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[494] Es ist diesem Dialekt sonderbar mitgespielt worden von den Sprachgelehrten. Hatte Grimm ihn in Französisch und Hochdeutsch untergehn lassen, so geben ihm Neuere eine Ausdehnung, die von Dünkirchen und Amsterdam bis an die Unstrut, Saale und Rezat, wo nicht gar bis an die Donau und durch Kolonisation ins Riesengebirge reicht. Während selbst ein Philolog wie Moritz Heyne aus einer in Werden angefertigten Handschrift des Heiland eine altniederfränkische Sprache konstruiert, die[494] fast reines, sehr gelind fränkisch angehauchtes Altsächsisch ist, schlägt Braune alle wirklich niederfränkischen Dialekte ohne weiteres hier zum Sächsischen, dort zum Niederländischen. Und endlich beschränkt Arnold den Eroberungsbezirk der Ripuarier auf das Gebiet nördlich der Wasserscheide von Ahr und Mosel und läßt alles südlich und südwestlich gelegene, zuerst von Alamannen, später ausschließlich von Chatten (die er auch zu den Franken schlägt) besetzt sein, also auch alamannisch-chattisch sprechen.
Reduzieren wir vorerst das fränkische Sprachgebiet auf seine wirklichen Grenzen. Thüringen, Hessen und Mainfranken haben absolut keinen andern Anspruch, dazugerechnet zu werden, als daß sie zur Karolingerzeit unter Francia mit einbegriffen wurden. Die Sprache, die östlich des Spessarts und Vogelsberg und der Kahlen Asten gesprochen wird, ist alles, nur nicht Fränkisch. Hessen und Thüringen haben ihre eignen selbständigen Dialekte, wie sie von selbständigen Stämmen bewohnt werden; in Mainfranken ist ein Gemisch slawischer, thüringischer und hessischer Bevölkerung mit bayrischen und fränkischen Elementen durchsetzt worden und hat sich seinen aparten Dialekt ausgebildet. Nur wenn man den Grad, in welchem die hochdeutsche Lautverschiebung in die Dialekte eingedrungen, als Hauptunterscheidungsmittel anwendet, kann man diese drei Sprachzweige dem Fränkischen zuweisen. Es ist aber, so werden wir sehn, grade dies Verfahren, das all die Verwirrung in der Beurteilung fränkischer Sprache durch Nichtfranken verursacht.
Fangen wir mit den ältesten Denkmälern an, und stellen wir zuerst Moritz Heynes2 sogenanntes Altniederfränkisch ins rechte Licht. Die in Werden gefertigte, jetzt in Oxford befindliche sog. Cottonsche Handschrift des Heiland soll altniederfränkisch sein, weil sie im Kloster Werden, noch auf fränkischem Boden, aber hart an der sächsischen Grenze, angefertigt worden. Die alte Stammesgrenze ist hier auch heute noch die Grenze zwischen Berg und Mark; von den dazwischenliegenden Abteien gehört Werden zu Franken, Essen zu Sachsen. Werden ist in allernächster Nähe, östlich und nördlich von unbestritten sächsischen Ortschaften begrenzt; in der Ebene zwischen Ruhr und Lippe dringt sächsische Sprache stellenweise fast bis an den Rhein. Der Umstand, daß ein sächsisches Werk in Werden abgeschrieben, und zwar offenbar von einem Franken, daß diesem Franken hie und da fränkische Wortformen in die Feder geflossen, reicht noch lange[495] nicht hin, die Sprache der Abschrift für fränkisch zu erklären. Außer dem Cottonschen Heiland zieht Heyne als niederfränkisch in Betracht einige Werdener Fragmente, die denselben Charakter zeigen, und die Überbleibsel einer Psalmenübersetzung, die nach ihm in der Aachener Gegend entstanden ist, von Kern (Glossen in der Lex Salica) dagegen kurzerhand für niederländisch erklärt wird. In der Tat hat sie einerseits ganz niederländische Formen, daneben aber auch echt rheinfränkische und selbst Spuren hochdeutscher Lautverschiebung. Sie ist offenbar an der Grenze von Niederländisch und Rheinfränkisch, etwa zwischen Aachen und Maastricht entstanden. Ihre Sprache ist bedeutend Jünger als die der beiden Heliand[handschriften].
Der Cottonsche Heliand allein reicht indes hin, um aus den wenigen darin vorkommenden fränkischen Formen einige Hauptunterschiede von Fränkisch und Sächsisch unzweifelhaft festzustellen.
1. Alle ingävonischen Mundarten endigen die drei Personen des Plurals praesens indicativus gleich, und zwar auf einen Dental mit vorhergehendem Vokal; altsächsisch auf d, angelsächsisch auf dh, altfriesisch auf th (das wohl auch für dh steht). So heißt im Altsächsischen hebbiad – wir haben, ihr habt, sie haben; ebenso heißen von fallan, gawinnan alle drei Personen gleichmäßig fallad, winnad. Es ist die dritte Person, die sich aller drei bemächtigt hat, aber, wohl zu merken, mit spezifisch ingävonischer, ebenfalls allen drei genannten Dialekten gemeinsamer Ausstoßung des n vor dem d oder dh. Von allen lebenden Dialekten hat sich diese Eigentümlichkeit nur der westfälische erhalten; dort heißt es noch jetzt wi, ji, se hebbed usw. Die übrigen sächsischen Mundarten ebenso wie das Westfriesische kennen sie nicht mehr; sie unterscheiden die drei Personen.
Die westrheinischen Psalmen haben wie das Mittelhochdeutsche für die I. Person pluralis -m, II. -t, III. -nt. Dagegen hat der Cottonsche Heliand neben den sächsischen einigemal Formen ganz andrer Art: tholônd – sie dulden, gornônd – ihr klagt, und als Imperativ mârient – verkündigt, seggient – sagt, wo das Sächsische tholôd, gornôt, mâriad, seggiad fordert. Diese Formen sind nicht nur fränkisch, sie sind sogar echt Werdener, bergischer Lokaldialekt bis heute. Im Bergischen machen wir ebenfalls alle drei Pluralpersonen des Präsens gleich, aber nicht sächsisch auf d, sondern fränkisch auf nt. Gegen märkisches wi hebbed heißt es da gleich an der Grenze wi hant, und analog dem obigen Imperativ seggient wird gesagt seient ens – sagt einmal. Braune und andre haben auf die einfache Wahrnehmung hin, daß hier im Bergischen die drei Personen gleich gemacht werden, das ganze bergische Gebirgsland kurzerhand für sächsisch erklärt. Die Regel ist allerdings aus[496] Sachsen herübergedrungen, leider aber wird sie fränkisch ausgeführt und beweist damit das Gegenteil dessen, was sie beweisen soll.
Die Ausstoßung des n vor Dentalen ist in den ingävonischen Dialekten nicht auf diesen Fall beschränkt; sie ist im Altfriesischen weniger, im Altsächsischen und Angelsächsischen dagegen ziemlich weit verbreitet: mudh – Mund, kudh – kund, us – uns, odhar – ein anderer. Der fränkische Abschreiber des Heliand in Werden schreibt statt odhar zweimal die fränkische Form andar. Die Werdener Heberegister wechseln mit den fränkischen Namensformen Reinswind, Meginswind, und den sächsischen Reinswid und Meginswid. In den linksrheinischen Psalmen heißt es dagegen überall munt, kunt, uns, nur einmal haben die (aus der verlorenen Handschrift dieser Psalmen ausgezogenen) sog. Lipsiusschen Glossen farkutha abominabiles statt farkuntha. Die altsalischen Denkmäler haben ebenfalls das n überall bewahrt in den Namen Gund, Segenand, Chlodosindis, Ansbertus usw., was nicht in Betracht kommt. Die modernen fränkischen Dialekte haben das n überall (einzige Ausnahme im Bergischen die Form os – uns).
II. Die Sprachdenkmäler, aus denen gewöhnlich die sog. sächsische Grammatik konstruiert wird, gehören alle dem südwestlichen Westfalen an, Münster, Freckenhorst, Essen. Die Sprache dieser Denkmäler zeigt einige wesentliche Abweichungen nicht nur von den allgemein ingävonischen Formen, sondern auch von solchen, die uns in Eigennamen aus Engem und Ostfalen als echt altsächsisch erhalten sind; dagegen stimmen sie merkwürdig mit Fränkisch und Althochdeutsch. Der neueste Grammatiker des Dialekts, Cosijn, nennt ihn daher auch geradezu altwestsächsisch.
Da wir bei dieser Untersuchung fast nur auf Eigennamen in lateinischen Urkunden angewiesen sind, können die nachweisbaren Formenunterschiede des West- und Ostsächsischen nur wenig zahlreich sein; sie beschränken sich auf zwei, aber sehr entscheidende Fälle.
1. Angelsächsisch und Altfriesisch hat genitivus pluralis aller Deklinationen auf a. Altwestsächsisch, Altfränkisch und Althochdeutsch dagegen ô. Was ist nun die richtige altsächsische Form? Sollte dieser Dialekt hier in der Tat die ingävonische Regel verlassen?
Die Urkunden aus Engem und Ostfalen geben die Antwort. In Stedieraburg, Horsadal, Winethahûsen, Edingahûsun, Magathaburg und vielen andern Namen steht der erste Teil der Zusammensetzung im genitivus pluralis und hat a. Selbst in Westfalen ist das a noch nicht ganz verschwunden: Die Freckenhorster Rolle hat einmal Aningera-lô und Wernerâ-Holthûson, und das a in Osnabrück ist eben auch ein alter genitivus pluralis.
2. Ebenso endigt das schwache Maskulinum im Fränkischen wie im[497] Althochdeutschen auf o gegen gotisch-ingävonisches a. Für das Altwestsächsische steht ebenfalls o als Regel fest; also wieder Abweichung vom ingävonischen Brauch. Dies gilt aber keineswegs für das Altsächsische überhaupt. Nicht einmal in Westfalen galt o ohne Ausnahme; die Freckenh[orster] Rolle hat schon neben o eine ganze Reihe von Namen auf a (Sîboda, Uffa, Asica, Hassa, Wenda usw.); Paderborner Denkmäler bei Wigand ergeben fast immer a, nur ganz ausnahmsweise o; in ostfälischen Urkunden herrscht a fast ausschließlich; so daß schon Jakob Grimm (»Gesch[ichte] der d[eutschen] Spr[ache]«) zu dem Schluß kommt, es lasse sich nicht verkennen, daß a und an (in obliquen Kasus) die ursprünglich sächsische, allen Teilen des Volksgemeine Form war. Das Vordringen des o für a beschränkte sich auch nicht auf Westfalen. Im Anfang des 15. Jahrhunderts haben die ostfriesischen Mannesnamen der Chroniken etc. fast regelmäßig o: Fokko, Occo, Emo, Smelo usw., gegen früheres im West-friesischen in Einzelfällen noch erhaltenes a.
Es darf also als feststehend angenommen werden, daß beide Abweichungen des Westsächsischen von der ingävonischen Regel nicht ursprünglich sächsisch, sondern durch fremden Einfluß veranlaßt sind. Dieser Einfluß erklärt sich sehr einfach durch die Tatsache, daß Westsachsen früher fränkisches Gebiet war. Erst nach Abzug der Hauptmasse der Franken rückten die Sachsen über Osning und Egge allmählich bis an die Linie, die noch heute Mark und Sauerland von Berg und Siegerland scheidet. Der Einfluß der zurückgebliebnen, mit den Sachsen jetzt verschmolzenen Franken zeigt sich in jenen beiden o statt a; er ist auch noch in den heutigen Dialekten unverkennbar.
III. Eine von der Ruhr bis an die Mosel reichende Eigentümlichkeit rheinfränkischer Sprache ist die Endung der I. [Person] praesens indicativus auf -n, die sich am besten erhalten in dem FallA1, wo ein Vokal folgt: dat don ek – das tue ich, ek han – ich habe (bergisch). Diese Verbalform gilt für den ganzen Niederrhein und die Mosel, wenigstens bis an die lothringische Grenze: don, han. Dieselbe Eigentümlichkeit findet sich schon in den linksrheinischen Psalmen: biddon – ich bitte, wirthon – ich werde, wenn auch nicht konsequent. Der salischen Mundart fehlt dies n; es heißt dort schon im ältesten Dokument: ec forsacho, gelôbo. Es fehlt ebenso dem Niederländischen. Das Altwestsächsische steht hier vom Fränkischen insofern ab, als es dies n nur in einer einzigen Konjugation kennt (der sog. zweiten schwachen): skawôn – ich schaue, thionôn – ich diene, usw. Dem Angelsächsischen[498] und Altfriesischen ist es ganz fremd. Wir dürfen also vermuten, daß auch dies n ein fränkischer Überrest im Altwestsächsischen ist.
Außer den uns in Urkunden etc. erhaltenen zahlreichen Eigennamen und den oft bis zur Unkenntlichkeit entstellten Glossen der Lex Salica haben wir fast gar keine Reste der salischen Mundart. Indes hat Kern (»Die Glossen in der Lex Salica«) eine bedeutende Anzahl dieser Entstellungen entfernt und den in manchen Fällen sichern, in andern höchst wahrscheinlichen Text hergestellt und nachgewiesen, daß er in einer Sprache geschrieben ist, die die direkte Vorfahrin des Mittel- und Neuniederländischen ist. Doch ist dies so rekonstruierte Material natürlich nicht für die Grammatik ohne weiteres verwendbar. Außerdem besitzen wir nur noch die kurze Abschwörungsformel, die dem Kapitular Karlmanns vom Jahre 743 angefügt und wahrscheinlich auf dem Konzil von Lestines, also in Belgien, verfaßt ist. Und hier stoßen wir gleich im Anfang auf zwei charakteristisch fränkische Worte: ec forsacho – ich entsage. Ec für ich ist heute noch weit verbreitet unter Franken. In Trier und Luxemburg eich, in Köln und Aachen ech, im Bergischen êk. Wenn das Schriftniederländische ik hat, so hört man doch oft genug im Volksmund, namentlich in Flandern, ek. Die altsalischen Namen Segenandus, Segemundus, Segefredus zeigen einstimmend e für i.
In forsacho steht ch für g zwischen Vokalen: Dies kommt auch sonst in den Denkmälern vor (rachineburgius) und ist noch heute ein Kennzeichen aller fränkischen Mundarten von der Pfalz bis an die Nordsee. Auf diese beiden Hauptkennzeichen des Fränkischen: e häufig für i und ch zwischen Vokalen für g, kommen wir bei den einzelnen Mundarten zurück.
Als Resultat der obigen Untersuchung, zu der man noch das von Grimm in der »Gesch[ichte] der d[eutschen] Spr[ache]« am Schluß des ersten Bandes über das Altfränkische Gesagte vergleichen kann, dürfen wir den Satz aufstellen, der übrigens jetzt schwerlich noch bestritten wird: daß das Fränkische schon im 6. und 7. Jahrhundert ein eigner, zwischen dem Hochdeutschen, also zunächst Alamannischen, und dem Ingävonischen, also zunächst Sächsischen und Friesischen, den Übergang bildender, damals noch ganz auf gotisch-niederdeutscher Verschiebungsstufe stehender Dialekt war. Ist dies aber zugegeben, so ist damit auch anerkannt, daß die Franken nicht ein durch äußere Umstände verbündeter Mischmasch verschiedner Stämme, sondern ein eigner deutscher Hauptstamm, die Iskävonen waren, die wohl zu verschiednen Zeiten fremde Bestandteile in sich aufnahmen, aber auch sie zu assimilieren die Kraft hatten. Und ebenfalls dürfen wir als erwiesen ansehn, daß jeder der beiden Hauptzweige des fränkischen Stammes schon früh eine besondre Mundart sprach, daß der Dialekt sich schied in[499] Salisch und Ripuarisch und daß manche trennenden Eigentümlichkeiten der alten Mundarten noch fortleben im heutigen Volksmund.
Gehen wir nun über zu diesen noch lebenden Mundarten.
1. Darüber besteht jetzt kein Zweifel mehr, daß das Salische fortlebt in den beiden niederländischen Mundarten, dem Flämischen und Holländischen, und zwar am reinsten in den seit dem 6. Jahrhundert schon fränkischen Gebieten. Seitdem nämlich die großen Sturmfluten im 12., 13. und 14. Jahrhundert fast ganz Seeland vernichtet, die Südersee, den Dollart und die Jade gebildet und dadurch mit dem geographischen auch den politischen Zusammenhang unter den Friesen gebrochen, erlagen die Reste der alten friesischen Freiheit dem Andrang der umliegenden Landesherrn und mit ihr fast überall auch die friesische Sprache. Im Westen wurde sie durch Niederländisch, im Osten und Norden durch Sächsisch und Dänisch eingeengt oder ganz verdrängt. In allen Fällen starke Spuren in der eindringenden Sprache zurücklassend. Das altfriesische Seeland und Holland wurden im 16. und 17. Jahrhundert Kern und Rückhalt des niederländischen Unabhängigkeitskampfs, wie sie schon der Sitz der Haupthandelsstädte des Landes waren. Hier also vorzugsweise bildete sich die neuniederländische Schriftsprache und nahm friesische Elemente, Worte und Wortformen auf, die von dem fränkischen Grundstock wohl zu unterscheiden sind. Andrerseits ist von Osten her sächsische Sprache auf ehedem friesisches und fränkisches Gebiet vorgedrungen. Die genauen Grenzen zu ziehn, muß der Detailforschung überlassen bleiben; rein salisch sind nur die flämisch sprechenden Teile von Belgien, Nordbrabant, Utrecht sowie Gelderland und Overijsel mit Ausnahme der östlichen, sächsischen Striche.
Zwischen der französischen Sprachgrenze an der Maas und der sächsischen nördlich vom Rhein stoßen Salier und Ripuarier zusammen. Auf die Scheidelinie, die auch hier im einzelnen erst festzustellen ist, kommen wir weiter unten zu sprechen. Beschäftigen wir uns zunächst mit den grammatischen Eigentümlichkeiten des Niederländischen.
Bei den Vokalen fällt zuerst auf, daß in echt fränkischer Weise i durch e ersetzt wird: brengen – bringen, kreb – Krippe, hemel – Himmel, geweten – Gewissen, ben – bin, stem – Stimme. Dies ist im Mittelniederländischen noch weit häufiger der Fall: gewes – gewiß, es – ist, selber – Silber, blent – blind, wo Neuniederländisch gewis, is, zilver, blind. Ebenso finde ich in der Nähe von Gent zwei Orte: Destelbergen und Desteldonck, wonach auch jetzt noch Distel dort Destel heißt. Das auf rein fränkischem Boden erwachsene[500] Mittelniederländische stimmt hier genau zum Ripuarischen, schon weniger das friesischem Einfluß ausgesetzte Schrift-Neuniederländische.
Ferner steht, abermals mit dem Ripuarischen stimmend, o statt u vor m oder n mit folgendem Konsonanten, doch nicht so konsequent wie Mittelniederländisch und Ripuarisch. Neben konst, gonst, kond steht neuniederländisch kunst, gunst, kund; dagegen stimmen in beiden: mond – Mund, hond – Hund, jong – jung, ons – uns.
Im Abstand vom Ripuarischen ist das lange i (ij) in der Aussprache zu ei geworden, was im Mittelniederländischen noch nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Aber dies ei wird nicht wie hochdeutsches ei = ai gesprochen, sondern wie wirklich e + i, wenn auch nicht ganz so dünn wie z.B. ej bei Dänen und Slawen. Wenig abweichend davon lautet der nicht ij, sondern ei geschriebne Diphthong. Entsprechend steht für hochdeutsches au: ou, ouw.
Der Umlaut ist aus der Flexion verschwunden. In der Deklination haben Singular und Plural, in der Konjugation Indikativ und Konjunktiv denselben Wurzelvokal. Dagegen kommt Umlaut in der Wortbildung in doppelter Gestalt vor: 1. in der allen nachgotischen Dialekten gemeinsamen [Veränderung] des a durch i in e; 2. in einer dem Niederländischen eigentümlichen, erst später entwickelten Form. Das Mittelniederländische wie das Ripuarische kennt noch hus – Haus, brun – braun, rum – geräumig, tun – Zaun, pluralis huse, brune. Das Neuniederländische kennt nur noch die dem Mittelniederländischen und Ripuarischen fremden Formen huis, bruin, ruim, tuin (ui = hochdeutsches eu). Dagegen drängt sich eu für kurzes o (hochdeutsches u) bereits im Mittelniederländischen ein: jeughet, neben joghet, neuniederländisch jeugd – Jugend; doghet – Tugend, dor – Tür, kor – Wahl, woneben die Formen mit eu [oder oe]; neuniederländisch gilt nur noch deugd, keur, deur. Es stimmt dies ganz zu dem seit dem 12. Jahrhundert im Nordfranzösischen entwickelten eu für lateinisches betontes o. Auf einen dritten Fall macht Kern aufmerksam: Neuniederländisch ist ei Umlaut aus ê (ee). Alle diese drei Formen des Umlauts sind dem Ripuarischen wie den übrigen Dialekten unbekannt und ein besonderes Kennzeichen des Niederländischen.
Ald, alt, old, uld, ult verwandeln sich in oud, out. Dieser Übergang findet sich schon im Mittelniederländischen, wo indes noch guldin, hulde, sculde neben goudin, houde, scoude (sollte) vorkommen, so daß die Zeit ungefähr feststeht, wo er eingeführt wurde. Er ist ebenfalls dem Niederländischen eigentümlich, wenigstens gegenüber allen kontinentalen germanischen Mundarten; dagegen besteht er auch im englischen Dialekt von Lancashire: gowd, howd, owd für gold, hold, old.[501]
Was die Konsonanten angeht, so kennt das Niederländische kein reines g (das gutturale italienische, französische oder englische g). Dieser Konsonant wird wie ein stark aspiriertes gh gesprochen, das sich in gewissen Lautverbindungen vom tief gutturalen (schweizerischen, neugriechischen oder russischen) ch nicht unterscheidet. Wir sahen, daß dieser Übergang von g in ch schon dem Altsalischen bekannt war. Er findet sich auch in einem Teil des Ripuarischen und der auf ehemals fränkischem Boden ausgebildeten sächsischen Dialekte, z.B. im Münsterland, wo sogar, wie auch im Bergischen, j im Anlaut, besonders von Fremdwärtern, unter Umständen wie ch lautet und man den Choseph und selbst das Chahr (Jahr) hören kann. Hätte M. Heyne hierauf Rücksicht genommen, so blieb ihm die Schwierigkeit der häufigen Verwechslung und gegenseitigen Alliteration von j, g und ch im Heiland so ziemlich erspart.
Im Anlaut bewahrt das Niederländische stellenweise wr: wringen -ringen, wreed – grausam, hart, wreken – rächen. Ein Rest davon bleibt auch im Ripuarischen.
Aus dem Friesischen ist genommen die Erweichung des Diminutivs ken in tje, je: mannetje – Männchen, bietje – Bienchen, halsje – Hälschen etc. Doch wird auch k bewahrt: vrouken – Frauchen, hoeteken – Hütchen. Besser bewahrt das Flämische, wenigstens in der Volkssprache, das k; das bekannte Männchen in Brüssel heißt manneken-pis. Aus dem Flämischen haben also die Franzosen ihr mannequin, die Engländer manikin entlehnt. Der Plural beider Endungen ist vroukens, mannetjes. Dies s werden wir im Ripuarischen wiederfinden.
Gemeinsam mit sächsischen und selbst skandinavischen Dialekten ist dem Niederländischen die Ausstoßung von d zwischen Vokalen, besonders zwischen zwei e: leder und leer, weder und weer, neder und neer, vader und vaer, moeder und moer – Mutter.
Die niederländische Deklination zeigt vollständige Vermischung starker und schwacher Formen, so daß, da der Pluralumlaut ebenfalls fehlt, die niederländischen Pluralbildungen nur in den seltensten Fällen selbst zu den ripuarischen oder sächsischen stimmen, und auch hier ein sehr greifbares Kennzeichen der Sprache vorliegt.
Gemeinsam ist dem Salischen und Ripuarischen mit sämtlichen ingävonischen Dialekten der Wegfall des Nominativzeichens in er, der, wer: niederländisch hij, de (Artikel) und die (Demonstrativpronomen), wie.
Auf die Konjugation einzugehn, würde zu weit führen. Das Gesagte wird genügen, um die heutige salische Sprache überall von den angrenzenden Mundarten unterscheiden zu lassen. Genauere Untersuchung der niederländischen[502] Volksmundarten wird sicher noch manches Wichtige zutage fördern.
II. Rheinfränkisch. Mit diesem Ausdruck bezeichne ich sämtliche übrigen fränkischen Mundarten. Wenn ich hier dem Salischen nicht nach alter Art Ripuarisch entgegensetze, so hat das einen sehr guten Grund.
Schon Arnold hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Ripuarier im eigentlichsten Sinn einen verhältnismäßig engen Bezirk eingenommen haben, dessen Südgrenze durch die beiden Orte Reifferscheid bei Adenau und bei Schleyden mehr oder weniger bezeichnet wird. Dies ist insofern richtig, als hiermit das rein ripuarische Gebiet auch sprachlich abgegrenzt wird gegen die von echten Ripuariern nach oder gleichzeitig mit andern deutschen Stämmen besetzten Gebiete. Da nun der Name Niederfränkisch bereits eine andre Bedeutung erhalten hat, die auch das Salische einschließt, so bleibt mir zur Bezeichnung der von der salischen Sprachgrenze bis zu dieser Linie sich ausbreitenden Gruppe eng verwandter Mundarten nur die Bezeichnung Ripuarisch – im engeren Sinn.
1. Ripuarisch. Die Scheidelinie dieser Gruppe von Mundarten gegen das Salische fällt keineswegs zusammen mit der holländisch-deutschen Grenze. Im Gegenteil gehört dem Salischen auf der rechten Rheinseite noch der größte Teil des Kreises Rees, wo in der Gegend von Wesel Salisch, Ripuarisch und Sächsisch zusammenstoßen. Auf dem linken Ufer sind salisch das Klevische und Geldrische, etwa bis zu einer Linie, die vom Rhein, zwischen Xanten und Wesel, südlich auf das Dorf Vluyn (westlich von Mors) und von da südwestlich auf Venlo zu gezogen wird. Genauere Grenzbestimmung ist nur an Ort und Stelle möglich, da durch langjährige holländische Verwaltung nicht nur von Geldern, sondern auch der Grafschaft Mors sich viele ripuarische Namen auf den Karten in salisch-niederländischer Form erhalten haben.
Von der Gegend von Venlo an aufwärts scheint der größte Teil des rechten Maasufers ripuarisch, so daß die politische Grenze hier nirgends salisches, sondern stets ripuarisches Gebiet durchschneidet und dies bis nahe an Maastricht sich erstreckt. Namen auf heim (nicht hem) und auf das spezifisch ripuarische ich kommen hier in großer Zahl auf holländischem Gebiete vor, weiter südlich schon die verschobenen auf broich (holländisch broek), z.B. Dallenbroich bei Roermond; ebenso auf rade (Bingelrade bei Sittard, dabei Amstenrade, Hobbelrade und 6 bis 7 andre); das zu Belgien gefallene Stückchen deutsches Gebiet rechts der Maas ist ganz ripuarisch (vgl. Krützenberg, 9 Kilometer von der Maas, mit Kruisberg, nördl. von Venlo). Ja, links der Maas, im belgischen sog. Limburg, finde ich Kessenich[503] bei Maaseyk, Stockheim und Reckheim an der Maas, Gellik bei Maastricht als Beweis, daß hier keine rein salische Bevölkerung wohnt.
Gegen Sachsen geht die ripuarische Grenze aus der Gegend von Wesel südöstlich in zunehmender Entfernung vom Rhein, zwischen Mülheim an der Ruhr und Werden fränkischer- und Essen sächsischerseits hindurch an die Grenze von Berg und Mark, hier noch jetzt die Grenze von Rheinprovinz und Westfalen. Sie verläßt diese erst südlich von Olpe, wo sie östlich geht, das Siegerland als fränkisch vom sächsischen Sauerland trennend. Weiter östlich fängt bald hessische Mundart an.
Die oben erwähnte Südgrenze gegen die von mir als Mittelfränkisch bezeichnete Mundart stimmt ungefähr mit den Südgrenzen der alten Gaue Avalgau, Bonngau und Eiflia und geht von da westlich an das Wallonische, sich eher etwas nach Süden haltend. Das so umschriebene Gebiet umfaßt den alten großen Gau Ribuaria nebst Teilen der nördlich und westlich anstoßenden Gaue.
Wie schon gesagt, stimmt das Ripuarische in vielen Beziehungen zum Niederländischen, doch so, daß das Mittelniederländische ihm nähersteht als das Neuniederländische. Mit diesem, dem Neuniederländischen, stimmt die ripuarische Aussprache von ei = e+i und ou für au, der Übergang von i in e, der ripuarisch wie mittelniederländisch noch viel weiter geht als neuniederländisch: Die mittelniederländischen gewes, es, blend, selver (Silber) sind noch heute gut ripuarisch. Ebenso wandelt sich, und zwar konsequent u vor m oder n mit folgendem Konsonanten in o: jong, lomp, domm, konst. Ist dieser folgende Konsonant ein d oder t, so wandelt sich dies in einigen Mundarten in g oder k; z.B. honk – Hund, pluralis höng, wo die Erweichung zu g Nachwirkung des abgestoßenen Endvokals e ist.
Dagegen sind die Umlautsverhältnisse des Ripuarischen scharf geschieden von den niederländischen; sie stimmen im ganzen zu dem Hochdeutschen und in einzelnen Ausnahmen (z.B. hanen für Hähne) zum Sächsischen.
wr im Anlaut hat sich zu fr verhärtet, erhalten in fringen – Wasser aus einem Tuch etc. auswringen, und frêd (holländisch wreed) mit der Bedeutung abgehärtet.
Für er, der, wer steht hê, dê, wê.
Die Deklination steht in der Mitte zwischen hochdeutscher und sächsischer. Pluralbildungen auf s sind häufig, stimmen aber fast nie zu den niederländischen; dies s wird im Lokalhochdeutschen in richtiger Erinnerung der Sprachentwicklung zu r.
Das Diminutiv ken, chen wird nach n in schen verwandelt, männschen;[504] der Plural hat wie im Niederländischen s (männsches). Beide Formen werden wir bis nach Lothringen hinein verfolgen.
r vor s, st, d, t, z wird ausgestoßen, der vorhergehende Vokal bleibt in einigen Mundarten kurz, in andern wird er verlängert. So wird aus hart – halt (bergisch), haad (kölnisch). Dabei wird durch oberdeutschen Einfluß st zu scht: Durst – doascht bergisch, dôscht kölnisch.
Ebenfalls ist durch hochdeutschen Einfluß anlautendes sl, sw, st, sp zu schl usw. geworden.
Wie dem Niederländischen, ist dem Ripuarischen reines g unbekannt. Ein Teil der an der salischen Grenze liegenden Mundarten, so wie die bergische, hat für an- und inlautendes g ebenfalls aspiriertes gh, doch weicher als das niederländische. Die übrigen haben j. Im Auslaut wird g überall wie ch gesprochen, doch nicht wie das harte niederländische, sondern das weiche rheinfränkische ch, das wie ein verhärtetes j lautet. Den wesentlich niederdeutschen Charakter des Ripuarischen bezeugen Ausdrücke wie boven für oben.
Die Mehrzahl der stummen Konsonanten steht überall auf der ersten Stufe der Lautverschiebung. Nur bei t und bei in- und auslautendem k und zuweilen p ist für die südlichen Mundarten hochdeutsche Verschiebung eingetreten; sie haben lôsze für lôten – lassen, holz statt holt, rîch statt rîk. – reich, êch statt ek – ich, pief statt pîpe – Pfeife. Aber et, dat, wat und einige andre bleiben.
Es ist dies nicht einmal konsequent durchgeführtes Eindringen der hochdeutschen Verschiebung in drei Fällen, auf die sich die gewöhnliche Abgrenzung von Mittel- und Niederfränkisch gründet. Hierdurch aber wird eine durch bestimmte Lautverhältnisse, wie gezeigt, zusammengehörige Gruppe von Mundarten, die sich auch noch im Volksbewußtsein als zusammengehörig erkennt, willkürlich und nach einem hier ganz zufälligen Merkmal auseinandergerissen.
Ganz zufällig, sage ich. Die übrigen mitteldeutschen Dialekte, der hessische, thüringische, obersächsische etc., stehen, jeder für sich, auf einer im ganzen bestimmten Stufe hochdeutscher Verschiebung. Sie mögen an der niedersächsischen Grenze etwas weniger, an der oberdeutschen etwas mehr Verschiebung zeigen, aber das begründet höchstens Lokalunterschiede. Dagegen zeigt das Fränkische an Nordsee, Maas und Niederrhein gar keine, an der alamannischen Grenze fast ganz alamannische Verschiebung; dazwischen liegen mindestens drei Mittelstufen. Die Verschiebung ist also in das bereits unabhängig entwickelte Rheinfränkisch eingedrungen und hat es in mehrere Stücke zerrissen. Die letzte Spur dieser Verschiebung[505] braucht durchaus nicht an der Grenze einer schon vorher bestehenden, besondren Gruppe von Mundarten zu verschwinden, sie kann mitten in einer solchen Gruppe absterben, und tut es in der Tat. Dagegen hört der wirklich mundartbildende Einfluß der Verschiebung, wie sich zeigen wird, allerdings an der Grenze zweier, schon früher verschiedener, mundartlicher Gruppen auf. Und ist nicht das schl, schw usw., das auslautende scht ebenfalls und noch weit später von dem Hochdeutschen zu uns gekommen? Dies aber – wenigstens das erstere – geht noch tief nach Westfalen hinein.
Die ripuarischen Mundarten bildeten eine feste Gruppe, lange ehe ein Teil von ihnen t, in- und auslautendes k und p verschieben lernte. Wie weit diese Änderung innerhalb der Gruppe vordringen konnte, war und bleibt für die Gruppe rein zufällig. Der Dialekt von Neuß ist mit dem von Krefeld und München-Gladbach bis auf Kleinigkeiten, die ein Fremder gar nicht hört, identisch. Trotzdem soll der eine mittel-, der andre niederfränkisch sein. Die Mundart des bergischen Industrielandes geht in unmerklichen Stufen in die der südwestlichen Rheinebene über. Dennoch sollen sie zwei grundverschiednen Gruppen angehören. Für jeden, der im Lande selbst zu Hause, ist es offenbar, daß hier die Stubengelehrsamkeit die ihr wenig oder gar nicht bekannten lebendigen Volksmundarten in das Prokrustesbett a priori konstruierter Kennzeichen zwängt.
Und wohin führt diese rein äußerliche Unterscheidung? Dazu, daß man die südripuarischen Mundarten zu einem sogenannten Mittelfränkisch zusammenwirft, mit andern Dialekten, von denen sie, wie wir sehn werden, viel weiter abstehn als von den sog. niederfränkischen. Und daß man andrerseits einen schmalen Streifen zurückbehält, mit dem man nichts anzufangen weiß, und sich endlich genötigt sieht, ein Stück für sächsisch, ein zweites für niederländisch zu erklären, was dem Tatbestand dieser Mundarten geradezu ins Gesicht schlägt.
Nehmen wir z.B. den bergischen Dialekt, den Braune kurzerhand sicher sächsisch nennt. Er bildet, wie wir sahen, alle drei Pluralpersonen praesens indicativus gleich, aber fränkisch in der uralten Form nt. Er hat regelmäßig o statt u vor m und n mit folgendem Konsonanten, was nach demselben Braune entschieden unsächsisch und spezifisch niederfränkisch ist. Er stimmt in allen oben angeführten ripuarischen Eigenschaften mit den übrigen ripuarischen Dialekten. Während er unmerklich von Dorf zu Dorf, von Bauernhof zu Bauernhof in die Mundart der Rheinebne übergeht, ist er an der westfälischen Grenze haarscharf vom sächsischen Dialekt geschieden. Vielleicht nirgendwo anders in ganz Deutschland findet sich eine gleich unvermittelt gezogene Sprachgrenze wie hier. Und welcher Abstand in der[506] Sprache! Der ganze Vokalismus ist wie umgewälzt; dem scharfen niederfränkischen ei steht das breiteste ai unvermittelt gegenüber, wie dem ou das au; von den vielen Diphthongen und Vokalnachschlägen stimmt nicht ein einziger; hier sch wie im übrigen Deutschland, dort s + ch wie in Holland; hier wi hant, dort wi hebbed; hier die pluralisch gebrauchten Dualformen get und enk, ihr und euch, dort nur ji, i und jü, ü; hier heißt der Sperling gemein-ripuarisch Môsche, dort gemein-westfälisch Lüning. Von andern, der bergischen Mundart spezifisch eignen Besonderheiten gar nicht zu reden, die hier an der Grenze ebenfalls plötzlich verschwinden.
Dem Fremden tritt die Eigenart eines Dialekts am nächsten, wenn der Betreffende nicht den Dialekt spricht, sondern das jenem verständliche Hochdeutsch, was ja bei uns Deutschen meist unter starkem Einfluß des Dialekts geschieht. Dann aber ist der angeblich sächsische Bewohner des bergischen Industriebezirks vom Bewohner der Rheinebne, der mittelfränkisch sein soll, für den Nichteingebornen absolut ununterscheidbar, außer an dem etwas härteren aspirierten gh, wo der andre j spricht. Der bergische Heckinghauser (aus Oberbarmen, links der Wupper) aber und der kaum einen Kilometer weiter östlich wohnende märkische Langerfelder stehen auch im Lokalhochdeutsch des alltäglichen Lebens weiter voneinander ab als der Heckinghauser und der Koblenzer, geschweige der Aachener oder Bonner.
Dem Rheinfranken selbst macht das Eindringen der Verschiebung von t und auslautendem k so wenig den Eindruck einer Sprachscheide, daß er, selbst auf ihm ganz bekanntem Gebiet, sich wird erst besinnen müssen, wo denn die Grenze zwischen t und z, k und ch liegt, und daß ihm beim Überschreiten dieser Grenze das eine fast so mundgerecht ist wie das andre. Dies wird noch erleichtert durch die vielen, in die Mundarten gedrungenen hochdeutschen Wörter mit verschobenen sz, z, ch und f. Ein schlagendes Beispiel bietet die alte bergische Gerichtsordnung aus dem 14. Jahrhundert (Lacomblet, Archiv, I, p. 79 ff.). Hier finden sich zo, uiss (aus), zween, bezahlen; daneben in dem selben Satz setten, dat nutteste (nützeste); ebenso Dache, redelich neben reicket (reicht); upladen, upheven, hulper (Helfer) neben verkouffen. In einem andern Absatz p. 85 steht abwechselnd sogar zo und tho – zu. Kurzum, die Mundarten des Gebirgs und der Ebne laufen fortwährend durcheinander, ohne daß es den Schreiber im geringsten stört. Wie immer ist diese letzte Welle, mit der die hochdeutsche Verschiebung fränkisches Gebiet überfließt, auch die schwächste und seichteste. Es ist sicher von Interesse, die Linie zu bezeichnen, bis wohin sie reicht. Aber eine Dialektgrenze kann diese Linie nicht sein; sie vermag nicht, eine selbständige[507] Gruppe alt und eng verwandter Mundarten voneinander zu reißen und den Vorwand zu bieten, kraft dessen man die gewaltsam getrennten Bruchstücke, im Widerspruch mit allen sprachlichen Tatsachen, entfernteren Gruppen zuweisen will.
2. Mittelfränkisch. Aus Vorstehendem geht selbstredend hervor, daß ich die Nordgrenze des Mittelfränkischen bedeutend südlicher setze, als gewöhnlich geschieht.
Aus der Tatsache, daß der linksrheinische mittelfränkische Landstrich zur Zeit Chlodwigs in alamannischem Besitz gewesen zu sein scheint, nimmt Arnold Veranlassung, die dortigen Ortsnamen auf Spuren alamannischer Ansiedlung zu untersuchen, und kommt zu dem Resultat, daß bis zur Linie Köln – Aachen sich eine vorfränkische, alamannische Bevölkerung nachweisen läßt; wobei selbstredend die Spuren, im Süden am zahlreichsten, gegen Norden immer seltner werden. Die Ortsnamen, sagt er, deuten auf ein zeitweiliges Vorrücken der Alamannen bis über die Gegend um Koblenz und Aachen hinaus wie auf einen längeren Besitz der Wetterau und der südlichen Gebiete im Nassauischen. Denn die Namen mit den echt alamannischen Endungen -ach, -brunen, -felden, -hofen, -ingen, -schwand, -stetten, -wangen und –weiler, die in rein fränkischem Gebiet nirgends vorkommen, finden sich vom Elsaß an über die ganze Pfalz, Rheinhessen und Rheinpreußen zerstreut, nur daß sie gegen Norden immer seltner werden und mehr und mehr den vorzugsweis fränkischen Namen auf -bach, -berg, -dorf, -born, -feld, -hausen, -heim und –scheid Platz machen (»Deutsche Urzeit«).
Untersuchen wir zunächst die angeblich alamannischen Namen des mittelfränkischen Landes. Die Endungen -brunen, -stetten, -felden, -wangen sind mir auf der Reymannschen Karte (die ich, ein für allemal gesagt, hier gebrauche) hier nirgends vorgekommen. Die Endung –schwand kommt einmal vor: Metzelschwander Hof bei Winnweiler, und dann noch Schwanden nördl. von Landstuhl. Also beide Male in der oberfränkischen Pfalz, die uns hier noch nicht an geht. Auf -ach haben wir längs des Rheins Kreuznach, Bacharach, Hirzenach bei St. Goar, Rübenach bei Koblenz (Ribiniacus der Spruner-Menkeschen Gaukarte), Andernach (Antunnacum der Römer), daneben Wassenach. Da nun am ganzen linken Rheinufer zur Römerzeit die romanisierte keltische Endung –acum allgemein vorkommt – Tolbiacum – Zülpich, Juliacum – Jülich, Tiberiacum – Ziewerich bei Bergheim, Mederiacum –, so könnte in den meisten dieser Fälle höchstens die Wahl der Form –ach statt ich – alamannischen Einfluß anzeigen. Nur das eine Hirzenach (= Hirschenbach) ist unbedingt deutsch, und dies hieß nach der Gaukarte früher Hirzenowe = Hirschenau, nicht Hirschenbach. Wie aber dann [508] Wallach erklären, das zwischen Büderich und Rheinberg hart an der salischen Grenze liegt? Das ist doch sicher nicht alamannisch.
Im Moselgebiet kommen auch einige –ach vor: Irmenach östlich Bernkastel, Waldrach, Crettnach bei Trier, Mettlach an der Saar. In Luxemburg Echternach, Medernach, Kanach; in Lothringen nur rechts der Mosel: Montenach, Rodlach, Brettnach. Selbst wenn wir zugeben wollten, daß alle diese Namen auf alamannische Ansiedlung deuten, so doch nur auf eine sehr dünngesäte, die noch dazu nicht über den südlichsten Teil des mittelfränkischen Landes hinausgeht.
Bleiben -weiler, -hofen und –ingen, die eingehendere Untersuchung fordern.
Die Endung –weiler ist zunächst nicht ohne weiteres alamannisch, sondern das provinzial-lateinische villarium, villare, und findet sich höchstens ganz ausnahmsweise außerhalb der alten Grenzen des Römerreichs. Nicht die Verdeutschung von villare zu weiler war Privileg der Alamannen, sondern nur die Vorliebe, mit der sie diese Endung auch für neue Ansiedlungen massenhaft anwandten. Soweit römische villaria vorkommen, waren auch die Franken genötigt, die Endung als wilare, später weiler, zu verdeutschen oder sie ganz fallenzulassen. Wahrscheinlich taten sie bald das eine, bald das andere, wie sie sicher auch hier und da neuen Ansiedlungen Namen auf –weiler gegeben haben werden, nur weit seltner als die Alamannen. Arnold kann nördlich von Eschweiler bei Aachen und Ahrweiler keine bedeutenden Orte auf –weiler finden. Aber die heutige Bedeutung der Orte tut nichts zur Sache, die Tatsache ist, daß auf dem linken Rheinufer die –weiler sich nahe bis an die salische Grenze nach Norden erstrecken (Garzweiler und Holzweiler sind keine fünf Meilen vom nächsten niederländisch sprechenden Ort des Geldrischen) – nördlich der Linie Eschweiler und Ahrweiler gibt es ihrer mindestens zwanzig. Am häufigsten sind sie begreiflicherweise in der Nähe der alten Römerstraße von Maastricht über Jülich nach Köln, zwei davon, Walwiller und Nyswiller, sogar auf holländischem Gebiet; sind das auch alamannische Ansiedlungen?
Weiter südlich kommen sie in der Eifel fast gar nicht vor, die Sektion Malmedy (Nr. 159 Reymann) hat nicht einen einzigen Fall. Auch in Luxemburg sind sie selten, ebenso an der unteren Mosel und bis auf den Kamm des Hunsrücks. Dagegen treten sie an der oberen Mosel zu beiden Seiten des Flusses häufig auf, nach Osten zu immer dichter werdend, und östlich von Saarlouis werden sie mehr und mehr herrschende Endung. Hier aber fängt auch schon oberfränkische Sprache an, und hier wird von niemandem bestritten, daß die Alamannen vor den Franken das Land besetzt hatten.[509]
Für das mittelfränkische und ripuarische Gebiet beweisen also die –weiler ebensowenig wie die vielen –villers in Frankreich alamannische Ansiedlung.
Gehen wir über zu –hofen. Diese Endung ist erst recht nicht ausschließlich alamannisch. Sie kommt auf dem ganzen fränkischen Gebiet vor, mit Einschluß des später von Sachsen besetzten jetzigen Westfalens. Auf dem rechten Rheinufer nur ein paar Beispiele: Wehofen bei Ruhrort, Mellinghofen und Eppinghofen bei Duisburg, Benninghofen bei Mettmann, ein andres Eppinghofen bei Dinslaken, in Westfalen Kellinghofen bei Dorsten, Westhofen bei Castrop, Wellinghofen, Wichlinghofen, Niederhofen, zwei Ben ninghofen, Berghofen, Westhofen, Wandhofen, alle am Hellweg, usw. Bis in die Heidenzeit reicht Ereshofen an der Agger, Martis villa, und schon die Bezeichnung des Kriegsgottes als Eru zeigt, daß hier keine Alamannen denkbar sind, sie hießen sich Tiuwâri, nannten also den Gott nicht Eru, sondern Tiu, verschoben später Ziu.
Auf dem linken Rheinufer steht es noch schlimmer mit der alamannischen Abstammung des –hofen. Da ist wieder ein Eppinghofen südöstl. Xanten, also vielleicht schon salisch, und von da an südlich wimmelt das ganze ripuarische Gebiet von –hofen, neben –hof für Einzelhöfe. Gehen wir aber erst auf salisches Land, so wird's noch schlimmer. Die Maas wird an beiden Seiten, von der französischen Sprachgrenze an, von –hofen begleitet. Der Kürze halber wollen wir gleich aufs westliche Ufer gehn. Da finden wir in Holland und Belgien wenigstens sieben Ophoven, in Holland Kinckhoven usw.; für Belgien wollen wir zunächst die Sektion Löwen (Nr. 139 Reymann) nehmen. Hier gibt es Ruykhoven, Schalkhoven, Bommershoven, Wintershoven, Mettecoven, Helshoven, Engelmanshoven bei Tongern; Zonhoven, Reekhoven, Konings-Hoven bei Hasselt; weiter westlich Bogenhoven, Schuerhoven, Nieuwenhoven, Gippershoven, Baulershoven bei St. Truyen; am westlichsten Gussenhoven und Droenhoven östlich und nordöstlich Tirlemont (Thienen). Die Sektion Turnhout (Nr. 120) hat mindestens 33 –hoven, die meisten auf belgischem Gebiet. Weiter südwestlich gehen die –hove (das Dativ-n wird hier regelmäßig unterdrückt) der ganzen französischen Sprachgrenze entlang; von Heerlinkhove und Nieuwenhove bei Ninove, das selbst ein romanisiertes –hove ist – die Mittelglieder, ca. 10 gezählt, lasse ich weg –, bis Ghyverinckhove und Pollinchove bei Dixmuyden und Volkerinckhove bei St. Omer im französischen Flandern. Dreimal kommt Nieuwenhove vor, was beweist, daß die Endung noch im Volk lebendig ist. Daneben sehr zahlreiche Einzelhöfe auf –hof. Hiernach mag der angeblich ausschließlich alamannische Charakter des –hofen beurteilt werden.[510]
Endlich zu –ingen. Die Bezeichnung gleicher Abstammung durch -ing, –ung ist allen germanischen Völkern gemein. Da die Niederlassung geschlechterweise geschah, spielt diese Endung auch überall eine bedeutende Rolle in den Ortsnamen. Bald wird sie im genitivus pluralis mit einer Lokalendung verknüpft: Wolvaradingahusun bei Minden, Snotingaham (Nottingham) in England. Bald steht der Plural allein für die Ortsbezeichnung: Flissinghe (Vlissingen), Phladirtinga (Vlaardingen), Crastlingi im holländischen Friesland, Grupilinga, Britlinga, Otlinga in Altsachsen. Diese Namen sind heutzutage meist auf den Dativ reduziert und endigen auf -ingen, selten -ing. Die meisten Völker kennen und brauchen beide Verwendungsarten; die Alamannen, scheint es, vorwiegend die letztere, wenigstens jetzt. Rümmingen bei Lörrach hieß früher (764) Romaninchova, so daß die schwäbischen -ingen manchmal auch erst neueren Ursprungs sind (Mono, »Urzeit des badischen Landes«, I, S. 213). Die schweizerischen –kon und –kofen sind fast alle aus –inghofen zusammengezogen: Zollinchovon-Zollikofen, Smarinchowa-Schmerikon, etc. Vgl. F. Beust, »Historischer Atlas des Kantons Zürich«, wo sie sich zu Dutzenden auf der die Alamannenzeit repräsentierenden Karte 3 finden. Da diese aber auch bei Franken, Sachsen und Friesen vorkommen, so ist es sehr gewagt, aus dem Vorkommen von Ortsnamen auf -ingen sofort auf alamannische Ansiedlung zu schließen.
Die eben angeführten Namen beweisen, daß Namen auf –ingas (nominativus pluralis) und –ingum, –ingon (dativus pluralis) sowohl bei Friesen wie Sachsen von der Scheide bis zur Elbe nichts Ungewöhnliches waren. Auch heute noch sind die –ingen in ganz Niedersachsen keine Seltenheit. In Westfalen zu beiden Seiten der Ruhr, südlich der Linie Unna-Soest, finden sich allein mindestens zwölf –ingen neben –ingsen und –inghausen. Und so weit fränkisches Gebiet, so weit finden wir auch Namen auf –ingen.
Auf dem rechten Rheinufer finden wir zunächst in Holland Wageningen am Rhein und Genderingen an der Ijssel (wobei wir alle möglicherweise friesischen Namen ausschließen), im Bergischen Huckingen, Ratingen, Ehingen (dicht dahinter auf sächsischem Gebiet Hattingen, Sodingen, Ummingen), Heisingen bei Werden (das Grimm von der Silva Caesia des Tacitus herleitet, das also uralt wäre), Solingen, Husingen, Leichlingen (auf der Gaukarte Leigelingon, also an tausend Jahre alt), Quettingen und an der Sieg Bödingen und Röcklingen, zwei Namen auf -ing ungerechnet. Hönningen bei Rheinbrohl und Ellingen im Wiedschen stellen die Verbindung her mit der Gegend zwischen Rhein, Lahn und Dill, die gering gezählt 12 –ingen liefert. Weiter südlich zu gehn, hat keinen Zweck, da hier das Land anfängt, das unbestritten eine Periode alamannischer Besiedlung durchgemacht hat.[511]
Links vom Rhein haben wir Millingen in Holland oberhalb Nijmegen, Lüttingen unterhalb Xanten, nochmals Millingen unterhalb Rheinberg, dann Kippingen, Rödingen, Höningen, Worringen, Fühlingen, alle nördlicher als Köln, Wesselingen und Köttingen bei Brühl. Von hier verfolgen die Namen auf –ingen zwei Richtungen. In der hohen Eifel sind sie selten; wir finden bei Malmedy an der französischen Sprachgrenze: Büllingen, Hünningen, Mürringen, Iveldingen, Eibertingen als Übergang zu den sehr zahlreichen –ingen in Luxemburg und an der preußischen und lothringischen Obermosel. Eine andre Verbindungslinie geht den Rhein und die Seitentäler (in der Ahrgegend 7 bis 8), schließlich das Moseltal entlang, ebenfalls nach der Gegend oberhalb Trier, wo die –ingen vorherrschen, aber zuerst durch die –weiler und dann die –heim von der großen Masse der alamannisch-schwäbischen –ingen abgetrennt werden. Wenn wir also nach Arnolds Forderung »alle Umstände im Zusammenhang erwägen«, so werden wir zu dem Schluß kommen, daß die –ingen des oberen deutschen Moselgebiets fränkisch sind und nicht alamannisch.
Wie wenig wir hier alamannische Hülfe nötig haben, wird erst recht klar, sobald wir die –ingen von der französisch-ripuarischen Sprachgrenze bei Aachen aus auf salisches Gebiet verfolgen. Bei Maaseyk westlich der Maas liegt Geystingen, weiter westlich bei Brée Gerdingen. Dann finden wir, wenn wir wieder Sektion Nr. 139, Löwen, zur Hand nehmen: Mopertingen, Vlytingen, Rixingen, Aerdelingen, Grimmersingen, Gravelingen, Ordange (für Ordingen), Bevingen, Hatingen, Buvingen, Hundelingen, Bovelingen, Curange, Raepertingen, Boswinningen, Wimmertingen und andre in der Gegend von Tongern, St. Truyen und Hasselt. Die westlichsten, nicht weit von Löwen, sind Willebringen, Redingen, Grinningen. Hier scheint die Verbindung abzubrechen. Gehn wir aber auf das jetzt französisch redende, aber im 6. bis 9. Jahrhundert zwischen beiden Sprachen streitige Gebiet, so finden wir von der Maas an einen ganzen Gürtel französierter –ange, welche Form auch in Lothringen und Luxemburg dem –ingen entspricht, von Osten nach Westen gehend: Ballenge, Roclenge, Ortrange, Lantremange, Roclange, Libertange, Noderange, Herdange, Oderinge, Odange, Gobertang, Wahenges; etwas weiter westlich Louvrenge bei Wavre und Revelinge bei Waterloo stellen die Verbindung her mit Huysinghen und Buisinghen, den ersten Posten einer Gruppe von über 20 –inghen, die sich südwestlich von Brüssel von Hai bis Grammont die Sprachgrenze entlang verbreitet. Und endlich in französisch Flandern: Gravelingen, Wulverdinghe (also ganz das altsächsische Wolvaradinges-hûsun), Leubringhen, Leulinghen, Bonninghen, Peuplingue, Hardinghen, Hermelinghen, bei St. Omer und bis hinter Boulogne Herbinghen, [512] Hocquinghen, Velinghen, Lottinghen, Ardinghen, alle scharf geschieden von den in derselben Gegend noch zahlreicheren Namen auf -inghem (-ingheim).
Die drei Endungen also, die Arnold für spezifisch alamannisch hält, erwiesen sich ebensosehr als fränkisch, und der Versuch, eine alamannische Ansiedlung vor der fränkischen auf mittelfränkischem Gebiet aus diesen Namen zu beweisen, muß als gescheitert gelten. Wobei die Möglichkeit eines nicht sehr starken alamannischen Elements im südöstlichen Teil dieses Gebiets immer zugegeben werden kann.
Von den Alamannen führt uns Arnold zu den Chatten. Diese sollen, mit Ausschluß der eigentlichen Ripuarier, das Gebiet südlich vom Gau Ribuaria, dasselbe also, das wir mittel- und oberfränkisch nennen, nach und neben den Alamannen besetzt haben. Auch dies wird aus den sich in dieser Gegend neben den alamannischen findenden hessischen Ortsnamen begründet:
»Die Übereinstimmung der Ortsnamen diesseits und jenseits des Rheins bis zur alamannischen Grenze ist so merkwürdig und auffallend, daß es ein wahres Wunder wäre, wenn sie zufällig sein sollte, wogegen sie überaus natürlich erscheint, sobald wir annehmen, daß die Einwanderer ihre heimischen Ortsnamen auch den neuen Sitzen beilegten, wie das in Amerika noch alle Tage geschieht.«
Gegen diesen Satz ist wenig zu sagen. Um so mehr gegen die Schlußfolgerung, daß die eigentlichen Ripuarier mit der Besiedlung des ganzen mittel- und oberfränkischen Landes nichts zu tun hatten, daß wir hier nur Alamannen und Chatten finden. Die meisten der von der Heimat nach Westen ausgezogenen Chatten scheinen sich von jeher (so schon die Bataver, Canninefaten und Chattuarier) den Iskävonen angeschlossen zu haben; wohin sollten sie sich auch wenden? In den ersten beiden Jahrhunderten unserer Zeitrechnung waren die Chatten nur im Rücken durch die Thüringer mit den übrigen Herminonen verknüpft; auf der einen Seite hatten sie ingävonische Cherusker, auf der andern Iskävonen und vor sich die Römer. Die herminonischen Stämme, die später vereint als Alamannen auftreten, kamen aus dem innern Germaniens, waren von den Chatten seit Jahrhunderten durch Thüringer und andre Völker getrennt und ihnen viel fremder geworden als die iskävonischen Franken, mit denen mehrhundertjährige Waffenbrüderschaft sie verband. Die Beteiligung der Chatten an der Besetzung des fraglichen Landstrichs wird also nicht bezweifelt. Wohl aber der Ausschluß der Ripuarier davon. Dieser ist nur dann nachgewiesen, wenn hier keine spezifisch ripuarischen Namen vorkommen. Das Gegenteil findet statt.
Unter den von Arnold als spezifisch fränkisch angegebnen Endungen[513] ist -hausen Franken, Sachsen, Hessen und Thüringern gemein; -heim heißt salisch -ham, -bach salisch und niederripuarisch –beek; von den andern ist nur –scheid wirklich charakteristisch. Es ist spezifisch ripuarisch, ebenso wie –ich, –rath oder –rade und –siepen. Beiden fränkischen Dialekten gemein sind ferner –loo (loh), –donk und –bruch oder –broich (salisch –broek).
-scheid kommt nur im Gebirge vor und in der Regel von Orten auf der Wasserscheide. Die Franken haben diese Endung im ganzen westfälischen Sauerland zurückgelassen bis an die hessische Grenze, wo sie nur noch als Bergnamen bis östlich Korbach vorkommt. An der Ruhr tritt dem altfränkischen –scheid die sächsisch gemachte Endung –schede gegenüber: Melschede, Selschede, Meschede, dicht dabei Langscheid, Ramscheid, Bremscheid. Im Bergischen häufig, findet es sich bis in den Westerwald, aber nicht südlicher, auf der rechten Rheinseite. Links vom Rhein dagegen fangen die –scheid begreiflicherweise erst in der Eifel an3; in Luxemburg sind ihrer mindestens 21, im Hochwald und Hunsrück sind sie häufig. Aber wie südlich der Lahn, so tritt ihnen auch hier an der Ost- und Südseite des Hunsrücks und Soonwalds die Form –schied zur Seite, welche eine hessische Adaptation scheint. Beide Formen nebeneinander ziehen sich südlich über die Nahe bis an die Vogesen, wo wir finden: Bisterscheid westlich vom Donnersberg, Langenscheid bei Kaiserslautern, ein Plateau Breitscheid südlich Hochspeyer, Haspelscheid bei Bitsch, den Scheidwald nördlich Lützelstein, endlich als südlichsten Posten Walscheid am Nordabhang des Donon, noch südlicher als das Dorf Hessen bei Saarburg, den äußersten chattischen Posten bei Arnold.
Spezifisch ripuarisch ist ferner –ich, aus derselben Wurzel gotisch –ahva – Wasser, wie –ach; beide verdeutschen auch das belgisch-römische –acum, wie Tiberiacum beweist, auf der Gaukarte Civiraha, heute Ziewerich. Rechtsrheinisch ist es nicht sehr häufig; Meiderich und Lirich bei Ruhrort sind die nördlichsten, von da an ziehen sie sich den Rhein entlang bis Biebrich. Die linksrheinische Ebene, von Büderich gegenüber Wesel an, ist voll davon, durch die Eifel gehn sie bis in den Hochwald und Hunsrück, verschwinden aber im Soonwald und der Nahegegend, noch ehe –scheid und –roth aufhören. Im westlichen Teil unsres Gebiets dagegen gehn sie fort bis an die französische Sprachgrenze und darüber hinaus. Das Triersche, das eine Menge hat, übergehn wir; im holländischen Luxemburg zähle ich[514] zwölf, noch jenseits im belgischen Törnich und Merzig (Messancy – die Schreibart -ig ändert nichts, Etymologie und Aussprache sind dieselben), in Lothringen Soetrich, Sentzich, Marspich, Daspich westlich der Mosel; östlich von ihr Kintzich, Penserich, Kemplich, Destrich, zweimal Kerprich, Hibrich, Helsprich.
Die Endung -rade, -rad, linksrheinisch –rath, geht ebenfalls weit über die Grenzen ihrer altripuarischen Heimat hinaus. Sie erfüllt die ganze Eifel und das mittlere und niedere Moseltal sowie dessen Seitentäler. In derselben Gegend, wo –scheid sich mit – schied mischt, kommt auf beiden Rheinufern -rod, -roth neben –rad und –rath vor, ebenfalls hessischen Ursprungs, nur daß rechtsrheinisch, im Westerwald, die –rod weiter nördlich gehn. Im Hochwald hat der Nordabhang –rath, der Südabhang –roth als Regel.
Am wenigsten vorgedrungen ist –siepen, verschoben –seifen. Das Wort bedeutet ein kleines Bachtal mit steilem Gefälle und wird noch allgemein dafür gebraucht. Links vom Rhein reicht es nicht weit über die altripuarische Grenze, rechts findet es sich im Westerwald an der Nister und noch bei Langenschwalbach (Langenseifen).
Auf die anderen Endungen einzugehn würde zu weit führen. Jedenfalls aber dürfen wir die zahllosen –heim, die den Rhein von Bingen aufwärts bis weit ins alamannische Gebiet hinein begleiten und die sich überhaupt überall finden, wo Franken sich niedergelassen, für nicht chattisch, sondern ripuarisch erklären. Ihre Heimat ist nicht in Hessen, wo sie selten vorkommen und später eingedrungen scheinen, sondern im Salierland und der Rheinebene um Köln, wo sie neben den andern spezifisch ripuarischen Namen in fast gleicher Zahl vorkommen.
Das Resultat dieser Untersuchung ist also, daß die Ripuarier, weit entfernt davon, durch den Strom hessischer Einwanderung an Westerwald und Eifel festgehalten zu sein, im Gegenteil selbst das ganze mittelfränkische Gebiet überfluteten. Und zwar in der Richtung nach Südwesten, nach dem oberen Moselgebiet, stärker als nach Südosten, nach dem Taunus und dem Nahegebiet. Dies wird auch durch die Sprache bestätigt. Die südwestlichen Mundarten, bis nach Luxemburg und Westlothringen hinein, stehen dem Ripuarischen weit näher als die östlichen, besonders rechtsrheinischen. Jene können als eine mehr hochdeutsch verschobene Verlängerung des Ripuarischen gelten.
Das charakteristische der mittelfränkischen Mundarten ist zunächst das Eindringen der hochdeutschen Verschiebung. Nicht der bloßen Verschiebung einiger Tenues zu Aspiraten, die sich auf verhältnismäßig wenige[515] Worte erstreckt und den Charakter der Mundart nicht berührt, sondern die beginnende Verschiebung der Medien, die die eigentümlich mittel- und oberdeutsche Vermischung von b und p, g und k, d und t herbeiführt. Erst wo die Unmöglichkeit sich zeigt, b und p, d und t, g und k im Anlaut scharf zu unterscheiden, also das, was die Franzosen ganz besonders unter accent allemand verstehen, erst da macht sich dem Niederdeutschen der große Riß fühlbar, den die zweite Lautverschiebung durch die deutsche Sprache gerissen hat. Und dieser Riß geht durch zwischen Sieg und Lahn, zwischen Ahr und Mosel. Danach hat das Mittelfränkische ein anlautendes g, das den nördlicheren Dialekten fehlt, in- und auslautend spricht es indes noch weiches ch für g. Ferner geht das ei und ou der nördlichen Dialekte in ai und au über.
Einige echt fränkische Besonderheiten: In allen salischen und ripuarischen Mundarten ist Bach, unverschoben Beek, weiblich. Dies gilt auch für wenigstens den größten, westlichen Teil des Mittelfränkischen. Wie die zahllosen andern gleichnamigen Bäche in Niederland und am Niederrhein, ist auch die luxemburgische Glabach (Gladbach, niederländisch Glabeek) weiblich. Dagegen werden Mädchennamen als Neutra behandelt: Man sagt nicht nur das Mädchen, das Mariechen, das Lisbethchen, sondern auch das Marie, das Lisbeth, von Barmen bis über Trier hinaus. Bei Forbach in Lothringen zeigt die ursprünglich von Franzosen aufgenommene Karte einen Karninschesberg (Kaninchenberg). Also dasselbe Diminutiv -schen, pluralis -sches, das wir oben als ripuarisch fanden.
Mit der Wasserscheide zwischen Mosel und Nahe und rechts des Rheins mit dem Hügelland südlich der Lahn fängt eine neue Gruppe von Mundarten an:
3. Oberfränkisch. Hier sind wir auf einem Landstrich, der unbestritten zuerst alamannisches Eroberungsgebiet war (abgesehn von der früheren Besetzung durch Vangionen usw., von deren Stammverwandtschaft und Sprache wir nichts wissen), und wo auch eine stärkere chattische Beimischung gern zugegeben werden kann. Aber auch hier weisen die Ortsnamen, wie wir nicht zu wiederholen brauchen, auf die Anwesenheit nicht unbedeutender ripuarischer Elemente hin, besonders in der Rheinebene. Noch mehr aber die Sprache selbst. Nehmen wir den südlichsten bestimmbaren Dialekt, der zugleich eine Literatur hat, den pfälzischen. Hier finden wir wieder die allgemein fränkische Unmöglichkeit, in- und auslautendes g anders denn als weiches ch auszusprechen.4 Es heißt da: Vöchel, Flechel, [516] geleche (gelegen), gsacht – gesagt, licht – liegt etc. Ebenso das allgemein fränkische w statt b im Inlaut: Bûwe – Buben, glâwe – glauben (aber i glâb), bleiwe, selwer – selbst, halwe – halbe. Die Verschiebung ist lange nicht so vollkommen, wie sie aussieht, es findet sogar, bei Fremdwörtern namentlich, Rückverschiebung statt, d.h., der stumme Konsonant des Anlautes wird eine Stufe nicht vorwärts, sondern rückwärts verschoben: t wird d, p wird b, wie sich zeigen wird; d und p im Anlaut bleiben auf niederdeutscher Stufe: dûn – tun, dag, danze, dür, dodt; jedoch vor r; trinke, trage; paff – Pfaff, peife, palz – Pfalz, parre – Pfarrer. Da nun d und p für hochdeutsch t und pf stehn, so wird auch in Fremdwörtern anlautendes t zu d, anlautendes p aber zu b rückverschoben: derke – Türke, dafel – Tafel, babeer – Papier, borzlan – Porzellan, bulwer – Pulver. Dann duldet das Pfälzische, hierin nur mit dem Dänischen stimmend, keine Tenues zwischen Vokalen: ebbes – etwas, labbe – Lappen, schlubbe – schlupfen, schobbe – Schoppen, Peder – Peter, dridde – dritte, rodhe – raten. Nur k bildet eine Ausnahme: brocke, backe. Aber in Fremdwörtern g: musigande – Musikanten. Es ist dies ebenfalls ein Rest niederdeutscher Lautstufe, der sich vermittelst Rückverschiebung weiter ausgedehnt hatA2; nur dadurch, daß dridde, hadde unverschoben blieb, konnte aus Peter Peder werden und so die entsprechenden hochdeutschen t gleiche unparteiische Behandlung erfahren. Ebenso bleibt in halde – halten, alde – alte usw. d auf niederdeutscher Stufe.
Trotz des, für Niederdeutsche, entschieden hochdeutschen Gesamteindrucks ist also die Pfälzer Mundart weit entfernt davon, die hochdeutsche Lautverschiebung auch nur so weit angenommen zu haben, wie unsre Schriftsprache sie bewahrt. Im Gegenteil, das Pfälzische protestiert vermittelst seiner Rückverschiebung gegen die hochdeutsche Stufe, die, von außen eingedrungen, bis heute sich als fremdes Element in der Mundart erweist.
Es ist hier der Ort, auf eine gewöhnlich verkannte Erscheinung einzugehn: auf die Verwechslung von d und t, b und p, selbst g und k bei denjenigen Deutschen, in deren Dialekt die Medien hochdeutsche Verschiebung erlitten haben. Diese Verwechslung findet nicht statt, solange jeder seine Mundart spricht. Im Gegenteil. Wir haben soeben gesehn, daß z.B. der Pfälzer hier sehr genau unterscheidet, so sehr, daß er sogar Fremdwörter rückwärts verschiebt, um sie den Anforderungen seines Dialekts anzupassen. Ausländisches anlautendes t wird ihm nur darum zu d, weil schriftdeutsches t seinem d, ausländisches p zu b, weil seinem p schriftdeutsches [517] pf entspricht. Ebensowenig werden in andern oberdeutschen Mundarten die stummen Konsonanten durcheinandergeworfen, solange man die Mundart spricht. Jede derselben hat ihr eignes, genau durchgeführtes Verschiebungsgesetz. Anders wird es, sobald die Schriftsprache oder eine fremde Sprache gesprochen wird. Der Versuch, das jedesmalige mundartliche Verschiebungsgesetz auf diese anzuwenden – und dieser Versuch wird unwillkürlich gemacht –, kollidiert mit dem Versuch, die neue Sprache korrekt zu sprechen. Dabei verlieren dann die geschriebenen b und p, d und t alle feste Bedeutung, und so konnte es kommen, daß z.B. Borne in seinen Pariser Briefen sich darüber beklagt, die Franzosen könnten b und p nicht unterscheiden, weil sie hartnäckig meinten, sein Name, den er Perne aus sprach, finge mit einem p an.
Doch zurück zur Pfälzer Mundart. Der Nachweis, daß ihr die hochdeutsche Verschiebung sozusagen von außen aufgedrängt und bis heute noch ein fremdes Element geblieben, dazu auch nicht einmal die Lautstufe der Schriftsprache erreicht (über die weit hinausgehend Alamannen und Bayern im ganzen diese oder jene althochdeutsche Stufe bewahren) – dieser Beweis allein reicht hin, den vorwiegend fränkischen Charakter des Pfälzischen festzustellen. Denn selbst in dem weit nördlicher liegenden Hessen ist die Verschiebung im ganzen weiter durchgeführt und damit der angeblich vorwiegend hessische Charakter des Pfälzischen auf ein bescheidenes Maß zurückgeführt. Um hart an der alamannischen Grenze, unter zurückgebliebnen Alamannen, der hochdeutschen Verschiebung solchen Widerstand zu leisten, dazu müssen neben den, selbst wesentlich hochdeutschen, Hessen mindestens ebenso zahlreiche Ripuarier am Platz gewesen sein. Und deren Anwesenheit wird ferner bewiesen – außer durch die Ortsnamen – durch zwei allgemein fränkische Eigenheiten: die Bewahrung des fränkischen w statt b im Inlaut und die Aussprache des g als ch im In- und Auslaut. Dazu kommen noch eine Menge einzelner Fälle von Übereinstimmung. Mit dem pfälzischen Gundach – »guten Tag« kommt man bis Dünkirchen und Amsterdam. Ebenso wie in der Pfalz »ein gewisser Mann« ein sichrer Mann heißt, so in ganz Niederland een zekeren man. Handsching für Handschuh stimmt zum ripuarischen Händschen. Sogar g für j in Ghannisnacht (Johannisnacht) ist ripuarisch und geht, wie wir sehen, bis ins Münsterland. Und das allen Franken, auch den Niederländern, gemeinsame baten (bessern, nützen von bat – besser) ist in der Pfalz gebräuchlich: 's badd alles nix – es hilft alles nichts – wo sogar das t nicht hochdeutsch zu tz verschoben, sondern pfälzisch zwischen Vokalen zu d erweicht ist.[518]
2 | »Kieme altsächsische und altniederfränkische Grammatik« von Moritz Heyne, Paderborn 1873. |
A1 | Von Engels mit Bleistift am Rand vermerkt: Otfried |
3 | (Anm.) In der Ebene finde ich nur Waterscheid, östlich Hasselt im belgischen Limburg, wo wir schon oben starke ripuarische Mischung beobachteten. |
4 | Alle Zitate sind aus »Fröhlich Palz, Gott erhalt's! Gedichte in Pfälzer Mundart« von K. G. Nadler, Frankfurt a. M. 1851. |
A2 | Von Engels mit Bleistift am Rand vermerkt: Otfried |
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