese Herren haben nicht die geringste Idee von der Vorzüglichkeit der preußischen Gymnasialbildung, suchen der Realschule alles, Geld wie Schüler, zuzuwenden und werfen doch dem Gymnasium vor, daß es durch Schulgeld seine Auslagen nicht einmal decken könne. Es wird jetzt unterhandelt, daß die Regierung, der es sehr darum zu tun ist, das Gymnasium übernimmt; käme es nicht dazu, so müßte es in wenigen Jahren aus Mangel an Mitteln suspendiert werden. Die Lehrerwahlen liegen jetzt auch in den Händen der Scholarchen, Leute, die zwar einen Posten sehr korrekt ins Hauptbuch übertragen können, aber von Griechisch, Latein oder Mathematik keine Idee haben. Das Hauptprinzip ihrer Wahl ist: Heber einen reformierten Stümper als einen tüchtigen Lutheraner oder gar Katholiken zu wählen. Da aber unter den preußischen Philologen weit mehr Lutheraner als Reformierte sind, haben sie diesem Prinzipe fast nie recht folgen können.
Dr. Hantschke, königlicher Professor und provisorischer Direktor, ist aus Luckau in der Lausitz, schreibt ein ciceronianisches Latein in Versen und Prosa, ist auch Verfasser mehrerer Predigten, pädagogischer Schriften und eines hebräischen Übungsbuches. Er wäre längst fester Direktor geworden, wenn er nicht lutherisch und das Scholarchat weniger geizig wäre.
Dr. Eichhoff, zweiter Oberlehrer, schrieb mit seinem jüngeren Kollegen, Dr. Beltz, eine lateinische Grammatik, die aber in der »Allgemeinen Litteratur-Zeitung« von F. Haase nicht sehr günstig rezensiert wurde. Seine Hauptforce ist das Griechische.
Dr. Clausen, dritter Oberlehrer, ohne Zweifel der tüchtigste Mann in der ganzen Schule, in allen Fächern bewandert, in der Geschichte und Literatur ausgezeichnet. Sein Vortrag ist von seltener Anmut; er ist der einzige, der den Sinn der Poesie in den Schülern zu wecken weiß, den Sinn, der sonst[427] elendiglich verkümmern müßte unter den Philistern des Wuppertales. Als Schriftsteller ist er meines Wissens nur in einer Programm-Dissertation: »Pindaros der Lyriker« aufgetreten, die ihm einen großen Ruf unter den Gymnasiallehrern in und außerhalb Preußen gemacht haben soll. In den Buchhandel ist sie natürlich nicht gekommen.
Diese drei Schulen sind erst seit 1820 eingerichtet worden; früher bestand nur in Elberfeld und Barmen je eine Rektoratschule und eine Menge von Privatinstituten, die keine gediegene Bildung geben konnten. Ihre Nachwirkungen sind noch an den älteren Kaufleuten Barmens zu spüren. Von Bildung – keine Idee; wer Whist und Billard spielen, etwas politisieren, ein gewandtes Kompliment machen kann, das ist in Barmen und Elberfeld ein gebildeter Mann. Es ist ein schreckliches Leben, was diese Menschen führen, und sie sind doch so vergnügt dabei; den Tag über versenken sie sich in die Zahlen ihrer Konti, und das mit einer Wut, mit einem Interesse, daß man es kaum glauben möchte; abends zur bestimmten Stunde zieht alles in die Gesellschaften, wo sie Karten spielen, politisieren und rauchen, um mit dem Schlage neun nach Hause zurückzukehren. So geht es alle Tage, ohne Veränderung, und wehe dem, der ihnen dazwischenkömmt; er kann der ungnädigsten Ungnade aller ersten Häuser gewiß sein. – Die jungen Leute werden brav von ihren Vätern in die Schule genommen; sie lassen sich auch sehr gut an, ebenso zu werden. Ihre Unterhaltungsgegenstände sind ziemlich einförmig; die Barmer sprechen mehr von Pferden, die Elberfelder von Hunden; wenn's hoch kömmt, werden auch Schönheiten rezensiert oder es wird von Geschäftssachen geplappert, das ist alles. Alle halbe Jahrhundert sprechen sie auch von Literatur, unter welchem Namen sie Paul de Kock, Marryat, Tromlitz, Nestroy und Konsorten verstehen. In der Politik sind sie als sehr gute Preußen, weil sie unter preußischer Herrschaft stehen, a priori allem Liberalismus gar sehr zuwider, alles, solange es Sr. Majestät gefällt, ihnen den Code Napoleon zulassen; denn mit ihm würde aller Patriotismus schwinden. Das junge Deutschland kennt niemand in seiner literarischen Bedeutung; es gilt für eine geheime Verbindung, etwa wie die Demagogie, unter dem Vorsitze der Herren Heine, Gutzkow und Mundt. Einige der edlen Jünglinge haben wohl etwas von Heine gelesen, vielleicht die »Reisebilder« mit Übergehung der Gedichte darin, oder den »Denunzianten«, aber von den übrigen herrschen nur dunkle Begriffe aus dem Munde der Pfarrer oder Beamten. Freiligrath ist den meisten persönlich bekannt und steht im Rufe eines guten Kameraden. Als er nach Barmen kam, wurde er von diesem grünen Adel (so[428] nennt er das junge Kaufmannsvolk) mit Besuchen überhäuft; bald aber hatte er ihren Geist erkannt und zog sich zurück; aber sie verfolgten ihn, lobten seine Gedichte und seinen Wein und strebten mit aller Gewalt darnach, mit einem Brüderschaft zu trinken, der etwas hatte drucken lassen; denn diesen Menschen ist ein Dichter nichts, aber ein Schriftsteller alles. Nach und nach brach Freiligrath allen Umgang mit diesen Menschen ab und verkehrt jetzt nur mit wenigen, nachdem Köster Barmen verlassen hat. Seine Prinzipale haben sich in ihrer prekären Stellung immer sehr anständig und freundlich gegen ihn benommen; merkwürdigerweise ist er ein höchst exakter und fleißiger Kontorarbeiter. Über seine dichterischen Leistungen zu sprechen, wäre sehr überflüssig, nachdem Dingelstedt, in dem »Jahrbuche der Literatur«, und Carrière in den Berliner »Jahrbüchern« ihn so genau beurteilt haben. Indes scheinen mir beide nicht genug beachtet zu haben, wie er bei allem Schweifen in die Ferne doch so sehr an der Heimat hängt. Darauf deuten die häufigen Anspielungen auf deutsche Volksmärchen, z.B. S. 54, die Unkenkönigin, S. 87, Snewittchen u.a., denen S. 157 ein ganzes Gedicht (»Im Walde«) gewidmet ist, hin, die Nachahmung Uhlands (der Edelfalk, S. 82, »Die Schreinergesellen«, S. 85, auch das erste der »Zwei Feldherrngräber« erinnert doch nur zu seinem Vorteile an ihn), dann »Die Auswanderer« und vor allem sein unübertrefflicher »Prinz Eugen«. Auf diese wenigen Momente muß man desto mehr achten, je mehr Freiligrath in die entgegengesetzte Richtung sich verliert. Einen tiefen Blick in sein Gemüt eröffnet auch »Der ausgewanderte Dichter«, besonders die Fragmente, die im »Morgenblatt« abgedruckt sind; darin fühlt er schon, wie er in der Ferne nicht
heimisch werden kann, wenn er nicht in echt deutscher Dichtkunst wurzelt.
In der eigentlichen Wuppertaler Literatur nimmt die Journalistik die wichtigste Stelle ein. Obenan steht die »Elberfelder Zeitung«, redigiert von Dr. Martin Runkel, die sich unter seiner einsichtsvollen Leitung einen bedeutenden und wohlverdienten Ruf erworben hat. Er übernahm die Redaktion, als zwei Zeitungen, die »Allgemeine« und »Provinzialzeitung«, zu einer verschmolzen wurden; unter nicht sehr günstigen Auspizien entstand das Blatt; die »Barmer Zeitung« trat konkurrierend auf, aber Runkel hat es nach und nach durch Streben nach eigner Korrespondenz und durch seine leitenden Artikel zu einer der ersten Zeitungen des preußischen Staates gemacht. Sie fand zwar in Elberfeld, wo die leitenden Artikel nur von wenigen gelesen werden, wenig, auswärts aber desto mehr Anerkennung, wozu der Verfall der »Preußischen Staats-Zeitung« auch das Seinige beigetragen haben mag. Die belletristische Beilage, »Intelligenzblatt«, erhebt sich nicht über das Gewöhnliche.[429] Die »Banner Zeitung«, deren Verleger, Redaktoren und Zensoren häufig wechselten, steht jetzt unter der Leitung von H. Püttmann, der zuweilen in der »Abendzeitung« rezensierend auftritt. Er möchte die Zeitung wohl gerne heben, aber durch des Verlegers wohlbegründete Kargheit sind ihm die Hände gebunden. Das Feuilleton mit einigen seiner Gedichte, Rezensionen oder Auszügen aus größeren Schriften angefüllt, tut's auch nicht. Der sie begleitende »Wuppertaler Lesekreis« nährt sich fast nur von Lewalds »Europa«. Außer diesen erscheint noch der Elberfelder »Tägliche Anzeiger« nebst »Fremdenblatt«, ein Kind der »Dorfzeitung«, unübertrefflich in herzbrechenden Gedichten und schlechten Witzen, und das »Barmer Wochenblatt« , eine alte Nachtmütze, dem die pietistischen Eselsohren alle Augenblick unter der belletristischen Löwenhaut hervorschauen.
