[343] Von den Sozialdemokraten Erfurts kam ein schöner Kranz mit Inschrift auf roten Schleifen nach Argenteuil; glücklicherweise fand sich jemand, ihn gelegentlich herüberzubringen; als er auf dem Grabe niedergelegt wurde, waren die roten Seidenbänder des Solinger Kranzes wieder gestohlen.
Die drei Kränze für Moskau, Petersburg und Odessa wurden inzwischen auch fertig. Um den Diebstahl der Schleifen zu verhindern, waren wir genötigt, die Bänder durch kleine Einschnitte am Rande zu fernerem Gebrauch unnütz zu machen. Die Niederlegung fand gestern statt. Die Erfurter Schleife war durch einen Regenschauer für andere Zwecke verdorben und so der Dieberei entgangen.
Diese drei Kränze kosteten jeder Pfd. St. 1.1.8, also zusammen Pfd. St. 3.5.0. Es bleiben also von den mir eingesandten Pfd. St. 4.18.9 noch Pfd. St. 1.13.9, die ich an P. Lawrow zurücksende, um damit nach dem Willen der Geber zu verfahren. –
Der Tod eines großen Mannes ist eine vortreffliche Gelegenheit für kleine Leute, politisches, literarisches und bares Kapital herauszuschlagen. Hier nur ein paar Beispiele, die der Öffentlichkeit angehören; von den vielen, die sich auf dem Gebiete der Privatkorrespondenz abgespielt haben, gar nicht zu sprechen.
[343] Philipp Van Patten, Sekretär der Central Labor Union in New York, schrieb mir (d. d. 2. April) folgendes:
»In Verbindung mit der neulichen Demonstration zu Ehren von Karl Marx, als alle Fraktionen sich vereinigten, dem verstorbenen Denker ihre Ehrerbietung zu bezeugen, machten Johann Most und seine Freunde sehr laute Behauptungen, daß er, Most, mit Karl Marx intim gewesen wäre, daß er dessen Werk ›Das Kapital‹ in Deutschland populär gemacht habe und daß Marx übereinstimme mit der von Most geleiteten Propaganda.
Wir haben eine hohe Meinung von den Talenten und dem Wirken von Marx; wir können aber nicht glauben, daß er sympathisierte mit der anarchistischen, desorganisierenden Denk- und Handlungsweise von Most. Ich möchte deshalb von Ihnen eine Meinungsäußerung haben über die Stellung von Marx zur Frage: Anarchie und Sozialdemokratie? Das unzeitige und alberne Geschwätz von Most hat schon zu viel Verwirrung gestiftet, und es ist recht unangenehm für uns, hören zu müssen, daß eine so hohe Autorität wie Marx solche Taktik billigte.«
Ich antwortete darauf am 18. April, was in deutscher Übersetzung hier folgt:
»Meine Antwort auf Ihre Anfrage vom 2. April wegen Karl Marx' Stellung zu den Anarchisten im allgemeinen und Johann Most im besonderen soll kurz und klar sein:
Marx und ich haben, seit 1845, die Ansicht gehabt, daß eine der schließlichen Folgen der künftigen proletarischen Revolution sein wird die allmähliche Auflösung der mit dem Namen Staat bezeichneten politischen Organisation. Der Hauptzweck dieser Organisation war von jeher die Sicherstellung, durch bewaffnete Gewalt, der ökonomischen Unterdrückung der arbeitenden Mehrzahl durch die ausschließlich begüterte Minderzahl. Mit dem Verschwinden einer ausschließlich begüterten Minderzahl verschwindet auch die Notwendigkeit einer bewaffneten Unterdrückungs- oder Staatsgewalt. Gleichzeitig aber war es immer unsere Ansicht, daß, um zu diesem und den anderen weit wichtigeren Zielen der künftigen sozialen Revolution zu gelangen, die Arbeiterklasse zuerst die organisierte politische Gewalt des Staates in Besitz nehmen und mit ihrer Hilfe den Widerstand der Kapitalistenklasse niederstampfen und die Gesellschaft neu oganisieren muß. Dies ist bereits zu lesen im ›Kommunistischen Manifest‹ von 1848, Kapitel II, Schluß.
Die Anarchisten stellen die Sache auf den Kopf. Sie erklären, die proletarische Revolution müsse damit anfangen, daß sie die politische Organisation des Staates abschafft. Aber die einzige Organisation, die das Proletariat[344] nach seinem Siege fertig vorfindet, ist eben der Staat. Dieser Staat mag sehr bedeutender Änderungen bedürfen, ehe er seine neuen Funktionen erfüllen kann. Aber ihn in einem solchen Augenblick zerstören, das hieße, den einzigen Organismus zerstören, vermittelst dessen das siegende Proletariat seine eben eroberte Macht geltend machen, seine kapitalistischen Gegner niederhalten und diejenige ökonomische Revolution der Gesellschaft durchsetzen kann, ohne die der ganze Sieg enden müßte in einer neuen Niederlage und in einer Massenabschlachtung der Arbeiter, ähnlich derjenigen nach der Pariser Kommune.
Braucht es meine ausdrückliche Versicherung, daß Marx diesem anarchistischen Blödsinn entgegentrat seit dem ersten Tag, wo er in seiner jetzigen Gestalt von Bakunin vorgebracht wurde? Die ganze innere Geschichte der Internationalen Arbeiter- Assoziation bezeugt es. Seit 1867 versuchten die Anarchisten, mit den infamsten Mitteln, die Führung der Internationale zu erobern; das Haupthindernis in ihrem Wege war Marx. Das Ende des fünfjährigen Kampfes war, auf dem Haager Kongreß, September 1872, die Ausstoßung der Anarchisten aus der Internationale; und der Mann, der am meisten tat, diese Ausstoßung durchzusetzen, war Marx. Unser alter Freund, F. A. Sorge in Hoboken, der als Delegierter zugegen war, kann ihnen, wenn Sie es wünschen, nähere Einzelheiten mitteilen.
Und nun zu Johann Most.
Wenn irgend jemand behauptet, daß Most, seit er Anarchist geworden, mit Marx in irgendwelcher Beziehung gestanden oder irgendwelche Beihilfe von Marx erhalten habe, der ist entweder belegen oder ein Lügner mit Vorbedacht. Nach dem Erscheinen der ersten Nummer der Londoner ›Freiheit‹ hat Most Marx oder mich nicht mehr als einmal, höchstens zweimal besucht. Ebensowenig gingen wir zu ihm – wir haben ihn nicht einmal irgendwie oder irgendwann zufällig getroffen. Wir haben zuletzt uns sogar gar nicht mehr auf sein Blatt abonniert, weil ›wirklich auch gar nichts‹ darin stand. Für seinen Anarchismus und seine anarchistische Taktik hatten wir dieselbe Verachtung wie für die Leute, von denen er beides gelernt hatte.
Als er noch in Deutschland war, veröffentlichte Most einen ›populären‹ Auszug aus Marx' ›Kapital‹. Marx wurde ersucht, ihn für eine zweite Auflage durchzusehen. Ich tat diese Arbeit gemeinsam mit Marx. Wir fanden, daß es unmöglich war, mehr als die allerschlimmsten Böcke von Most auszumerzen, wollten wir nicht das ganze Ding von Anfang bis Ende neu schreiben. Marx erlaubte auch bloß, daß seine Verbesserungen hineingesetzt würden auf die ausdrückliche Bedingung hin, daß sein Name nie in irgendeine[345] Verbindung gebracht würde selbst mit die ser verbesserten Ausgabe von Johann Mosts Machwerk.
Sie können diesen Brief veröffentlichen, wenn es Ihnen so beliebt.«
Von Amerika nach Italien.
Vor etwa zwei Jahren schickte ein junger Italiener, Herr Achille Loria aus Mantua, ein von ihm verfaßtes Buch über Grundrente an Marx nebst einem deutsch geschriebenen Brief, worin er sich als dessen Schüler und Bewunderer kundgab; er korrespondierte auch noch einige Zeit mit ihm. Sommer 1882 kam er nach London und besuchte mich zweimal; das zweite Mal kam ich in den Fall, ihm ernstlich meine Meinung darüber zu sagen, daß er in einer inzwischen erschienenen Broschüre Marx den Vorwurf gemacht, er habe wissentlich falsch zitiert.
Jetzt schreibt dies bei den deutschen Kathedersozialisten seine Weisheit geholt habende Männlein einen Artikel über Marx in die »Nuova Antologia« und hat die Unverschämtheit, mir, »seinem hochverehrten Freunde« (!!), einen Sonderabdruck einzuschicken. Worin die Unverschämtheit bestand, wird folgende Übersetzung meiner Antwort zeigen (ich schrieb ihm in seiner Sprache, denn sein Deutsch ist immer noch wackeliger als mein Italienisch):
»Ich habe ihr Schriftchen über Karl Marx erhalten. Es steht Ihnen frei, seine Lehren Ihrer allerschärfsten Kritik zu unterwerfen und sie sogar mißzuverstehen; es steht Ihnen frei, eine Biographie von Marx zu entwerfen, die ein reines Phantasiestück ist. Was Ihnen aber nicht freisteht und was ich nie irgendwem erlauben werde, das ist, den Charakter meines toten Freundes zu verleumden.
Schon in einem früheren Werk hatten Sie sich herausgenommen, Marx anzuklagen, er habe absichtlich falsch zitiert. Als Marx dies gelesen, verglich er seine und Ihre Zitate mit den Originalen und sagte mir, seine Zitate seien richtig, und wenn hier jemand absichtlich falsch zitiere, so seien Sie es. Und wenn ich sehe, wie Sie jetzt Marx zitieren, wie Sie die Schamlosigkeit haben, ihn von ›Profit‹ sprechen zu lassen, da, wo er von ›Mehrwert‹ spricht – wo er sich doch wiederholt gegen den Irrtum verwahrt, als ob das beides dasselbe sei – (was übrigens Herr Moore und ich Ihnen bereits hier in London mündlich auseinandersetzten), so weiß ich, wem ich zu glauben habe und wer absichtlich falsch zitiert.
Aber das ist nur eine Lappalie, verglichen mit Ihrer ›festen und tiefen Überzeugung..., daß sie alle‹ (die Lehren von Marx) ›beherrscht sind von einem bewußten Sophisma‹; daß Marx ›sich nicht aufhalten ließ durch falsche Schlüsse, wohl wissend, daß sie falsch waren‹; daß ›er oftmals ein Sophist war,[346] der auf Kosten der Wahrheit bei der Negation der Bestehenden Gesellschaft ankommen wollte‹, und daß er, wie Lamartine sagt, ›mit Lügen und Wahrheiten spielte wie Kinder mit Knöcheln‹.
In Italien, das ein Land antiker Zivilisation ist, kann das vielleicht für ein Kompliment gelten. Auch unter den Kathedersozialisten gilt so etwas möglicherweise für ein großes Lob, da ja diese braven Professoren ihre zahllosen Systeme nie anders hätten zuwege bringen können, als ›auf Kosten der Wahrheit‹. Wir revolutionäre Kommunisten sehen die Sache anders an. Wir betrachten solche Behauptungen als infamierende Anklagen, und da wir wissen, daß sie erlogen sind, schleudern wir sie zurück auf ihren Urheber, der, selbst und allein, sich infamiert hat durch solche Erfindungen.
Mir scheint, es sei ihre Pflicht gewesen, dem Publikum mitzuteilen, worin denn dieses berühmte ›bewußte Sophisma‹ eigentlich besteht, das alle Lehren von Marx beherrscht. Aber ich suche es vergebens. Nagott!« (Lombardischer Kraftausdruck für: gar nichts.)
»Welche Zwergseele gehört dazu, sich einzubilden, ein Mann wie Marx habe ›seinen Gegnern immer mit einem zweiten Bande gedroht‹, den zu schreiben ›ihm auch nicht für einen Augenblick einfiel‹; daß dieser zweite Band nichts sei als ›ein pfiffiges Auskunftsmittel von Marx, womit er wissenschaftlichen Argumenten aus dem Wege ging‹. Dieser zweite Band liegt vor und wird in kurzem veröffentlicht. Dann werden Sie vielleicht auch endlich den Unterschied zwischen Mehrwert und Profit begreifen lernen.
Eine deutsche Übersetzung dieses Briefes wird in der nächsten Nummer des Züricher ›Sozialdemokrat‹ erscheinen.
Ich habe die Ehre, Sie zu grüßen mit allen den Gefühlen, welche Sie verdienen.«
Hiermit genug für heute.
London, 12. Mai 1883
Friedrich Engels[347]
Buchempfehlung
Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro