§ 9. Beschreibung der absoluten Form des Wissens

[18] Nicht das ruhende Seyn ist das Wissen, und ebensowenig ist es die Freiheit, sagten wir, sondern das absolute sich Durchdringen und Verschmelzen beider ist das Wissen.

Sonach ist eben das sich Durchdringen, ganz davon abgesehen, was sich durchdringe, die absolute Form des Wissens.

Das Wissen ist ein für sich und in sich Seyn, und in sich Wohnen und Walten und Schalten. Dieses Fürsichseyn eben ist der lebendige Lichtzustand, und die Quelle aller Erscheinungen im Lichte, das substantielle innere Sehen, schlechthin als solches. Es ist nicht die Aufgabe die, dass du bedenken sollest, du wissest von dem Gegenstande, und nun dein Bewusstseyn (eben vom Gegenstande) als ein Subjectives, und den Gegenstand, als ein objectives, begreifest, sondern dass du innigst lebendig erfassest, beides sey Eins, und sey ein sich Durchdringen: und erst hinterher, und zufolge dieses Durchdringens mögest du auch beides unterscheiden. Du sollst sie nicht bloss nach ihrer Trennung wieder zusammenknüpfen, wie mit einem Faden, den du nirgends herzunehmen weisst, sondern du sollst begreifen, dass sie organisch ineinander und durcheinander verschmolzen sind, damit du nur erst sie trennen könnest.

Oder, denke nochmals das Absolute, so wie es oben beschrieben worden. Es ist schlechthin, was es ist, und ist dieses schlechthin, weil es ist. Aber dadurch ist ihm noch immer kein Auge eingesetzt, und wenn du nun fragest, für wen es sey, welche Frage du sehr natürlich erheben kannst, sie auch ohne weiteres verstehst, wenn sie durch einen anderen erhoben wird, so magst du dich nur nach einem Auge ausser ihm umsehen; und wenn wir dir dieses Auge auch in der That schenken wollten, wie wir doch nicht können, so wirst du ferner die Verbindung desselben mit jenem Absoluten nimmer erklären, sondern sie nur in den Tag hinein behaupten. Aber dieses Auge liegt nicht ausser ihm, sondern in ihm, und ist eben das lebendige sich Durchdringen der Absolutheit selbst.

Die Wissenschaftslehre hat dieses absolute sich selbst in[19] sich selbst Durchdringen und für sich selbst Seyn mit dem einigen Worte in der Sprache, welches sie ausdrückend fand, dem der Ichheit bezeichnet. Aber wessen innerem Auge nun einmal die Freiheit mangelt, von allem Anderen ab, und auf sich selbst sich zu kehren, dem helfen keine Hinleitungen, und keine noch so passenden Ausdrücke, die er nur in einem verkehrten Sinne, zu seiner eigenen noch grösseren Verwirrung, versteht. Er ist innerlich blind, und muss es bleiben.


Besteht, wie aus dem eben Gesagten einleuchtet, in diesem Fürsichseyn das eigentliche innere Wesen des Wissens, als eines solchen (als eines Lichtzustandes und Sehens): so besteht das Wesen des Wissens eben in einer Form (einer Form des Seyns und der Freiheit, nemlich ihrem absoluten sich Durchdringen), und alles Wissen ist seinem Wesen nach formal. Dagegen erscheint dasjenige, was wir (§ praec.) die absolute Materie des Wissens nannten, und was wohl überhaupt die absolute Materie als Materie bleiben dürfte, hier, wo dem Wissen selbst sein selbstständiges Wesen gegeben ist, als eine Form, nemlich des Wissens.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 18-20.
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