Siebente Rede

Das Gleichnis vom Kleide

[39] Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Ihr Mönche!« –»Erlauchter!« antworteten da jene Mönche dem Erhabenen aufmerksam. Der Erhabene sprach also:

»Gleichwie etwa, Mönche, wenn der Färber ein Kleid nähme, das besudelt und voller Flecken ist, und tauchte es in eine Farbenlösung, in diese oder in jene, in eine blaue oder in eine gelbe, in eine rote oder in eine violette, da könnt' es nur schlechte, nur unreine Färbung gewinnen, und warum? Weil das Kleid, ihr Mönche, nicht rein ist: – Ebenso nun auch, ihr Mönche, ist bei besudeltem Herzen ein schlechter Ausgang zu erwarten.

Gleichwie etwa, Mönche, wenn der Färber ein Kleid nähme, das sauber und rein ist, und tauchte es in eine Farbenlösung, in diese oder in jene, in eine blaue oder in eine gelbe, in eine rote oder in eine violette, da könnt' es nur gute, nur reine Färbung gewinnen, und warum? Weil das Kleid, ihr Mönche, rein ist: – Ebenso nun auch, ihr Mönche, ist bei unbesudeltem Herzen ein guter Ausgang zu erwarten.

Was ist nun, ihr Mönche, Trübung des Herzens? Verderbte Selbstsucht ist Trübung des Herzens, Bosheit ist Trübung des Herzens, Zorn ist Trübung des Herzens, Niedertracht ist Trübung des Herzens, Heuchelei ist Trübung des Herzens, Neid ist Trübung des Herzens, Eiferung ist Trübung des Herzens, Eigensucht ist Trübung des Herzens, Trug ist Trübung des Herzens, Tücke ist Trübung des Herzens, Starrsinn ist Trübung des Herzens, Ungestüm ist Trübung des Herzens, Dünkel ist Trübung des Herzens, Übermut ist Trübung des Herzens, Lässigkeit ist Trübung des Herzens, Leichtsinn ist Trübung des Herzens.

Ein Mönch nun, ihr Mönche, der eingesehn hat, daß verderbte Selbstsucht Trübung des Herzens sei, der verleugnet die verderbte Selbstsucht, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Bosheit Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Bosheit, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Zorn Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Zorn, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Niedertracht Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Niedertracht, die Trübung des Herzens; der eingesehn [39] hat, daß Heuchelei Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Heuchelei, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Neid Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Neid, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Eiferung Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Eiferung, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Eigensucht Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Eigensucht, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Trug Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Trug, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Tücke Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Tücke, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Starrsinn Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Starrsinn, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Ungestüm Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Ungestüm, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Dünkel Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Dünkel, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Übermut Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Übermut, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Lässigkeit Trübung des Herzens sei, der verleugnet die Lässigkeit, die Trübung des Herzens; der eingesehn hat, daß Leichtsinn Trübung des Herzens sei, der verleugnet den Leichtsinn, die Trübung des Herzens.

Hat nun, ihr Mönche, ein Mönch, die verderbte Selbstsucht als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Bosheit als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Zorn als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Niedertracht als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Heuchelei als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Neid als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Eiferung als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Eigensucht als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Trug als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Tücke als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Starrsinn als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Ungestüm als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Dünkel als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Übermut als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, die Lässigkeit als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet, den Leichtsinn als Trübung des Herzens erkannt und verleugnet; so ist seine Liebe zum Erwachten erprobt, derart zwar: ›Das ist der Erhabene, Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerherde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene‹; ist seine Liebe zur Wahrheit erprobt: ›Wohl kundgetan ist vom Erhabenen die Wahrheit, die ersichtliche, zeitlose, anregende, einladende, den Verständigen von selbst verständlich‹; ist seine Liebe zu den Jüngern erprobt: [40] ›Wohl vertraut ist beim Erhabenen die Jüngerschar, ehrlich vertraut ist beim Erhabenen die Jüngerschar, recht vertraut ist beim Erhabenen die Jüngerschar, geziemend vertraut ist beim Erhabenen die Jüngerschar, und zwar vier Paare der Menschen, nach acht Arten von Menschen: das ist des Erhabenen Jüngerschar, die Opfer und Spende, Gabe und Gruß verdient, heiligste Stätte der Welt ist‹. Die Rücksicht aber hat er abgetan, abgelegt, abgelöst, verleugnet, verworfen.

›Meine Liebe zum Erwachten ist erprobt‹: also gewinnt er Verständnis des Sinnes, Verständnis der Wahrheit, verständnisreife Wahrheitwonne. Diese Wonne beseligt ihn. Des Beseligten Körper wird still. Der Körpergestillte fühlt Heiterkeit. Des Heiteren Herz wird einig.

›Meine Liebe zur Wahrheit ist erprobt‹: also gewinnt er Verständnis des Sinnes, Verständnis der Wahrheit, verständnisreife Wahrheitwonne. Diese Wonne beseligt ihn. Des Beseligten Körper wird still. Der Körpergestillte fühlt Heiterkeit. Des Heiteren Herz wird einig.

›Meine Liebe zu den Jüngern ist erprobt‹: also gewinnt er Verständnis des Sinnes, Verständnis der Wahrheit, verständnisreife Wahrheitwonne. Diese Wonne beseligt ihn. Des Beseligten Körper wird still. Der Körpergestillte fühlt Heiterkeit. Des Heiteren Herz wird einig.

›Und die Rücksicht, die hab' ich abgetan, abgelegt, abgelöst, verleugnet, verworfen‹: also gewinnt er Verständnis des Sinnes, Verständnis der Wahrheit, verständnisreife Wahrheitwonne. Diese Wonne beseligt ihn. Des Beseligten Körper wird still. Der Körpergestillte fühlt Heiterkeit. Des Heiteren Herz wird einig.

Ein Mönch nun, ihr Mönche, dem solche Tugend, solche Wahrheit, solche Weisheit eignet, mag auch Almosenspeise genießen, die aus gesichtetem Reis schmackhaft und würzig bereitet ist, und es schadet ihm nicht. Gleichwie etwa, Mönche, ein Kleid, das besudelt und voller Flecken ist, in klarem Wasser gewaschen sauber und rein wird, oder im Schmelztiegel gesottenes Gold gediegen und lauter wird: ebenso nun auch, ihr Mönche, mag ein Mönch, dem solche Tugend, solche Wahrheit, solche Weisheit eignet, auch Almosenspeise genießen, die aus gesichtetem Reis schmackhaft und würzig bereitet ist, und es schadet ihm nicht.

Liebevollen Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit liebevollem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.

Erbarmenden Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso [41] nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit erbarmendem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.

Freudevollen Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit freudevollem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.

Unbewegten Gemütes weilend strahlt er nach einer Richtung, dann nach einer zweiten, dann nach der dritten, dann nach der vierten, ebenso nach oben und nach unten: überall in allem sich wiedererkennend durchstrahlt er die ganze Welt mit unbewegtem Gemüte, mit weitem, tiefem, unbeschränktem, von Grimm und Groll geklärtem.

›So ist es‹, versteht er, ›Gemeines ist da und Edles ist da, und es gibt eine Freiheit, höher als diese sinnliche Wahrnehmung‹. Und in solchem Schauen, in solchem Anblicke wird sein Herz erlöst vom Wunscheswahn, erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. ›Im Erlösten ist die Erlösung‹, diese Erkenntnis geht auf. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da. Den nennt man, ihr Mönche, einen Mönch, gebadet im inneren Bade.«

Zu jener Zeit aber hatte der Brāhmane Sundariko Bhāradvājo in der Nähe des Erhabenen Platz genommen. Da wandte sich nun der Brāhmane Sundariko Bhāradvājo an den Erhabenen und sprach:

»Geht wohl Herr Gotamo in die Bāhukā baden?«

»Was ist's mit der Bāhukā, Brāhmane, was soll die Bāhukā?«

»Läuterung glaubt man, o Gotamo, wirke die Bāhukā, Heilung glaubt man, o Gotamo, wirke die Bāhukā, in den Wellen der Bāhukā wasche man seine Schuld ab.«

Da wandte sich nun der Erhabene an den Brāhmanen Sundariko Bhāradvājo und sagte in Sprüchen:


»Die Bāhukā, die Adhikā,

Die Gayā, selbst die Sundarī,

Sarasvatī, Payāgos Strom

Und Bāhumatīs rasche Flut

Spült nimmer weg gewirkte Schuld,

Und wüsch' auch einer ewig sich.


Was frommte da wohl die Sundarī,

Des Payāgos Woge, die Bāhukā?

[42] Den argen, verruchten Frevelmann

Wäscht die Welle nicht rein von der Sündentat.


Dem Reinen lächelt steter Mai,

Dem Reinen steter Feiertag,

Dem Reinen, der nur Reines wirkt,

Ist allezeit der Wunsch gewährt.


So bade nur hier dich, Geistlicher:

Alles Lebendige lass' dir behütet sein.


Hast abgesagt dem Lügenwort,

Verletzest keine Wesenheit

Und nimmst nichts Ungeschenktes du,

Der Selbstverleugnung standhaft treu,

Was willst du dann zur Gayā gehn?

Nur Wasser gilt die Gayā dir.«


Nach diesen Worten sprach der Brāhmane Sundariko Bhāradvājo zum Erhabenen also:

»Vortrefflich, o Gotamo, vortrefflich, o Gotamo! Gleichwie etwa, o Gotamo, als ob man Umgestürztes aufstellte, oder Verdecktes enthüllte, oder Verirrten den Weg wiese, oder Licht in die Finsternis brächte: ›Wer Augen hat wird die Dinge sehn‹: ebenso auch hat Herr Gotamo die Lehre von vielen Seiten beleuchtet. Und so nehm' ich bei Herrn Gotamo Zuflucht, bei der Lehre und bei der Jüngerschaft: möge mir Herr Gotamo Aufnahme gewähren, die Ordensweihe erteilen!«

Es wurde der Brāhmane Sundariko Bhāradvājo vom Erhabenen aufgenommen, wurde mit der Ordensweihe belehnt.

Nicht lange aber war der ehrwürdige Bhāradvājo in den Orden aufgenommen, da hatte er, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketentums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Bhāradvājo der Heiligen geworden.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 1, Zürich/Wien 41956, S. 39-44.
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