Seiner Exzellenz

[389] dem Königl. Preussischen wirklichen geheimen Staats-Minister und Ritter des rothen Adler-Ordens


Herrn von Struensee

Euer Excellenz


erlauben, dass ich, nach der Sitte besonders älterer Dedications-Schriftsteller, vor Ihnen meine Gedanken niederlege über den Zweck und den wahrscheinlichen Erfolg einer Schrift, die ich Ihnen hierdurch öffentlich, als ein Denkmal meiner freien Verehrung; zueigne. – Casaubonus unterredet an der Spitze seiner Ausgabe des Polybius mit Heinrich dem Vierten sich sehr unbefangen über das Studium der Alten und die gewöhnlichen Vorurtheile in Rücksicht dieses Studiums. Verstatten Euer Excellenz, dass ich ebenso unbefangen mit Ihnen, im Angesichte des Publicums, über das Verhältniss des speculativen Politikers zum ausübenden mich unterrede.

Die letzteren haben zu allen Zeiten den ersteren das Recht zugestanden, über Einrichtung und Verwaltung der Staaten ihre Gedanken vorzutragen, ohne dass sie Übrigens an diese Gedanken sich sehr gekehrt, und von den Platonischen Republiken und utopischen Verfassungen derselben ernsthafte Kunde genommen hätten. Auch ist der Vorwurf der [389] unmittelbaren Unausführbarkeit, der den Vorschriften der speculativen. Politiker von jeher gemacht worden, zuzugeben; und gereicht den Urhebern dieser Vorschläge gar nicht zur Unehre, wenn sie nur mit denselben in einer idealen Welt geblieben sind, und dieses ausdrücklich bekennen, oder es durch die That zeigen. Denn so gewiss in ihren Gedanken Ordnung, Consequenz und Bestimmtheit ist, so gewiss passen ihre Vorschriften aufgestelltermaassen nur auf den von ihnen vorausgesetzten und erdichteten Zustand der Dinge, an welchem die allgemeine Regel, wie an einem Exempel der Rechenkunst, dargestellt wird. Diesen vorausgesetzten Zustand findet der ausübende Politiker nicht vor sich, sondern einen ganz anderen. Es ist kein Wunder, dass auf diesen eine Vorschrift nicht passet, welche aufgestelltermaassen auf ihn nicht berechnet ist.

Doch wird der Philosoph, wenn er nur nicht seine Wissenschaft für ein blosses Spiel, sondern für etwas Ernsthaftes hält, die absolute Unausführbarkeit seiner Vorschläge nimmermehr zugeben oder voraussetzen; indem er in diesem Falle seine Zeit ohne Zweifel auf etwas Nützlicheres wenden würde, als auf ein von ihm selbst dafür erkanntes Begriffe-Spiel. Er wird behaupten, seine, wenn sie nur reintheoretisch aufgestellt worden, unmittelbar unausführbaren Vorschriften, indem sie in ihrer höchsten Allgemeinheit auf alles passen, und eben darum auf nichts Bestimmtes, müssten für einen gegebenen wirklichen Zustand nur weiter bestimmt werden: ebenso, wie man durch die Kenntniss des allgemeinen Verhältnisses der Seiten und Winkel zu einander im Triangel noch keine einzige wirkliche Seite oder Winkel im Felde erkennt, und noch immer an irgend ein Stück Maassstab und Winkelmesser wirklich anlegen und messen muss; aber durch die Kenntniss des allgemeinen Verhältnisses in den Stand gesetzt wird, das Übrige durch blosse Rechnung, ohne wirkliche Anlegung des Maassstabes zu finden.

