[372] Um dieselbe Zeit, wo im Schwarzwald die vierte Bundschuhverschwörung unterdrückt wurde, gab Luther in Wittenberg das Signal zu der Bewegung, die alle Stände mit in den Strudel reißen und das ganze Reich erschüttern sollte. Die Thesen des thüringischen Augustiners zündeten wie ein Blitz in ein Pulverfaß. Die mannigfaltig durcheinanderkreuzender Bestrebungen der Ritter wie der Bürger, der Bauern wie der Plebejer, der souveränetätssüchtigen Fürsten wie der niederen Geistlichkeit, der mystizisierenden verborgenen Sekten wie der gelehrten und satirisch-burlesken Schriftsteller-Opposition erhielten in ihnen einen zunächst gemeinsamen allgemeinen Ausdruck, um den sie sich mit überraschender Schnelligkeit gruppierten. Diese über Nacht gebildete Allianz aller Oppositionselemente, so kurz ihre Dauer war, enthüllte plötzlich die ungeheure Macht der Bewegung und trieb sie um so rascher voran.
Aber eben diese rasche Entwicklung der Bewegung mußte auch sehr bald die Keime des Zwiespalts entwickeln, die in ihr lagen, mußte; wenigstens die durch ihre ganze Lebensstellung direkt einander entgegenstehenden Bestandteile der erregten Masse wieder voneinander reißen und in ihn; normale feindliche Stellung bringen. Diese Polarisation der bunten Oppositionsmasse um zwei Attraktionszentren trat schon in den ersten Jahren der Reformation hervor; Adel und Bürger gruppierten sich unbedingt um Luther; Bauern und Plebejer, ohne schon in Luther einen direkten Feind zu sehen, bildeten wie früher eine besondere, revolutionäre Oppositionspartei. Nur daß die Bewegung jetzt viel allgemeiner, viel tiefergreifend war als vor Luther, und daß damit die Notwendigkeit des scharf ausgesprochenen Gegensatzes, der direkten Bekämpfung beider Parteien untereinander gegeben war. Dieser direkte Gegensatz trat bald ein; Luther und Münzer bekämpften sich in der Presse und auf der Kanzel, wie die größtenteils aus lutherischen oder wenigstens zum Luthertum hinneigenden Kräften bestehenden Heere der Fürsten, Ritter und Städte die Hauten der Bauern und Plebejer zersprengten.[372]
Wie sehr die Interessen und Bedürfnisse der verschiedenen Elemente, die die Reformation angenommen, auseinandergingen, zeigt schon vor dem Bauernkrieg der Versuch des Adels, seine Forderungen gegenüber den Fürsten und Pfaffen durchzusetzen.
Wir haben schon oben gesehen, welche Stellung der deutsche Adel im Anfang des 16. Jahrhunderts einnahm. Er war im Begriff, seine Unabhängigkeit an die immer mächtiger werdenden weltlichen und geistlichen Fürsten zu verlieren. Er sah zu gleicher Zeit, in demselben Maß wie er sank, auch die Reichsgewalt sinken und das Reich sich in eine Anzahl souveräner Fürstentümer auflösen. Sein Untergang mußte für ihn mit dem Untergang der Deutschen als Nation zusammenfallen. Dazu kam, daß der Adel, besonders der reichsunmittelbare Adel, derjenige Stand war, der sowohl durch seinen militärischen Beruf wie durch seine Stellung gegenüber den Fürsten das Reich und die Reichsgewalt besonders vertrat. Er war der nationalste Stand, und je mächtiger die Reichsgewalt, je schwächer und je weniger zahlreich die Fürsten, je einiger Deutschland, desto mächtiger war er. Daher der allgemeine Unwille der Ritterschaft über die erbärmliche politische Stellung Deutschlands, über die Ohnmacht des Reichs nach außen, die in demselben Maße zunahm, als das Kaiserhaus durch Erbschaft eine Provinz nach der andern an das Reich anhing; über die Intrigen fremder Mächte im innern Deutschlands und die Komplotte deutscher Fürsten mit dem Ausland gegen die Reichsgewalt. Die Forderungen des Adels mußten sich also vor allem in der Forderung einer Reichsreform zusammenfassen, deren Opfer die Fürsten und die höhere Geistlichkeit werden sollten. Diese Zusammenfassung übernahm Ulrich von Hutten, der theoretische Repräsentant des deutschen Adels, in Gemeinschaft mit Franz von Sickingen, seinem militärischen und staatsmännischen Repräsentanten.
Hutten hat seine im Namen des Adels geforderte Reichsreform sehr bestimmt ausgesprochen und sehr radikal gefaßt. Es handelt sich um nichts Geringeres als um die Beseitigung sämtlicher Fürsten, die Säkularisation sämtlicher geistlichen Fürstentümer und Güter, um die Herstellung einer Adelsdemokratie mit monarchischer Spitze, ungefähr wie sie in den besten Tagen der weiland polnischen Republik bestanden hat. Durch die Herstellung der Herrschaft des Adels, der vorzugsweise militärischen Klasse, durch die Entfernung der Fürsten, der Träger der Zersplitterung, durch die Vernichtung der Macht der Pfaffen und durch die Losreißung Deutschlands von der geistlichen Herrschaft Roms glaubten Hutten und Sickingen, das Reich wieder einig, frei und mächtig zu machen.
Die auf der Leibeigenschaft beruhende Adelsdemokratie, wie sie in Polen[373] und in etwas modifizierter Form in den ersten Jahrhunderten der von den Germanen eroberten Reiche bestanden hat, ist eine der rohesten Gesellschaftsformen und entwickelt sich ganz normal weiter zur ausgebildeten Feudalhierarchie, die schon eine bedeutend höhere Stufe ist. Diese reine Adelsdemokratie war also im 16. Jahrhundert unmöglich. Sie war schon unmöglich, weil überhaupt bedeutende und mächtige Städte in Deutschland bestanden. Auf der andern Seite war aber auch jene Allianz des niedern Adels und der Städte unmöglich, die in England die Verwandlung der feudal-ständischen Monarchie in die bürgerlich-konstitutionelle zustande brachte. In Deutschland hatte sich der alte Adel erhalten, in England war er durch die Rosenkriege bis auf 28 Familien ausgerottet und wurde durch einen neuen Adel bürgerlichen Ursprungs und mit bürgerlichen Tendenzen ersetzt; in Deutschland bestand die Leibeigenschaft fort, und der Adel hatte feudale Einkommenquellen, in England war sie fast ganz beseitigt, und der Adel war einfacher bürgerlicher Grundbesitzer mit der bürgerlichen Einkommenquelle: der Grundrente. Endlich war die Zentralisation der absoluten Monarchie, die in Frankreich seit Ludwig XI. durch den Gegensatz von Adel und Bürgerschaft bestand und sich immer weiter ausbildete, schon darum in Deutschland unmöglich, weil hier überhaupt die Bedingungen der nationalen Zentralisation gar nicht oder nur unentwickelt vorhanden waren.
Je mehr unter diesen Verhältnissen Hutten sich auf die praktische Durchführung seines Ideals einließ, desto mehr Konzessionen mußte er machen und desto unbestimmter mußten die Umrisse seiner Reichsreform werden. Der Adel allein war nicht mächtig genug, das Unternehmen durchzusetzen, das bewies seine wachsende Schwäche gegenüber den Fürsten. Man mußte Bundesgenossen haben, und die einzig möglichen waren die Städte, die Bauern und die einflußreichen Theoretiker der Reformationsbewegung. Aber die Städte kannten den Adel hinreichend, um ihm nicht zu treuen und jedes Bündnis mit ihm zurückzuweisen. Die Bauern sahen im Adel, der sie aussog und mißhandelte, mit vollem Recht ihren bittersten Feind. Und die Theoretiker hielten es entweder mit den Bürgern, Fürsten oder den Bauern. Was sollte auch der Adel den Bürgern und Bauern Positives versprechen von einer Reichsreform, deren Hauptzweck immer die Hebung des Adels war? Unter diesen Umständen blieb Hutten nichts übrig, als in seinen Propagandaschriften über die künftige gegenseitige Stellung des Adels, der Städte und der Bauern wenig oder gar nichts zu sagen, alles Übel auf die Fürsten und Pfaffen und die Abhängigkeit von Rom zu schieben und den Bürgern nachzuweisen, daß ihr Interesse ihnen gebiete, im bevorstehenden Kampf zwischen Fürsten und Adel sich mindestens neutral zu halten. Von Aufhebung der Leibeigenschaft[374] und der Lasten, die der Bauer dem Adel schuldig war, ist bei Hutten nirgends die Rede.
