§ 25.

[56] Zurück in den Standpunct der vollständigen Synthesis.

Durch die sich vollziehende Anschauung wird das vorher freie, in der Freiheit selber ruhende Denken gebunden; es ist kein reines, sondern ein reales, factisches, bedingtes Denken, und so ist dies Denken für sich selbst. In dem wirklichen[56] Denken, als solchen, ist die formale Freiheit vernichtet; es ist eine Anschauung, keinesweges aber ist sie auch nicht: das Nichtseyn, welches in der formalen Freiheit mitgedacht wurde, ist hier – inwiefern nemlich das Wirkliche, nicht das bloss Mögliche, gedacht wird, – vernichtet; und eben diese Vernichtung der formalen Freiheit muss gedacht werden, wenn das wirkliche Denken sich als wirkliches, als gebundenes begreifen, es daher für sich selbst seyn soll. (Daher das Subjective und Objective, das Obere und Untere im Wissen; das unveränderlich Subjective, die ideale Thätigkeit, ist die formale Freiheit des Seynkönnens oder auch nicht, überhaupt: hier aber als aufgehobene sich anschauend: das unveränderlich Objective, Reale, ist die Gebundenheit, als solche, durch welche aber die formale Freiheit, als Indifferenz des Seyns und Nichtseyns, aufgehoben wird. (Es ist hier zugleich das Denken des Accidens, oder, was in der Wissenschaftslehre durchaus gleichbedeutend ist, das Accidens selbst erklärt. Es ist ein Denken, in welchem die formale Freiheit als aufgehoben gesetzt wird, ein gebundenes Denken, wie alles Denken, das zugleich aber für und in sich selbst als gebunden gedacht wird.)

Das Aufgestellte wird klar und fruchtbar nur, inwiefern wir es mit seinem nächsten Nebengliede vergleichen und damit verbinden – Ich kann das Factum nicht denken als solches, ohne es zu denken, als auch nicht seyn könnend; zeigten wir oben. Auch hierin wurde Zufälligkeit gedacht, wurde formale und reale Freiheit, das Gesetztseyn der ersteren und ihr Aufgehobenseyn durch die letztere, in Einem Denken vereint, ebenso wie hier. Ist beides nun Eins und ebendasselbe oder ist es verschieden? Je ähnlicher es ist, desto nothwendiger ist es, beides zu unterscheiden, und desto fruchtbarer ist die Unterscheidung. Ich sage nemlich: es ist beides durchaus nicht dasselbe.

Jenes frühere Denken geht nemlich vom Denken der Freiheit aus, ruht in diesem Nichts und Widerspruche der reinen Unentschiedenheit (§ 24), als seinem Focus, und ist daher, so wie es sich selbst innerlich fasst, wie es ja im angezeigten[57] Gedanken dies thut, um aus sich heraus zum Factum zu gehen, selbst nichtig, sich aufhebend und in sich zerfliessend. Somit wird auch das in dieser Stimmung denn doch gefasste Factum, das da wirklich seyn soll, ohnerachtet es auch nicht seyn könnte, auch nur gefasst, als in sich zerfliessend und unbestimmt, als die äussere Form eines Factums, ohne innere Realität und Leben, als ein Punct zwar, der aber nirgends steht, sondern in dem unendlichen leeren Raume flattert, in einem matten, leblosen Bilde: eben nur der Anfang und Versuch eines factischen Denkens und Bestimmens, mit welchem es zum wirklichen Factum nicht kommt.

(Hierüber sollte sich nun die Philosophie den Unphilosophen, wie den flachen, bloss logischen Philosophen, und überhaupt dem grösseren Publicum leicht deutlich machen können, als über ein höchst Bekanntes. Denn diese Art des Denkens ist es eben, welcher sie den grössten Theil ihres Lebens hindurch warten und pflegen, jenes leere, zerstreute Denken, wo einer sich hinsetzt, um nachzudenken, und hinterher nicht zu sagen weiss, an was er gedacht habe, noch durch welche andere Gedanken er sich eigentlich zerstreut hat. – Wie sind sie nun unterdessen? Denn existirt haben sie denn doch! Sie haben eben in dem Nichtseyn eines wirklichen Wissens, in dem Standpuncte des Absoluten geschwebt, wo es aber vor lauter Absolutheit zu gar Nichts kam.

Es wird sich eben zeigen, dass den meisten Menschen mehr als die Hälfte ihres Wissenssystemes im Absoluten stecken bleibt, und dass uns allen die ganze unendliche Erfahrung, die wir noch nicht gemacht haben, kurzum die Ewigkeit, und dieser zufolge eben die objective Welt, eben da liegen bleibt.)

Dagegen steht das hier aufgestellte Denken innerlich in seiner Gebundenheit selbst, ruht gleichsam, als verloren in dieser, um von ihr zu der Einsicht vom Aufgehobenseyn der formalen Freiheit in diesem Zustande erst fortzugehen. In seiner Wurzel ist es überall factisch, und erhebt sich nur von da zum Absoluten, und zwar zur blossen Negation desselben, dagegen jenes in seiner Wurzel absolut war und nur zu einem leeren Bilde eines Factums fortging.[58]

Nun ist diese Gebundenheit bekanntlich ein Sichergreifen des Wissens, und sein Erfolg ist eben Anschauung oder Liebt. An dieses daher, an den Lichtstand, ist das Denken gebunden, durch die oben beschriebene Aufhebung und Fixirung der formalen Freiheit – oder mit einem gebräuchlicheren Worte durch die Attention, eben das Sichhineinwerfen, Dupliren u.s.w. Es ist daher klar, dass die formale Freiheit die Indifferenz gegen das Licht und die Attention ist; – sie kann sich diesem hingeben, oder auch nicht, – eben die oben beschriebene Zerstreuung des sich in sich selbst auflösenden Denkens.

Wie weiss nun das Wissen von diesem sich selbst Ergriffenhaben oder Sichhalten? Offenbar unmittelbar, eben dadurch, dass es sich als das Haltende kennt, denkt; kurz durch das Dass der formalen Freiheit. – Hinwiederum, wie kann das Wissen dieses Dass – eben die formale Freiheit – erblicken, ausser dadurch, dass es überhaupt erblickt (ein Fürsich ist)? Sein Licht ist abhängig von seiner Freiheit; aber da die Freiheit die seinige ist, innerlich und für dasselbe, so ist die Freiheit selbst wieder abhängig von dem Lichte, ist nur in ihm. Es weiss schlechthin, dass es sich hält und so die absolute Quelle des Lichtes ist – und darin besteht eben die Absolutheit des Wissens – und umgekehrt, es weiss und hat Licht nur, inwiefern es sich mit absoluter Freiheit hält (attendirt), und dieses weiss. Es kann nicht ohne Wissen frei seyn, noch wissen, ohne frei zu seyn.

Ideale und reale Ansicht sind durchaus vereinigt und ungeschieden: der Zustand mit dem Acte, der Act mit dem Zustande; – oder vielmehr im absoluten Bewusstseyn sind sie gar nicht geschieden, sondern schlechthin Eins.

Dieses absolute Wissen macht sich nun selbst zu seinem Objecte, zuvörderst, um sich als absolutes zu beschreiben. Dieses geschieht nach den obigen Sätzen, indem es sich aus dem Nichtseyn heraus construirt, und dieses Construiren ist selbst innerlich ein Act der Freiheit, der aber hier sich in sich selbst verliert.

Dies kann es nun begreiflich nicht, ohne zu seyn, also in irgend einer Ansicht seiner selbst festzustehen. Lasset es in[59] seinem Zustande, als dem Lichte, stehen, so setzt es von diesem aus den Act, die Freiheit, eben als Grund des Lichts; und sollte es sich in diesem Setzen wieder fassen, so wird es inne, dass es diesen Act ja nicht im Lichte erblicken könnte, ausser bei dem überhaupt ihm immanent vorausgesetzten Lichte; und es sieht sich selbst idealistisch an. – Oder lasset es in seiner Freiheit stehen, als dem Acte, so siehet es das Licht, als das Product desselben an, und, wenn es sich so fasst, siehet es die ursprüngliche Freiheit als Realgrund des Lichts, und es schaut sich dann realistisch an.

Nun aber sieht es sich, zufolge der von uns aufgestellten wahren Beschreibung des absoluten Wissens, in jener, wie in dieser Weise nur einseitig an. Also nicht die eine, noch die andere Ansicht, in der Anschauung, sondern beide im Denken vereint, sind die wahre, diesen beiden entgegengesetzten Ansichten der Anschauung zu Grunde liegende Ansicht; und auf diese allein werden wir Etwas bauen können.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 56-60.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801
Darstellung Der Wissenschaftslehre Aus Dem Jahre 1801 (Paperback)(German) - Common