Diese weitere Bestimmung der im reinen Staatsrechte aufzustellenden allgemeinen Regel geschieht nun meines Erachtens in der Wissenschaft, deren Begriff ich im folgenden bestimme,[390] und sie Politik nenne; und welche ich gleichfalls für das Geschäft des speculativen Philosophen als solchen halte (denn dass der ausübende Politiker zugleich auch ein speculativer Philosoph seyn könne, – vielleicht auch das umgekehrte Verhältniss stattfinde, ergiebt sich von selbst). Einer als politisch sich ankündigenden Schrift würde der Vorwurf und der Beweis der Unausführbarkeit ihrer Vorschläge zu grösserer Unehre gereichen, als einer staatsrechtlichen. Zwar geht meines Erachtens auch die Politik, so gewiss sie nur Wissenschaft, nicht aber die Praxis selbst ist, nicht von einem durchaus bestimmten wirklichen Staate aus, – indem es sodann keine allgemeine, sondern nur eine besondere Politik seyn würde für England, Frankreich, Preussen, und zwar für diese Staaten im Jahre 1800, und zwar im Herbste des Jahres 1800, u.s.w. – sondern von dem Zustande, der etwa allen Staaten der grossen europäischen Republik in dem Zeitalter, da sie aufgestellt wird, gemeinschaftlich ist. Noch immer hat der ausübende Politiker die in gewisser Rücksicht noch immer allgemeine Regel auf den besonderen Fall anzuwenden, und für jeden besonderen Fall ein wenig anders anzuwenden; aber diese allgemeine Regel liegt doch der Anwendung weit näher.

Wenn eine Politik nach dieser Idee nur sonst gründlich, mit richtiger Kenntniss der gegenwärtigen Lage, aus festen, staatsrechtlichen Principien, und mit richtiger Folgerung aus diesen, bearbeitet wäre, so könnte diese Politik meines Erachtens nur noch dem blossen Empiriker unnütz scheinen, welcher Überhaupt keinem Begriffe und keinem Calcul, sondern nur der Bestätigung in unmittelbarer Erfahrung vertraut, und der sie verwerfen würde, weil sie doch nicht Thatsachen, sondern nur Begriffe und Berechnungen von Thatsachen enthielte, mit einem Worte, weil sie nicht Historie wäre. Ein solcher Politiker hat eine Anzahl von Fällen und von gelungenen Maassregeln, welche andere vor ihm in diesen Fällen genommen haben, in seinem Gedächtnisse vorräthig. Was ihm auch vorkomme, denkt er an einen jener Fälle, und verfährt wie einer jener Politiker vor ihm, deren einen nach dem anderen er aus dem Grabe erweckt, in seinem Zeitalter wieder[391] darstellt, und so seinen politischen Lebenslauf zusammensetzt aus sehr verschiedenen Stücken sehr verschiedener Männer, ohne aus sich selbst etwas hinzuzuthun. Ein solcher wäre bloss zu befragen, wem denn diejenigen, die die von ihm gebilligte und nachgeahmte Maassregel zuerst gebraucht, nachgeahmt hätten; und worauf sie denn bei Ergreifung derselben gerechnet, ob auf vorhergegangene Erfahrung oder auf Calcul? Er wäre zu erinnern, dass alles, was nun alt ist, irgend einmal neu gewesen; dass das Menschengeschlecht in diesen letzten Zeiten doch unmöglich so herabgekommen sein könne, dass ihm nur noch Gedächtniss und Nachahmungsvermögen übriggeblieben. Es wäre ihm zu zeigen, dass durch den ohne sein Zuthun geschehenen und durch ihn nicht aufzuhaltenden Fortgang des Menschengeschlechtes gar vieles sich verändert habe, wodurch ganz neue, in den vorigen Zeitaltern weder zu ersinnende, noch anzuwendende Maassregeln nöthig gemacht würden. – Es liesse sich ihm gegenüber eine vielleicht lehrreiche historische Untersuchung anstellen über die Frage, ob mehr Uebel in der Welt durch gewagte Neuerungen entstanden sey, oder durch träges Beruhen bei den alten, nicht mehr anwendbaren oder nicht mehr hinlänglichen Maassregeln.

