§ 12. Vereinigung der Freiheit und des Seyns im Wissen

[24] Das absolute Wissen ist betrachtet, seinem inneren immanenten, – d.h. mit Abstraction von dem Absoluten schlechtweg (§ 5.) aufgefassten, – Wesen nach, als absolutes Seyn; es ist betrachtet, seiner inneren immanenten Erzeugung nach, als absolute Freiheit. Nun aber ist das absolute weder das Eine, noch ist es das Zweite, sondern es ist beides, als schlechthin Eins, und im Wissen wenigstens verschmilzt jene Duplicität zur Einheit. Aber selbst dieses abgerechnet ist ja die Absolutheit des Wissens eben die des Wissens, also, da das Wissen für sich ist, nur für das Wissen, welches sie nur seyn kann, inwiefern die Duplicität in ihr zur Einheit verschmilzt. Es giebt daher nothwendig ein Wissen selbst, so gewiss es[24] ein Wissen ist, einen Vereinigungspunct der Duplicität seiner Absolutheit. Auf diesen Vereinigungspunct – nicht mehr auf die Separaten, als welche nun zur Genüge beschrieben worden – richten wir von nun an unsere Aufmerksamkeit. Das Eine Glied der Separaten wenigstens, welches in dem zu beschreibenden Wissen mit einem anderen zu vereinigen ist, ist die innere Freiheit des Wissens. Sonach gründet sich der höhere Einheitspunct, den wir zu beschreiben haben, auf absolute Freiheit des Wissens selbst, setzt sie voraus, und ist nur unter dieser Voraussetzung möglich. Er ist daher schon aus diesem Grunde selbst ein Product der absoluten Freiheit, lässt sich nicht aus irgend einem anderen ableiten, sondern nur schlechthin setzen, ist, wenn er ist, schlechthin, weil er ist, und ist, wenn er nicht ist, schlechthin nicht, weil er nicht ist. Soviel über seine äussere Form.

Ferner, die Voraussetzung in dem (§ praec.) beschriebenen absoluten Hinwissen der Freiheit des Wissens ist, dass alles Wissen von ihr, als ihrem Ursprunge ausgehe, dass daher, da die Freiheit Einheit ist, von der Einheit fortgegangen werde zur Mannigfaltigkeit. Nur unter Voraussetzung dieses Sichreflectirens der Freiheit wird die höhere vereinigende Reflexion, von der wir hier reden, möglich; wie diese aber gesetzt ist, ist sie schlechthin möglich. Sie ruht daher mit ihrem Fusse unmittelbar in der Einheit, und geht aus von der Einheit, und ist ihrem Wesen nach nichts anderes, als ein inneres Fürsichseyn jener Einheit, welches in einem Wissen eben schlechthin, aber durch Freiheit möglich ist.

(Dieses Ruhen in der Einheit und für sich Seyn, welches, wie sich ergeben hat, selbst entsteht nur mit der absoluten Freiheit des Wissens, ist ein Denken. Dagegen ist das Schweben in der Mannigfaltigkeit der separaten ein Anschauen; welche blosse Wortbestimmungen wir gleich hier hinzufügen können. Uebrigens bleibt es bei unserer obigen Erklärung, dass das Wissen weder in der Einheit ruhe, noch in der Mannigfaltigkeit, sondern in und zwischen beiden; denn weder das Denken ist ein Wissen, noch ist es die Anschauung, sondern nur beide in ihrer Vereinigung sind das Wissen.)[25]

Weiter: diese vereinigende Reflexion setzt offenbar ein Seyn, nemlich der separaten zu vereinigenden Glieder voraus, und hat eben dieses Seyn derselben in sich, und hält es gefasst, inwiefern sie es in sich vereint: beides für sich freilich als Einheit, als einen Punct, weil sie vom Denken ausgeht. Sie ist daher in dieser Rücksicht nicht, wie in der soeben erklärten, ein freies, sondern sie ist in sich selbst ein seyendes Wissen; ist mithin insofern an das Gesetz des Seyns des Wissens, das der Anschauung gebunden, dass sie in sich selbst, soweit sie sich trage, nie auf eine andere Einheit, als die von Separaten, kommen kann. Was sie thut mit Freiheit, ist Einheit, deren Bild der Punct ist; was sie nicht thut, sondern eben ist, und ohne ihr Zuthun mit sich bringt, ist Mannigfaltigkeit, und sie selbst ist, materialiter, ihrem inneren Wesen nach (mit Abstraction von den äusseren Gliedern, die sie vereinigt), die Vereinigung beider. – Was also ist sie? Der Act ist Einheit, im Wissen, und für sich Punct (Ergreifungs- und Durchdringungs-Punct im absoluten Leeren): das Seyn Mannigfaltigkeit: das Ganze daher ein zur unendlichen Separabilität ausgedehnter Punct, der doch Punct bleibt, eine zum Puncte zusammengedrängte Separabilität, die doch Separabilität bleibt. Also eine lebendige, in sich selbst leuchtende Form eines Linienziehens. In der Linie ist der Punct allenthalben, denn die Linie hat keine Breite. In ihr ist Mannigfaltigkeit allenthalben, denn keinen Theil derselben kann ich als Punct, sondern immer nur selbst als Linie, als eine unendliche Separabilität von Puncten, auffassen. Form eines Linienziehens habe ich gesagt; denn sie hat noch nicht einmal eine Länge, sondern erhält erst eine durch das sich selbst Ergreifen, und sich selbst Forttragen ins beliebige. Sie hat, wie wir sogleich sehen werden, in der gegenwärtigen Gestalt noch nicht einmal eine Richtung, sondern ist die absolute Vereinigung entgegengesetzter Richtungen.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 24-26.
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