Von der übrigen Literatur ist die Prosa gar nichts wert; nehme ich die theologischen oder vielmehr pietistischen Schriften, einige Werklein über Barmens und Elberfelds Geschichte, die sehr oberflächlich abgefaßt sind, weg, so bleibt nichts übrig. Aber die Poesie findet reichliche Pflege in dem »gesegneten Tale«, und eine ziemliche Anzahl Poeten haben dort ihren Wohnsitz aufgeschlagen.
Wilhelm Langewiesche, Buchhändler zu Barmen und Iserlohn, schreibt unter dem Namen W. Jemand, sein Hauptwerk ist eine didaktische Tragödie, »Der ewige Jude«, die freilich nicht an Mosens Bearbeitung desselben Gegenstandes reicht. Er ist als Verleger der bedeutendste seiner Wuppertaler Konkurrenten, was übrigens sehr leicht ist, da ihrer zwei, Hassel in Elberfeld, Steinhaus in Barmen, nur echten Pietismus verlegen. Freiligrath wohnt in seinem Hause.
Karl August Döring, Prediger in Elberfeld, ist Verfasser einer Menge von prosaischen und poetischen Schriften; von ihm gilt Platens Wort: Sie sind ein wasserreicher Strom, den niemand bis zu Ende schwimmt.
In seinen Gedichten unterscheidet er zwischen geistlichen Liedern, Oden und lyrischen Gedichten. Zuweilen hat er schon auf der Mitte des Gedichts den Anfang vergessen und gerät dann in ganz eigentümliche Regionen; von den Südseeinseln und ihren Missionären gerät er in die Hölle und von den Seufzern der zerknirschten Seele nach dem Eise des Nordpols.
Lieth, Vorsteher einer Mädchenschule in Elberfeld, Verfasser von Kindergedichten, die meistens in einer schon veralteten Manier geschrieben sind und keinen Vergleich mit denen Rückerts, Gülls und Heys aushalten können; doch finden sich auch einzelne hübsche Sachen darunter.
Friedrich Ludwig Wülfing, unstreitig der größte Dichter des Wuppertals, ein Barmer von Geburt, ist ein Mann, in dem die Genialität gar nicht[430] zu verkennen ist. Sieht man einen langen Menschen, von etwa fünfundvierzig Jahren, in einen langen rotbraunen Rock verhüllt, der halb so alt ist wie sein Herr, auf den Schultern ein unbeschreibliches Antlitz, auf der Nase eine vergoldete Brille, in deren Gläsern sich die strahlenden Blicke der Augen brechen, das Haupt gekrönt mit einer grünen Mütze, im Munde eine Blume, in der Hand einen eben vom Rock gedrehten Knopf – das ist der Horaz Barmens. Tag für Tag ergeht er sich auf dem Hardtberge und wartet, ob ihm nicht ein neuer Reim oder eine neue Geliebte aufstoße. Bis in sein dreißigstes Jahr huldigte er Pallas Athenen als industriöser Mann; dann geriet er Aphroditen in die Hände, die ihm neun Dulcineen nacheinander zuführte; diese sind seine Musen. Man spreche nicht von Goethe, der allem eine poetische Seite abgewann, nicht von Petrarca, der jeden Blick, jedes Wort der Geliebten in ein Sonett brachte – an Wülfing reichen sie lange nicht. Wer zählt die Sandkörner, die der Geliebten Fuß zerknittert? Das tut der große Wülfing. Wer besingt Minchens (die Clio der neun Musen) in einer sumpfigen Wiese beschmutzte Strümpfe? Nur Wülfing. – Seine Epigramme sind Meisterwerke der originellsten, volkstümlichsten Grobheit. Als seine erste Frau starb, schrieb er eine Todesanzeige, die alle Dienstmädchen zu Tränen rührte, und eine noch weit schönere Elegie: »Wilhelmine, schönster aller Namen!« Sechs Wochen später verlobte er sich schon wieder, und jetzt hat er die dritte Frau. Der geistreiche Mann hat alle Tage andere Pläne. Als er noch so recht in seiner poetischen Blütezeit stand, wollte er bald Knopfmacher, bald Landmann, bald Papierhändler werden; zuletzt ist er in den Hafen der Lichtzieherei geraten, um sein Licht auf irgendeine Weise leuchten zu lassen. Seine Schriften sind wie der Sand am Meer.
