|
[248] Nando:
»Es gibt wohl Denker in der Welt«:
So hört man reden, wie doch mag es recht sein:
Erreift in Weistum ob man Denker heiße,
Bewährt im Leben oder weil man tauge?
Der Herr:
Nicht Ansicht ist es, ist nicht Kunde, Weistum,
Warum den Denker preisen hier die Kenner:
Wer ungemeinsam ohne Weh' und Wunsch bleibt,
Als Pilger zieht, ihn mag ich Denker heißen.
Nando:
Wo Priester je gewesen, wo Asketen,
Da pries man Kunde, Ansicht an als Reinheit,
Es galt auch Tugendwerk um rein zu werden,
Auf manche Weise hörte »rein« man rühmen;
Wohl war von diesen, wie auch hin sie gingen,
Geburt und Alter überwunden da, o Herr:
O löse mir, Erhabner, diese Frage.
[249] Der Herr:
1080
Wo Priester je gewesen, wo Asketen,
Da pries man Kunde, Ansicht an als Reinheit,
Es galt auch Tugendwerk um rein zu werden,
Auf manche Weise hörte »rein« man rühmen:
Doch wie auch immer diese hin da gingen,
Geburt und Alter konnte lassen keiner.
Nando:
Wo Priester je gewesen, wo Asketen,
Da pries man Kunde, Ansicht an als Reinheit,
Es galt auch Tugendwerk um rein zu werden,
Auf manche Weise hörte »rein« man rühmen:
Sind diese, sagst du, Denker, nicht entronnen,
Wer kann denn wohl auf Erden, in der Himmelwelt
Geburt und Alter lassen hinter sich, o Herr?
O löse mir, Erhabner, diese Frage.
Der Herr:
1082
Nicht alle Priester, sag' ich, und Asketen,
Sind eingesunken in Geburt und Alter:
Ist ihnen was hier sichtbar, hörbar, denkbar,
Was tugendhaft auch sei vergangen gänzlich,
Das Mancherlei zunichte worden also,
Sind wahnlos durch das Dürsten sie gedrungen,
Den Fluten, sag' ich, sind entronnen diese.
[250] Nando:
Gar hoch willkommen heiß' ich, Herr, dein Meisterwort,
Anhaften wie es, Gotamo, so ganz vermahnt:
Ist ihnen was hier sichtbar, hörbar, denkbar,
Was tugendhaft auch sei vergangen gänzlich,
Das Mancherlei zunichte worden also,
Sind wahnlos durch das Dürsten sie gedrungen,
Entronnen sind sie, sag' auch ich, den Fluten.
Buchempfehlung
Der Erzähler findet das Tagebuch seines Urgroßvaters, der sich als Arzt im böhmischen Hinterland niedergelassen hatte und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch begann, dieses Tagebuch zu schreiben. Stifter arbeitete gut zwei Jahrzehnte an dieser Erzählung, die er sein »Lieblingskind« nannte.
156 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro