[479] Die Allianzisten konnten unmöglich in der lächerlichen Lage verharren, in die sie sich durch ihre schlaue Wahlpolitik versetzt hatten; sonst war es zu Ende mit ihrer bisherigen Herrschaft über die spanische Internationale. Sie mußten wenigstens zum Scheinhandeln. Was sie retten sollte, war – der allgemeine Strike.
Der allgemeine Strike ist im bakunistischen Programm der Hebel, der zur Einleitung der sozialen Revolution angesetzt wird. Eines schönen Morgens legen alle Arbeiter aller Gewerke eines Landes oder gar der ganzen Welt die Arbeit nieder und zwingen dadurch in längstens vier Wochen die besitzenden Klassen, entweder zu Kreuz zu kriechen oder auf die Arbeiter loszuschlagen, so daß diese dann das Recht haben, sich zu verteidigen und bei dieser Gelegenheit die ganze alte Gesellschaft über den Haufen zu werfen. Der Vorschlag ist weit entfernt davon, neu zu sein; französische und nach ihnen belgische Sozialisten haben seit 1848 dies Paradepferd stark geritten, das aber ursprünglich englischer Race ist. Während der auf die Krise von 1837 folgenden raschen und heftigen Entwicklung des Chartismus unter den englischen Arbeitern war schon 1839 der »heilige Monat« gepredigt worden, die Arbeitseinstellung auf nationalem Maßstab (siehe Engels, »Lage der arbeitenden Klasse«, zweite Auflage, Seite 234), und hatte solchen Anklang gefunden, daß die Fabrikarbeiter von Nordengland[479] im Juli 1842 die Sache auszuführen versuchten. – Auch auf dem Genfer Allianzistenkongreß vom 1. September 1873 spielte der allgemeine Strike eine große Rolle, nur wurde allseitig zugegeben, daß dazu eine vollständige Organisation der Arbeiterklasse und eine gefüllte Kasse nötig sei. Und darin liegt eben der Haken. Einerseits werden die Regierungen, besonders wenn man sie durch politische Enthaltung ermutigt, weder die Organisation noch die Kasse der Arbeiter je so weit kommen lassen; und andrerseits werden die politischen Ereignisse und die Übergriffe der herrschenden Klassen die Befreiung der Arbeiter zuwege bringen, lange bevor das Proletariat dazu kommt, sich diese ideale Organisation und diesen kolossalen Reservefonds anzuschaffen. Hätte es sie aber, so brauchte es nicht den Umweg des allgemeinen Strikes, um zum Ziele zu gelangen.
Für jeden, der das geheime Getriebe der Allianz einigermaßen kennt, kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Vorschlag zur Anwendung dieses probaten Mittels vom Schweizer Zentrum ausging. Genug, die spanischen Führer fanden hier einen Ausweg, um etwas zu tun, ohne direkt »politisch« zu werden, und gingen mit Freuden darauf ein. Die Wunderwirkungen des allgemeinen Strikes wurden überall gepredigt, man bereitete sich darauf vor, in Barcelona und in Alcoy damit den Anfang zu machen.
Inzwischen näherten sich die politischen Verhältnisse mehr und mehr einer Krisis. Die alten Großsprecher der bundesstaatlichen Republikaner, Castelar und Konsorten, erschraken vor der Bewegung, die ihnen über den Kopf wuchs; sie mußten die Gewalt an Pí y Margall abtreten, der einen Kompromiß mit den Intransigenten versuchte. Pí war unter den offiziellen Republikanern der einzige Sozialist, der einzige, der die Notwendigkeit einsah, die Republik auf die Arbeiter zu stützen. Er legte auch alsbald ein Programm sofort ausführbarer Maßregeln sozialer Natur vor, die nicht nur den Arbeitern unmittelbar vorteilhaft sein, sondern auch in ihren Folgen zu weitem Schritten treiben und so die soziale Revolution wenigstens in Gang bringen mußten. Aber die bakunistischen Internationalen, die selbst die revolutionärste Maßregel zurückzuweisen verpflichtet sind, sobald sie vom »Staat« ausgeht, unterstützten lieber die tollsten Schwindler unter den Intransigenten als einen Minister. Pís Verhandlungen mit den Intransigenten zogen sich in die Länge; die Intransigenten wurden ungeduldig; die hitzigsten unter ihnen fingen an, in Andalusien den kantonalen Aufstand ins Werk zu setzen. Jetzt mußten die Führer der Allianz ebenfalls losschlagen, wenn sie nicht im Schlepptau der Intransigenten Bourgeois bleiben wollten. Der allgemeine Strike wurde also befohlen.
In Barcelona wurde jetzt unter anderm ein Maueranschlag erlassen:
[480] »Arbeiter! Wir machen einen allgemeinen Strike, um den tiefen Abscheu zu zeigen, den wir empfinden, wenn wir sehn, wie die Regierung das Heer zur Bekämpfung unserer arbeitenden Brüder verwendet, dabei aber den Krieg gegen die Karlisten vernachlässigt« usw.
Die Arbeiter von Barcelona, der größten Fabrikstadt Spaniens, deren Geschichte mehr Barrikadenschlachten aufzuweisen hat als irgendeine andere Stadt der Welt, wurden also aufgefordert, der bewaffneten Regierungsgewalt nicht ebenfalls mit den in ihren Händen befindlichen Waffen entgegenzutreten, sondern – mit einer allgemeinen Arbeitseinstellung, mit einer Maßregel, die nur die einzelnen Bourgeois direkt berührt, nicht aber ihren Gesamtvertreter, die Staatsmacht! Die Barceloneser Arbeiter hatten in der tatlosen Friedenszeit den gewaltsamen Phrasen zahmer Leute wie Alerini, Farga Pellicer und Viñas zuhören können; als es zum Handeln kam, als Alerini, Farga Pellicer und Viñas erst ihr famoses Wahlprogramm erließen, dann fortwährend abwiegelten und endlich, statt zu den Waffen zu rufen, den allgemeinen Strike erklärten, wurden sie den Arbeitern geradezu verächtlich. Der schwächste Intransigent zeigte immer noch mehr Energie als der stärkste Allianzist. Die Allianz und die von ihr genasführte Internationale verlor allen Einfluß, und als der allgemeine Strike von diesen Herren proklamiert wurde unter dem Vorwand, damit die Regierung lahmzulegen, lachten die Arbeiter sie einfach aus. Aber das wenigstens hatte die Tätigkeit der falschen Internationale noch fertiggebracht, Barcelona von der Teilnahme am kantonalen Aufstand abzuhalten; und Barcelona war die einzige Stadt, deren Beitritt zur Bewegung dem überall stark in ihr vertretenen Arbeiterelement einen festen Rückhalt und damit die Aussicht geben konnte, sich schließlich der ganzen Bewegung zu bemächtigen. Und ferner war mit dem Beitritt von Barcelona der Sieg so gut wie entschieden. Aber Barcelona rührte keinen Finger; die Barceloneser Arbeiter, über die Intransigenten im klaren, von den Allianzisten geprellt, blieben untätig und sicherten dadurch den endlichen Sieg der Madrider Regierung. Was alles die Allianzisten Alerini und Brousse (Näheres über sie enthält der Bericht über die Allianz) nicht abhielt, in ihrem Blatt, der »Solidarité révolutionnaire«, zu erklären:
»Die revolutionäre Bewegung verbreitet sich wie ein Lauffeuer über die ganze Halbinsel... in Barcelona ist noch nichts geschehn, aber auf dem öffentlichen Platze ist die Revolution in Permanenz!«[481]
Es war aber die Revolution der Allianzisten, die im Halten von Pauken besteht und ebendeshalb »permanent« nicht vom »Platze« kommt.
In Alcoy war gleichzeitig der allgemeine Strike auf die Tagesordnung gesetzt. Alcoy ist eine Fabrikstadt neueren Datums, von jetzt vielleicht 30000 Einwohnern, in der die Internationale, in bakunistischer Form, erst seit einem Jahre Eingang und sehr rasche Verbreitung gefunden hat. Der Sozialismus war diesen bisher der Bewegung ganz fremden Arbeitern in jeder Form willkommen, ganz wie sich dies in Deutschland hie und da in zurückgebliebnen Orten wiederholt, wo der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein plötzlich einen großen augenblicklichen Anhang bekommt. Alcoy war daher zum Sitz der bakunistischen Föderalkommission für Spanien erkoren, und grade diese Föderalkommission werden wir hier an der Arbeit sehn.