Ob die gegenwärtige Schrift die eben erwähnen Erfordernisse einer gründlichen Behandlung der Politik an sich habe, darüber maasst der Verfasser derselben sich keine Stimme an. In Absicht ihres eigentlichen Vorschlages, den Handelsstaat ebenso wie den juridischen zu schliessen, und des entscheidenden Mittels zu diesem Zwecke, der Abschaffung; des Welt– und Einführung des Landes-Geldes, sieht er freilich voraus, dass kein Staat diesen Vorschlag annehmen wollen wird, der nicht müsste, und dass der letztere die versprochenen Vortheile von dieser Maassregel nicht haben werde; dass der Vorschlag sonach unbeschliessbar; und da eben nie ausgeführt wird, wozu man sieh nicht entschliessen kann, eben darum auch unausführbar gefunden werden wird. Der deutlich oder nicht deutlich gedachte Grund dieses Nichtwollens wird der seyn, dass Europa über die übrigen Welttheile im Handel grossen Vortheil hat, und ihre Kräfte und Producte,[392] bei weitem ohne hinlängliches Aequivalent von seinen Kräften und Producten, an sich bringt, dass jeder einzelne europäische Staat, so ungünstig auch in Beziehung auf die übrigen europäischen Staaten die Handelsbilanz für ihn steht, dennoch von dieser gemeinsamen Ausbeute der übrigen Welt einigen Vortheil zieht, und die Hoffnung nie aufgiebt, die Handelsbilanz zu seinen Gunsten zu verbessern, und einen noch grösseren Vortheil zu ziehen; auf welches alles er durch seinen Austritt aus der grösseren europäischen Handelsgesellschaft freilich Verzicht thun müsste. Um diesen Grund des Nichtwollens zu heben, müsste gezeigt werden, dass ein Verhältniss, wie das Europens gegen die übrige Welt, welches sich nicht auf Recht und Billigkeit gründet, unmöglich fortdauern könne: ein Erweis, der ausserhalb der Grenzen meines gegenwärtigen Vorhabens lag. Aber auch nachdem dieser Erweis geführt wäre, könnte man mir noch immer sagen: »Bis jetzt wenigstens dauert dieses Verhältniss, – dauert die Unterwürfigkeit der Colonien, gegen die Mutterländer, dauert der Sklavenhandel – noch fort, und Wir werden es nicht erleben, dass alles dieses aufhöre. Lasst uns Vortheil davon ziehen, so lange es noch hält; die Zeitalter, da es brechen wird, mögen zusehen, wie sie zurecht kommen. Mögen allenfalls diese untersuchen, ob sie aus Deinen Gedanken sich etwas nehmen können; wir können sogar Deinen Zweck nicht wollen, bedürfen sonach gar keiner Anweisung über die Mittel ihn auszuführen.« – Ich bekenne, dass ich hierauf keine Antwort habe.

Der Verfasser bescheidet sich daher, dass auch dieser Entwurf eine blosse Uebung der Schule ohne Erfolg in der wirklichen Welt bleiben möge; ein Glied aus der Kette seines allmählig aufzuführenden Systems: und begnügt sich, wenn er durch die Bekanntmachung desselben anderen auch nur die Veranlassung geben sollte, über diese Gegenstände tiefer nachzudenken, und vielleicht auf eine oder die andere in der Sphäre, aus der man nun einmal nicht herausgehen wollen wird, nützliche und anwendbare Erfindung zu, gerathen; und er schränkt ausdrücklich und wohlbedacht auf diese Zwecke sich ein.

[393] Euer Excellenz aber geruhen die Versicherung der Verehrung, die ich Ihnen zolle, als einem der ersten Staatsbeamten der Monarchie, in welcher ich einen Zufluchtsort fand, als ich in den übrigen Theilen meines deutschen Vaterlandes mir keinen versprechen durfte, und als Demjenigen, dessen persönliche Eigenschaften zu bemerken und zu verehren mir vergönnt war, gütig aufzunehmen.

Berlin, den 31. October 1800.

Der Verfasser.[394]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1845/1846, S. 389-395.
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