Friedrich Engels

Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie

Die Nationalökonomie entstand als eine natürliche Folge der Ausdehnung des Handels, und mit ihr trat an die Stelle des einfachen, unwissenschaftlichen Schachers ein ausgebildetes System des erlaubten Betrugs, eine komplette Bereicherungswissenschaft.

Diese aus dem gegenseitigen Neid und der Habgier der Kaufleute entstandene Nationalökonomie oder Bereicherungswissenschaft trägt das Gepräge der ekelhaftesten Selbstsucht auf der Stirne. Man lebte noch in der naiven Anschauung, daß Gold und Silber der Reichtum sei, und hatte also nichts Eiligeres zu tun, als überall die Ausfuhr der »edlen« Metalle zu verbieten. Die Nationen standen sich gegenüber wie Geizhälse, deren jeder seinen teuren Geldsack mit beiden Armen umschließt und mit Neid und Argwohn auf seine Nachbarn blickt. Alle Mittel wurden aufgeboten, um den Völkern, mit denen man im Handelsverkehr stand, soviel bares Geld wie möglich abzulocken und das glücklich Hereingebrachte hübsch innerhalb der Mautlinie zu behalten.

Die konsequenteste Durchführung dieses Prinzips hätte den Handel getötet. Man fing also an, diese erste Stufe zu überschreiten; man sah ein, daß das Kapital im Kasten tot daliegt, während es in der Zirkulation sich stets vermehrt. Man wurde also menschenfreundlicher, man schickte seine Dukaten als Lockvögel aus, damit sie andere mit sich zurückbringen sollten, und erkannte, daß es nichts schadet, wenn man dem A zuviel für seine Ware bezahlt, solange man sie noch bei B für einen höhern Preis loswerden kann.

Auf dieser Basis erbaute sich das Merkantilsystem. Der habgierige Charakter des Handels wurde schon etwas versteckt; die Nationen rückten sich etwas näher, sie schlossen Handels- und Freundschaftstraktate, sie machten gegenseitig Geschäfte und taten einander, um des größern Gewinns willen, alles mögliche Liebe und Gute an. Aber im Grunde war es doch die alte Geldgier und Selbstsucht, und diese brach von Zeit zu Zeit in den Kriegen[499] aus, die in jener Periode alle auf Handelseifersucht beruhten. In diesen Kriegen zeigte es sich auch, daß der Handel, wie der Raub, auf dem Faustrecht beruhe; man machte sich gar kein Gewissen daraus, durch List oder Gewalt solche Traktate zu erpressen, wie man sie für die günstigsten hielt.

Der Hauptpunkt im ganzen Merkantilsystem ist die Theorie von der Handelsbilanz. Da man nämlich noch immer an dem Satz festhielt, daß Gold und Silber der Reichtum sei, so hielt man nur die Geschäfte für vorteilbringend, die am Ende bares Geld ins Land brächten. Um dies ausfindig zu machen, verglich man die Ausfuhr und Einfuhr. Hatte man mehr aus- als eingeführt, so glaubte man, daß die Differenz in barem Gelde ins Land gekommen sei, und hielt sich um diese Differenz reicher. Die Kunst der Ökonomen bestand also darin, dafür zu sorgen, daß am Ende jedes Jahres die Ausfuhr eine günstige Bilanz gegen die Einfuhr gebe; und um dieser lächerlichen Illusion willen sind Tausende von Menschen geschlachtet worden! Der Handel hat auch seine Kreuzzüge und seine Inquisition aufzuweisen.

Das achtzehnte Jahrhundert, das Jahrhundert der Revolution, revolutionierte auch die Ökonomie; aber wie alle Revolutionen dieses Jahrhunderts einseitig waren und im Gegensatz steckenblieben, wie dem abstrakten Spiritualismus der abstrakte Materialismus, der Monarchie die Republik, dem göttlichen Recht der soziale Kontrakt entgegengesetzt wurde, so kam auch die ökonomische Revolution nicht über den Gegensatz hinaus. Die Voraussetzungen blieben überall bestehen; der Materialismus griff die christliche Verachtung und Erniedrigung des Menschen nicht an und stellte nur statt des christlichen Gottes die Natur dem Menschen als Absolutes gegenüber; die Politik dachte nicht daran, die Voraussetzungen des Staates an und für sich zu prüfen; die Ökonomie ließ sich nicht einfallen, nach der Berechtigung des Privateigentums zu fragen. Darum war die neue Ökonomie nur ein halber Fortschritt; sie war genötigt, ihre eigenen Voraussetzungen zu verraten und zu verleugnen, Sophistik und Heuchelei zu Hülfe zu nehmen, um die Widersprüche, in die sie sich verwickelte, zu verdecken, um zu den Schlüssen zu kommen, zu denen sie, nicht durch ihre Voraussetzungen, sondern durch den humanen Geist des Jahrhunderts getrieben wurde. So nahm die Ökonomie einen menschenfreundlichen Charakter an; sie entzog ihre Gunst den Produzenten und wandte sie den Konsumenten zu; sie affektierte einen heiligen Abscheu gegen die blutigen Schrecken des Merkantilsystems und erklärte den Handel für ein Band der Freundschaft und Einigung zwischen Nationen wie zwischen Individuen. Es war alles lauter Pracht und Herrlichkeit – aber die Voraussetzungen machten sich bald genug wieder geltend und erzeugten im Gegensatz zu dieser gleißenden Philanthropie die Malthussche Bevölkerungstheorie,[500] das rauhste barbarischste System, das je existierte, ein System der Verzweiflung, das alle jene schönen Redensarten von Menschenliebe und Weltbürgertum zu Boden schlug; sie erzeugten und hoben das Fabriksystem und die moderne Sklaverei, die der alten nichts nachgibt an Unmenschlichkeit und Grausamkeit. Die neue Ökonomie, das auf Adam Smiths »Wealth of Nations« gegründete System der Handelsfreiheit, erweist sich als dieselbe Heuchelei, Inkonsequenz und Unsittlichkeit, die jetzt auf allen Gebieten der freien Menschlichkeit gegenübersteht.

Aber war denn das Smithsche System kein Fortschritt? – Freilich war es das, und ein notwendiger Fortschritt dazu. Es war notwendig, daß das Merkantilsystem mit seinen Monopolen und Verkehrshemmungen gestürzt wurde, damit die wahren Folgen des Privateigentums ans Licht treten konnten; es war notwendig, daß alle diese kleinlichen Lokal- und Nationalrücksichten zurücktraten, damit der Kampf unserer Zeit ein allgemeiner, menschlicher werden konnte; es war notwendig, daß die Theorie des Privateigentums den rein empirischen, bloß objektiv untersuchenden Pfad verließ und einen wissenschaftlicheren Charakter annahm, der sie auch für die Konsequenzen verantwortlich machte und dadurch die Sache auf ein allgemein menschliches Gebiet herüberführte; daß die in der alten Ökonomie enthaltene Unsittlichkeit durch den Versuch ihrer Wegleugnung und durch die hereingebrachte Heuchelei – eine notwendige Konsequenz dieses Versuches – auf den höchsten Gipfel gesteigert wurde. Alles dies lag in der Natur der Sache. Wir erkennen gern an, daß wir erst durch die Begründung und Ausführung der Handelsfreiheit in den Stand gesetzt sind, über die Ökonomie des Privateigentums hinauszugehen, aber wir müssen zu gleicher Zeit auch das Recht haben, diese Handelsfreiheit in ihrer ganzen theoretischen und praktischen Nichtigkeit darzustellen.

Unser Urteil wird um so härter werden müssen, je mehr die Ökonomen, die wir zu beurteilen haben, in unsere Zeit hineinfallen. Denn während Smith und Malthus nur einzelne Bruchstücke fertig vorfanden, hatten die Neueren das ganze System vollendet vor sich; die Konsequenzen waren alle gezogen, die Widersprüche traten deutlich genug ans Licht, und doch kamen sie nicht zu einer Prüfung der Prämissen, und doch nahmen sie noch immer die Verantwortlichkeit für das ganze System auf sich. Je näher die Ökonomen der Gegenwart kommen, desto weiter entfernen sie sich von der Ehrlichkeit. Mit jedem Fortschritt der Zeit steigert sich notwendig die Sophisterei, um die Ökonomie auf der Höhe der Zeit zu erhalten. Darum ist z.B. Ricardo schuldiger als Adam Smith und MacCulloch und Mill schuldiger als Ricardo.

Die neuere Ökonomie kann nicht einmal das Merkantilsystem richtig[501] beurteilen, weil sie selbst einseitig und noch mit den Voraussetzungen desselben behaftet ist. Erst der Standpunkt, der sich über den Gegensatz der beiden Systeme erhebt, der die gemeinsamen Voraussetzungen beider kritisiert und von einer rein menschlichen, allgemeinen Basis ausgeht, wird beiden ihre richtige Stellung anweisen können. Es wird sich zeigen, daß die Verteidiger der Handelsfreiheit schlimmere Monopolisten sind als die alten Merkantilisten selbst. Es wird sich zeigen, daß hinter der gleisnerischen Humanität der Neueren eine Barbarei steckt, von der die Alten nichts wußten; daß die Begriffsverwirrung der Alten noch einfach und konsequent ist gegen die doppelzüngige Logik ihrer Angreifer und daß keine der beiden Parteien der andern etwas vorwerfen könne, was nicht auf sie selbst zurückfällt. – Darum kann auch die neuere liberale Ökonomie die Restauration des Merkantilsystems durch List nicht begreifen, während die Sache für uns ganz einfach ist. Die Inkonsequenz und Doppelseitigkeit der liberalen Ökonomie muß sich notwendig wieder in ihre Grundbestandteile auflösen. Wie die Theologie entweder zum blinden Glauben zurück-, oder zur freien Philosophie vorwärtsgehen muß, so muß die Handelsfreiheit auf der einen Seite die Restauration der Monopole, auf der andern die Aufhebung des Privateigentums produzieren.

Der einzig positive Fortschritt, den die liberale Ökonomie gemacht hat, ist die Entwicklung der Gesetze des Privateigentums. Diese sind allerdings in ihr enthalten, wenn auch noch nicht bis zur letzten Konsequenz entwickelt und klar ausgesprochen. Hieraus folgt, daß in allen Punkten, wo es auf die Entscheidung über die kürzeste Manier, reich zu werden, ankommt, also in allen strikt ökonomischen Kontroversen, die Verteidiger der Handelsfreiheit das Recht auf ihrer Seite haben. Wohlverstanden – in Kontroversen mit den Monopolisten, nicht mit den Gegnern des Privateigentums, denn daß diese imstande sind, in ökonomischen Fragen auch ökonomisch richtiger zu entscheiden, haben die englischen Sozialisten längst praktisch und theoretisch bewiesen.

Wir werden also bei der Kritik der Nationalökonomie die Grundkategorien untersuchen, den durch das System der Handelsfreiheit hineingebrachten Widerspruch enthüllen und die Konsequenzen der beiden Seiten des Widerspruchs ziehen.


Der Ausdruck Nationalreichtum ist erst durch Verallgemeinerungssucht der liberalen Ökonomen aufgekommen. Solange das Privateigentum besteht, hat dieser Ausdruck keinen Sinn. Der »Nationalreichtum« der Engländer[502] ist sehr groß, und doch sind sie das ärmste Volk unter der Sonne. Man lasse entweder den Ausdruck ganz fallen, oder man nehme Voraussetzungen an, die ihm einen Sinn geben. Ebenso die Ausdrücke Nationalökonomie, politische, öffentliche Ökonomie. Die Wissenschaft sollte unter den jetzigen Verhältnissen Privatökonomie heißen, denn ihre öffentlichen Beziehungen sind nur um des Privateigentums willen da.


Die nächste Folge des Privateigentums ist der Handel, der Austausch der gegenseitigen Bedürfnisse, Kauf und Verkauf. Dieser Handel muß unter der Herrschaft des Privateigentums, wie jede Tätigkeit, eine unmittelbare Erwerbsquelle für den Handeltreibenden werden; d.h. jeder muß suchen, so teuer wie möglich zu verkaufen und so billig wie möglich zu kaufen. Bei jedem Kauf und Verkauf stehen sich also zwei Menschen mit absolut entgegengesetzten Interessen gegenüber; der Konflikt ist entschieden feindselig, denn jeder kennt die Intentionen des andern, weiß, daß sie den seinigen entgegengesetzt sind. Die erste Folge ist also auf der einen Seite gegenseitiges Mißtrauen, auf der andern die Rechtfertigung dieses Mißtrauens, die Anwendung unsittlicher Mittel zur Durchsetzung eines unsittlichen Zwecks. So ist z.B. der erste Grundsatz im Handel die Verschwiegenheit, Verheimlichung alles dessen, was den Wert des fraglichen Artikels herabsetzen könnte. Die Konsequenz daraus: Es ist im Handel erlaubt, von der Unkenntnis, von dem Vertrauen der Gegenpartei den möglichst großen Nutzen zu ziehen, und ebenso, seiner Ware Eigenschaften anzurühmen, die sie nicht besitzt. Mit einem Worte, der Handel ist der legale Betrug. Daß die Praxis mit dieser Theorie übereinstimmt, kann mir jeder Kaufmann, wenn er der Wahrheit die Ehre geben will, bezeugen.

Das Merkantilsystem hatte noch eine gewisse unbefangene, katholische Geradheit und verdeckte das unsittliche Wesen des Handels nicht im mindesten. Wir haben gesehen, wie es seine gemeine Habsucht offen zur Schau trug. Die gegenseitig feindselige Stellung der Nationen im achtzehnten Jahrhundert, der ekelhafte Neid und die Handelseifersucht waren die konsequenten Folgen des Handels überhaupt. Die öffentliche Meinung war noch nicht humanisiert, was sollte man also Dinge verstecken, die aus dem unmenschlichen feindseligen Wesen des Handels selbst folgten.

Als aber der ökonomische Luther, Adam Smith, die bisherige Ökonomie kritisierte, hatten sich die Sachen sehr geändert. Das Jahrhundert war humanisiert, die Vernunft hatte sich geltend gemacht, die Sittlichkeit fing an, ihr ewiges Recht in Anspruch zu nehmen. Die erpreßten Handelstraktate, die[503] kommerziellen Kriege, die schroffe Isolierung der Nationen stießen zu sehr gegen das fortgeschrittene Bewußtsein an. An die Stelle der katholischen Geradheit trat protestantische Gleisnerei. Smith bewies, daß auch die Humanität im Wesen des Handels begründet sei; daß der Handel, anstatt »die fruchtbarste Quelle der Zwietracht und der Feindseligkeit« zu sein, ein »Band der Einigung und Freundschaft zwischen den Nationen wie zwischen Individuen« (vgl. »Wealth of Nations« B. 4, c. 3, § 2) werden müsse; es liege ja in der Natur der Sache, daß der Handel im ganzen und großen allen Beteiligten vorteilhaft sei.

Smith hatte recht, wenn er den Handel als human pries. Es gibt nichts absolut Unsittliches in der Welt; auch der Handel hat eine Seite, wo er der Sittlichkeit und Menschlichkeit huldigt. Aber welch eine Huldigung! Das Faustrecht, der platte Straßenraub des Mittelalters wurde humanisiert, als er in den Handel, der Handel, als seine erste Stufe, welche sich durch das Verbot der Geldausfuhr charakterisiert, in das Merkantilsystem überging. Jetzt wurde dieses selbst humanisiert. Natürlich ist es im Interesse des Handelnden, mit dem einen, von welchem er wohlfeil kauft, wie mit dem andern, an welchen er teuer verkauft, sich in gutem Vernehmen zu halten. Es ist also sehr unklug von einer Nation gehandelt, wenn sie bei ihren Versorgern und Kunden eine feindselige Stimmung nährt. Je freundschaftlicher, desto vorteilhafter. Dies ist die Humanität des Handels, und diese gleisnerische Art, die Sittlichkeit zu unsittlichen Zwecken zu mißbrauchen, ist der Stolz des Systems der Handelsfreiheit. Haben wir nicht die Barbarei der Monopole gestürzt, rufen die Heuchler aus, haben wir nicht die Zivilisation in entfernte Weltteile getragen, haben wir nicht die Völker verbrüdert und die Kriege vermindert? – Ja, das alles habt ihr getan, aber wie habt ihr es getan! Ihr habt die kleinen Monopole vernichtet, um das eine große Grundmonopol, das Eigentum, desto freier und schrankenloser wirken zu lassen; ihr habt die Enden der Erde zivilisiert, um neues Terrain für die Entfaltung eurer niedrigen Habsucht zu gewinnen; ihr habt die Völker verbrüdert, aber zu einer Brüderschaft von Dieben, und die Kriege vermindert, um im Frieden desto mehr zu verdienen, um die Feindschaft der einzelnen, den ehrlosen Krieg der Konkurrenz, auf die höchste Spitze zu treiben! – Wo habt ihr etwas aus reiner Humanität, aus dem Bewußtsein der Nichtigkeit des Gegensatzes zwischen dem allgemeinen und individuellen Interesse getan? Wo seid ihr sittlich gewesen, ohne interessiert zu sein, ohne unsittliche, egoistische Motive im Hintergrunde zu hegen?

Nachdem die liberale Ökonomie ihr Bestes getan hatte, um durch die Auflösung der Nationalitäten die Feindschaft zu verallgemeinern, die[504] Menschheit in eine Horde reißender Tiere – und was sind Konkurrenten anders? – zu verwandeln, die einander ebendeshalb auffressen, weil jeder mit allen andern gleiches Interesse hat, nach dieser Vorarbeit blieb ihr nur noch ein Schritt zum Ziele übrig, die Auflösung der Familie. Um diese durchzusetzen, kam ihr ihre eigene schöne Erfindung, das Fabriksystem, zu Hülfe. Die letzte Spur gemeinsamer Interessen, die Gütergemeinschaft der Familie, ist durch das Fabriksystem untergraben und – wenigstens hier in England – bereits in der Auflösung begriffen. Es ist etwas ganz Alltägliches, daß Kinder, sobald sie arbeitsfähig, d.h. neun Jahre alt werden, ihren Lohn für sich verwenden, das elterliche Haus als ein bloßes Kosthaus ansehen und den Eltern ein Gewisses für Kost und Wohnung vergüten. Wie kann es anders sein? Was kann anders aus der Isolierung der Interessen, wie sie dem System der Handelsfreiheit zugrunde liegt, folgen? Ist ein Prinzip einmal in Bewegung gesetzt, so arbeitet es sich von selbst durch alle seine Konsequenzen durch, die Ökonomen mögen Gefallen daran haben oder nicht.

Aber der Ökonom weiß selbst nicht, welcher Sache er dient. Er weiß nicht, daß er mit all seinem egoistischen Räsonnement doch nur ein Glied in der Kette des allgemeinen Fortschrittes der Menschheit bildet. Er weiß nicht, daß er mit seiner Auflösung aller Sonderinteressen nur den Weg bahnt für den großen Umschwung, dem das Jahrhundert entgegengeht, der Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst.


Die nächste durch den Handel bedingte Kategorie ist der Wert. Über diese, sowie über alle andern Kategorien, existiert kein Streit zwischen den älteren und neueren Ökonomen, weil die Monopolisten in ihrer unmittelbaren Wut der Bereicherung keine Zeit übrig hatten, um sich mit Kategorien zu beschäftigen. Alle Streitfragen über derartige Punkte gingen von den Neueren aus.