Die Stellung des deutschen Adels gegenüber den Bauern war damals ganz dieselbe wie die des polnischen Adels zu seinen Bauern in den Insurrektionen 1830-46. Wie in den modernen polnischen Aufständen, war damals in Deutschland die Bewegung nur durchzuführen durch eine Allianz aller Oppositionsparteien und namentlich des Adels mit den Bauern. Aber grade diese Allianz war in beiden Fällen unmöglich. Weder war der Adel in die Notwendigkeit versetzt, seine politischen Privilegien und seine Feudalgerechtsame gegenüber den Bauern aufzugeben, noch konnten die revolutionären Bauern sich auf allgemeine unbestimmte Aussichten hin in eine Allianz mit dem Ade einlassen, mit dem Stand, der sie gerade am meisten bedrückte. Wie in Idolen 1830, so konnte in Deutschland 1522 der Adel die Bauern nicht mehr gewinnen. Nur die gänzliche Beseitigung der Leibeigenschaft und Hörigkeit, das Aufgeben aller Adelsprivilegien hätte das Landvolk mit dem Adel vereinigen können; aber der Adel, wie jeder privilegierte Stand, hatte nicht die geringste Lust, seine Vorrechte, seine ganze exzeptionelle Stellung und den größten Teil seiner Einkommenquellen freiwillig aufzugeben.
Der Adel stand also schließlich, als es zum Kampfe kam, den Fürsten allein gegenüber. Daß die Fürsten, die ihm seit zwei Jahrhunderten fortwährend Terrain abgewonnen, ihn auch diesmal mit leichter Mühe erdrücken mußten, war vorherzusehen.
Der Verlauf des Kampfes selbst ist bekannt. Hutten und Sickingen, der schon als politisch-militärischer Chef des mitteldeutschen Adels anerkannt war, brachten 1522 zu Landau einen Bund des rheinischen, schwäbischen und fränkischen Adels auf sechs Jahre zustande, angeblich zur Selbstverteidigung; Sickingen zog ein Heer, teils aus eignen Mitteln, teils in Verbindung mit den umliegenden Rittern, zusammen, organisierte Werbungen und Zuzüge in Franken, am Niederrhein, in den Niederlanden und Westfalen und eröffnete im September 1522 die Feindseligkeiten mit einer Fehdeerklärung an den Kurfürsten-Erzbischof von Trier. Aber während er vor Trier lag, wurden seine Zuzüge durch rasches Einschreiten der Fürsten abgeschnitten; der Landgraf von Hessen und der Kurfürst von der Pfalz zogen den Trierern zu Hülfe, und Sickingen mußte sich in sein Schloß Landstuhl werfen. Trotz aller Bemühungen Huttens und seiner übrigen Freunde ließ ihn hier der verbündete Adel, eingeschüchtert durch die konzentrierte und rasche Aktion der Fürsten, im Stich; er selbst wurde tödlich verwundet, übergab[375] dann Landstuhl und starb gleich darauf. Hutten mußte in die Schweiz flüchten und starb wenige Monate später auf der Insel Ufnau im Zürchersee.
Mit dieser Niederlage und dem Tod der beiden Führer war die Macht des Adels als einer von den Fürsten unabhängigen Körperschaft gebrochen. Von jetzt an tritt der Adel nur noch im Dienst und unter der Leitung der Fürsten auf. Der Bauernkrieg, der gleich darauf ausbrach, zwang ihn roch mehr, sich direkt oder indirekt unter den Schutz der Fürsten zu stellen, und bewies zu gleicher Zeit, daß der deutsche Adel es vorzog, lieber unter fürstlicher Oberhoheit die Bauern fernerhin zu exploitieren, als die Fürsten und Pfaffen durch ein offenes Bündnis mit den emanzipierten Bauern zu stürzen.[376]
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Der deutsche Bauernkrieg
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