Schlussanmerkung.

[163] Es ist eine sehr allgemeine Bemerkung, dass alles, was Speculation ist, oder so aussieht, sehr wenig Eindruck auf das menschliche Gemüth mache. Man wird allenfalls angenehm dadurch beschäftiget; man lässt sich das Resultat gefallen, weil man nichts dagegen einwenden kann, würde aber auch nichts arges daraus haben, wenn es anders ausgefallen würde; denkt und handelt übrigens in praktischer Rücksicht wie vorher, so dass der auf Speculation gegründete Satz wie ein todtes Capital ohne alle Zinsen in der Seele zu liegen scheint, und dass man seine Anwesenheit durch nichts gewahr wird. So ging es von jeher mit den Speculationen der Idealisten und Skeptiker. Sie dachten, wie niemand, und handelten, wie alle.

Dass gegenwärtige Speculation, wenn sie auch etwa nicht nothwendig praktische Folgen aufs Leben hat (wie sie doch, wenn sie sich behauptet, haben möchte), dennoch in Absicht des Interesse nicht so kalt und gleichgültig werde aufgenommen werden, dafür bürgt ihr wohl der Gegenstand, den sie behandelt. Es ist nemlich in der menschlichen Seele ein nothwendiges Interesse für alles, was auf Religion Bezug hat, und das ist denn ganz natürlich daraus zu erklären, weil nur durch Bestimmung des Begehrungsvermögens Religion möglich geworden ist; dass also diese Theorie durch die allgemeine Erfahrung bestätigt wird, und dass man sich fast wundern sollte, warum man nicht längst selbst von dieser Erfahrung aus auf[163] sie kam. Wenn jemand etwa einen anderen unmittelbar gewissen Satz, z.B. dass zwischen zwei Puncten nur Eine gerade Linie möglich sey, läugnen würde, so würden wir ihn vielmehr verlachen und bedauern, als uns über ihn erzürnen; und wenn ja etwa der Mathematiker sich dabei ereifern sollte, so könnte dies nur entweder aus Misvergnügen über sich selbst herkommen, dass er ihn seines Irrthums nicht sogleich überführen könne, oder aus der Vermuthung, dass bei diesem hartnäckigen Abläugnen der böse Wille, ihn zu ärgern (mithin doch auch etwas unmoralisches), zum Grunde liege; aber dieser Unwille würde doch ein ganz anderer seyn, als derjenige, der jeden, und den unausgebildetsten Menschen eben am meisten angreift, wenn jemand das Daseyn Gottes, oder die Unsterblichkeit der Seele abläugnet; welcher mit Furcht und Abscheu vermischt ist, zum deutlichen Zeichen, dass wir diesen Glauben als einen theuren Besitz, und denjenigen als unsern persönlichen Feind ansehen, der Miene macht, uns in diesem Besitze stören zu wollen. Dieses Interesse verbreitet sich denn verhältnissmässig weiter, je mehrere Ideen wir auf die Religion beziehen, und mit ihr in Verbindung bringen können; und wir würden daher uns sehr bedenken, zu entscheiden, ob vorherrschende Toleranz in einer Seele, in welcher sie sich nicht auf langes anhaltendes Nachdenken gründen kann, ein sehr achtungswerther Zug sey. Aus eben diesem Interesse lässt sich auch im Gegentheile die empfindliche Abneigung erklären, mit der wir gegen Vorstellungen eingenommen werden, die wir etwa ehedem für heilig hielten, von denen wir aber bei zunehmender Reife uns überzeugt oder überredet haben, dass sie es nicht sind. Wir erinnern uns ja anderer Träume unserer früheren Jahre, wie etwa des von einer uneigennützigen Hülfsbereitwilligkeit der Menschen, von einer arkadischen Schäferunschuld u. dergl. mit einem wehmüthig frohen Andenken der Jahre, wo wir noch so angenehm träumen konnten; ohnerachtet das Gegentheil und die Erfahrungen, wodurch wir etwa darüber belehrt worden sind, uns doch an sich unmöglich angenehm seyn können. Der Täuschungen von oben angezeigter[164] Art aber erinnern wir uns lange mit Verdruss, und es gehört viel Zeit und Nachdenken dazu, um auch darüber kalt zu werden; ein Phänomen, welches man gar nicht der dunkelen Vorstellung des durch dergleichen Ideen entstehenden Schadens (indem wir ja den offenbaren Schaden selbst mit mehr Gleichmuth erblicken), sondern bloss daraus zu erklären hat, dass das Heilige uns theuer ist, und dass wir jede Beimischung eines fremdartigen Zusatzes als Entweihung desselben ansehen. Dieses Interesse zeigt sich endlich sogar darin, dass wir mit keinerlei Art Kenntnissen uns so breit machen, als mit vermeinten besseren Religionseinsichten, als ob hierin die grösste Ehre liege, und dass wir sie – wenn nicht etwa der gute Ton dergleichen Unterhaltungen verbannt hat, wiewohl eben das, dass er sie verbannen musste, eine allgemeine Neigung zu denselben anzuzeigen scheint, – so gern andern mittheilen mögen, in der sicheren Voraussetzung, dass dies ein allgemein interessanter Gegenstand sey.