Am 7. Juli beschließt eine Arbeiterversammlung den allgemeinen Strike und sendet am folgenden Tag eine Deputation zum Alkalden (Bürgermeister) mit der Aufforderung, die Fabrikanten binnen 24 Stunden zusammenzuberufen und ihnen die Forderungen der Arbeiter vorzulegen. Der Alkalde Albors, ein Bourgeoisrepublikaner, hält die Arbeiter hin, bestellt Truppen in Alicante und rät den Fabrikanten, nicht nachzugeben, sondern sich in ihren Häusern zu verbarrikadieren. Er selbst werde an seinem Posten sein. Nachdem er eine Zusammenkunft mit den Fabrikanten gehabt – wir folgen hier dem offiziellen Bericht der allianzistischen Föderalkommission, datiert 14. Juli 1873 – erläßt er, der anfangs den Arbeitern Neutralität versprochen, eine Proklamation, worin er »die Arbeiter beleidigt und verleumdet, Partei für die Fabrikanten nimmt und so das Recht und die Freiheit der Sinkenden vernichtet und sie zum Kampf herausfordert«. Wie die frommen Wünsche eines Bürgermeisters das Recht und die Freiheit der Strikenden vernichten können, bleibt jedenfalls unklar. Genug, die von der Allianz geleiteten Arbeiter ließen dem Stadtrat durch eine Kommission erklären, wenn er die versprochene Neutralität im Strike nicht aufrechtzuhalten gesonnen sei, so solle er, um einen Konflikt zu vermeiden, lieber abdanken. Die Kommission wurde abgewiesen, und als sie das Rathaus verließ, feuerten Polizisten auf das Volk, das friedlich und unbewaffnet auf dem Platze stand. Dies der Beginn des Kampfs nach dem allianzistischen Bericht. Das Volk bewaffnete sich, der Kampf begann, der »zwanzig Stunden« gedauert haben soll. Auf der einen Seite die Arbeiter, die die »Solidarité révolutionnaire« auf 5000 angibt, auf der andern Seite 32 Gensdarmen im Rathaus und einige Bewaffnete in vier oder fünf Häusern am Markt, welche Häuser auf gut preußisch vom Volke niedergebrannt[482] wurden. Endlich ging den Gensdarmen die Munition aus, sie mußten kapitulieren.
»Man würde weniger Unfälle zu beklagen haben«, sagt der allianzistische Kommissionsbericht, »wenn nicht der Alkalde Albors das Volk getäuscht hätte, indem er sich zu ergeben vorgab und dann feigerweise diejenigen ermorden ließ, die, gestützt auf sein Wort, ins Rathaus eindrangen; und dieser selbe Alkalde wäre nicht von der mit Recht entrüsteten Bevölkerung getötet worden, wenn er nicht auf die ihn Verhaftenden in nächster Nähe seinen Revolver abgefeuert hätte.«
Und was waren die Opfer dieses Kampfes?
»Wenn wir die Anzahl der Toten und Verwundeten« (auf seiten des Volks) »nicht genau berechnen können, so können wir doch sagen, daß ihrer nicht unter – zehn sind. Auf seilen der Herausforderer zählt man nicht weniger als fünfzehn Tote und Verwundete.«
Dies war die erste Straßenschlacht der Allianz. Während zwanzig Stunden schlug man sich, 5000 Mann stark, gegen 32 Gensdarmen und einige bewaffnete Bourgeois, besiegte sie, nachdem sie ihre Munition verschossen, und verlor im ganzen zehn Mann. Wohl mag die Allianz ihren Eingeweihten den Spruch Falstaffs einpauken, daß »Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist«.
Es versteht sich, daß alle die Schreckensnachrichten der Bourgeoisblätter von zwecklos niedergebrannten Fabriken, massenweise erschossenen Gensdarmen, von mit Petroleum übergossenen und angezündeten Menschen reine Erfindungen sind. Die siegreichen Arbeiter, selbst wenn die Allianzisten sie führen, deren Motto ist: »Es muß Allens verrungeniert werden«, gehn immer viel zu großmütig mit ihren besiegten Gegnern um, und diese dichten ihnen daher alle die Schandtaten an, die sie im Falle des Sieges zu begehn nie unterlassen.
