Friedrich Engels

Marx und die »Neue Rheinische Zeitung« 1848-1849

Beim Ausbruch der Februarrevolution bestand die deutsche »Kommunistische Partei«, wie wir sie nannten, nur aus einem kleinen Stamm, dem als geheime Propagandagesellschaft organisierten Bund der Kommunisten. Geheim war der Bund nur, weil es damals in Deutschland kein Vereins- und Versammlungsrecht gab. Außer den Arbeitervereinen im Ausland, wo er sich rekrutierte, hatte er ungefähr dreißig Gemeinden oder Sektionen im Lande selbst, dazu einzelne Mitglieder an vielen Orten. Aber diese unbedeutende Streitkraft hatte einen Führer, dem sich alle willig unterordneten, einen Führer ersten Ranges in Marx, und dank ihm ein prinzipielles und ein taktisches Programm, das noch heute in voller Geltung steht: das »Kommunistische Manifest«.

Hier kommt in erster Reihe der taktische Teil des Programms in Betracht. Dieser lautete im allgemeinen:

»Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besondern Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß einerseits sie in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. – Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder, sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in[16] die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.«

Und für die deutsche Partei im besonderen:

»In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei. Sie unterläßt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten, damit die deutschen Arbeiter sogleich die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, welche die Bourgeoisie mit ihrer Herrschaft herbeiführen muß, als ebenso viele Waffen gegen die Bourgeoisie kehren können, damit, nach dem Sturz der reaktionären Klassen in Deutschland, sofort der Kampf gegen die Bourgeoisie selbst beginnt. Auf Deutschland richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vorabend einer bürgerlichen Revolution steht« usw. (»Manifest« IV).

Nie hat sich ein taktisches Programm so bewährt wie dieses. Aufgestellt am Vorabend einer Revolution, hielt es die Probe dieser Revolution aus; wo seit jener Zeit eine Arbeiterpartei von ihm abwich, strafte sich jede Abweichung; und heute, nach beinahe vierzig Jahren, bildet es die Richtschnur aller entschiedenen und selbstbewußten Arbeiterparteien Europas von Madrid bis Petersburg.

Die Februarereignisse in Paris überstürzten die bevorstehende deutsche Revolution und modifizierten damit ihren Charakter. Die deutsche Bourgeoisie, statt aus eigener Kraft zu siegen, siegte im Schlepptau einer französischen Arbeiterrevolution. Noch ehe sie ihre alten Gegner, das absolute Königtum, den feudalen Grundbesitz, die Bürokratie, das feige Spießbürgertum, endgiltig niedergeworfen, mußte sie schon Front machen gegen einen neuen Feind, das Proletariat. Hier aber zeigten sich sofort die Wirkungen der hinter Frankreich und England weit zurückgebliebenen ökonomischen Zustände und der damit ebensosehr zurückgebliebenen Klassenlage Deutschlands.

Die deutsche Bourgeoisie, die eben erst ihre große Industrie zu begründen anfing, hatte weder die Kraft noch den Mut, noch die zwingende Nötigung, sich die unbedingte Herrschaft im Staat zu erkämpfen; das Proletariat, in gleichem Verhältnis unentwickelt, herangewachsen in vollständiger geistiger Knechtung, unorganisiert und noch nicht einmal fähig zu[17] selbständiger Organisation, besaß nur das dumpfe Gefühl seines tiefen Interessengegensatzes gegen die Bourgeoisie. So, obgleich der Sache nach ihr drohender Gegner, blieb es anderseits ihr politisches Anhängsel. Geschreckt nicht durch das, was das deutsche Proletariat war, sondern durch das, was es zu werden drohte und was das französische schon war, sah die Bourgeoisie nur Rettung in jedem, auch dem feigsten Kompromiß mit Monarchie und Adel; unbekannt noch mit seiner eigenen geschichtlichen Rolle, mußte das Proletariat in seiner großen Masse zunächst die des vorantreibenden, äußersten linken Flügels der Bourgeoisie übernehmen. Die deutschen Arbeiter hatten vor allen Dingen diejenigen Rechte zu erkämpfen, die ihnen zu ihrer selbständigen Organisation als Klassenpartei unumgänglich waren: Freiheit der Presse, der Vereinigung und Versammlung – Rechte, die die Bourgeoisie im Interesse ihrer eigenen Herrschaft hätte erkämpfen müssen, die sie selbst aber in ihrer Angst den Arbeitern jetzt streitig machte. Die paar hundert vereinzelten Bundesmitglieder verschwanden in der ungeheuren, plötzlich in die Bewegung geschleuderten Masse. Das deutsche Proletariat erschien so zunächst auf der politischen Bühne als äußerste demokratische Partei.

Damit war uns, als wir in Deutschland eine große Zeitung begründeten, die Fahne von selbst gegeben. Es konnte nur die der Demokratie sein, aber die einer Demokratie, die überall den spezifisch proletarischen Charakter im einzelnen hervorhob, den sie noch nicht ein für allemal aufs Banner schreiben konnte. Wollten wir das nicht, wollten wir nicht die Bewegung an ihrem vorgefundenen, fortgeschrittensten, tatsächlich proletarischen Ende aufnehmen und weiter vorantreiben, so blieb uns nichts, als Kommunismus in einem kleinen Winkelblättchen dozieren und statt einer großen Aktionspartei eine kleine Sekte stiften. Zu Predigern in der Wüste aber waren wir verdorben; dazu hatten wir die Utopisten zu gut studiert. Dazu hatten wir unser Programm nicht entworfen.

Als wir nach Köln kamen, waren dort von demokratischer, teilweise kommunistischer Seite Vorbereitungen zu einem großen Blatt getroffen. Man wollte dies echt lokal-kölnisch machen und uns nach Berlin verbannen. Aber in 24 Stunden hatten wir, namentlich durch Marx, das Terrain erobert, das Blatt ward unser, auf die Gegenkonzession, daß wir Heinrich Bürgers in die Redaktion nahmen. Dieser schrieb einen Artikel (in Nr. 2) und nie mehr einen zweiten.

Wir mußten eben nach Köln gehen und nicht nach Berlin. Erstens war Köln das Zentrum der Rheinprovinz, die die französische Revolution durchgemacht, sich im Code Napoléon moderne Rechtsanschauungen[18] bewahrt, die weitaus bedeutendste große Industrie entwickelt hatte und in jeder Beziehung damals der fortgeschrittenste Teil Deutschlands war. Das damalige Berlin kannten wir nur zu gut aus eigener Anschauung, mit seiner kaum entstehenden Bourgeoisie, seinem maulfrechen, aber tatfeigen, kriechenden Kleinbürgertum, seinen noch total unentwickelten Arbeitern, seinen massenhaften Bürokraten, Adels- und Hofgesindel, seinem ganzen Charakter als bloße »Residenz«. Entscheidend aber waren: In Berlin herrschte das elende preußische Landrecht, und politische Prozesse kamen vor die Berufsrichter; am Rhein bestand der Code Napoléon, der keine Preßprozesse kennt, weil er die Zensur voraussetzt, und wenn man keine politischen Vergehen, sondern nur Verbrechen beging, kam man vor die Geschwornen; in Berlin ward nach der Revolution der junge Schlöffel wegen einer Kleinigkeit zu einem Jahre verurteilt, am Rhein hatten wir unbedingte Preßfreiheit – und wir haben sie ausgenutzt bis auf den letzten Tropfen.

So fingen wir am 1. Juni 1848 an, mit einem sehr beschränkten Aktienkapital, von dem nur wenig eingezahlt war, und die Aktionäre selbst mehr als unsicher. Gleich nach der ersten Nummer verließ uns die Hälfte, und am Ende des Monats hatten wir gar keine mehr.

Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Marx. Ein großes Tageblatt, das zur bestimmten Stunde fertig sein muß, kann bei keiner anderen Verfassung eine folgerechte Haltung bewahren. Hier aber war noch dazu Marx' Diktatur selbstverständlich, unbestritten, von uns allen gern anerkannt. Es war in erster Linie sein klarer Blick und seine sichere Haltung, die das Blatt zur berühmtesten deutschen Zeitung der Revolutionsjahre gemacht haben.

Das politische Programm der »Neuen Rheinischen Zeitung« bestand aus zwei Hauptpunkten:

Einige, unteilbare, demokratische deutsche Republik und Krieg mit Rußland, der Wiederherstellung Polens einschloß.

Die kleinbürgerliche Demokratie teilte sich damals in zwei Fraktionen: die norddeutsche, die sich einen demokratischen preußischen Kaiser gefallen, und die süddeutsche, damals fast ganz spezifisch badische, die Deutschland in eine föderative Republik nach Schweizer Muster verwandeln wollte. Beide mußten wir bekämpfen. Das Interesse des Proletariats verbot ebensosehr die Verpreußung Deutschlands wie die Verewigung der Kleinstaaterei. Es gebot die endliche Vereinigung Deutschlands zu einer Nation, die allein den von allen überkommenen kleinlichen Hindernissen gereinigten Kampfplatz herstellen konnte, auf dem Proletariat und Bourgeoisie ihre[19] Kräfte messen sollten. Aber es verbot ebensosehr die Herstellung einer preußischen Spitze; der preußische Staat mit seiner ganzen Einrichtung, seiner Tradition und seiner Dynastie war gerade der einzige ernsthafte innere Gegner, den die Revolution in Deutschland niederzuwerfen hatte; und obendrein konnte Preußen Deutschland nur einigen durch Deutschlands Zerreißung, durch den Ausschluß Deutsch-Österreichs. Auflösung des preußischen, Zerfall des österreichischen Staates, wirkliche Einigung Deutschlands als Republik – ein anderes revolutionäres, nächstes Programm konnten wir nicht haben. Und dies war durchzusetzen durch Krieg gegen Rußland und nur durch ihn. Auf diesen letzteren Punkt komme ich noch zurück.

Im übrigen war der Ton des Blattes keineswegs feierlich, ernst oder begeistert. Wir hatten lauter verächtliche Gegner und behandelten sie ausnahmslos mit der äußersten Verachtung. Das konspirierende Königtum, die Kamarilla, der Adel, die »Kreuz-Zeitung«, die gesamte »Reaktion«, über die der Philister sich sittlich entrüstete – wir behandelten sie nur mit Hohn und Spott. Aber nicht minder auch die durch die Revolution aufgekommenen neuen Götzen: die Märzminister, die Frankfurter und Berliner Versammlung, Rechte wie Linke darin. Gleich die erste Nummer begann mit einem Artikel, der die Nichtigkeit des Frankfurter Parlamentes, die Zwecklosigkeit seiner langatmigen Reden, die Überflüssigkeit seiner feigen Beschlüsse verspottete. Er kostete uns die Hälfte der Aktionäre. Das Frankfurter Parlament war nicht einmal ein Debattierklub; hier wurde fast gar nicht debattiert, sondern meist nur fertig mitgebrachte akademische Abhandlungen abgeleiert und Beschlüsse gefaßt, die den deutschen Philister begeistern sollten, um die sich aber sonst kein Mensch kümmerte.

Die Berliner Versammlung hatte schon mehr Bedeutung, sie stand einer wirklichen Macht gegenüber, sie debattierte und beschloß auf platter Erde, nicht im Frankfurter Wolkenkuckucksheim. Sie wurde daher auch ausführlicher behandelt. Aber auch die dortigen Götzen der Linken, Schulze-Delitzsch, Berends, Elsner, Stein usw., wurden ebenso scharf mitgenommen wie die Frankfurter, ihre Unentschiedenheit, Zaghaftigkeit und Rechnungsträgerei schonungslos aufgedeckt und ihnen nachgewiesen, wie sie Schritt vor Schritt sich in den Verrat an der Revolution hineinkompromisselten. Das erregte natürlich Schauder beim demokratischen Kleinbürger, der sich diese Götzen erst eben zum eigenen Gebrauch fabriziert hatte. Uns war dieser Schauder ein Zeichen, daß wir ins Schwarze getroffen hatten.

Ebenso traten wir auch der vom Kleinbürgertum eifrig verbreiteten Täuschung entgegen, als ob die Revolution mit den Märztagen abgeschlossen[20] sei und man jetzt nur noch die Früchte einzuheimsen habe. Für uns konnten Februar und März nur dann die Bedeutung einer wirklichen Revolution haben, wenn sie nicht Abschluß, sondern im Gegenteil Ausgangspunkte einer langen revolutionären Bewegung wurden, in der, wie in der großen französischen Umwälzung, das Volk sich durch seine eigenen Kämpfe weiterentwickelte, die Parteien sich schärfer und schärfer schieden, bis sie mit den großen Klassen, Bourgeoisie, Kleinbürgertum, Proletariat, ganz zusammenfielen, und in der die einzelnen Positionen vom Proletariat nach und nach in einer Reihe von Schlachttagen erobert wurden. Daher traten wir auch dem demokratischen Kleinbürgertum überall entgegen, wo es seinen Klassengegensatz gegen das Proletariat vertuschen wollte mit der beliebten Phrase: Wir wollen ja alle dasselbe, alle Differenzen beruhen auf bloßen Mißverständnissen. Je weniger aber wir dem Kleinbürgertum erlaubten, unsere proletarische Demokratie mißzuverstehen, desto zahmer und gefügiger wurde es uns gegenüber. Je schärfer und entschiedener man ihm gegenübertritt, desto williger duckt es sich, desto mehr Konzessionen macht es der Arbeiterpartei. Das haben wir gesehen.

Endlich deckten wir den parlamentarischen Kretinismus (wie Marx es nannte) der verschiedenen sogenannten Nationalversammlungen auf. Diese Herren hatten sich alle Machtmittel entschlüpfen lassen, sie zum Teil freiwillig wieder den Regierungen überliefert. Neben neugestärkten, reaktionären Regierungen standen in Berlin wie in Frankfurt machtlose Versammlungen, die trotzdem sich einbildeten, ihre ohnmächtigen Beschlüsse würden die Welt aus den Angeln heben. Bis auf die äußerste Linke herrschte diese kretinhafte Selbsttäuschung. Wir riefen ihnen zu: ihr parlamentarischer Sieg werde zusammenfallen mit ihrer wirklichen Niederlage.

Und so geschah's in Berlin wie in Frankfurt. Als die »Linke« die Majorität erhielt, jagte die Regierung die ganze Versammlung auseinander; sie konnte es, weil die Versammlung ihren eigenen Kredit beim Volk verscherzt hatte.

Als ich später Bougearts Buch über Marat las, fand ich, daß wir in mehr als einer Beziehung nur das große Vorbild des echten (nicht des von den Royalisten gefälschten) »Ami du peuple« unbewußt nachgeahmt hatten und daß der ganze Wutschrei und die ganze Geschichtsfälschung, kraft deren man fast ein Jahrhundert hindurch nur einen gänzlich entstellten Marat gekannt, nur diese Ursache haben: daß Marat den Augenblicksgötzen Lafayette, Bailly und anderen unbarmherzig den Schleier abzog und sie als schon fertige Verräter an der Revolution enthüllte; und daß er, wie wir, die Revolution nicht für abgeschlossen, sondern in Permanenz erklärt wissen wollte.[21]

Wir sprachen es offen aus, daß die Richtung, die wir vertraten, erst dann in den Kampf um die Erreichung unserer wirklichen Parteiziele eintreten könne, wenn die äußerste der in Deutschland bestehenden offiziellen Parteien am Ruder sei: dann würden wir, ihr gegenüber, die Opposition bilden.

Die Ereignisse sorgten aber dafür, daß neben den Spott über die deutschen Gegner auch die flammende Leidenschaft trat. Die Insurrektion der Pariser Arbeiter im Juni 1848 fand uns auf dem Platze. Vom ersten Schuß an traten wir unbedingt ein für die Insurgenten. Nach ihrer Niederlage feierte Marx die Besiegten in einem seiner gewaltigsten Artikel.

Da verließ uns der letzte Rest der Aktionäre. Aber wir hatten die Genugtuung, das einzige Blatt in Deutschland und fast in Europa zu sein, das die Fahne des zertretenen Proletariats hochgehalten hatte im Augenblicke, wo die Bourgeois und Spießbürger aller Länder die Besiegten erdrückten mit dem Wüste ihrer Verleumdungen.

Die auswärtige Politik war einfach: Eintreten für jedes revolutionäre Volk, Aufruf zum allgemeinen Krieg des revolutionären Europas gegen den großen Rückhalt der europäischen Reaktion – Rußland. Vom 24. Februar an war es uns klar, daß die Revolution nur einen wirklich furchtbaren Feind habe, Rußland, und daß dieser Feind um so mehr gezwungen sei, in den Kampf einzutreten, je mehr die Bewegung europäische Dimensionen annahm. Die Ereignisse von Wien, Mailand, Berlin mußten den russischen Angriff verzögern, aber sein endliches Kommen wurde um so gewisser, je näher die Revolution Rußland auf den Leib rückte. Gelang es aber, Deutschland zum Krieg gegen Rußland zu bringen, so war es aus mit Habsburg und Hohenzollern, und die Revolution siegte auf der ganzen Linie.

Diese Politik geht durch jede Nummer der Zeitung bis zum Moment des wirklichen Einrückens der Russen in Ungarn, das unsere Voraussicht vollauf bestätigte und die Niederlage der Revolution entschied.

Als im Frühjahr 1849 der Entscheidungskampf heranrückte, wurde die Sprache des Blattes mit jeder Nummer heftiger und leidenschaftlicher. Den schlesischen Bauern rief Wilhelm Wolff in der »Schlesischen Milliarde« (acht Artikel) ins Gedächtnis, wie sie bei der Ablösung der Feudallasten von den Gutsherren mit Hilfe der Regierung um Geld und Grundbesitz geprellt worden, und forderte eine Milliarde Taler Entschädigung.

Gleichzeitig erschien im April Marx' Abhandlung über Lohnarbeit und Kapital in einer Reihe von Leitartikeln als deutlicher Hinweis auf das soziale Ziel unserer Politik. Jede Nummer, jedes Extrablatt zeigte hin auf die[22] sich vorbereitende große Schlacht, auf die Zuspitzung der Gegensätze in Frankreich, Italien, Deutschland und Ungarn. Namentlich die Extrablätter vom April und Mai waren ebensoviel Aufrufe an das Volk, sich bereit zu halten zum Losschlagen.

»Draußen im Reich« wunderte man sich, daß wir das alles so ungeniert in einer preußischen Festung ersten Ranges, gegenüber einer Garnison von 8000 Mann und angesichts der Hauptwache betrieben; aber von wegen der acht Bajonettgewehre und 250 scharfen Patronen im Redaktionszimmer und der roten Jakobinermützen der Setzer galt unser Haus bei den Offizieren ebenfalls für eine Festung, die nicht durch bloßen Handstreich zu nehmen sei.

Endlich am 18. Mai 1849 kam der Schlag.

Der Aufstand in Dresden und Elberfeld war unterdrückt, der in Iserlohn umzingelt, die Rheinprovinz und Westfalen starrten von Bajonetten, die nach vollendeter Vergewaltigung der preußischen Rheinlande gegen die Pfalz und Baden zu marschieren bestimmt waren. Da endlich wagte die Regierung, uns auf den Leib zu rücken. Die eine Hälfte der Redakteure war unter gerichtlicher Verfolgung, die andere als Nichtpreußen ausweisbar. Dagegen war nichts zu machen, solange ein ganzes Armeekorps hinter der Regierung stand. Wir mußten unsere Festung übergeben, aber wir zogen ab mit Waffen und Bagage, mit klingendem Spiel und mit der fliegenden Fahne der letzten, roten, Nummer, in der wir die Kölner Arbeiter vor hoffnungslosen Putschen warnten und ihnen zuriefen:

»Die Redakteure der ›Neuen Rheinischen Zeitung‹ danken Euch beim Abschiede für die ihnen bewiesene Teilnahme. Ihr letztes Wort wird immer und überall sein: Emanzipation der arbeitenden Klasse!«

So endete die »Neue Rheinische Zeitung«, kurz ehe ihr erster Jahrgang vollendet. Mit fast gar keinen Geldmitteln angefangen – die wenigen ihr zugesicherten entgingen ihr, wie gesagt, bald –, brachte sie es schon im September auf eine Auflage von fast 5000. Der Belagerungszustand von Köln suspendierte sie; Mitte Oktober mußte sie wieder von vorne anfangen. Aber im Mai 1849 bei ihrer Unterdrückung stand sie schon wieder auf 6000 Abonnenten, während die »Kölnische« damals, nach ihrem eigenen Eingeständnis, nicht über 9000 besaß. Keine deutsche Zeitung, weder vorher noch nachher, hat je die Macht und den Einfluß besessen, hat es verstanden, so die proletarischen Massen zu elektrisieren wie die »Neue Rheinische«.

Und das verdankte sie vor allem Marx.

Als der Schlag gefallen war, zerstreute sich die Redaktion. Marx ging nach Paris, wo die Entscheidung sich vorbereitete, die am 13. Juni 1849[23] fiel; Wilhelm Wolff nahm jetzt seinen Sitz im Frankfurter Parlament ein – jetzt, wo die Versammlung zu wählen hatte zwischen Zersprengung von oben oder Anschluß an die Revolution; und ich ging nach der Pfalz und wurde Adjutant im Willichschen Freikorps.

Fr. Engels[24]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 21.
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