So sicher wir also von dieser Seite seyn dürften, dass gegenwärtige Untersuchung nicht ganz ohne Interesse werde aufgenommen werden, so haben wir eben von diesem Interesse zu befürchten, dass es sich gegen uns kehren, und den Leser in der ruhigen Betrachtung und Abwägung der Gründe stören könne, wenn er etwa voraussehen, oder wirklich finden sollte, dass das Resultat nicht ganz seiner vorgefassten Meinung gemäss ausfalle. Es scheint also eine nicht ganz vergebliche Arbeit zu seyn, hier noch, ganz ohne Rücksicht auf die Begründung des Resultats, und gleich als ob wir nicht einen a priori vorgeschriebenen Weg gegangen wären, der uns nothwendig auf dasselbe hätte führen müssen, sondern, als ob es gänzlich von uns abgehangen hätte, wie dasselbe ausfallen solle, zu untersuchen, ob wir Ursache gehabt hätten, ein günstigeres zu wünschen, oder ob gegenwärtiges etwa überhaupt das vorteilhafteste sey, das wir uns versprechen durften; kurz, dasselbe, ganz ohne Rücksicht auf seine Wahrheit, bloss von Seiten seiner Nützlichkeit zu untersuchen.

Aber hier stossen wir denn zuerst auf diejenigen, welche[165] in der besten Meinung von der Welt sagen werden, bei einer Untersuchung der Art könne überhaupt nichts kluges heraus. kommen, und es würde besser gewesen seyn, gegenwärtige ganz zu unterlassen; die alles, was mit der Offenbarung in Verbindung steht, überhaupt nicht auf Principien zurückgeführt wissen wollen; die jede Prüfung derselben scheuen, fürchten, von sich ablehnen. Diese werden denn doch, wenn sie aufrichtig seyn wollen, zugestehen, dass sie selbst eine schlechte Meinung von ihrem Glauben haben, und mögen selbst entscheiden, ob ihnen die Achtung und Schonung derjenigen besser gefällt, welche die Sache der Offenbarung schon für völlig abgeurtheilt und in allen Instanzen verloren ansehen, und meinen, ein Mann, der auf seine Ehre halte, könne einmal mit ihr sich nicht mehr befassen, es sey sogar ein schlechtes Heldenstück, sie vollends zu Grunde zu richten, und möge man ja auch wohl aus mitleidiger Schonung denen, die nun einmal ihr Herz daran gehängt haben, dies im Grunde unschuldige Spielwerk wohl können. Doch haben wir mit diesen es eigentlich hier nicht zu thun, denn von ihnen wird wahrscheinlich keiner diese Schrift lesen; sondern nur mit solchen, die eine Prüfung der Offenbarung verstatten.

Gegenwärtige sollte unserer Absicht nach die strengste seyn, welche möglich ist. Was haben wir nun durch dieselbe verloren? was gewonnen? wo ist das Uebergewicht?