Montanus Eremita, ein Solinger Anonymus, gehört als nachbarlicher Freund auch hieher. Er ist der poetischste Historiograph des Bergischen Landes; seine Verse sind weniger unsinnig als langweilig und prosaisch.
Ebenso Johann Pol, Pastor zu Heedfeld bei Iserlohn, der ein Bändlein Gedichte schrieb.
Könige kommen von Gott und Missionäre desgleichen,
Aber der Goethe-Poet kommt von den Menschen allein.
Dies zeigt den Geist des ganzen Bandes. Aber er hat auch Witz, denn er sagt: »Die Dichter sind Lichter, die Philosophen sind der Wahrheit Zofen.« Und welche Phantasie liegt in den beiden Anfangszeilen seiner Ballade: »Attila an der Marne«:
Gleich Lawinen ungeheuer, schneidend hart wie Schwert und Kiesel,
Wälzt durch Schutt und Städteflammen sich nach Gallien Godegisel.[431]
Auch hat er Psalme gedichtet, oder vielmehr aus Davidschen Fragmenten komponiert. Sein Hauptwerk ist die Besingung des Streits zwischen Hülsmann und Sander, und zwar auf eine höchst originelle Weise, in Epigrammen. Da dreht sich alles um den Gedanken, die Rationalisten wagten –
Zu schmähen und zu lästern den Herrn Herrn.
Weder Voß noch Schlegel haben jemals einen so vollkommenen Spondeus am Schluß eines Hexameters gehabt. Er versteht die Einteilung seiner Gedichte noch besser als Döring, er teilt sie in: »Geistliche Gesänge und Lieder und vermischte Gedichte.«
F. W. Krug, Kandidat der Theologie, Verfasser von poetischen Erstlingen oder prosaischen Reliquien, Übersetzer mehrerer holländischer und französischer Predigten, schrieb auch eine rührende Novelle im Geschmack Stillings, worin er unter andern einen neuen Beweis für die Wahrheit der mosaischen Schöpfungsgeschichte aufstellt. Das Buch ist ergötzlich.
Zum Schlusse muß ich noch eines geistvollen jungen Mannes erwähnen, der die Idee hat, da Freiligrath Handlungsdiener und Dichter zugleich sei, müßte er es auch können. Hoffentlich wird die deutsche Literatur bald durch einige seiner Novellen vermehrt werden, die von den besten nicht übertroffen werden; die einzigen Fehler, die man ihnen vorwerfen kann, sind Abgedroschenheit der Handlung, übereilte Anlage und nachlässiger Stil. Sehr gern würde ich eine im Auszuge mitteilen, wenn es die Dezenz nicht verböte; doch wird sich vielleicht bald ein Buchhändler des großen D. (seinen ganzen Namen wage ich nicht zu nennen, weil ihn sonst seine verletzte Bescheidenheit zu einem Injurienprozeß gegen mich verleiten würde) erbarmen und seine Novellen verlegen. Auch will er ein sehr genauer Freund Freiligraths sein.
Dies sind so ziemlich die literarischen Erscheinungen des weltberühmten Tals, wozu vielleicht noch einige weinentflammte Kraftgenies zu zählen wären, die sich dann und wann reimend versuchen und die ich Herrn Dr. Duller zur Porträtierung für einen neuen Roman sehr empfehlen kann. Die ganze Gegend liegt von einem Meer von Pietismus und Philisterei überschwemmt, und was daraus hervorragt, sind keine schönen blumenreichen Eilande, nur dürre nackte Klippen oder lange Sandbänke, und Freiligrath irrt dazwischen umher wie ein verschlagener Schiffer.[432]
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