Also der Sieg war errungen.
»In Alcoy«, jubelt die »Solidarité révolutionnaire«, »sind unsere Freunde, 5000 an der Zahl, Herren der Situation geworden.«
Und was machten die »Herren« aus ihrer »Situation«?
Hier läßt uns der allianzistische Bericht und das allianzistische Journal vollständig im Stich; wir sind auf die gewöhnlichen Zeitungsberichte angewiesen. Aus diesen erfahren wir, daß in Alcoy nunmehr ein »Wohlfahrtsausschuß« errichtet wurde, d.h. eine revolutionäre Regierung. Nun hatten zwar die Allianzisten auf ihrem Kongreß zu Saint-Imier in der Schweiz,[483] am 15. Sept. 1872, beschlossen, »daß jede Organisation einer politischen, sogenannten provisorischen oder revolutionären Gewalt nur eine neue Prellerei sein kann und für das Proletariat ebenso gefährlich sein würde wie alle jetzt bestehenden Regierungen«. Auch hatten die Mitglieder der zu Alcoy sitzenden spanischen Föderalkommission ihr Bestes getan, daß der Kongreß der spanischen Internationale diesen Beschluß zum seinigen machte. Trotz alledem finden wir, daß Severino Albarracin, Mitglied dieser Kommission, und nach einigen Berichten auch Francisco Tomás, ihr Sekretär, Mitglieder dieser provisorischen und revolutionären Regierungsgewalt, des Wohlfahrtsausschusses von Alcoy, waren!
Und was tat dieser Wohlfahrtsausschuß? Welches waren seine Maßregeln, um »die sofortige volle Emanzipation der Arbeiter« durchzusetzen? Er verbot allen Männern, die Stadt zu verlassen, während dies den Frauen erlaubt blieb, falls sie – Pässe hätten! Die Gegner der Autorität führen die Pässe wieder ein! Im übrigen absolute Rat-, Tat- und Hülflosigkeit.
Inzwischen rückte General Velarde mit Truppen von Alicante an. Die Regierung hatte alle Ursache, die Lokalaufstände der Provinzen in aller Stille beizulegen. Und die »Herren der Situation« von Alcoy hatten alle Ursache, sich aus einer Situation zu ziehn, aus der sie nichts zu machen wußten. Der Deputierte Cervera, der den Vermittler machte, hatte also leichtes Spiel. Der Wohlfahrtsausschuß dankte ab, die Truppen rückten am 12. Juli ohne Widerstand ein, und die einzige Gegenversprechung, die dem Wohlfahrtsausschuß gemacht wurde, war – allgemeine Amnestie. Die allianzistischen »Herren der Situation« waren wieder einmal glücklich aus der Klemme. Und damit endete das Abenteuer von Alcoy.
In Sanlúcar de Barrameda bei Cádiz, erzählt uns der allianzistische Bericht,
»schließt der Alkalde das Lokal der Internationale und fordert durch seine Drohungen und durch seine unaufhörlichen Angriffe gegen die persönlichen Rechte der Bürger den Zorn der Arbeiter heraus. Eine Kommission reklamiert vom Minister die Anerkennung des Rechts und die Wiedereröffnung des willkürlich geschlossenen Lokals. Herr Pí bewilligt dies im Prinzip... verweigert es aber in der Wirklichkeit; die Arbeiter finden, daß die Regierung ihre Assoziation planmäßig in die Acht erklären will; sie setzen die Lokalbehörden ab und ernennen andere an ihrer Stelle, die das Lokal der Assoziation wieder öffnen.«
»In Sanlúcar... beherrscht das Volk die Situation!« triumphiert die »Solidarité révolutionnaire«. Die Allianzisten, die auch hier, ganz gegen ihre anarchischen Grundsätze, eine revolutionäre Regierung gebildet, wußten[484] mit ihrer Herrschaft nichts anzufangen. Sie verloren die Zeit mit leeren Debatten und papiernen Beschlüssen, und als General Pavía Sevilla und Cádiz genommen hatte, schickte er einige Kompanien der Brigade Soria, am 5. August, nach Sanlúcar und fand – keinen Widerstand.
Dies sind die Heldentaten der Allianz, da, wo sie ohne jede Konkurrenz auftrat.
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