Verloren haben wir alle unsre Aussichten auf Eroberungen, sowohl objective, als subjective. Wir können nicht mehr hoffen durch Hülfe einer Offenbarung in das Reich des Uebersinnlichen einzudringen, und von da, wer weiss welche Ausbeute zurückzubringen, sondern müssen uns bescheiden, uns mit dem, was uns mit einemmale zu unserer völligen Ausstattung gegeben war, zu begnügen. Ebensowenig dürfen wir weiter hoffen andere zu unterjochen, und sie zu zwingen ihren Antheil an dem gemeinschaftlichen Erbe, oder an dieser neuen vermeinten Akquisition von uns zu Lehn zu nehmen, sondern müssen, jeder für sich, uns auf unsere eigenen Geschäfte einschränken.[166]

Gewonnen haben wir völlige Ruhe, und Sicherheit in unserem Eigenthume; Sicherheit vor den zudringlichen Wohlthätern, die uns ihre Gaben aufnöthigen, ohne dass wir etwas damit anzufangen wissen; Sicherheit vor Friedensstörern anderer Art, die uns das verleiden möchten, was sie selbst nicht zu gebrauchen wissen. Wir haben beide nur an ihre Armuth zu erinnern, die sie mit uns gemein haben, und in Absicht welcher wir nur darin von ihnen verschieden sind, dass wir sie wissen, und unseren Aufwand darnach einrichten.

Haben wir nun mehr verloren, oder mehr gewonnen? – Freilich scheint der Verlust der gehofften Einsichten in das Uebersinnliche ein wesentlicher, ein nicht zu ersetzender, noch zu verschmerzender Verlust; wenn es sich aber bei näherer Untersuchung ergeben sollte, dass wir der gleichen Einsichten zu gar nichts brauchen, ja dass wir nicht einmal sicher seyn können, ob wir sie wirklich besitzen, oder ob wir auch sogar hierüber uns täuschen, so möchte es leichter werden, sich darüber zu trösten.

Dass von der Realität aller Ideen vom Uebersinnlichen keine objective Gewissheit, sondern nur ein Glaube an sie stattfinde, ist nun zur Genüge erwiesen. Aller bisher entwickelte Glaube gründet sich auf eine Bestimmung des Begehrungsvermögens (bei der Existenz Gottes und der Seelen Unsterblichkeit auf eine des oberen, bei dem Vorsehungs- und Offenbarungsbegriffe auf eine durch das obere geschehene Bestimmung des unteren), und erleichtert gegenseitig wieder diese Bestimmung. Dass weiter keine Ideen möglich sind, an deren Realität zu glauben eine unmittelbare oder mittelbare Bestimmung durch das praktische Gesetz uns bewege, ist klärlich gezeigt. Es fragt sich also hier nur noch, ob nicht ein Glaube möglich sey, der nicht durch eine dergleichen Bestimmung entsteht, und sie nicht wieder erleichtert. Im ersten Falle muss es leicht auszumachen seyn, ob der Glaube in concreto wirklich da ist; das muss sich nemlich aus den praktischen Folgen ergeben, die er, als die Willensbestimmung erleichternd, nothwendig, hervorbringen muss. Im letzteren Falle aber, wo keine dergleichen praktische Folgen möglich sind, scheint es, da der[167] Glaube etwas bloss subjectives ist, schwer, hierüber etwas festes zu bestimmen, und es hat völlig das Ansehen, dass uns nichts übrig bleibt, als jedem ehrlichen Manne auf sein Wort zu glauben, wenn er uns sagt: ich glaube das, oder ich glaube jenes. Dennoch ist es vielleicht möglich, auch hierüber etwas auszumitteln. Es ist nemlich an sich gar nicht zu läugnen, dass man oft andere, und ebenso oft sich selbst überredet, man glaube etwas, wenn man bloss nichts dagegen hat, und es ruhig an seinen Ort gestellt seyn lässt. Von dieser Art ist fast aller historische Glaube, wenn er sich nicht etwa auf eine Bestimmung des Begehrungsvermögens gründet, wie der an das Historische in einer Offenbarung, oder der eines Geschichtsforschers von Profession, der von der Achtung für sein Geschäft, und von der Wichtigkeit, die er in seine mühsamen Untersuchungen schlechterdings setzen muss, unzertrennlich ist; oder der einer Nation an eine Begebenheit, die ihren Nationalstolz unterstützt. Das Lesen der Begebenheiten und Handlungen von Wesen, die gleiche Begriffe und gleiche Leidenschaften mit uns haben, beschäftigt uns auf eine angenehme Art, und es trägt zur Vermehrung unseres Vergnügens etwas bei, wenn wir annehmen dürfen, dass dergleichen Menschen wirklich lebten, und wir nehmen dies um so fester an, je mehr die Geschichte uns interessirt, je mehr sie Aehnlichkeit mit unseren Begebenheiten oder unserer Denkungsart hat; wir würden aber, besonders in manchen Fällen, auch nicht viel dagegen haben, wenn alles blosse Erdichtung wäre. Ists auch nicht wahr, so ist es gut erfunden, möchten wir denken. Wie soll man nun hierüber zu einiger Gewissheit über sich selbst kommen? – Die einzige wahre Probe, ob man etwas wirklich annehme, ist die, ob man darnach handelt, oder, im vorkommenden Falle der Anwendung, darnach handeln würde. Ueber Meinungen, die an sich keine praktische Anwendung haben, noch haben können, findet dennoch zu jeder Zeit ein Experiment statt, dass man sich nemlich aufs Gewissen frage, ob man wohl für die Richtigkeit einer gewissen Meinung einen Theil seines Vermögens, oder das ganze, oder sein Leben, oder[168] seine Freiheit verwetten wolle, wenn etwas gewisses darüber auszumachen seyn sollte. Man giebt dann einer Meinung, die an sich keine praktischen Folgen hat, durch Kunst eine praktische Anwendung. Wenn man auf diese Art jemandem eine Wette um sein ganzes Vermögen antrüge, dass kein Alexander der Grosse gelebt habe, so könnte er vielleicht diese Wette ohne Bedenken annehmen weil er bei völliger Redlichkeit dennoch ganz dunkel denken möchte, dass diejenige Erfahrung, welche dies entscheiden könnte, schlechterdings nicht mehr möglich sey; wenn man aber etwa ebendemselben die gleiche Wette darauf antrüge, dass kein Dalai Lama existire, mit dem Erbieten, die Sache an Ort und Stelle durch die unmittelbare Erfahrung zu verificiren, so möchte er vielleicht bedenklicher dabei werden, und sich dadurch verrathen, dass er mit seinem Glauben über diesen Punct nicht völlig in Richtigkeit sey. Wenn man nun über den Glauben an übersinnliche Dinge, deren Begriff durch die reine praktische Vernunft a priori nicht gegeben ist, die mithin an sich gar keine praktischen Folgen haben können, sich eben so eine beträchtliche Wette antrüge, so wäre es sehr leicht möglich, dass man dadurch, dass man sie von der Hand weise, entdeckte, man habe bisher den Glauben an sie nicht gehabt, sondern sich nur überredet, ihn zu haben; wenn man aber diese Wette auch wirklich annähme, so könnte man noch immer nicht sicher seyn, ob sich nicht das Gemüth ganz dunkel besonnen habe, es habe hier noch gar nicht nöthig, sich auf seiner Schalkheit ertappen zu lassen, da bei einer solchen Wette gar nichts zu wagen sey, weil die Sache (bei dergleichen Ideen) in Ewigkeit nicht, weder durch Gründe, noch durch Erfahrungen auszumachen sey. Wenn also auch nicht darzuthun seyn sollte, dass an die Realität von dergleichen Ideen gar kein Glaube möglich sey, auch nur mit sich selbst ins Reine zu kommen, ob man diesen Glauben überhaupt habe, welches eben soviel ist, als ob er überhaupt und an sich nicht möglich wäre. Es ist hieraus zu beurtheilen, ob wir Ursache haben, über den[169] Verlust unserer Hoffnung durch eine Offenbarung erweiterte Aussichten in die übersinnliche Welt zu bekommen, sehr verlegen zu seyn.

In Absicht des zweiten Verlustes bitten wir jeden, sich vor seinem Gewissen die Frage zu beantworten, zu welcher Absicht er eigentlich eine Religion haben wolle; ob dazu, um sich über andere zu erheben, und sich vor ihnen aufzublähen, zur Befriedigung seines Stolzes, seiner Herrschsucht über die Gewissen, welche weit ärger ist, als die Herrschsucht über die Körper; oder dazu, um sich selbst zum besseren Menschen zu bilden. – – Inzwischen bedürfen wir sie auch mit für andere, theils um reine Moralität unter ihnen zu verbreiten; aber da darf nur dargethan seyn, dass dies auf keinem anderen Wege, als dem angezeigten, geschehen könne, so werden wir ja gern, wenn dies wirklich unser Ernst ist, jeden anderen vermeiden; theils, wenn wir das nicht können sollten, uns wenigstens der Legalität von ihnen zu versichern, – ein Wunsch, der an sich völlig rechtmässig ist. Und in Absicht der Möglichkeit ihn dadurch zu erreichen, ist denn ganz sicher nichts leichter, als den Menschen, der sich im Dunkeln überhaupt fürchtet, zu schrecken, ihn dadurch zu leiten, wohin man will, und ihn zu bewegen, in Hoffnung des Paradieses seinen sterblichen Leib brennen zu lassen, so sehr man will; wenn aber gezeigt ist, dass durch eine solche Behandlung der Religion die Moralität nothwendig gänzlich vernichtet werde, so wird man ja gar gern eine Gewalt aufgeben, zu der man kein Recht hat; da zumal diese Legalität weit sicherer, und wenigstens ohne schädliche Folgen für die Moralität, durch andere Mittel erreicht wird.

Dies wäre denn die Berechnung unseres Verlustes. Lasst uns nun den Gewinn dagegen halten!

Wir gewinnen völlige Sicherheit in unserem Eigenthume. Wir dürfen ohne Furcht, dass unser Glaube uns durch irgend eine Vernünftelei geraubt werde, ohne Besorgniss, dass man ihn lächerlich machen könne, ohne Scheu vor der Bezüchtigung des Blödsinnes und der Geistesschwäche, ihn zu unserer[170] Verbesserung brauchen. Jede Widerlegung muss falsch seyn, das können wir a priori wissen; jeder Spott muss auf den Urheber zurückfallen.

Wir gewinnen völlige Gewissensfreiheit, nicht vom Gewissenszwang durch physische Mittel, welcher eigentlich nicht stattfindet; denn äußerer Zwang kann uns zwar nöthigen mit dem Munde zu bekennen, was er will, aber nie, im Herzen etwas dem ähnliches zu denken; sondern von dem unendlich härteren Geisteszwange durch moralische Bedrückungen und Vexationen, durch Zureden, Zunöthigungen, Drohungen, wer weiss welcher schlimmen Uebel, die man unserem Gemüthe anlegt. Dadurch wird nothwendig die Seele in eine ängstliche Furcht versetzt, und quält sich so lange, bis sie es endlich so weit bringt, sich selbst zu belügen, und den Glauben in sich zu erheucheln; eine Heuchelei, welche weit schrecklicher ist, als der völlige Unglaube, weil der letztere den Charakter nur so lange, als er dauert, verderbet, die erstere aber ihn ohne Hoffnung jemaliger Besserung zu Grunde richtet: so dass ein solcher Mensch nie wieder die geringste Achtung oder das geringste Zutrauen zu sich fassen kann. Dies ist die Folge, welche das Verfahren, den Glauben auf Furcht und Schrecken, und auf diesen erpressten Glauben erst die Moralität (eine Nebensache, die wohl ganz gut seyn mag, wenn sie zu haben ist, in Ermangelung deren aber auch wohl der Glaube allein uns durchhelfen kann), gründen zu wollen, nothwendig haben muss, und welche er auch allemal gehabt haben würde, wenn man immer consequent zu Werke gegangen, und die menschliche Natur von ihrem Schöpfer nicht zu gut eingerichtet wäre, als dass sie sich so sollte verdrehen lassen.

Nach Massgabe dieser Grundsätze würde der einzige Weg – ein Weg, den offenbar auch das Christenthum vorschreibt – den Glauben in den Herzen der Menschen hervorzubringen, der seyn: ihnen durch Entwickelung des Moralgefühls das Gute erst recht lieb und werth zu machen, und dadurch den Entschluss, gute Menschen zu werden, in ihnen zu erwecken; dann sie ihre Schwäche allenthalben fühlen zu[171] lassen, und nun erst ihnen die Aussicht auf die Unterstützung einer Offenbarung zu geben, und sie würden glauben, ehe man ihnen zugerufen hätte: glaubet!

Und jetzt darf die Entscheidung, wo das Uebergewicht sey, ob auf der Seite des Gewinns, oder der des Verlustes, dem Herzen eines jeden Lesers überlassen werden, mit Zusicherung des beiläufigen Vortheils, dass ein jeder dieses Herz selbst aus dem Urtheile, das es hierüber fället, näher wird kennen lernen.[172]


Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846.
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