Der Ökonom, der von Gegensätzen lebt, hat natürlich auch einen doppelten Wert; den abstrakten oder realen Wert und den Tauschwert. Über das Wesen des Realwertes war ein langer Streit zwischen den Engländern, die die Produktionskosten als den Ausdruck des Realwertes bestimmten, und dem Franzosen Say, der diesen Wert nach der Brauchbarkeit einer Sache zu messen vorgab. Der Streit hat seit dem Anfange dieses Jahrhunderts geschwebt und ist eingeschlafen, nicht entschieden. Die Ökonomen können nichts entscheiden.

Die Engländer – MacCulloch und Ricardo besonders – behaupten also, der abstrakte Wert einer Sache werde durch die Produktionskosten[505] bestimmt. Wohlverstanden, der abstrakte Wert, nicht der Tauschwert, der exchangeable value, der Wert im Handel – das sei etwas ganz andres. Weshalb sind die Produktionskosten das Maß des Wertes? Weil – hört, hört! – weil niemand eine Sache, unter gewöhnlichen Umständen und das Verhältnis der Konkurrenz aus dem Spiele gelassen, für weniger verkaufen würde als ihm ihre Produktion kostet – verkaufen würde? Was haben wir hier, wo es sich nicht um den Handelswert handelt, mit »Verkaufen« zu tun? Da haben wir ja gleich wieder den Handel im Spiel, den wir ja gerade herauslassen sollen – und was für einen Handel! einen Handel, wobei die Hauptsache, das Konkurrenzverhältnis, nicht in Anschlag kommen soll! Erst einen abstrakten Wert, jetzt auch einen abstrakten Handel, einen Handel ohne Konkurrenz, d.h. einen Menschen ohne Körper, einen Gedanken ohne Gehirn, um Gedanken zu produzieren. Und bedenkt der Ökonom denn gar nicht, daß, sowie die Konkurrenz aus dem Spiele gelassen wird, gar keine Garantie da ist, daß der Produzent seine Ware gerade zu den Produktionskosten verkauft? Welche Verwirrung!

Weiter! Geben wir für einen Augenblick zu, daß dem allem so sei, wie der Ökonom sagt. Angenommen, es machte jemand mit ungeheurer Mühe und enormen Kosten etwas ganz Unnützes, etwas, wonach kein Mensch begehrt, ist das auch die Produktionskosten wert? Ganz und gar nicht, sagt der Ökonom, wer wird das kaufen wollen? Da haben wir also auf einmal nicht nur die verschrieene Saysche Brauchbarkeit, sondern – mit dem »Kaufen« – das Konkurrenzverhältnis daneben. Es ist nicht möglich, der Ökonom kann seine Abstraktion nicht einen Augenblick festhalten. Nicht nur das, was er mit Mühe entfernen will, die Konkurrenz, sondern auch das, was er angreift, die Brauchbarkeit, kommt ihm jeden Augenblick zwischen die Finger. Der abstrakte Wert und seine Bestimmung durch die Produktionskosten sind eben nur Abstraktionen, Undinge.

Aber geben wir noch einmal für einen Augenblick dem Ökonomen recht – wie will er uns dann die Produktionskosten bestimmen, ohne die Konkurrenz in Anschlag zu bringen? Wir werden bei der Untersuchung der Produktionskosten sehen, daß auch diese Kategorie auf die Konkurrenz basiert ist, und auch hier wieder zeigt es sich, wie wenig der Ökonom seine Behauptungen durchführen kann.

Gehen wir zu Say über, so finden wir dieselbe Abstraktion. Die Brauchbarkeit einer Sache ist etwas rein Subjektives, gar nicht absolut zu Entscheidendes – wenigstens solange man sich noch in Gegensätzen herumtreibt, gewiß nicht zu entscheiden. Nach dieser Theorie müßten notwendige Bedürfnisse mehr Wert besitzen als Luxusartikel. Der einzig mögliche Weg, zu[506] einer einigermaßen objektiven, scheinbar allgemeinen Entscheidung über die größere oder geringere Brauchbarkeit einer Sache zu kommen, ist unter der Herrschaft des Privateigentums das Konkurrenzverhältnis, und das soll ja gerade beiseite gelassen werden. Ist aber das Konkurrenzverhältnis zugelassen, so kommen auch die Produktionskosten herein; denn niemand wird für weniger verkaufen, als er selbst bei der Produktion angelegt hat. Auch hier also geht die eine Seite des Gegensatzes wider Willen in die andere über.

Versuchen wir, Klarheit in diese Verwirrung zu bringen. Der Wert einer Sache schließt beide Faktoren ein, die von den streitenden Parteien mit Gewalt und, wie wir gesehen haben, ohne Erfolg getrennt werden. Der Wert ist das Verhältnis der Produktionskosten zur Brauchbarkeit. Die nächste Anwendung des Wertes ist die Entscheidung darüber, ob eine Sache überhaupt produziert werden soll, d.h., ob die Brauchbarkeit die Produktionskosten aufwiegt. Dann erst kann von der Anwendung des Wertes für den Tausch die Rede sein. Die Produktionskosten zweier Dinge gleichgesetzt, wird die Brauchbarkeit das entscheidende Moment sein, um ihren vergleichungsmäßigen Wert zu bestimmen.

Diese Basis ist die einzig gerechte Basis des Tausches. Geht man aber von derselben aus, wer soll über die Brauchbarkeit der Sache entscheiden? Die bloße Meinung der Beteiligten? So wird jedenfalls einer betrogen. Oder eine auf die inhärente Brauchbarkeit der Sache unabhängig von den beteiligten Parteien gegründete und ihnen nicht einleuchtende Bestimmung? So kann der Tausch nur durch Zwang zustande kommen, und jeder hält sich für betrogen. Man kann diesen Gegensatz zwischen der wirklichen inhärenten Brauchbarkeit der Sache und zwischen der Bestimmung dieser Brauchbarkeit, zwischen der Bestimmung der Brauchbarkeit und der Freiheit der Tauschenden nicht aufheben, ohne das Privateigentum aufzuheben; und sobald dies aufgehoben ist, kann von einem Tausch, wie er jetzt existiert, nicht mehr die Rede sein. Die praktische Anwendung des Wertbegriffs wird sich dann immer mehr auf die Entscheidung über die Produktion beschränken, und da ist seine eigentliche Sphäre.

Wie aber stehen die Sachen jetzt? Wir haben gesehen, wie der Wertbegriff gewaltsam zerrissen ist und die einzelnen Seiten jede für das Ganze ausgeschrieen werden. Die Produktionskosten, durch die Konkurrenz von vornherein verdreht, sollen für den Wert selbst gelten; ebenso die bloß subjektive Brauchbarkeit – denn eine andere kann es jetzt nicht geben. – Um diesen lahmen Definitionen auf die Beine zu helfen, muß in beiden Fällen die Konkurrenz in Anspruch genommen werden; und das beste ist, daß bei den Engländern die Konkurrenz, gegenüber den Produktionskosten, die[507] Brauchbarkeit vertritt, während sie umgekehrt bei Say, der Brauchbarkeit gegenüber, die Produktionskosten hereinbringt. Aber was für eine Brauchbarkeit, was für Produktionskosten bringt sie herein! Ihre Brauchbarkeit hängt vom Zufall, von der Mode, von der Laune der Reichen ab, ihre Produktionskosten gehen auf und ab mit dem zufälligen Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr.

Dem Unterschiede zwischen Realwert und Tauschwert liegt eine Tatsache zum Grunde – nämlich daß der Wert einer Sache verschieden ist von dem im Handel für sie gegebenen sogenannten Äquivalent, d.h., daß dies Äquivalent kein Äquivalent ist. Dies sogenannte Äquivalent ist der Preis der Sache, und wäre der Ökonom ehrlich, so würde er dies Wort für den »Handelswert« gebrauchen. Aber er muß doch immer noch eine Spur von Schein behalten, daß der Preis mit dem Werte irgendwie zusammenhänge, damit nicht die Unsittlichkeit des Handels zu klar ans Licht komme. Daß aber der Preis durch die Wechselwirkung der Produktionskosten und der Konkurrenz bestimmt wird, das ist ganz richtig und ein Hauptgesetz des Privateigentums. Dies war das erste, was der Ökonom fand, dies rein empirische Gesetz; und hiervon abstrahierte er dann seinen Realwert, d.h. den Preis zu der Zeit, wenn das Konkurrenzverhältnis sich balanciert, wenn Nachfrage und Zufuhr sich decken – dann bleiben natürlich die Produktionskosten übrig, und das nennt dann der Ökonom Realwert, während es nur eine Bestimmtheit des Preises ist. So steht aber alles in der Ökonomie auf dem Kopf; der Wert, der das Ursprüngliche, die Quelle des Preises ist, wird von diesem, seinem eigenen Produkt, abhängig gemacht. Bekanntlich ist diese Umkehrung das Wesen der Abstraktion, worüber Feuerbach zu vergleichen.


Nach dem Ökonomen bestehen die Produktionskosten einer Ware aus drei Elementen: dem Grundzins für das nötige Stück Land, um das rohe Material zu produzieren, dem Kapital mit dem Gewinn darauf und dem Lohn für die Arbeit, die zur Produktion und Verarbeitung erforderlich waren. Es zeigt sich aber sogleich, daß Kapital und Arbeit identisch sind, da die Ökonomen selbst gestehen, Kapital sei »aufgespeicherte Arbeit«. So bleiben uns also nur zwei Seiten übrig, die natürliche, objektive, der Boden, und die menschliche, subjektive, die Arbeit, die das Kapital einschließt – und außer dem Kapital noch ein Drittes, woran der Ökonom nicht denkt, ich meine das geistige Element der Erfindung, des Gedankens, neben dem physischen der bloßen Arbeit. Was hat der Ökonom mit dem Erfindungsgeist zu schaffen? Sind ihm nicht alle Erfindungen ohne sein Zutun zugeflogen[508] gekommen? Hat ihrer eine ihm etwas gekostet? Was also hat er bei der Berechnung seiner Produktionskosten sich darum zu kümmern? Ihm sind Land, Kapital, Arbeit die Bedingungen des Reichtums, und weiter braucht er nichts. Die Wissenschaft geht ihn nichts an. Ob sie ihm durch Berthollet, Davy, Liebig, Watt, Cartwright usw. Geschenke gemacht hat, die ihn und seine Produktion unendlich gehoben haben – was liegt ihm daran? Dergleichen weiß er nicht zu berechnen; die Fortschritte der Wissenschaft gehen über seine Zahlen hinaus. Aber für einen vernünftigen Zustand, der über die Teilung der Interessen, wie sie beim Ökonomen stattfindet, hinaus ist, gehört das geistige Element allerdings mit zu den Elementen der Produktion und wird auch in der Ökonomie seine Stelle unter den Produktionskosten finden. Und da ist es allerdings befriedigend, zu wissen, wie die Pflege der Wissenschaft sich auch materiell belohnt, zu wissen, daß eine einzige Frucht der Wissenschaft, wie James Watts Dampfmaschine, in den ersten fünfzig Jahren ihrer Existenz der Welt mehr eingetragen hat, als die Welt von Anfang an für die Pflege der Wissenschaft ausgegeben.

Wir haben also zwei Elemente der Produktion, die Natur und den Menschen, und den letzteren wieder physisch und geistig, in Tätigkeit und können nun zum Ökonomen und seinen Produktionskosten zurückkehren.


Alles, was nicht monopolisiert werden kann, hat keinen Wert, sagt der Ökonom – ein Satz, den wir später näher untersuchen werden. Wenn wir sagen, hat keinen Preis, so ist der Satz richtig für den auf dem Privateigentum beruhenden Zustand. Wäre der Boden so leicht zu haben wie die Luft, so würde kein Mensch Grundzins bezahlen. Da dem nicht so ist, sondern die Ausdehnung des in einem speziellen Fall in Beschlag kommenden Bodens beschränkt ist, so bezahlt man Grundzins für den in Beschlag genommenen, das heißt monopolisierten Boden, oder erlegt einen Kaufpreis dafür. Es ist aber sehr befremdlich, nach dieser Auskunft über die Entstehung des Grundwerts vom Ökonomen hören zu müssen, daß Grundzins der Unterschied zwischen dem Ertrage des Zins bezahlenden und des schlechtesten, die Mühe der Bebauung lohnenden Grundstückes sei. Dies ist bekanntlich die von Ricardo zuerst vollständig entwickelte Definition des Grundzinses. Diese Definition ist zwar praktisch richtig, wenn man voraussetzt, daß ein Fall der Nachfrage augenblicklich auf den Grundzins reagiert und sogleich eine entsprechende Quantität des schlechtesten bebauten Landes außer Bearbeitung setzte. Allein dies ist nicht der Fall, die Definition ist darum unzureichend; zudem schließt sie die Kausation des Grundzinses nicht ein und muß schon[509] deshalb fallen. Oberst T. P. Thompson, der Antikorngesetz-Leaguer, erneuerte im Gegensatz zu dieser Definition die Adam Smithsche und begründete sie. Nach ihm ist der Grundzins das Verhältnis zwischen der Konkurrenz der sich um den Gebrauch des Bodens Bewerbenden und der beschränkten Quantität des disponiblen Bodens. Hier ist wenigstens eine Rückkehr zur Entstehung des Grundzinses; aber diese Erklärung schließt die verschiedene Fruchtbarkeit des Bodens aus, wie die obige die Konkurrenz ausläßt.

Wir haben also wieder zwei einseitige und deswegen halbe Definitionen für einen Gegenstand. Wir werden, wie beim Wertbegriffe, wiederum diese beiden Bestimmungen zusammenzufassen haben, um die richtige, aus der Entwickelung der Sache folgende und darum alle Praxis umfassende Bestimmung zu finden. Der Grundzins ist das Verhältnis zwischen der Ertragsfähigkeit des Bodens, der natürlichen Seite (die wiederum aus der natürlichen Anlage und der menschlichen Bebauung, der zur Verbesserung angewandten Arbeit besteht) – und der menschlichen Seite, der Konkurrenz. Die Ökonomen mögen über diese »Definition« ihre Köpfe schütteln; sie werden zu ihrem Schrecken sehen, daß sie alles einschließt, was auf die Sache Bezug hat.

Der Grundbesitzer hat dem Kaufmanne nichts vorzuwerfen.

Er raubt, indem er den Boden monopolisiert. Er raubt, indem er die Steigerung der Bevölkerung, welche die Konkurrenz und damit den Wert seines Grundstücks steigert, für sich ausbeutet, indem er zur Quelle seines persönlichen Vorteils macht, was nicht durch sein persönliches Tun zustande gekommen, was ihm rein zufällig ist. Er raubt, wenn er verpachtet, indem er die von seinem Pächter angelegten Verbesserungen zuletzt wieder an sich reißt. Dies ist das Geheimnis des stets steigenden Reichtums der großen Grundbesitzer.

Die Axiome, welche die Erwerbsart des Grundbesitzers als Raub qualifizieren, nämlich daß jeder ein Recht auf das Produkt seiner Arbeit hat, oder daß keiner ernten soll, wo er nicht gesät hat, sind nicht unsre Behauptung. Der erste schließt die Pflicht der Ernährung der Kinder, der zweite schließt jede Generation vom Recht der Existenz aus, indem jede Generation den Nachlaß der vorangehenden Generation antritt. Diese Axiome sind vielmehr Konsequenzen des Privateigentums. Entweder führe man seine Konsequenzen aus, oder man gebe es als Prämisse auf.

Ja, die ursprüngliche Appropriation selbst wird durch die Behauptung des noch frühern gemeinsamen Besitzrechtes gerechtfertigt. Wohin wir uns also wenden, das Privateigentum führt uns auf Widersprüche.

Es war der letzte Schritt zur Selbstverschacherung, die Erde zu verschachern,[510] die unser Eins und Alles, die erste Bedingung unsrer Existenz ist; es war und ist bis auf den heutigen Tag eine Unsittlichkeit, die nur von der Unsittlichkeit der Selbstveräußerung übertroffen wird. Und die ursprüngliche Appropriation, die Monopolisierung der Erde durch eine kleine Anzahl, die Ausschließung der übrigen von der Bedingung ihres Lebens, gibt der spätern Verschacherung des Bodens an Unsittlichkeit nichts nach.

Lassen wir hier wieder das Privateigentum fallen, so reduziert sich der Grundzins auf seine Wahrheit, auf die vernünftige Anschauung, die ihm wesentlich zugrunde liegt. Der als Grundzins vom Boden getrennte Wert desselben fällt alsdann in den Boden selbst zurück. Dieser Wert, der zu messen ist durch die Produktionsfähigkeit gleicher Flächen bei gleicher darauf verwendeter Arbeit, kömmt allerdings als Teil der Produktionskosten bei der Wertbestimmung der Produkte in Anschlag und ist wie der Grundzins das Verhältnis der Produktionsfähigkeit zur Konkurrenz, aber zur wahren Konkurrenz, wie sie ihrer Zeit entwickelt werden wird.


Wir haben gesehen, wie Kapital und Arbeit ursprünglich identisch sind; wir sehen ferner aus den Entwicklungen des Ökonomen selbst, wie das Kapital, das Resultat der Arbeit, im Prozesse der Produktion sogleich wieder zum Substrat, zum Material der Arbeit gemacht, wie also die für einen Augenblick gesetzte Trennung des Kapitals von der Arbeit sogleich wieder in die Einheit beider aufgehoben wird; und doch trennt der Ökonom das Kapital von der Arbeit, doch hält er die Entzweiung fest, ohne die Einheit daneben anders als durch die Definition des Kapitals: »aufgespeicherte Arbeit« anzuerkennen. Die aus dem Privateigentum folgende Spaltung zwischen Kapital und Arbeit ist nichts als die diesem entzweiten Zustande entsprechende und aus ihm hervorgehende Entzweiung der Arbeit in sich selbst. Und nachdem diese Trennung bewerkstelligt, teilt sich das Kapital nochmals in das ursprüngliche Kapital und in den Gewinn, den Zuwachs des Kapitals, den es im Prozesse der Produktion empfängt, obwohl die Praxis selbst diesen Gewinn sogleich wieder zum Kapital schlägt und mit diesem in Fluß setzt. Ja, selbst der Gewinn wird wieder in Zinsen und eigentlichen Gewinn gespalten. In den Zinsen ist die Unvernünftigkeit dieser Spaltungen auf die Spitze getrieben. Die Unsittlichkeit des Zinsenverleihens, des Empfangens ohne Arbeit, für das bloße Borgen, ist, obwohl schon im Privateigentum liegend, doch zu augenscheinlich und vom unbefangenen Volksbewußtsein, das in diesen Dingen meistens recht hat, längst erkannt. Alle diese feinen Spaltungen und Divisionen entstehen aus der ursprünglichen Trennung des[511] Kapitals von der Arbeit und der Vollendung dieser Trennung in der Spaltung der Menschheit in Kapitalisten und Arbeiter, einer Spaltung, die alle Tage schärfer und schärfer ausgebildet wird und die sich, wie wir sehen werden, immer steigern muß. Diese Trennung, wie die schon betrachtete Trennung des Bodens von Kapital und Arbeit, ist aber in letzter Instanz eine unmögliche. Es ist durchaus nicht zu bestimmen, wieviel der Anteil des Bodens, des Kapitals und der Arbeit an einem bestimmten Erzeugnisse betrage. Die drei Größen sind inkommensurabel. Der Boden schafft das rohe Material, aber nicht ohne Kapital und Arbeit, das Kapital setzt Boden und Arbeit voraus, und die Arbeit setzt wenigstens den Boden, meistens auch Kapital voraus. Die Verrichtungen der drei sind ganz verschiedenartig und nicht in einem vierten gemeinsamen Maße zu messen. Wenn es also bei den jetzigen Verhältnissen zur Verteilung des Ertrags unter die drei Elemente kommt, so gibt es kein ihnen inhärentes Maß, sondern ein ganz fremdes, ihnen zufälliges Maß entscheidet: die Konkurrenz oder das raffinierte Recht des Stärkeren. Der Grundzins impliziert die Konkurrenz, der Gewinn auf Kapital wird einzig durch die Konkurrenz bestimmt, und wie es mit dem Arbeitslohn aussieht, werden wir gleich sehen.

Wenn wir das Privateigentum fallenlassen, so fallen alle diese unnatürlichen Spaltungen. Der Unterschied von Zinsen und Gewinn fällt; Kapital ist nichts ohne Arbeit, ohne Bewegung. Der Gewinn reduziert seine Bedeutung auf das Gewicht, das bei der Bestimmung der Produktionskosten das Kapital in die Waage legt, und bleibt so dem Kapital inhärent, wie dies selbst in seine ursprüngliche Einheit mit der Arbeit zurückfällt.


Die Arbeit, die Hauptsache bei der Produktion, die »Quelle des Reichtums«, die freie menschliche Tätigkeit, kommt bei dem Ökonomen schlecht weg. Wie das Kapital schon von der Arbeit getrennt wurde, so wird jetzt wieder die Arbeit zum zweitenmal gespalten; das Produkt der Arbeit steht ihr als Lohn gegenüber, ist von ihr getrennt und wird wieder, wie gewöhnlich, durch die Konkurrenz bestimmt, da es für den Anteil der Arbeit an der Produktion, wie wir gesehen haben, kein festes Maß gibt. Heben wir das Privateigentum auf, so fällt auch diese unnatürliche Trennung, die Arbeit ist ihr eigner Lohn, und die wahre Bedeutung des früher veräußerten Arbeitslohnes kommt an den Tag: die Bedeutung der Arbeit für die Bestimmung der Produktionskosten einer Sache.[512]

Wir haben gesehen, daß am Ende alles auf die Konkurrenz hinausläuft, solange das Privateigentum besteht. Sie ist die Hauptkategorie des Ökonomen, seine liebste Tochter, die er in einem fort hätschelt und liebkost – und gebt acht, was für ein Medusengesicht da herauskommen wird.

Die nächste Folge des Privateigentums war die Spaltung der Produktion in zwei entgegengesetzte Seiten, die natürliche und die menschliche; den Boden, der ohne die Befruchtung des Menschen tot und steril ist, und die menschliche Tätigkeit, deren erste Bedingung eben der Boden ist. Wir sahen ferner, wie sich die menschliche Tätigkeit wieder in die Arbeit und das Kapital auflöste und wie diese Seiten sich wieder feindselig gegenübertraten. Wir hatten also schon den Kampf der drei Elemente gegeneinander, anstatt der gegenseitigen Unterstützung der drei; jetzt kommt noch dazu, daß das Privateigentum die Zersplitterung jedes dieser Elemente mit sich bringt. Ein Grundstück steht dem andern, ein Kapital dem andern, eine Arbeitskraft der andern gegenüber. Mit andern Worten: Weil das Privateigentum jeden auf seine eigne rohe Einzelnheit isoliert und weil jeder dennoch dasselbe Interesse hat wie sein Nachbar, so steht ein Grundbesitzer dem andern, ein Kapitalist dem andern, ein Arbeiter dem andern feindselig gegenüber. In dieser Verfeindung der gleichen Interessen eben um ihrer Gleichheit willen ist die Unsittlichkeit des bisherigen Zustandes der Menschheit vollendet; und diese Vollendung ist die Konkurrenz.


Der Gegensatz der Konkurrenz ist das Monopol. Das Monopol war das Feldgeschrei der Merkantilisten, die Konkurrenz der Schlachtruf der liberalen Ökonomen. Es ist leicht einzusehen, daß dieser Gegensatz wieder ein durchaus hohler ist. Jeder Konkurrierende muß wünschen, das Monopol zu haben, mag er Arbeiter, Kapitalist oder Grundbesitzer sein. Jede kleinere Gesamtheit von Konkurrenten muß wünschen, das Monopol für sich gegen alle andern zu haben. Die Konkurrenz beruht auf dem Interesse, und das Interesse erzeugt wieder das Monopol; kurz, die Konkurrenz geht in das Monopol über. Auf der andern Seite kann das Monopol den Strom der Konkurrenz nicht aufhalten, ja es erzeugt die Konkurrenz selbst, wie z.B. ein Einfuhrverbot oder hohe Zölle die Konkurrenz des Schmuggelns geradezu erzeugen. – Der Widerspruch der Konkurrenz ist ganz derselbe wie der des Privateigentums selbst. Es liegt im Interesse jedes einzelnen, alles zu besitzen, aber im Interesse der Gesamtheit, daß jeder gleich viel besitze. So ist also das allgemeine und individuelle Interesse diametral entgegengesetzt. Der Widerspruch der Konkurrenz ist: daß jeder sich das Monopol wünschen[513] muß, während die Gesamtheit als solche durch das Monopol verlieren und es also entfernen muß. Ja, die Konkurrenz setzt das Monopol schon voraus, nämlich das Monopol des Eigentums – und hier tritt wieder die Heuchelei der Liberalen an den Tag – und solange das Monopol des Eigentums besteht, solange ist das Eigentum des Monopols gleichberechtigt; denn auch das einmal gegebene Monopol ist Eigentum. Welche jämmerliche Halbheit ist es also, die kleinen Monopole anzugreifen und das Grundmonopol bestehen zu lassen. Und wenn wir hierzu noch den früher erwähnten Satz des Ökonomen ziehen, daß nichts Wert hat, was nicht monopolisiert werden kann, daß also nichts, was nicht diese Monopolisierung zuläßt, in diesen Kampf der Konkurrenz eintreten kann, so ist unsere Behauptung, daß die Konkurrenz das Monopol voraussetzt, vollkommen gerechtfertigt.


Das Gesetz der Konkurrenz ist, daß Nachfrage und Zufuhr sich stets und ebendeshalb nie ergänzen. Die beiden Seiten sind wieder auseinandergerissen und in den schroffen Gegensatz verwandelt. Die Zufuhr ist immer gleich hinter der Nachfrage, aber kommt nie dazu, sie genau zu decken; sie ist entweder zu groß oder zu klein, nie der Nachfrage entsprechend, weil in diesem bewußtlosen Zustande der Menschheit kein Mensch weiß, wie groß diese oder jene ist. Ist die Nachfrage größer als die Zufuhr, so steigt der Preis, und dadurch wird die Zufuhr gleichsam irritiert; sowie sie sich im Markte zeigt, fallen die Preise, und wenn sie größer wird als jene, so wird der Fall der Preise so bedeutend, daß die Nachfrage dadurch wieder aufgereizt wird. So geht es in einem fort, nie ein gesunder Zustand, sondern eine stete Abwechslung von Irritation und Erschlaffung, die allen Fortschritt ausschließt, ein ewiges Schwanken, ohne je zum Ziel zu kommen. Dies Gesetz mit seiner steten Ausgleichung, wo, was hier verloren, dort wieder gewonnen wird, findet der Ökonom wunderschön. Es ist sein Hauptruhm, er kann sich nicht satt daran sehen und betrachtet es unter allen möglichen und unmöglichen Verhältnissen. Und doch liegt auf der Hand, daß dies Gesetz ein reines Naturgesetz, kein Gesetz des Geistes ist. Ein Gesetz, das die Revolution erzeugt. Der Ökonom kommt mit seiner schönen Theorie von Nachfrage und Zufuhr heran, beweist euch, daß »nie zuviel produziert werden kann«, und die Praxis antwortet mit den Handelskrisen, die so regelmäßig wiederkehren wie die Kometen und deren wir jetzt durchschnittlich alle fünf bis sieben Jahre eine haben. Diese Handelskrisen sind seit achtzig Jahren ebenso regelmäßig gekommen wie früher die großen Seuchen – und haben mehr Elend, mehr Unsittlichkeit mit sich gebracht als diese (vgl. Wade, »Hist[ory] ot the Middle[514] and Working Classes«, London 1835, p. 211). Natürlich bestätigen diese Handelsrevolutionen das Gesetz, sie bestätigen es im vollsten Maße, aber in einer andern Weise, als der Ökonom uns glauben machen möchte. Was soll man von einem Gesetz denken, das sich nur durch periodische Revolutionen durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der Bewußtlosigkeit der Beteiligten beruht. Wüßten die Produzenten als solche, wieviel die Konsumenten bedürften, organisierten sie die Produktion, verteilten sie sie unter sich, so wäre die Schwankung der Konkurrenz und ihre Neigung zur Krisis unmöglich. Produziert mit Bewußtsein, als Menschen, nicht als zersplitterte Atome ohne Gattungsbewußtsein, und ihr seid über alle diese künstlichen und unhaltbaren Gegensätze hinaus. Solange ihr aber fortfahrt, auf die jetzige unbewußte, gedankenlose, der Herrschaft des Zufalls überlassene Art zu produzieren, solange bleiben die Handelskrisen; und jede folgende muß universeller, also schlimmer werden als die vorhergehende, muß eine größere Menge kleiner Kapitalisten verarmen und die Anzahl der bloß von der Arbeit lebenden Klasse in steigendem Verhältnisse vermehren – also die Masse der zu beschäftigenden Arbeit, das Hauptproblem unserer Ökonomen, zusehends vergrößern und endlich eine soziale Revolution herbeiführen, wie sie sich die Schulweisheit der Ökonomen nicht träumen läßt.

Die ewige Schwankung der Preise, wie sie durch das Konkurrenzverhältnis geschaffen wird, entzieht dem Handel vollends die letzte Spur von Sittlichkeit. Von Wert ist keine Rede mehr; dasselbe System, das auf den Wert soviel Gewicht zu legen scheint, das der Abstraktion des Wertes im Gelde die Ehre einer besondern Existenz gibt – dies selbe System zerstört durch die Konkurrenz allen inhärenten Wert und verändert das Wertverhältnis aller Dinge gegeneinander täglich und stündlich. Wo bleibt in diesem Strudel die Möglichkeit eines auf sittlicher Grundlage beruhenden Austausches? In diesem fortwährenden Auf und Ab muß jeder suchen, den günstigsten Augenblick zum Kauf und Verkauf zu treffen, jeder muß Spekulant werden, d.h. ernten, wo er nicht gesäet hat, durch den Verlust anderer sich bereichern, auf das Unglück andrer kalkulieren oder den Zufall für sich gewinnen lassen. Der Spekulant rechnet immer auf Unglücksfälle, besonders auf Mißernten, er benutzt alles, wie z.B. seinerzeit den Brand von New York, und der Kulminationspunkt der Unsittlichkeit ist die Börsenspekulation in Fonds, wodurch die Geschichte und in ihr die Menschheit zum Mittel herabgesetzt wird, um die Habgier des kalkulierenden oder hasardierenden Spekulanten zu befriedigen. Und möge sich der ehrliche, »solide« Kaufmann nicht pharisäisch über das Börsenspiel erheben – ich danke dir Gott usw. Er ist so schlimm wie die Fondsspekulanten, er spekuliert ebensosehr wie sie, er muß es, die[515] Konkurrenz zwingt ihn dazu, und sein Handel impliziert also dieselbe Unsittlichkeit wie der ihrige. Die Wahrheit des Konkurrenzverhältnisses ist das Verhältnis der Konsumtionskraft zur Produktionskraft. In einem der Menschheit würdigen Zustande wird es keine andre Konkurrenz als diese geben. Die Gemeinde wird zu berechnen haben, was sie mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln erzeugen kann, und nach dem Verhältnis dieser Produktionskraft zur Masse der Konsumenten bestimmen, inwieweit sie die Produktion zu steigern oder nachzulassen, inwieweit sie dem Luxus nachzugeben oder ihn zu beschränken hat. Um aber über dies Verhältnis und die von einem vernünftigen Zustande der Gemeinde zu erwartende Steigerung der Produktionskraft richtig zu urteilen, mögen meine Leser die Schriften der englischen Sozialisten und zum Teil auch Fouriers vergleichen.

Die subjektive Konkurrenz, der Wettstreit von Kapital gegen Kapital, Arbeit gegen Arbeit usw., wird sich unter diesen Umständen auf den in der menschlichen Natur begründeten und bis jetzt nur von Fourier erträglich entwickelten Wetteifer reduzieren, der nach der Aufhebung der entgegengesetzten Interessen auf seine eigentümliche und vernünftige Sphäre beschränkt wird.


Der Kampf von Kapital gegen Kapital, Arbeit gegen Arbeit, Boden gegen Boden treibt die Produktion in eine Fieberhitze hinein, in der sie alle natürlichen und vernünftigen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Kein Kapital kann die Konkurrenz des andern aushalten, wenn es nicht auf die höchste Stufe der Tätigkeit gebracht wird. Kein Grundstück kann mit Nutzen bebaut werden, wenn es nicht seine Produktionskraft stets steigert. Kein Arbeiter kann sich gegen seine Konkurrenten halten, wenn er nicht seine ganzen Kräfte der Arbeit widmet. Überhaupt keiner, der sich in den Kampf der Konkurrenz einläßt, kann ihn ohne die höchste Anstrengung seiner Kräfte, ohne die Aufgebung aller wahrhaft menschlichen Zwecke aushalten. Die Folge von dieser Überspannung auf der einen Seite ist notwendig Erschlaffung auf der andern. Wenn die Schwankung der Konkurrenz gering ist, wenn Nachfrage und Zufuhr, Konsumtion und Produktion sich beinahe gleich sind, so muß in der Entwicklung der Produktion eine Stufe eintreten, in der so viel überzählige Produktionskraft vorhanden ist, daß die große Masse der Nation nichts zu leben hat; daß die Leute vor lauter Überfluß verhungern. In dieser wahnsinnigen Stellung, in dieser lebendigen Absurdität befindet sich England schon seit geraumer Zeit. Schwankt die Produktion stärker, wie sie es infolge eines solchen Zustandes notwendig tut, so tritt die Abwechslung von Blüte[516] und Krisis, Überproduktion und Stockung ein. Der Ökonom hat sich diese verrückte Stellung nie erklären können; um sie zu erklären, erfand er die Bevölkerungstheorie, die ebenso unsinnig, ja noch unsinniger ist als dieser Widerspruch von Reichtum und Elend zu derselben Zeit. Der Ökonom durfte die Wahrheit nicht sehen; er durfte nicht einsehen, daß dieser Widerspruch eine einfache Folge der Konkurrenz ist, weil sonst sein ganzes System über den Haufen gefallen wäre.

Uns ist die Sache leicht zu erklären. Die der Menschheit zu Gebote stehende Produktionskraft ist unermeßlich. Die Ertragsfähigkeit des Bodens ist durch die Anwendung von Kapital, Arbeit und Wissenschaft ins Unendliche zu steigern. Das »übervölkerte« Großbritannien kann nach der Berechnung der tüchtigsten Ökonomen und Statistiker (vgl. Alisons »Principle of population«, Bd. 1, Cap. 1 et 2) in zehn Jahren dahin gebracht werden, daß es Korn genug für das Sechsfache seiner jetzigen Bevölkerung produziert. Das Kapital steigert sich täglich; die Arbeitskraft wächst mit der Bevölkerung, und die Wissenschaft unterwirft den Menschen die Naturkraft täglich mehr und mehr. Diese unermeßliche Produktionsfähigkeit, mit Bewußtsein und im Interesse aller gehandhabt, würde die der Menschheit zufallende Arbeit bald auf ein Minimum verringern; der Konkurrenz überlassen, tut sie dasselbe, aber innerhalb des Gegensatzes. Ein Teil des Landes wird aufs beste kultiviert, während ein andrer – in Großbritannien und Irland 30 Millionen Acres gutes Land – wüst daliegt. Ein Teil des Kapitals zirkuliert mit ungeheurer Schnelligkeit, ein andrer liegt tot im Kasten. Ein Teil der Arbeiter arbeitet vierzehn, sechzehn Stunden des Tages, während ein anderer faul und untätig dasteht und verhungert. Oder die Verteilung tritt aus dieser Gleichzeitigkeit heraus: Heute geht der Handel gut, die Nachfrage ist sehr bedeutend, da arbeitet alles, das Kapital wird mit wunderbarer Schnelligkeit umgeschlagen, der Ackerbau blüht, die Arbeiter arbeiten sich krank – morgen tritt eine Stockung ein, der Ackerbau lohnt nicht der Mühe, ganze Strecken Landes bleiben unbebaut, das Kapital erstarrt mitten im Flusse, die Arbeiter haben keine Beschäftigung, und das ganze Land laboriert an überflüssigem Reichtum und überflüssiger Bevölkerung.

Diese Entwickelung der Sache darf der Ökonom nicht für die richtige erkennen; er müßte sonst, wie gesagt, sein ganzes Konkurrenzsystem aufgeben; er müßte die Hohlheit seines Gegensatzes von Produktion und Konsumtion, von überflüssiger Bevölkerung und überflüssigem Reichtum einsehen. Um aber, da das Faktum einmal nicht zu leugnen war, dies Faktum mit der Theorie ins gleiche zu bringen, wurde die Bevölkerungstheorie erfunden.[517]

Malthus, der Urheber dieser Doktrin, behauptet, daß die Bevölkerung stets auf die Subsistenzmittel drückt, daß, sowie die Produktion gesteigert wird, die Bevölkerung sich in demselben Verhältnis vermehrt und daß die der Bevölkerung inhärente Tendenz, sich über die disponiblen Subsistenzmittel hinaus zu vermehren, die Ursache alles Elends, alles Lasters ist. Denn wenn zuviel Menschen da sind, so müssen sie auf die eine oder die andre Weise aus dem Wege geschafft, entweder gewaltsam getötet werden oder verhungern. Wenn dies aber geschehen ist, so ist wieder eine Lücke da, die sogleich wieder durch andre Vermehrer der Bevölkerung ausgefüllt wird, und so fängt das alte Elend wieder an. Ja, dies ist unter allen Verhältnissen so, nicht nur im zivilisierten, sondern auch im Naturzustande; die Wilden Neuhollands, deren einer auf die Quadratmeile kommt, laborieren ebensosehr an Übervölkerung wie England. Kurz, wenn wir konsequent sein wollen, so müssen wir gestehen, daß die Erde schon übervölkert war, als nur ein Mensch existierte. Die Folgen dieser Entwicklung sind nun, daß, da die Armen gerade die Überzähligen sind, man nichts für sie tun soll, als ihnen das Verhungern so leicht als möglich zu machen, sie zu überzeugen, daß es sich nicht ändern läßt und daß für ihre ganze Klasse keine Rettung da ist als in einer möglichst geringen Fortpflanzung, oder wenn dies nicht geht, so ist es noch immer besser, daß eine Staatsanstalt zur schmerzlosen Tötung der Kinder der Armen, wie sie »Marcus« vorgeschlagen hat, eingerichtet wird – wonach auf jede Arbeiterfamilie zweiundeinhalbes Kind kommen dürfen; was aber mehr kommt, schmerzlos getötet wird. Almosengeben wäre ein Verbrechen, da es den Zuwuchs der überzähligen Bevölkerung unterstützt; aber sehr vorteilhaft wird es sein, wenn man die Armut zu einem Verbrechen und die Armenhäuser zu Strafanstalten macht, wie dies bereits in England durch das »liberale« neue Armengesetz geschehen ist. Es ist zwar wahr, diese Theorie stimmt sehr schlecht mit der Lehre der Bibel von der Vollkommenheit Gottes und seiner Schöpfung, aber »es ist eine schlechte Widerlegung, wenn man die Bibel gegen Tatsachen ins Feld führt«!

Soll ich diese infame, niederträchtige Doktrin, diese scheußliche Blasphemie gegen die Natur und Menschheit noch mehr ausführen, noch weiter in ihre Konsequenzen verfolgen? Hier haben wir endlich die Unsittlichkeit des Ökonomen auf ihre höchste Spitze gebracht. Was sind alle Kriege und Schrecken des Monopolsystems gegen diese Theorie? Und gerade sie ist der Schlußstein des liberalen Systems der Handelsfreiheit, dessen Sturz den des ganzen Gebäudes nach sich zieht. Denn ist die Konkurrenz hier als die Ursache des Elends, der Armut, des Verbrechens nachgewiesen, wer will ihr dann noch das Wort zu reden wagen?[518]

Alison hat die Malthussche Theorie in seinem oben zitierten Werk erschüttert, indem er an die Produktionskraft der Erde appellierte und dem Malthusschen Prinzip die Tatsache entgegensetzte, daß jeder erwachsene Mensch mehr produzieren kann, als er selbst gebraucht, eine Tatsache, ohne die die Menschheit sich nicht vermehren, ja nicht einmal bestehen könnte; wovon sonst sollten die Heranwachsenden leben? Aber Alison geht nicht auf den Grund der Sache und kommt daher zuletzt wieder zu demselben Resultate wie Malthus. Er beweist zwar, daß Malthus' Prinzip unrichtig ist, kann aber die Tatsachen nicht wegleugnen, die diesen zu seinem Prinzip getrieben haben.

Hätte Malthus die Sache nicht so einseitig betrachtet, so müßte er gesehen haben, daß die überzählige Bevölkerung oder Arbeitskraft stets mit überzähligem Reichtum, überzähligem Kapital und überzähligem Grundbesitz verknüpft ist. Die Bevölkerung ist nur da zu groß, wo die Produktionskraft überhaupt zu groß ist. Der Zustand jedes übervölkerten Landes, namentlich Englands, von der Zeit an, wo Malthus schrieb, zeigt dies aufs deutlichste. Dies waren die Tatsachen, die Malthus in ihrer Gesamtheit zu betrachten hatte und deren Betrachtung zum richtigen Resultate führen mußte; statt dessen griff er eine heraus, ließ die andern unberücksichtigt und kam daher zu seinem wahnsinnigen Resultate. Der zweite Fehler, den er beging, war die Verwechslung von Subsistenzmitteln und Beschäftigung. Daß die Bevölkerung stets auf die Mittel der Beschäftigung drückt, daß soviel Menschen beschäftigt werden können, soviel auch erzeugt werden, kurz, daß die Erzeugung der Arbeitskraft bisher durch das Gesetz der Konkurrenz reguliert worden und daher auch den periodischen Krisen und Schwankungen ausgesetzt gewesen ist, das ist eine Tatsache, deren Feststellung Malthus' Verdienst ist. Aber die Mittel der Beschäftigung sind nicht die Mittel der Subsistenz. Die Mittel der Beschäftigung werden durch die Vermehrung der Maschinenkraft und des Kapitals nur in ihrem Endresultate vermehrt; die Mittel der Subsistenz vermehren sich, sobald die Produktionskraft überhaupt um etwas vermehrt wird. Hier kommt ein neuer Widerspruch der Ökonomie an den Tag. Die Nachfrage des Ökonomen ist nicht die wirkliche Nachfrage, seine Konsumtion ist eine künstliche. Dem Ökonomen ist nur der ein wirklich Fragender, ein wirklicher Konsument, der für das, was er empfängt, ein Äquivalent zu bieten hat. Wenn es aber eine Tatsache ist, daß jeder Erwachsene mehr produziert als er selbst verzehren kann, daß Kinder wie Bäume sind, die die auf sie verwandte Auslage überreichlich wiedererstatten – und das sind doch wohl Tatsachen? –, so sollte man meinen, jeder Arbeiter müßte weit mehr erzeugen können, als er braucht, und die Gemeinde müßte ihn daher gern mit allem[519] versorgen wollen, was er nötig hat, so sollte man meinen, eine große Familie müßte der Gemeinde ein sehr wünschenswertes Geschenk sein. Aber der Ökonome in der Roheit seiner Anschauung kennt kein andres Äquivalent, als das ihm in handgreiflichem barem Gelde ausgezahlt wird. Er sitzt so fest in seinen Gegensätzen, daß die schlagendsten Tatsachen ihn eben sowenig kümmern wie die wissenschaftlichsten Prinzipien.

Wir vernichten den Widerspruch einfach dadurch, daß wir ihn aufheben. Mit der Verschmelzung der jetzt entgegengesetzten Interessen verschwindet der Gegensatz zwischen Übervölkerung hier und Überreichtum dort, verschwindet das wunderbare Faktum, wunderbarer als alle Wunder aller Religionen zusammen, daß eine Nation vor eitel Reichtum und Überfluß verhungern muß; verschwindet die wahnsinnige Behauptung, daß die Erde nicht die Kraft habe, die Menschen zu ernähren. Diese Behauptung ist die höchste Spitze der christlichen Ökonomie – und daß unsre Ökonomie wesentlich christlich ist, hätte ich bei jedem Satz, bei jeder Kategorie beweisen können und werde es seinerzeit auch tun; die Malthussche Theorie ist nur der ökonomische Ausdruck für das religiöse Dogma von dem Widerspruch des Geistes und der Natur und der daraus folgenden Verdorbenheit beider. Diesen Widerspruch, der für die Religion und mit ihr längst aufgelöst ist, hoffe ich auch auf dem ökonomischen Gebiet in seiner Nichtigkeit aufgewiesen zu haben; ich werde übrigens keine Verteidigung der Malthusschen Theorie für kompetent annehmen, die mir nicht vorher aus ihrem eignen Prinzip heraus erklärt, wie ein Volk von lauter Überfluß verhungern kann, und dies mit der Vernunft und den Tatsachen in Einklang bringt.

Die Malthussche Theorie ist übrigens ein durchaus notwendiger Durchgangspunkt gewesen, der uns unendlich weitergebracht hat. Wir sind durch sie, wie überhaupt durch die Ökonomie, auf die Produktionskraft der Erde und der Menschheit aufmerksam geworden und nach der Überwindung dieser ökonomischen Verzweiflung vor der Furcht der Übervölkerung für immer gesichert. Wir ziehen aus ihr die stärksten ökonomischen Argumente für eine soziale Umgestaltung; denn selbst wenn Malthus durchaus recht hätte, so müßte man diese Umgestaltung auf der Stelle vornehmen, weil nur sie, nur die durch sie zu gebende Bildung der Massen diejenige moralische Beschränkung des Fortpflanzungstriebes möglich macht, die Malthus selbst als das wirksamste und leichteste Gegenmittel gegen Übervölkerung darstellt. Wir haben durch sie die tiefste Erniedrigung der Menschheit, ihre Abhängigkeit vom Konkurrenzverhältnisse kennengelernt; sie hat uns gezeigt, wie in letzter Instanz das Privateigentum den Menschen zu einer Ware gemacht hat, deren Erzeugung und Vernichtung auch nur von der Nachtrage abhängt; wie das[520] System der Konkurrenz dadurch Millionen von Menschen geschlachtet hat und täglich schlachtet; das alles haben wir gesehen, und das alles treibt uns zur Aufhebung dieser Erniedrigung der Menschheit durch die Aufhebung des Privateigentums, der Konkurrenz und der entgegengesetzten Interessen.

Kommen wir indes, um der allgemeinen Übervölkerungsfurcht alle Basis zu nehmen, noch einmal auf das Verhältnis der Produktionskraft zur Bevölkerung zurück. Malthus stellt eine Berechnung auf, worauf er sein ganzes System basiert. Die Bevölkerung vermehre sich in geometrischer Progression: 1 + 2 + 4 + 8 + 16 + 32 usw., die Produktionskraft des Bodens in arithmetischer: 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6. Die Differenz ist augenscheinlich, ist schreckenerregend; aber ist sie richtig? Wo steht erwiesen, daß die Ertragsfähigkeit des Bodens sich in arithmetischer Progression vermehre? Die Ausdehnung des Bodens ist beschränkt, gut. Die auf diese Fläche zu verwendende Arbeitskraft steigt mit der Bevölkerung; nehmen wir selbst an, daß die Vermehrung des Ertrags durch Vermehrung der Arbeit nicht immer im Verhältnis der Arbeit steigt; so bleibt noch ein drittes Element, das dem Ökonomen freilich nie etwas gilt, die Wissenschaft, und deren Fortschritt ist so unendlich und wenigstens ebenso rasch als der der Bevölkerung. Welchen Fortschritt verdankt die Agrikultur dieses Jahrhunderts allein der Chemie, ja allein zwei Männern – Sir Humphrey Davy und Justus Liebig? Die Wissenschaft aber vermehrt sich mindestens wie die Bevölkerung; diese vermehrt sich im Verhältnis zur Anzahl der letzten Generation; die Wissenschaft schreitet fort im Verhältnis zu der Masse der Erkenntnis, die ihr von der vorhergehenden Generation hinterlassen wurde, also unter den allergewöhnlichsten Verhältnissen auch in geometrischer Progression – und was ist der Wissenschaft unmöglich? Es ist aber lächerlich, von Übervölkerung zu reden, solange »das Tal des Mississippi wüsten Boden genug besitzt, um die ganze Bevölkerung von Europa dorthin verpflanzen zu können«, solange überhaupt erst ein Drittel der Erde für bebaut angesehen werden und die Produktion dieses Drittels selbst durch die Anwendung jetzt schon bekannter Verbesserungen um das Sechsfache und mehr gesteigert werden kann.


Die Konkurrenz setzt also Kapital gegen Kapital, Arbeit gegen Arbeit, Grundbesitz gegen Grundbesitz, und ebenso jedes dieser Elemente gegen die beiden andern. Im Kampf siegt der Stärkere, und wir werden, um das Resultat dieses Kampfes vorauszusagen, die Stärke der Kämpfenden zu untersuchen haben. Zuerst sind Grundbesitzer und Kapital jedes stärker als die Arbeit, denn[521] der Arbeiter muß arbeiten, um zu leben, während der Grundbesitzer von seinen Renten und der Kapitalist von seinen Zinsen, im Notfalle von seinem Kapital oder dem kapitalisierten Grundbesitz leben kann. Die Folge davon ist, daß der Arbeit nur das Allernotdürftigste, die nackten Subsistenzmittel zufallen, während der größte Teil der Produkte sich zwischen dem Kapital und dem Grundbesitz verteilt. Der stärkere Arbeiter treibt ferner den schwächeren, das größere Kapital das geringere, der größere Grundbesitz den kleinen aus dem Markt. Die Praxis bestätigt diesen Schluß. Die Vorteile, die der größere Fabrikant und Kaufmann über den kleinen, der große Grundbesitzer über den Besitzer eines einzigen Morgens hat, sind bekannt. Die Folge hiervon ist, daß schon unter gewöhnlichen Verhältnissen das große Kapital und der große Grundbesitz das kleine Kapital und den kleinen Grundbesitz nach dem Recht des Stärkeren verschlingen – die Zentralisation des Besitzes, in Handels- und Agrikulturkrisen geht diese Zentralisation viel rascher vor sich. – Großer Besitz vermehrt sich überhaupt viel rascher als kleiner, weil von dem Ertrag ein viel geringerer Teil als Ausgaben des Besitzes in Abzug kommt. Diese Zentralisation des Besitzes ist ein dem Privateigentum ebenso immanentes Gesetz wie alle andern; die Mittelklassen müssen immer mehr verschwinden, bis die Welt in Millionäre und Paupers, in große Grundbesitzer und arme Taglöhner geteilt ist. Alle Gesetze, alle Teilung des Grundbesitzes, alle etwaige Zersplitterung des Kapitals hilft nichts – dies Resultat muß kommen und wird kommen, wenn nicht eine totale Umgestaltung der sozialen Verhältnisse, eine Verschmelzung der entgegengesetzten Interessen, eine Aufhebung des Privateigentums ihm zuvorkommt.

Die freie Konkurrenz, das Hauptstichwort unserer Tagesökonomen, ist eine Unmöglichkeit. Das Monopol hatte wenigstens die Absicht, wenn es sie auch nicht durchführen konnte, den Konsumenten vor Betrug zu schützen. Die Abschaffung des Monopols öffnet aber dem Betruge Tor und Tür. Ihr sagt, die Konkurrenz hat in sich selbst das Gegenmittel gegen den Betrug, keiner wird schlechte Sachen kaufen – d.h., jeder muß für jeden Artikel ein Kenner sein, und dies ist unmöglich – daher die Notwendigkeit des Monopols, die sich auch in vielen Artikeln zeigt. Die Apotheken usw. müssen ein Monopol haben. Und der wichtigste Artikel, das Geld, hat gerade das Monopol am meisten nötig. Das zirkulierende Medium hat jedesmal, sowie es aufhörte, Staatsmonopol zu sein, eine Handelskrisis produziert, und die englischen Ökonomen, unter andern Dr. Wade, geben die Notwendigkeit des Monopols hier auch zu. Aber das Monopol schützt auch nicht vor falschem Gelde. Man stelle sich auf welche Seite der Frage man wolle, die eine ist so schwierig wie die andere, das Monopol erzeugt die freie Konkurrenz und[522] diese wieder das Monopol; darum müssen beide fallen und diese Schwierigkeiten durch die Aufhebung des sie erzeugenden Prinzips gehoben werden.


Die Konkurrenz hat alle unsre Lebensverhältnisse durchdrungen und die gegenseitige Knechtschaft, in der die Menschen sich jetzt halten, vollendet. Die Konkurrenz ist die große Triebfeder, die unsre alt und schlaff werdende soziale Ordnung, oder vielmehr Unordnung, immer wieder zur Tätigkeit aufstachelt, aber bei jeder neuen Anstrengung auch einen Teil der sinkenden Kräfte verzehrt. Die Konkurrenz beherrscht den numerischen Fortschritt der Menschheit, sie beherrscht auch ihren sittlichen. Wer mit der Statistik des Verbrechens sich etwas bekannt gemacht hat, dem muß die eigentümliche Regelmäßigkeit aufgefallen sein, mit der das Verbrechen alljährlich fortschreitet, mit der gewisse Ursachen gewisse Verbrechen erzeugen. Die Ausdehnung des Fabriksystems hat überall eine Vermehrung der Verbrechen zur Folge. Man kann die Anzahl der Verhaftungen, Kriminalfälle, ja die Anzahl der Morde, der Einbrüche, der kleinen Diebstähle usw. für eine große Stadt oder einen Bezirk mit jedesmal zutreffender Genauigkeit alljährlich vorausbestimmen, wie dies in England oft genug geschehen ist. Diese Regelmäßigkeit beweist, daß auch das Verbrechen von der Konkurrenz regiert wird, daß die Gesellschaft eine Nachfrage nach Verbrechen erzeugt, der durch eine angemessene Zufuhr entsprochen wird, daß die Lücke, die durch die Verhaftung, Transportierung oder Hinrichtung einer Anzahl gemacht, sogleich durch andere wieder ausgefüllt wird, gerade wie jede Lücke in der Bevölkerung sogleich wieder durch neue Ankömmlinge ausgefüllt wird, mit andern Worten, daß das Verbrechen ebenso auf die Mittel der Bestrafung drückt wie die Völker auf die Mittel der Beschäftigung. Wie gerecht es unter diesen Umständen, abgesehen von allen andern, ist, Verbrecher zu bestrafen, überlasse ich dem Urteil meiner Leser. Mir kommt es hier bloß darauf an, die Ausdehnung der Konkurrenz auch auf das moralische Gebiet nachzuweisen und zu zeigen, zu welcher tiefen Degradation das Privateigentum den Menschen gebracht hat.


In dem Kampfe von Kapital und Boden gegen die Arbeit haben die beiden ersten Elemente noch einen besonderen Vorteil vor der Arbeit voraus – die Hülfe der Wissenschaft, denn auch diese ist unter den jetzigen Verhältnissen gegen die Arbeit gerichtet. Fast alle mechanischen Erfindungen z.B. sind durch den Mangel an Arbeitskraft veranlaßt worden, so besonders[523] Hargreaves', Cromptons und Arkwrights Baumwollspinnmaschinen. Die Arbeit ist nie sehr gesucht gewesen, ohne daß daraus eine Erfindung hervorging, die die Arbeitskraft bedeutend vermehrte, also die Nachfrage von der menschlichen Arbeit ablenkte. Die Geschichte Englands von 1770 bis jetzt ist ein fortlaufender Beweis dafür. Die letzte große Erfindung in der Baumwollspinnerei, die Selfacting Mule, wurde ganz allein durch die Frage nach Arbeit und den steigenden Lohn veranlaßt – sie verdoppelte die Maschinenarbeit und beschränkte dadurch die Handarbeit auf die Hälfte, warf die Hälfte der Arbeiter außer Beschäftigung und drückte dadurch den Lohn der andern auf die Hälfte herab; sie vernichtete eine Verschwörung der Arbeiter gegen die Fabrikanten und zerstörte den letzten Rest von Kraft, mit dem die Arbeit noch den ungleichen Kampf gegen das Kapital ausgehalten hatte (vgl. Dr. Ure, »Philosophy of Manufactures«, Bd. 2). Der Ökonom sagt nun zwar, daß im Endresultate die Maschinerie günstig für die Arbeiter sei, indem sie die Produktion billiger mache und dadurch einen neuen größeren Markt für ihre Produkte schaffe und so zuletzt die außer Arbeit gesetzten Arbeiter doch wieder beschäftige. Ganz richtig; aber vergißt der Ökonom denn hier, daß die Erzeugung der Arbeitskraft durch die Konkurrenz reguliert wird, daß die Arbeitskraft stets auf die Mittel der Beschäftigung drückt, daß also, wenn diese Vorteile eintreten sollen, bereits wieder eine Überzahl von Konkurrenten für Arbeit darauf wartet und dadurch diesen Vorteil illusorisch machen wird, während der Nachteil, die plötzliche Wegnahme der Subsistenzmittel für die eine und der Fall des Lohns für die andere Hälfte der Arbeiter, nicht illusorisch ist? Vergißt der Ökonom, daß der Fortschritt der Erfindung nie stockt, daß also dieser Nachteil sich verewigt? Vergißt er, daß bei der durch unsere Zivilisation so unendlich gesteigerten Teilung der Arbeit ein Arbeiter nur dann leben kann, wenn er an dieser bestimmten Maschine für diese bestimmte kleinliche Arbeit verwendet werden kann? daß der Übergang von einer Beschäftigung zu einer andern, neuern, für den erwachsenen Arbeiter fast immer eine entschiedene Unmöglichkeit ist?

Indem ich die Wirkungen der Maschinerie ins Auge fasse, komme ich auf ein anderes, entfernteres Thema, das Fabriksystem, und dieses hier zu behandeln, habe ich weder Lust noch Zeit. Ich hoffe übrigens bald eine Gelegenheit zu haben, die scheußliche Unsittlichkeit dieses Systems ausführlich zu entwickeln und die Heuchelei des Ökonomen, die hier in ihrem vollen Glanze erscheint, schonungslos aufzudecken.[524]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1956, Band 1.
Entstanden Ende 1843 bis Januar 1844. Erstdruck in: Deutsch-Französische Jahrbücher, Paris 1844.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon